Preis der Republik

Ein Lob der Irritation!

Endlich einer, der die Intellektuellen und ihre Wirkung rehabilitiert. Und das auf derart raffinierte Art. Würdiger kann der erste Preisträger des Jahres nicht sein.

Von der Republik-Jury, 03.01.2019

Ein Lob der Irritation!
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Sehr geehrter Preisträger

Sehr geehrte Verlegerinnen und Verleger der Republik

Liebes Publikum

Wenn es nicht so ein furchtbares Klischee wäre – und Klischees werden uns gleich noch beschäftigen –, dann könnten wir nun, gut altintellektuell, sagen: Nomen est omen! Denn wir sind heute hier zusammen­gekommen, um einen Mann auszuzeichnen, der schon in einer früheren Tätigkeit als «Monsieur Prix» Furore machte.

Und nun haben Sie, verehrter Preisträger, als alter Marx-Leser und Anspielungs­routinier, «das Gespenst des Populismus», das allenthalben auf so plumpe Weise beklagt wird, fulminant gegen seine Verächter in Stellung gebracht.

Man kennt das doch! Sobald von Populismus die Rede ist, schreien die Leute «Trump», «Le Pen» oder, eine Nummer kleiner und kariert, «Gauland». Und «bei uns», da müssen die armen Herren Blocher und Köppel herhalten. Gegen dieses – wie hiess es in Ihrem Text? – gegen dieses «Klischee» von den Volks­aufwieglern zogen Sie in Ihrer neuesten «Tagi»-Kolumne mutig zu Felde, die wir hiermit nachdrücklichst zur Lektüre anempfehlen.

Denn Sie, sehr verehrter Rudolf H. Strahm, erweisen sich darin als wahrer Meister der Irritation.

Die Fragen, die Sie aufwerfen, sind in der Tat Schlüssel­fragen unserer Zeit: Warum haben die Populisten so viel Zustimmung? Was hat das mit den Vermögens­verhältnissen zu tun? Was kann man machen, statt sich nur zu empören?

Nur stellen Sie die Fragen so nicht. Sondern eben als Irritations­virtuose! Und wie Sie da so durch Ihren Text hindurch immer wieder neue Pointen setzen, das ist schon geradezu gespenstisch!

Virtuosenstück 1: Links blinken – rechts abbiegen

«Regierungsestablishment», «multinationale Konzerne», da horcht man doch auf! Und dann lassen Sie den Feind die Bühne betreten: die «Eliten».

Das ist kein komplett neuer Sound, aber man ist doch gespannt, wer gemeint ist: die Profiteure des Wirtschafts­systems? Die politischen Entscheidungs­träger? Die Mächtigen an den Schaltzentralen jener Regierungen und multinationalen Konzerne, die Sie im ersten Absatz erwähnen und danach im ganzen Text nie mehr?

Nicht doch! Es sind, na wer? ... Journalisten und Intellektuelle! Diese Eliten!

Um ehrlich zu sein: Im allerersten Moment waren wir richtig sauer. Weil wir mit diesen verkommenen Intellektuellen bitte nicht in einem Atemzug ... ach, lassen wir das. Wir waren aber aus gleich zwei Gründen enttäuscht.

Wegen des Gefühls, wir hätten diese Antwort schon mal irgendwo gehört. Wie heisst noch gleich dieser Kleinkarierte? Aber auch, weil wir gedacht hatten, Sie als Ökonom und ehemaliger SP-Nationalrat hätten an dieser Stelle ein paar Gedanken zu Sozialpolitik und Kapitalismus beizusteuern. Wohlstands­gefälle, Klassen­gesellschaft, Prekariat und so. Und weil Sie doch Experte sind für die Frage «Warum wir so reich sind», hätte uns näher interessiert, welches Wir so reich ist und welches Wir vielleicht nicht ganz so, schweizweit und in der Welt; und warum.

Und da dachten wir zunächst, wieso will der denn jetzt lieber über uns reden? (Und über diese verdammten Intellektuellen.) Aber das war ja, wie gesagt, nur im ersten Augenblick. Denn der aufmerksame Leser merkt bald: Sie haben das Stilmittel der Irritation so durchgängig eingesetzt, dass wir es als raffinierte Argumentations­strategie zu erkennen – und schätzen! – lernten.

Lassen Sie uns deshalb ein paar weitere Kostproben geben.

Das erfordert, weil Ihre Kolumne so reich an Kontext­sprüngen ist, ein wenig Geduld bei der Lektüre. Aber wo würde man die lieber aufbringen als beim Intellektuellen-Bashing?

Virtuosenstück 2: Intellektuellen-Bashing ohne Intellektuelle

Sie stellen also die oben genannte Frage nach den Gründen der Populisten­wähler gleich mit ein bisschen Rhetorik: «Hat sich jemand je für die tieferen Motive ihrer Anhänger interessiert?» Als erschöpfende Kurzversion einer Antwort könnte man sagen: Ja.

Aber Sie fordern zu Recht, man solle die Populisten­anhänger «ernst nehmen», und das wollen wir mindestens so sehr beherzigen, wie Sie die intellektuelle Produktion zu Ihrem Thema ernst nehmen. Und wir dachten, während Sie da so ohne Ross und Reiter argumentierten, beispielsweise an Andreas Reckwitz, der das meistdiskutierte Soziologie­buch der letzten Jahre geschrieben hat, dessen Inhalt Sie vielleicht interessiert. Ist nämlich sehr klug. Und genau Ihr Thema! Oder die Texte seiner Kollegen Cornelia Koppetsch oder Oliver Nachtwey. Das aktuelle Buch von Philip Manow. Von Isolde Charim, von Tristan Garcia, you name it.

Die und Konsorten, dachten wir zunächst, haben Sie vielleicht nicht gelesen oder es in Ihrem Text gut verheimlicht – nicht dass noch einer auf die Idee kommt, Sie einen Intellektuellen zu schimpfen!

Doch bald wurde uns klar: Ihre Intellektuellen­schelte ist nicht einfach nur eine groteske Pauschalisierung ohne konkrete Belege. In Wirklichkeit ist das eine etwas kryptische, aber umfassende Rehabilitierung. Denn hört man nicht ständig und überall – «so das Klischee» –, es gebe keine richtigen Intellektuellen mehr? Und da kommen Sie mit der Kraft des mutigen Wortes und lassen uns wissen: Es gibt sie scharenweise! Und sie haben sogar immense gesellschaftliche Wirkungsmacht.

Virtuosenstück 3: Die hohe Kunst des Definierens

Und dann schafft es einer von diesen Intellektuellen doch noch ins Zentrum Ihres Textes, wenn Sie mit einer Fukuyama-Exegese kurz und bündig festhalten: Migration ist die Hauptursache für Identitäts­verlust, und Identitäts­verlust ist das tiefst­liegende Problem. Also jetzt nicht der Identitäts­verlust der Menschen, die wegen Krieg, Verfolgung, Klima­katastrophen oder wirtschaftlicher Perspektiv­losigkeit ihre Heimat und ihr ganzes bisheriges Leben zurücklassen. Sondern der Identitätsverlust derer, die schon hier sind. Die «langfristiger denken» als «das Establishment und seine Berufsdenker» und sich sorgen, «wie unsere Gesellschaft in 20, 50 oder 100 Jahren aussieht, wenn die Zuwanderung aus dem arabischen Raum und aus Afrika unvermindert weitergeht».

Wieder kurze Irritation: Wo noch mal geht in den letzten Jahren die Zuwanderung unvermindert weiter? Und kommt jetzt die Stelle, wo Sie über die Rolle von zynischer Macht­politik, Turbo­kapitalismus und Klimawandel als Migrations­ursachen sprechen?

Aber das ist ja gar nicht Ihr Thema! Ihr Thema sind die Anhänger der Rechtspopulisten. Und zu denen gehören laut Ihrem Text erst mal: Konservative. Und ausserdem: Konservative. Das hätte Alexander Gauland nicht anders definieren wollen!

Virtuosenstück 4: Spiel mit dem kleinen Unterschied

Jedenfalls würdigen Sie die homogene Gruppe der konservativen Rechtspopulistenwähler als Bastion der Vernunft zwischen den «beiden Lagern», die «in ihren ideologischen Blasen gefangen» sind. Diese beiden Lager sind: «die linke Soziologin Franziska Schutzbach» und der «ultrarechte Politiker Roger Köppel». Und da ist, wos drauf ankommt, nun wirklich kein wesentlicher Unterschied, denn: «Polarisieren und die anderen verletzen tun beide.» «Mit dem Unterschied» dann aber doch, dass die Soziologin mit ihrer «Kampfschrift» ihren «akademischen Nimbus beansprucht und so die Leser der Feuilletons betört». Jaja, die betörenden Kampfweiber!

Und wieder muss man festhalten: Sie, verehrter Preisträger, bringen es einfach auf den Punkt! Denn polarisieren, das tun Feministinnen in unserer Gesellschaft nun wirklich – schon dadurch, dass sie Feministinnen sind. Und dann auch noch gebildet!

Die raffinierteste Irritation aber haben Sie sich für den Schluss aufgehoben: «Wir brauchten in Zukunft mehr analytische Selbstreflektion über die Motive der konservativen Wähler.» Da haben wir uns kurz gefragt, wer – ausser konservativen Wählern – bei dieser Analyse «Selbstreflektion» betreiben kann; und was genau Sie uns hier mitteilen wollen.

Aber es sind doch gerade solche Widerhaken in den Sätzen, auf die es ankommt! In Zeiten, in denen jeder seine Thesen einfach mal so undifferenziert raushaut!

Und da war bei uns, der Jury, sofort klar, dass wir Ihnen den ersten Preis der Republik im neuen Jahr verleihen wollen. Für den populistischsten Populismustext des Jahresendes, sagten die einen. Quatsch! Für grossen intellektuellen Irritationsjournalismus, sagten die anderen. Doch da waren wir bereits durch die Schule Ihres Textes gegangen und sagten uns: Ist doch eins wie das andere – polarisieren tun beide. Und so ernennen wir Sie einfach ohne nähere Spezifizierung zum Monsieur Prix de la Republik!

Wir gratulieren!

Illustration: Doug Chayka

Der Preis der Republik

Er wird jede Woche am Donnerstag verliehen. Für jede Sorte von Leistung. Die miserable. Die mittelmässige. Und natürlich auch die hervorragende. Niemand soll von seinem Erhalt ausgeschlossen werden, niemand verschont bleiben. Über seine Vergabe entscheidet ebenso kompetent wie willkürlich die Republik-Jury.

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