Ein harmonisches Parlament, mehr Fragen als Antworten zu 5G – und glückliche Pöstlijäger
Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (80).
Von Andrea Arežina, Dennis Bühler und Bettina Hamilton-Irvine, 05.12.2019
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Der neue Nationalrat ist ganz offensichtlich ein Nationalrat der Superlative. Nicht nur ist er jünger, weiblicher und ökologischer. Er ist auch so harmonisch wie noch nie. Das ist zumindest der Eindruck, der am Anfang der neuen Legislatur entsteht, die am Montag begonnen hat: Alle haben sich gern, über Parteigrenzen hinweg.
Erst machten Mike Egger (SVP), Franziska Ryser (Grüne) und Andri Silberschmidt (FDP) Schlagzeilen, als sie eine parteiübergreifende Wohngemeinschaft gründeten und ankündigten, künftig am Küchentisch Allianzen zu schmieden. Dann erklärte Silberschmidt, der als jüngster Parlamentarier eine Rede halten durfte, er freue sich, dass sich die Zahl der unter 30-Jährigen mit den Wahlen verdoppelt habe, weil er sich davon pragmatische Lösungen für die drängenden Themen erhoffe: Altersvorsorge, Start-up-Förderung – und Klimaschutz. Worauf die stark angewachsenen Fraktionen der Grünen und der Grünliberalen den FDP-Politiker frenetisch bejubelten.
Nie gesehene Eintracht herrschte auch bei der ersten Entscheidung der Legislatur: Isabelle Moret (FDP) wurde mit dem besten je erzielten Resultat zur Nationalratspräsidentin gewählt – die Waadtländerin erhielt 193 von 198 gültigen Stimmen. Das sind 39 Stimmen mehr als ihre Vorgängerin Marina Carobbio (SP), die im Dezember 2018 exakt den bisherigen Durchschnittswert erreicht hatte.
Auch im Ständerat ging es Anfang Woche verständnisvoll zu und her. Der neue Präsident Hans Stöckli (SP) erlaubte den Grünen, von einer seit Jahrzehnten gültigen ungeschriebenen Regel abzuweichen: Weil alle fünf Ständerätinnen neu gewählt sind, dürfen sie ausnahmsweise schon in ihrer ersten Session das Wort ergreifen – andernfalls müsste die ganze Fraktion schweigen.
Für die meisten Parlamentarier war zu Beginn der Legislatur vor allem eins wichtig: Networking. Gelegenheit dazu boten in den vergangenen drei Tagen zahlreiche Anlässe verschiedener Lobbygruppen. Schon am Dienstagmorgen hatten die Politikerinnen die Qual der Wahl, wie ein Überblick der Kollegen von Lobbywatch zeigt: Sie konnten sich um 7 Uhr zum «Parlamentarierfrühstück» des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins treffen oder gleichzeitig zum von Chocosuisse und Biscosuisse organisierten «Schokoladefrühstück mit Informationsaustausch»; sie konnten sich kostenlos gegen Grippe impfen lassen oder um 7.40 Uhr mit einer «überkonfessionellen Besinnung mit Lesung, Stille und Segensgebung» in den zweiten Sessionstag starten.
Ein neues Parlament, das bedeutet viele neue Gesichter und Namen. Der Grünen-Fraktionschef Balthasar Glättli leidet an einem Defizit, das ihm die Arbeit erschwert: Er kann sich schlecht Namen merken. Doch er hat eine Lösung dafür gefunden, wie er der Republik bestätigt: Er prägt sich die Gesichter und Namen der neuen Ratsmitglieder mithilfe einer App ein.
Und nun zum gewohnten Briefing aus Bern.
Mehr Transparenz: Lobbyisten müssen Farbe bekennen
Worum es geht: In Zukunft soll Buch darüber geführt werden, welche Lobbyisten im Bundeshaus ein und aus gehen. Das neue Parlament spricht sich deutlich für ein Lobbyisten-Register aus. Noch im Juni wollte es davon nichts wissen.
Warum Sie das wissen müssen: Auch wenn das erste Geschäft der neuen Legislatur nur zu einer kosmetischen Anpassung führt, ist klar: Das neue Parlament hat ein Zeichen gesetzt. Lobbyisten müssen in Zukunft nicht nur ihre Arbeitgeber deklarieren, sondern auch jegliche Mandate und Auftraggeber in ein öffentlich einsehbares Register eintragen. Das Gleiche gilt für die ehemaligen Stände- und Nationalräte, die freien Zutritt zum Bundeshaus haben. Tagesgäste von Parlamentariern sollen zudem nur in ihrer Begleitung im Bundeshaus unterwegs sein dürfen. Bemerkenswert ist, dass die Forderung nach mehr Transparenz im bürgerlichen Lager mehr Anklang fand als in der Vergangenheit. So sprachen sich unter anderem diverse neu gewählte bürgerliche Nationalrätinnen dafür aus: Martina Bircher und Stefanie Heimgartner (beide SVP, Aargau), Anna Giacometti (FDP, Graubünden) oder Simon Stadler (CVP, Uri). Aber auch Lukas Reimann (SVP, St. Gallen) oder Matthias Jauslin (FDP, Aargau).
Wie es weitergeht: Mit den konkreten Details für ein Lobbying-Register befassen sich als Nächstes die Kommissionen, bevor die Vorlage wieder ins Parlament kommt. In der Zwischenzeit wird der Ständerat am 16. Dezember über die fehlende Transparenz in der Politikfinanzierung diskutieren.
Nur gegen Cash: Notfallbehandlung soll 50 Franken kosten
Worum es geht: Wer sich in der Notaufnahme eines Spitals untersuchen lässt und anschliessend keine stationäre Behandlung braucht, soll in Zukunft 50 Franken bezahlen müssen. Das hat der Nationalrat beschlossen.
Warum Sie das wissen müssen: Mit der 50-Franken-Gebühr will der Nationalrat verhindern, dass Patientinnen wegen Bagatellen ins Spital rennen und so die Gesundheitskosten in die Höhe treiben. Vielmehr solle die erste Anlaufstelle die Hausärztin sein, sagte der GLP-Nationalrat Martin Bäumle. Kathrin Bertschy (GLP) wies als Kommissionssprecherin Gesundheit darauf hin, dass eine Gebühr zu mehr Kostenbewusstsein führen könnte. Die SP-Nationalrätin Yvonne Feri hingegen warnte, auf dem Land seien Hausärztinnen nicht so einfach zu finden. Zudem belaste eine Notfallgebühr ältere und arme Menschen stärker und könne dazu führen, dass diese gar nicht mehr zum Arzt gingen. Die Mehrheit des Parlaments sah das jedoch anders.
Wie es weitergeht: Als Nächstes wird sich der Ständerat mit dem Geschäft befassen. Stimmt er ebenfalls zu, können die Kantone entscheiden, ob sie die Gebühr einführen wollen.
Kohäsionsmilliarde: Gesprochen, aber noch blockiert
Worum es geht: Nachdem auch der Nationalrat zugestimmt hat, sind sich beide Kammern einig: Die Kohäsionsmilliarde für die EU wird gesprochen. Bezahlt werden soll sie aber erst, wenn die EU auf Massnahmen verzichtet, welche die Schweiz als diskriminierend einstuft.
Warum Sie das wissen müssen: Die Schweiz will die Kohäsionsmilliarde – die zwar so heisst, aber aktuell 1,3 Milliarden Franken beträgt – als Pfand in den Verhandlungen mit Brüssel einsetzen. So hat der Bundesrat schon vor der letzten Beratungsrunde im Parlament beschlossen, dass das Geld erst fliesst, wenn die EU auf diskriminierende Massnahmen gegen die Schweiz verzichtet. Das Parlament hat der Bedingung bereits in der letzten Legislatur zugestimmt. Weil Brüssel seit Juli die Schweizer Börsenregulierung nicht mehr als gleichwertig anerkennt, bleibt die Zahlung vorerst blockiert.
«Kategorisch und grundsätzlich» gegen die Kohäsionsmilliarde war nur die SVP. Die Befürworterinnen sehen die Solidaritätszahlung als im Interesse der Schweiz, weil sie den Zugang zum EU-Binnenmarkt ermöglicht. Das Geld soll über zehn Jahre ausbezahlt werden und ist vor allem für Projekte in Osteuropa vorgesehen sowie zu einem kleineren Teil für Länder, die besonders von Migration betroffen sind.
Wie es weitergeht: Weil das Parlament bereits 2016 mit dem erneuerten Osthilfegesetz die Grundlage für die Zahlung geschaffen hat und dagegen kein Referendum ergriffen wurde, kommt die Kohäsionsmilliarde nicht vors Volk. Gleichzeitig dürfte sie blockiert bleiben, solange der Bundesrat und Brüssel streiten. Wenn das Gesetz 2024 ausläuft, können die Parlamentarier neue Bedingungen oder auch ein Referendum beschliessen.
Mehr Fragen als Antworten: 5G-Bericht liegt vor
Worum es geht: Ein Jahr lang hat sich eine Arbeitsgruppe des Bundes mit den Risiken und Bedürfnissen im Zusammenhang mit dem 5G-Netz auseinandergesetzt. Jetzt liegt der lange erwartete Bericht vor – und beantwortet die entscheidende Frage nicht: Wie gefährlich ist 5G für unsere Gesundheit?
Warum Sie das wissen müssen: Ein 5G-Mobilfunknetz bringt schnelleres Internet und wäre die Voraussetzung für neue Technologien wie zum Beispiel Drohnen oder selbstfahrende Autos. Doch wie viele zusätzliche Antennen braucht ein 5G-Netz? Wird dadurch die Mobilfunkstrahlung stärker? Und welcher Grenzwert ist nötig, damit unsere Gesundheit nicht gefährdet wird? Darüber war sich die breit zusammengesetzte Arbeitsgruppe uneinig. Die Ärztinnen, Umweltexperten des Bundes und Swisscom-Vertreter haben aus diesem Grund fünf Vorschläge formuliert. Sie reichen von einer Verschärfung der Grenzwerte bis zu einer Lockerung. Der Grund für die unterschiedlichen Haltungen ist, dass es nach wie vor an Wissen und Forschung im Zusammenhang mit 5G fehlt.
Wie es weitergeht: Klar ist, dass das 5G-Netz die Schweiz im kommenden Jahr immer wieder beschäftigen wird. Im Parlament sind ein Dutzend Vorstösse hängig. Auf der Strasse wird für fünf verschiedene Volksinitiativen gegen 5G gesammelt. Und auch der Bundesrat wird sich zu Wort melden müssen.
Krimi in Sri Lanka: Botschaftsangestellte entführt
Worum es geht: Vergangene Woche wurde eine Mitarbeiterin der Schweizer Botschaft in Sri Lanka auf offener Strasse in ein Auto gezerrt, bedroht und zwei Stunden lang verhört, bis sie wieder freigelassen wurde. Das sri-lankische Aussenministerium widerspricht den Angaben der Schweizer Botschaft zur Entführung. Am Montag hat nun das EDA mitgeteilt, die Botschaft habe bei den sri-lankischen Behörden Anzeige erstattet und eine «rasche und lückenlose Aufklärung» des Vorfalls gefordert. Zudem hat Staatssekretärin Pascale Baeriswyl den Botschafter Sri Lankas aus Berlin nach Bern zitiert.
Warum Sie das wissen müssen: Gemäss mehreren Medienberichten wurde die entführte Frau über den hochrangigen Polizeibeamten Nishantha Silva befragt. Dieser leitet die Ermittlungen gegen den am 16. November gewählten sri-lankischen Präsidenten Gotabaya Rajapaksa und sein Umfeld. Silva untersucht dabei Korruptionsfälle und Menschenrechtsverletzungen, die auch die Zeit von 2005 bis 2015 einschliessen, als Gotabayas älterer Bruder Mahinda Präsident war. Offensichtlich hat Silva, der als integer und kompetent gilt, Todesdrohungen erhalten. Wie die NZZ berichtet, ist er nun in die Schweiz geflüchtet und soll sich hier um Asyl bemühen. Währenddessen ist die Stimmung zwischen Sri Lanka und der Schweiz auf einem Tiefpunkt angelangt. Der sri-lankische Industrieminister Wimal Weerawansa unterstellt der Schweizer Botschaft Lügen: Sie habe dieses Drama nur inszeniert, um die neue Regierung in Verruf zu bringen. Die Schweiz wiederum erachtet den Vorfall als «sehr gravierenden und nicht akzeptablen Angriff». Sie verlangt von Sri Lanka eine Erklärung der angeblichen Beweise gegen die Schweizer Darstellung des Vorfalls.
Wie es weitergeht: Staatssekretärin Baeriswyl hat gegenüber dem sri-lankischen Botschafter betont, die Schweiz sei weiterhin bereit, «die notwendigen Schritte zu unternehmen, um das Vertrauen zwischen der Schweiz und Sri Lanka wieder zu stärken». Das sri-lankische Aussenministerium verlangt, dass sich die angeblich verletzte Angestellte einer gerichtsmedizinischen Untersuchung unterziehen lässt. Gemäss Angaben des EDA ist die Frau allerdings aus medizinischen Gründen noch nicht vernehmbar.
Pöstlijäger der Woche
Wenn Politiker abgewählt werden oder freiwillig nicht mehr antreten, fallen sie in der Schweiz weich: National- und Ständeräte können eine Überbrückungsrente beantragen, bis sie ein gut bezahltes Lobbymandat finden. Während bis zu zwei Jahren erhalten sie maximal 2370 Franken pro Monat. Doch das tun nur Amateure und besonders Unabhängige. Denn wer während der Amtszeit die Nähe zu einem der sieben Bundesräte gesucht hat, darf mit einem Posten und leicht verdientem Sitzungsgeld liebäugeln.
Vergangenen Freitag verteilte die Regierung gleich fünf solche Geschenke: Den bisherigen Berner BDP-Ständerat Werner Luginbühl machte sie zum Chef der Eidgenössischen Elektrizitätskommission, die Aargauer FDP-Nationalrätin Corina Eichenberger zur Präsidentin des Institutsrats des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum. Den Tessiner FDP-Ständerat Fabio Abate ernannte sie zum Vizepräsidenten der Eidgenössischen Spielbankenkommission, während sich der Berner SVP-Nationalrat Adrian Amstutz mit der Rolle des einfachen Mitglieds zufriedengeben muss. Acht Jahre nach ihrem Rücktritt hat sich der Bundesrat zudem an die Bündnerin Brigitta Gadient erinnert: Die ehemalige BDP-Fraktionschefin wird per 1. Januar Präsidentin von Schweiz Tourismus.
Illustration: Till Lauer