Abgestempelt

Soll die Stempelsteuer auf Eigenkapital abgeschafft oder beibehalten werden? Die Debatte ist geprägt von Schlag­worten und Spiegel­fechterei. Dabei gehts um etwas Grundsätzlicheres.

Eine Analyse von Priscilla Imboden, 01.02.2022

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Eigentlich ist es ein Klacks. Der Bund nimmt durch die Stempel­steuer auf die Herausgabe von Eigenkapital nur rund 250 Millionen Franken pro Jahr ein – das sind gerade einmal 0,3 Prozent des Bundes­haushaltes. Trotzdem sind die Schlag­zeilen fett und die Stimmen laut, wenn es darum geht, ob diese Steuer nun abgeschafft werden soll oder nicht. «Grosskonzerne entlasten?», posaunen SP, Grüne und Gewerkschaften durchs Land. «KMU und Start-ups fördern», rufen die Wirtschafts­verbände, FDP, Mittepartei und SVP zurück.

Beide Argumente halten bei einer näheren Betrachtung nicht wirklich stand.

Keine Bundessteuer ist so alt wie die Stempel­steuer. Sie wurde 1917 eingeführt, um Ausgaben zu finanzieren, die aus den Wirren des Ersten Weltkriegs entstanden waren. Die Stempel­steuer fällt in drei verschiedenen Situationen an: wenn eine Firma Eigenkapital schafft oder erhöht, wenn jemand Aktien handelt oder wenn jemand eine Versicherung abschliesst. Früher wurden solche Wertpapiere von einer Behörde abgestempelt – deswegen der Name.

Bei der Abstimmung am 13. Februar geht es um die Streichung der Stempelsteuer auf Eigen­kapital. Ein Blick auf die Börsen­kotierungen der Schweizer Börse SIX Swiss Exchange zeigt, wer sie in den letzten Jahren bezahlt hat. Es waren Beteiligungs- und Finanz­gesellschaften, die an die Börse gingen, auch Medtech-Unternehmen sowie bekannte Firmen wie der Zughersteller Stadler Rail oder der Haushalts­geräte­produzent V-Zug.

Doch nicht alle Firmen gehen an die Börse, um Geld zu beschaffen. Es gibt auch den ausser­börslichen Eigenkapital­markt, über den sich Staats­bahnen wie die Rhätische Bahn, Elektrizitäts­unternehmen sowie Firmen wie die NZZ-Gruppe oder der Natur­kosmetik­hersteller Weleda Eigenkapital beschafft haben.

Die ganz grossen Schweizer Konzerne wie UBS, Nestlé, Novartis, Roche und Glencore kaufen derzeit hingegen allesamt Aktien zurück, um die Eigenkapital­rendite zu erhöhen. Sie kümmert also – aktuell zumindest – die Stempel­steuer kaum.

Und nun zu den Start-ups. Die grünliberale National­rätin Judith Bellaiche ist Geschäfts­führerin des Wirtschafts­verbands der ICT- und Online-Branche Swico und sitzt im Co-Präsidium des Ja-Komitees. Sie sagt: «Die Emissions­abgabe tut mittleren und vor allem Jung­unternehmen richtig weh.» Eine Abgabe von nur 100’000 Franken entspreche etwa einer Vollzeit- oder zwei Teilzeit­stellen für ein Jahr.

Jung­unternehmen sind tatsächlich auf Eigenkapital angewiesen, da die Banken ihnen nur selten Kredite gewähren. Wie Aussagen aus der Branche zeigen, spielt für sie die Stempel­steuer allerdings eher eine untergeordnete Rolle, weil sie erst ab einer Kapital­erhöhung von einer Million anfällt. Und weil sie nur 1 Prozent beträgt. Sie wird von Kennern der Szene als «Mosaik­stein» beschrieben, um die Situation zu verbessern. Es gebe aber weit grössere Hürden für Jungfirmen, wie etwa der Zugang zu Risiko­kapital oder die Besteuerung von Mitarbeiteraktien.

Somit stimmt weder das Argument der Bürgerlichen, dass hier Jung­unternehmerinnen besonders gefördert würden, noch stimmt das Argument der Linken, dass Gross­konzerne durch die Abschaffung der Stempel­steuer bevorzugt würden. Ausserdem: Nur wenige Unternehmen zahlen die Stempel­steuer überhaupt. In den letzten drei Jahren waren es rund 1700 Firmen pro Jahr, 0,4 Prozent aller Unternehmen. Es ist also kaum zu erwarten, dass es einen flächen­deckenden Effekt gibt, wenn diese Steuer gestrichen wird.

Weshalb also die intensive Diskussion?

Wird Kapital entlastet und Arbeit belastet?

Es geht ums Prinzip. Die grün­liberale National­rätin Judith Bellaiche vom Ja-Komitee sagt, die Stempel­steuer sei ökonomischer Unsinn: «Es ist schlichtweg absurd, die Firmen abzustrafen, bevor sie überhaupt einen Rappen Geld verdient haben.» Zur Frage, ob denn die einprozentige Steuer, die schon seit über hundert Jahren existiere, wirklich entscheidend sei, sagt sie: «Auch kleine Probleme können wir lösen.»

Auf der Gegenseite geht es auch ums Prinzip, nämlich um eine Abrechnung mit der Schweizer Steuer­politik der letzten Jahrzehnte. Das Vorhaben, die Stempel­steuer abzuschaffen, sei nur ein kleiner Schritt eines grösseren Plans, sagt SP-National­rätin Jacqueline Badran: «Es ist Teil der bürgerlichen Salami­taktik, die Steuern auf Kapital schritt­weise zu senken. Bald werden nur noch Angestellte, Rentner und Konsumentinnen besteuert.»

Um es ökonomisch auszudrücken: Der Faktor Kapital wird entlastet, der Faktor Arbeit belastet. Dass das nicht ganz aus der Luft gegriffen ist, zeigt die Empfehlung einer vom Eidgenössischen Finanz­departement eingesetzten Experten­gruppe zum Steuer­standort Schweiz. Sie schreibt in ihrem Bericht: «Vorwiegend werden Einkommen und Konsum besteuert.»

Doch wie sieht die Bilanz der bisherigen Steuer­politik tatsächlich aus?

SP-National­rätin Badran rechnet vor, dass in den letzten Jahrzehnten Unternehmens­steuern und Steuern auf Dividenden gesenkt wurden sowie Abgaben auf Kapital­transaktionen – alles in allem in einem Umfang von 5 Milliarden Franken. Gleichzeitig seien Konsumenten, Rentnerinnen und Arbeit­nehmende mit höheren Mehrwert­steuern sowie Abgaben wie der leistungs­abhängigen Schwer­verkehrs­abgabe (LSVA) und höheren Lohn­prozenten für die Arbeitslosen­versicherungen belastet worden. Dies ebenfalls im Umfang von 5 Milliarden Franken. In den Worten von Jacqueline Badran: «Die Steuer­subventionen an Gross­aktionäre und Konzerne zahlen nachweislich wir alle, die von Lohn und Rente leben.»

Diese Aussage zu überprüfen, ist nicht ganz einfach.

Steuerstatistiken lassen sich nicht nach Kapital und Arbeit aufschlüsseln, da bei der Einkommens­besteuerung der Personen auch Einkommen aus Vermögen enthalten sind, aus Kapital also. Zudem ist die Aufrechnung von Steuer­senkungen und höheren Abgaben statisch. Die Unternehmens­steuer­reformen der letzten Jahrzehnte haben dazu geführt, dass zahlreiche Firmen aus dem Ausland in die Schweiz gelockt wurden, was dem Fiskus trotz tieferer Besteuerung insgesamt mehr Einnahmen beschert hat. Das hat wiederum dazu geführt, dass die Steuern auch für Lohn­abhängige und Rentnerinnen gesenkt wurden. Es ist aus Schweizer Sicht also kein Nullsummenspiel.

Die Schweizer Standort­politik war erfolgreich. Ein Blick auf die Statistiken zeigt eine regelrechte Explosion der Unternehmens­gewinne: Sie haben sich in den letzten dreissig Jahren versechsfacht. Der Gewinn­steuer­ertrag von Bund und Kantonen hat sich in dieser Zeit vervierfacht, hinkt also der Gewinn­entwicklung nach. Kurt Schmidheiny, Ökonomie­professor an der Universität Basel, sagt: «Wir beobachten eine starke Zunahme von Unternehmens­gewinnen, die aber laufend weniger stark besteuert werden.»

Das Steuer­umfeld habe sich in der Schweiz generell verbessert, sagt auch Marius Brülhart, Wirtschafts­professor an der Universität Lausanne. Aber nicht alle hätten gleicher­massen profitiert: «Die Hypothese ist plausibel, dass die Steuern auf Firmen generell stärker gesunken sind als die Steuern auf Einkommen.» Noch plausibler sei die Hypothese, dass der Faktor Kapital stärker entlastet wurde als der Faktor Arbeit, wenn man eine breitere Sicht einnehme und auch die gestiegenen Abgaben und Kranken­kassen­prämien in Betracht ziehe, sagt Brülhart.

Es gibt allerdings praktisch keine wissenschaftlichen Untersuchungen zu diesem Thema. Allein der Schweizerische Gewerkschafts­bund weist in seinem Verteilungs­bericht auf, wie sich die verfügbaren Einkommen entwickeln. Er beschreibt, wie die Kantone Gutverdienende und Vermögende in den letzten Jahren steuerlich begünstigt haben.

Die Abstimmung über die Abschaffung der Stempel­abgabe ist aus bürgerlicher Sicht ein weiterer, wenn auch ganz kleiner Schritt, um den Standort zu stärken. Für SP, Grüne und Gewerkschaften ist sie eine Gelegenheit, die Steuer­strategie der Schweiz der letzten Jahr­zehnte ein bisschen zu bremsen. Es könnte ihnen gelingen, wie Umfragen zeigen – was durchaus ein Achtungs­erfolg wäre.

Der wahre Druck kommt aus dem Ausland

Wenn es aber darum geht, den Trend umzukehren und Firmen stärker steuerlich zu belangen, so dürfte der Druck aus dem Ausland weit mehr bewirken als der Druck der linken Parteien und Organisationen im Inland.

Aus Sicht des Auslands ist die Tiefsteuer­praxis nämlich doch ein Nullsummen­spiel: Durch die Gewinn­verschiebung in die Schweiz verlieren die Herkunfts­länder an Steuer­substrat. Seit der Finanz­krise sind die Gruppe der zwanzig reichsten Länder, die G-20, sowie der Klub der Industrie­staaten OECD immer weniger gewillt, dies zu dulden. Das ist der Grund, weshalb die Schweiz vor wenigen Jahren mit der Steuer­vorlage 17, der STAF, erstmals Steuer­privilegien für Holdings und gemischte Gesellschaften wieder abschaffen musste.

Das war nur der erste Schritt. Der nächste Schritt ist ebenfalls bereits beschlossen: eine 15-prozentige globale Mindest­steuer für Grosskonzerne. Die Schweiz hat diesen Entscheid letztes Jahr zähne­knirschend akzeptiert. Sie hat sich im Wortlaut des Finanz­departements von Ueli Maurer «trotz grosser Bedenken im Sinn der Weiterführung des Projekts und unter Bedingungen angeschlossen».

Die fehlende Begeisterung kommt nicht von ungefähr: Die OECD stellt die jahrzehnte­lange Standort­politik der Schweiz infrage. In achtzehn Kantonen liegt der Gewinn­steuer­satz tiefer als 15 Prozent.

Finanzminister Ueli Maurer plant, die OECD-Reform nun so minimalistisch wie möglich umzusetzen. Die Kantone schmieden Pläne, um die Konzerne mit nicht fiskalischen Massnahmen zu privilegieren. Das wird das nächste grosse Kapitel in der Geschichte der Schweizer Firmen­steuerpolitik sein – die Abstimmung über die Stempel­steuer ist da nur ein kleiner Zwischenruf.

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