Die Republik ist nur so stark wie ihre Community. Werden Sie ein Teil davon und lassen Sie uns miteinander reden. Kommen Sie jetzt an Bord!

DatenschutzFAQErste-Hilfe-Team: kontakt@republik.ch.



Wieso wird in der Debatte über die Ergebnisse der Bundestagswahl in Deutschland vor allem auf die Stimmen der Erstwähler*innen fokussiert, bei denen Grüne und FDP tatsächlich eine absolute Mehrheit gewonnen haben? Das scheint mir Teil einer Erzählung zu sein, die Grüne und FDP als "unverbrauchte" und "moderne" Kräfte bezeichnet, die jetzt in den Lead gehen sollen. Dabei vertreten beide Parteien in den Fragen, die in den kommenden Jahren entscheidend sein werden, äusserst konträre Positionen - eine Tatsache, auf die auch Daniel Binswanger hinweist.
Das Label "modern" alleine genügt nicht - es geht um die Frage, in welche Moderne das Land gehen soll: in die eines grünen, klimaneutralen Kapitalismus (wobei noch nicht ausgemacht ist, ob das tatsächlich funktionieren kann) oder in jene einer Gesellschaft jenseits des wachstumsgetriebenen und immer wieder auch zerstörerisch wirkenden Kapitalismus mit seinen Krisen und Kriegen.
Ich meine nicht, dass die heutigen Grünen mehrheitlich für diesen zweiten Weg stehen, aber in ihrer DNA ist etwas Widerständiges angelegt, das sich nicht so einfach zur Seite schieben lässt. Die FDP steht hingegen zu grossen Teilen für eine neoliberale Politik. Der sozialliberale Flügel wurde in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend aufgerieben und spielt deshalb auch keine grosse Rolle mehr in der Positionierung der Partei.
Meine Befürchtung ist, dass die Sache auf einen "progressiven Neoliberalismus" hinauslaufen könnte, wie dies die US-Sozialwissenschaftlerin und -Philosophin Nancy Fraser nennt. Das wäre dann aber keine adäquate Antwort auf die Zeichen der Zeit.

21
/
0
Andreas Fischer
nachdenklich
·

Die Diskussion, die Daniel Binswanger anstösst, könnte auch für die Schweiz interessant sein:
Das frühere Spannungsfeld zwischern "liberal <> sozial" hat sich in Richtung "liberal <> Umwelt" verschoben. Ob das auf erfolgreiches Bewirtschaften der Sozialfrage der SP zurückgeht oder eher darauf, dass es uns heute-vielleicht deswegen-(zu) gut geht ist im Moment nebensächlich. Wenn es eine umfassende Umwelt-Achtsamkeit ist, umso besser.
Aus meiner Erfahrung kommen gute Lösungen eher zustande, wenn sie nicht nur von einer Partei bewirtschaftet werden sondern im "Zusammenraufen" von kompromissfähigen und lösungsorientierten Politiker_innen.
Das neue Spannungsfeld ist in fast allen Parteiprogrammen mehr oder weniger exlplizit enthalten. Somit könnte sich eine Parteienlandschaft erfolgreich erweisen, die sich in Regierung und Parlament aus glaubwürdigen und vorwärtsblickenden Personen zusammengesetzt.
Also achten wir wieder vermehrt auf vertrauenswürdige Personen, die fähig sind, gemeinsam ausgewogene Lösungen zu finden.

18
/
2
Urs Fankhauser
Citoyen
·
· editiert

Ich habe es nicht so mit den weisen Personen, die sich zusammenraufen, um gemeinsam einen tragfähigen Konsens auszuhandeln. Wo bleiben in Ihrer Betrachtungsweise ausserparlamentarische Kräfte wie NGOs, spontane Bewegungen wie die Klimabewegung oder meinetwegen auch die Covidglöckner? Ich glaube nicht, dass unsere Probleme mit Kabinettspolitik, einem Rat der Weisen oder gar einem Rat von Technokraten (Vision vieler GLP-Leute) gelöst werden können. Ausserdem frage ich mich, woher Sie die Gewissheit nehmen, dass der Liberalismus in Ihrem einfachen Variablenspiel eine gesetzte Grösse sei.

3
/
0
Andreas Fischer
nachdenklich
·

Ich stelle nur fest, dass das liberale Gedankengut in Form der Wirtschaft und des Kapitals als konstante Kraft in der Schweiz seine Rolle spielt. Oder sehen Sie Anzeichen, dass sich das bald ändert?
Kompromisse erwarte ich weniger von "weisen Menschen" sondern von Leuten mit mit Bodenhaftung und Verantwortungsgefühl - und da haben Sie natürlich recht: auch ausserparlamentarische Kräften können und sollen konstruktive Inputs eingebringen.

1
/
0

Danke für diese Analyse, die mir leider nicht viel Grund zur Hoffnung gibt: Erstens bedeutet ein technokratisches Regierungsverständnis (die Ideologie des 'unideologischen' Problemlösens) wie oben skizziert das Ende der Politik, die doch eigentlich darin besteht, dass im Kraftfeld sozialer Verhältnisse unterschiedliche Gesellaftsentwürfe ausgehandelt werden. So kann z.B. die Frage, was für Steuersätze, Löhne, Mieten etc. gerecht sind, nicht technokratisch gelöst werden, sondern ist vom jeweiligen sozialen und/oder ideologischen Standpunkt abhängig. Zweitens kann
an den 'alten' Volksparteien viel kritisiert werden, aber sie hatten - insbesondere die SPD - eine integrierende Funktion, wenn es um die Repräsentation der Unterschichten ging. Grüne und Liberale repräsentieren hingegen viel stärker das, was Piketty die "brahmanische Linke" und die "kaufmännische Rechte" nennt, also zwei unterschiedliche Eliten, die sich die Macht aufteilen.
Und als Einwand: Die Sozialdemokratie ist alles andere als tot, auch in der Schweiz nicht. So haben am letzten Sonntag in diversen Berner und Aargauer Gemeinden Grüne und GLP zugelegt, aber keineswegs auf Kosten der SP. Verloren haben vielmehr die SVP und die Mitte, insgesamt gab es einen leichten Linksrutsch.

15
/
0

Ländervergleiche sind immer etwas heikel, aber halt doch spannend.

Die deutsche FDP und die glp setzen die Technologie ins Zentrum der Maßnahmen gegen den Klimawandel. Das Energiegeld der Deutschen Grünen entspricht der Schweizer Lenkungsabgabe, v.a. vertreten durch die glp, aber auch die Grüne Partei unterstützt die Lenkungsabgabe, da sie einen sozial gerechten Ausgleich schafft.
Die Schweizer FDP driftet im Sog der SVP weiter nach rechts und vergisst neben der individuellen Freiheit die Verantwortung ggü. der Mitwelt.
Gesellschaftsliberal sind alle 5 Parteien. Die glp ist eine Mitte-Partei, die CH-Grünen stehen ziemlich weit links. Die deutschen Grünen haben sich in den letzten Monaten (oder länger?) schon weit zur Mitte bewegt, um Stimmen von bisherigen SPD-/CDU-Wählenden zu erhalten. Jetzt wird es spannend sein zu beobachten, ob die deutsche FDP sich von rechts zur Mitte bewegt.

Neben all der Rhetorik zu den Unterschieden zwischen den Parteien: wenn FDP und die Grünen die Bereitschaft zeigen, in einer Regierung konstruktiv zusammen arbeiten zu wollen, könnte tatsächlich ein politisch/gesellschaftlicher Aufbruch entstehen. Politisch legitimiert ist aber nur die Ampelkoalition. Die CDU ist aktuell in Einzelteile zerlegt und muss sich in der Opposition neu erfinden (Söder hat das verstanden).

11
/
0
· editiert

Wir sollten das Wahlresultat vom Herbst 2023 nicht vorwegnehmen, aber in der aktuellen Vereinigten Bundesverfassung haben die Grünliberalen derart viele (rechten) Freunde - und die Grünen genau gleich viele Feinde - dass die glp noch vor den Grünen und auf Kosten der SP in den Bundesrat einziehen wird.
Die abwegige Begründung der 'Bürgerlichen' hat Andreas Fischer weiter unten (jetzt oben) bereits vorgedacht, dass nämlich im politischen Themendiskurs die Umwelt das Soziale ersetzt hätte (grün=rot). Herr Fischer schreibt von "verschoben".
Dabei ist 'Klimagerechtigkeit' (grün+rot!) das Problem der nächsten 50 bis 100 Jahre.

10
/
2

Sie haben natürlich recht, alle Mutmassungen über die nächsten Wahlen sind reine Spekulation. Dafür beteilige ich mich nicht an Fussballwetten ;-)
Ich gehe davon aus, dass die GLP ihre Freunde ein- oder überholen wird und diese dann gar nicht mehr so relevant sein werden. Wenn man noch einmal den Bogen zu den deutschen Wahlen schlägt ist die GLP ja eine Art Verschnitt aus der FDP und den Kretschmann-Grünen. Sie hat also durchaus Potenzial, gerade bei unpolitischen JungwählerInnen.

1
/
0
· editiert

Ob grün, blau oder gäggeligääl, wenn die Kosten für a) die Verlangsamung der Klimaerwärmung und b) die Schäden der Klimaerwärmung nicht einigermassen auf alle Schultern verteilt werden, dann sind die Querschläger der Querdenker bloss ein leiser Vorgeschmack auf Kommendes.

6
/
0
Kritischer und interessierter Bürger
·

Herr Binswanger schreibt: "Gemäss einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschafts­forschung ist im Übrigen kein einziges der Partei­programme der im Bundes­tag vertretenen Parteien ausreichend, um die Pariser Klima­ziele zu erreichen – nicht einmal das der Grünen. Das ist ein beängstigender Befund."
In der Gesamtbewertung der DIWE-Studie erreichen von maximal 4 die B90/G 3,62, die Linke 2,6 und die anderen Parteien unter 2 Punkte. Zitat aus dem Bericht: "Lediglich im Bereich des internationalen Klimaschutzes, also der Frage nach Massnahmen zur Vermeidung von Carbon Leakage und der Einbettung nationaler Klimaschutzmassnahmen in globale Strukturen und Ambitionen, erreicht Bündnis 90/Die Grünen einen Wert unter drei Punkten." In allen anderen Sektoren gelingt es der Partei relativ konkrete und geeignete Vorschläge zu präsentieren.
Wenn Herr Binswanger die Ergebnisse der Studie beängstigend findet, bezieht sich das wohl nicht auf die B90/G, sondern auf alle anderen Parteien. Und das ist in der Tat ganz schlimm.

5
/
0

Wenn Sie 4 Pferde oder halt 4 Tankfüllungen brauchen, um die Wüste zu durchqueren und Sie haben nur 3,62 dabei, dann kommen Sie nie an. Dann waren Sie der Aufgabe nicht gewachsen und auf dem Grabstein steht dann: "Gut und willig - aber gescheitert". Ausser es gibt in der Wüste eine Tankstelle/Pferdestation, aber die sehe ich so nicht beim Klimawandel.

2
/
1

Eine Übertragung bundesdeutschen Trends auf die Schweiz ist ziemlich problematisch, da sich die Klientel deutscher und schweizerischer Parteien vielfach überlappen. Wer in der BRD die FDP wählt, landet in der Schweiz bei der FdP oder der GLP oder gar bei der SVP (wenn Steuersenkungen das Hauptanliegen sind). Den Trend weg von den "Systemparteien" gibt es aber auch hier. Mich würde es sehr wundern, wenn GPS und (noch stärker) die GLP 2023 nicht noch einmal einen Boost erleben würden. Schwieriger scheint mir die Einschätzung, welche Bundesratsparteien am meisten Federn lassen müssen. Die FdP wird wohl einen Teil der rechten Wählerschaft abholen können, der die SVP mit ihrem Stadt-Land-Stunt und der Covid-Schwurblerei zu weit ging. Aber der Rechtsschwenk unter der neuen Führung wird vermutlich noch mehr FdP - Publikum in die offenen Arme der GLP treiben. Welche Argumente sollte die FdP noch haben, zum zweiten Mal in Folge einen zweiten BR-Sitz zu beanspruchen, der ihr nicht zusteht? Da die SVP in Richtung bürgerliche Mitte (oder eher: gemässigte Rechte) verliert und noch weiter rechts nichts mehr existiert, wird auch die SVP eher zu den Verlierern gehören. Bezüglich der SP gehe ich eher davon aus, dass sie stabil bleibt. Sie hat nicht viel falsch gemacht, die Bedeutung des Staats wurde für viele während der Pandemie wieder ersichtlich und der europäische Trend spricht auch dafür. Deshalb tippe ich auf eine neue BR-Zusammensetzung 2-2-3 (2 SVP - 2 SP - je ein Sitz für drei Parteien aus dem Quartett FdP-Mitte-GLP-GPS).

6
/
2

Das Positive ist, dass alle demokratischen Parteien und auch die Bürger die Erderwärmung ernst nehmen und als wichtiges, viele sogar als wichtigstes Problem sehen. Das war nicht immer so. Ob es zu den notwendigen Massnahmen führt, werden wir sehen, Sorgen sind sicher berechtigt.

2
/
0

Erstaunlich, dass der sonst sehr differenziert analysierende Binswanger nichts zur Sozial- und Wirtschaftspolitik schreibt und damit auch wenig zum Spitzenplatz der SPD.

3
/
1
Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
·

Typo: Es mag an der List der Vernunft liegen, dass Binswanger von der «List der Themen» spricht und nicht von der «Liste der Themen» ;)

3
/
2

Sehr hübsch! Vielen Dank für den Hinweis.

0
/
0

Eines ist (zumindest für mich) offensichtlich: bezüglich rechtzeitiger ökologischer Wende schaut es - wo auch immer man hinschaut (DE, CH, USA) - nahezu hoffnungslos aus

1
/
0