Briefing aus Bern

Schweizer Anwälte helfen Geld­wäschern, die EU erhält die Kohäsions­milliarde – und wie ein Rücktritts­gerücht entsteht

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (162).

Von Reto Aschwanden, Dennis Bühler und Cinzia Venafro, 07.10.2021

Vor lauter Nachrichten den Überblick verloren? Jeden Donnerstag fassen wir für Sie das Wichtigste aus Parlament, Regierung und Verwaltung zusammen.

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Könige, Prominente und Potentatinnen verstecken ihr Geld in Steuer­paradiesen – und die Schweiz mischelt kräftig mit. Das ist unter­dessen schon fast ein Klischee, doch das Internationale Netzwerk investigativer Journalisten (englisch: International Consortium of Investigative Journalists) bestätigt es mit seiner aktuellen Recherche einmal mehr. Und bringt das Parlament unter Zugzwang.

Nach den «Panama Papers» 2016 und den «Paradise Papers» 2017 sorgen jetzt die sogenannten «Pandora Papers» weltweit für Aufsehen – und Unruhe in Bern. Das neue Leak öffnet, wie der Titel ankündigt, sprichwörtlich die Büchse der Pandora: Es wird unappetitlich, Donner­grollen aus dem Pantheon inklusive. Aber: Illegal sind die bisher bekannten Machen­schaften nach Schweizer Recht nicht.

Laut der aufwendigen inter­nationalen Recherche (rund 11,9 Millionen Dokumente wurden ausgewertet) nutzen Hunderte Politikerinnen und Geschäftsleute Briefkasten­firmen in Offshore-Ländern, um im eigenen Land Steuern zu sparen. Ihnen behilflich sind rund 90 Schweizer Beratungs­unternehmen, Anwalts­kanzleien und Notariate. In den meisten Fällen haben diese Unter­nehmungen als Mittels­leute agiert, um Briefkasten­firmen im Ausland zu eröffnen. Ein eher skurriler Fall ist dabei eine Schwyzer Atem­therapeutin, die offenbar das Offshore-Imperium der aserbeidschanischen Präsidenten­familie betreute. Auch der jordanische König Abdullah II. erhielt Hilfe aus der Schweiz. Er erwarb über Briefkasten­firmen herrschaftliche Häuser im kalifornischen Malibu.

Und in Bern?

Keine 24 Stunden nach den ersten Enthüllungen (die Geschichten und Recherchen auf der Basis solcher Gross­recherchen werden meist gestaffelt veröffentlicht) stand die SP in einer improvisierten Medien­konferenz parat, um die Debatte über das erst im Frühling verabschiedete revidierte Geldwäscherei­gesetz neu zu entfachen. Mittels parlamentarischer Initiative will sie erreichen, dass künftig auch Berater dem Geldwäscherei­gesetz unterstellt werden. Auch für Anwältinnen und andere Mittels­leute soll die Sorgfalts- und Melde­pflicht gelten.

Einer, der das Pandora-Debakel hat kommen sehen, ist Finanz­minister Ueli Maurer. Er wollte vergangen Herbst im Ständerat noch verhindern, dass seine Partei­kollegen im Verbund mit FDP und Mitte die nun angeprangerten Treu­händerinnen vom Geld­wäscherei­gesetz befreien: «Wenn Sie die Berater heraus­brechen, (…) kommen wir wieder damit, das kann ich Ihnen jetzt schon versichern …» Denn dadurch bliebe eine Gesetzes­lücke, «die wieder moniert wird, das kann ich Ihnen jetzt schon garantieren». Maurers Worte halfen nichts, die vielen Anwälte im Parlament überzeugten eine Mehrheit, eine breitere Unter­stellung ihrer Branche unter das Geld­wäscherei­gesetz zu verwerfen.

Jetzt, nach den «Pandora Papers», könnte die bürgerliche Mauer bröckelig werden. Der Schweizer Geld­wäscherei­experte Mark Pieth attestiert der SP und den Korruptions­jägerinnen jedenfalls gute Erfolgs­aussichten: «Die Schweiz wird inter­national gezwungen, die Anwälte, die zum Beispiel solche Gesellschaften gründen, auch unters Geld­wäscherei­gesetz zu stellen», sagte er zu SRF.

Einige Bürgerliche fordern bereits Verschärfungen: Anwalt und FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann sagt: «Ich habe wenig Vertrauen, dass sich Anwälte und Treuhänder gut selber beaufsichtigen

Andere würden den Sturm gerne aussitzen. Wie ein Löwe verteidigte etwa der Walliser Anwalt und Mitte-Stände­rat Beat Rieder vor einem Jahr die jetzige Gesetzes­lage. Die Schweiz sei «ein Muster­knabe der Geld­wäscherei­bekämpfung», sagte der Präsident der Rechts­kommission damals. Nun spricht er angesichts der «Pandora Papers» von «Einzel­fällen» und findet, die bestehenden Gesetze würden ausreichen. Dabei zieht er einen eigen­willigen Vergleich: «Wir haben auch nicht durch eine ausgebaute Gesetz­gebung bei der Drogen­bekämpfung den Drogen­handel vernichtet.»

In der griechischen Sage machte Pandora den Deckel übrigens zu schnell wieder drauf. Während die Plagen entwischen konnten, blieb die Hoffnung in der Büchse stecken. Wir warten gespannt auf weitere Recherchen.

Und damit zum Briefing aus Bern.

Kohäsions­milliarde: Parlament erteilt Freigabe ohne Bedingungen

Worum es geht: Zum Abschluss der Herbst­session haben National- und Ständerat am vergangenen Donnerstag zugestimmt, den seit zwei Jahren ausstehenden Kohäsions­beitrag in Höhe von 1,3 Milliarden Franken ohne neue Bedingungen an die Europäische Union auszuzahlen. Gut drei Viertel davon kommen Entwicklungs­projekten in 13 östlichen EU-Ländern zugute; 200 Millionen Franken sind für Projekte im Bereich Migration und Asyl in einzelnen EU-Staaten vorgesehen.

Warum Sie das wissen müssen: Im Grundsatz hatte das Parlament dem zweiten Schweizer Kohäsions­beitrag bereits vor zwei Jahren zugestimmt. Allerdings wollte es ihn nur ausbezahlen, wenn die EU auf diskriminierende Massnahmen gegen die Schweiz verzichtet – gemeint war damit vor allem, dass die EU die Börsen­äquivalenz wieder anerkennt, welche sie im Juni 2019 hatte auslaufen lassen. Nun stellen National- und Ständerat keine Bedingungen mehr, obwohl sich die EU in den letzten zwei Jahren nicht auf die Schweiz zubewegt hat. Mit der Freigabe der Gelder verbindet das Parlament die Hoffnung, dass die EU die Schweiz beim Forschungs­programm Horizon Europe ab Anfang 2022 wieder als assoziierten Drittstaat einstuft. Eine Garantie dafür gibt es allerdings nicht. Ein Sprecher der EU-Kommission erinnerte daran, dass der Kohäsions­beitrag nichts anderes als eine «natürliche, logische Gegen­leistung für die Schweizer Teilnahme am wichtigsten Binnen­markt der Welt» sei. In Zukunft brauche es einen Mechanismus, der sicherstelle, dass die Schweiz einen finanziellen Beitrag leiste, der den Standards der EU und der Efta/EWR-Staaten entspreche. Angesichts dessen, dass Norwegen pro Jahr rund dreimal mehr zahlt als die Schweiz, dürfte das heissen: Es wird teurer.

Wie es weitergeht: Einen letzten Stolper­stein gibt es – Bern und Brüssel müssen als Grundlage für die Zahlung der Kohäsions­milliarde ein sogenanntes Memorandum of Understanding aushandeln. Die EU-Kommission will, dass der Schweizer Beitrag darin klar als Preis für die Teilnahme am Binnen­markt bezeichnet wird; der Bundesrat will davon nichts wissen, weil das Geld nicht in den allgemeinen EU-Topf komme, sondern direkt an Projekte in ärmeren Mitglieds­staaten Osteuropas gehe.

«Weil Applaus nicht reicht»: Abstimmungs­kampf um Pflege­initiative eröffnet

Worum es geht: Das Komitee hinter der Pflege­initiative hat seine Kampagne gestartet. Laut den Initiantinnen ist der Pflege­notstand keine Bedrohung mehr, sondern längst Realität. So seien derzeit 11’000 Pflege­stellen in der Schweiz unbesetzt, davon 6200 Pflege­fach­personen. «Die heutige Situation ist unhaltbar, weil die Zeit für eine gute, sichere und menschliche Pflege fehlt. Die Pflegenden sind chronisch überlastet, erschöpft und frustriert», so das Komitee.

Warum Sie das wissen müssen: Die Initiative wurde vor Corona gestartet, seither hat die Pandemie die Probleme in der Pflege noch verschärft. Darauf spielt der Slogan der Initiative an: «Weil Applaus nicht reicht». Dass es Probleme gibt, sieht auch das Parlament und hat darum einen indirekten Gegenvorschlag zur Initiative ausgearbeitet. Kern davon ist eine Ausbildungs­offensive: Die Kantone sollen Beiträge an die Lebens­haltungs­kosten der angehenden Pflege­fach­leute leisten. Kosten würde dies rund eine Milliarde in den nächsten acht Jahren. Das reiche bei weitem nicht, so Marina Carobbio, Tessiner SP-Ständerätin, Ärztin und Mitglied des Initiativ­komitees: «Wir wissen, dass rund ein Drittel der Pflege­fach­personen bereits kurz nach dem Abschluss im Alter zwischen 20 und 24 Jahren aus dem Beruf aussteigt. Es braucht eine früh­zeitige und verbindliche Bekannt­gabe der Dienst­pläne, berufliche Entwicklungs­möglichkeiten, familien­freundliche Strukturen und Möglichkeiten zu Lohn­erhöhungen.» Zudem soll eine Pflege­fach­person «abhängig von ihrem Bereich nur für eine maximale Anzahl an Patientinnen zuständig sein», so Mitte-Nationalrat Christian Lohr. Dies garantiere die Qualität, die Patienten­sicherheit und einen effizienten Mittel­einsatz. Für den Bundes­rat geht die Initiative zu weit, auch weil sie verlangt, dass Pflege­fach­personen künftig gewisse Leistungen direkt zulasten der obligatorischen Kranken­versicherung abrechnen können.

Wie es weitergeht: Am 28. November kommt die Initiative an die Urne. Wird sie abgelehnt (und kein Referendum ergriffen), tritt automatisch der indirekte Gegen­vorschlag in Kraft. Zuletzt hat die FDP die Nein-Parole ergriffen, Ja sagen die EVP, die Grünen Schweiz und die SP Schweiz. Stimmfreigabe hat die Mitte beschlossen. Die SVP wird ihre Parole am 23. Oktober fassen.

Gerüchtekoch der Woche

Der Feier­abend rückte näher, als die «Aargauer Zeitung» am letzten Donnerstag um halb sechs ein Gerücht aus dem Bundes­haus publik machte, wonach Bundesrat Ueli Maurer am nächsten Tag möglicher­weise zurück­treten werde. Zurück an den Schreib­tisch, hiess das für viele Journalistinnen, um die Spekulation subito weiterzuverbreiten. Dann kam der Freitag und mit ihm die Bundesrats­sitzung, aus der allerlei Beschlüsse vermeldet wurden, aber kein Rücktritt. Dafür meldete sich nach dem Zmittag ein Journalist des «Tages-Anzeigers» auf Twitter mit einer «Hypothese», wie es zum Rücktritts­gerücht gekommen sein könnte. Der Journalist hatte nämlich mit einem Kollegen recherchiert, wer Maurer nach­folgen könnte, wenn der dann irgend­wann zurück­tritt. Am Donnerstag­nachmittag wollten dann plötzlich andere Journis von den Rechercheuren wissen, ob sie etwas über einen Rücktritt am Freitag gehört hätten. Hatten sie nicht, doch das hinderte die Konkurrenz nicht daran, über einen bevor­stehenden Abgang Maurers zu unken. Also publizierte der «Tages-Anzeiger» umgehend den nun topaktuellen Artikel über potenzielle Nachfolgerinnen. Die Moral von der Geschichte präsentierte der Tagi-Journi gleich selbst: «Im Rückblick vermute ich, dass wir mit unseren Recherchen in der Wandel­halle die Gerüchte­küche unbewusst und unabsichtlich überhaupt in Gang gesetzt haben …»

Illustration: Till Lauer

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