Marco Di Nardo

Ein Nachruf. Schon wieder. Fuck.

Von Yvonne Kunz, 30.04.2022

Vorgelesen von Patrick Venetz
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Laurent Burst

Im Frühjahr, wenn die Sonne Kraft bekommt, lebte Marco Di Nardo auf. Er war ein Sommer­kind, geboren am 22. Juli 1979. Es schien, als ob er nur schon beim Gedanken an die warmen Monate eine gleichmässig schön gebräunte Haut bekommen hätte. Marco liebte das Feuer. Und lange, laue Nächte – begleitet von Prosecco auf Eis.

Jetzt wäre seine Zeit gekommen.

Vor fast genau zwei Jahren starb seine Büro­partnerin Brigitte Meyer. Ihr Tod traf ihn wie die ganze Crew der Republik sehr hart, jetzt hatte er ihn verwunden, war daran gewachsen. Und obwohl er Menschen ganz grund­sätzlich mochte und deswegen ein begnadeter Netz­werker war, konnte ihm die Zurück­gezogenheit während der Pandemie nichts anhaben. Im Gegenteil. Bei Marco akzentuierten sich in dieser Zeit Charakter­züge, die ihn ohnehin auszeichneten: seine unerschütterliche, fast schon sture Gelassenheit und die bescheidene Zufriedenheit, mit der er dem Leben begegnete.

Zuletzt schien er nicht mehr einfach nur zufrieden, er schien glücklich zu sein, voller Vorfreude auf Neues, auf einen unbeschwerten Sommer. Er war fokussiert, er war inspiriert, er hatte sich in seiner einzig­artigen Rolle bei der Republik gefunden.

Jetzt wäre seine Zeit gekommen.

Stattdessen ist er am 19. April 2022 überraschend gestorben.

Natürlich bei schönstem Sonnen­schein.

«An Tagen wie diesen», singen die Rapper von Fettes Brot, «lacht die Sonne so schadenfroh.»

Ausgerechnet er, der immer da war, wenn jemand Hilfe brauchte, ist jetzt fort.

Die Lücke, die er hinterlässt, ist eine besondere, in vielerlei Hinsicht. Er war der Nicht-Journalist unter vielen Journalisten. Die Anti-Diva in einer Branche mit grosser Diven-Dichte. Er hatte nie ein Problem damit, andere glänzen zu lassen. Er war zurück­haltend, unaufdringlich – und hinterliess trotzdem überall einen bleibenden Eindruck. Das war seine Kunst­form.

Marco gehörte zur ältesten Keimzelle der Republik. Er war dabei, als 2008 eine Gruppe um Christof Moser und die Autorin dieses Nachrufs ausrangierte Möbel aus dem alten Tamedia-Gebäude schleppten und sich in einer besetzten Druckerei bei der Zürcher Kalkbreite installierten. Die Republik 1.0 war auf und für Papier gedacht – er, der technologische Early Adopter, war zuständig für «das Internet».

Seit dem Start der Republik in ihrer heutigen Form leitete und begleitete er als Multimedia­produzent unzählige ihrer Projekte. Seine Parade­rolle: Inhalte ästhetisch perfekt inszenieren: den Podcast «Im Gespräch» mit Roger de Weck etwa, den Trailer zu «Race, Class, Guns and God», die Bild­kolumne «Unterwegs mit Nahr». Beim Crowdfunding-Video half er, den Wahnsinn von Tausenden Schnipseln zu bändigen, immer geduldig, immer gut gelaunt, auch wenn überhaupt noch nicht klar war, wo das enden würde.

Man konnte ihn durchaus zu Abenteuern verlocken – wenn es überzeugende Argumente dafür gab.

Marco rollte Ideen den roten Teppich aus – und sorgte dann dafür, dass sie auf dem Teppich blieben. Das Laute, Schrille, Harte, Krasse war nicht sein Ding – smooth musste es sein, stilvoll und vor allem: machbar. In seinem Pragmatismus war er ein Extremist.

Wie kaum jemand beherrschte er die Kunst der konstruktiven Kritik; er schaffte es, schwierige oder unangenehme Dinge zu benennen, ohne je verletzend oder wertend zu sein. Er hielt sich spitz­bübisch zurück und gab seinem Gegenüber ein Gefühl von Wichtigkeit – selbst wenn es ihm Halbgares oder völligen Irrsinn vortrug, oder vor allem dann.

Er hörte jeweils erst mal lange zu und stellte dann ein, zwei präzise Fragen. Wenn er keine stich­haltigen Antworten bekam, sagte er: «Lass uns das mal noch zurück­stellen.»

Der Projektplan überzeugt noch nicht so recht? Easy, lass uns nächste Woche nochmals zusammen­kommen.

Bei einer Tonaufnahme ist ein Wort etwas vernuschelt? Easy, nehmen wir nochmals auf.

Marco verstand, dass gute Ideen Zeit brauchen. Er verstand, dass Menschen Zeit brauchen. Er verstand, dass nur so Gutes entsteht. Easy.

Nicht nur bei der Republik. Mit Kultur­projekten wie dem Lüchtturm, 2018 auf der Stadion­brache des Zürcher Hardturms und 2019 am Theater­spektakel, oder 2015 mit der Zwischen­nutzung an der Grubenstrasse belebten er und seine Freundinnen und Freunde von Kombo die Stadt, die er liebte – und verkörperte.

Er war ein Zürcher Archetyp: immer mit irgendeinem coolen Start-up beschäftigt und aus Prinzip mit dem Velo unterwegs.

Das war er auch am vergangenen Oster­sonntag. Mit seiner aus der Ukraine geflüchteten neuen Mitbewohnerin war er auf dem Weg nach Uetikon am See. Dort hatte er mit Kombo seit 2019 im CU-Areal die «Zwischen­fabrik» eingerichtet. Eine riesige Werkstatt für Ideen und Experimente aller Art, hart an der Kante des Zürichsees.

Sobald es warm genug war, wollte er vor allem dort sein. Am See, bei seinen Wurzeln, in der Nähe seiner Familie: Er ist in Stäfa aufgewachsen. Er freute sich so sehr darauf, den Ort mit anderen zu teilen, zu erleben. Schon bald sollten dort wieder Feste gefeiert werden, lange, laue Sommer­nächte in guter Gesellschaft, schön ausgeleuchtet, wunderbar passend beschallt. Mit Marco in seiner zweiten Parade­rolle: als perfekter Gastgeber.

Im Angesicht der Katastrophe, schrieb Joan Didion über den Tod ihres Mannes und ihrer Tochter, neigen wir dazu, die Alltäglichkeit der Umstände hervor­zuheben, unter denen das Undenkbare geschah.

Der heitere Himmel, aus dem das Flugzeug stürzt.

Oder eben der platte Reifen, der Marcos Velofahrt stoppte. Als er sich bückte – und starb. Einfach so. Hirnblutung. Und es sei diese Alltäglichkeit, sagt Didion, die einen daran hindere, zu glauben, was geschehen war. Das Geschehene zu verarbeiten und zu überwinden.

Doch Marco hat dafür gesorgt, dass sogar diese verfluchte Scheisse doch noch irgendwie einen Sinn erhält, einen happy Twist zum Schluss, der es uns leichter macht, weiterzuleben. Selbst tot sorgt er noch dafür, dass wir uns besser fühlen.

Savoir-vivre bedeutete bei ihm nicht einfach das geschmackvolle Print­muster seines Schals. Oder den slicksten Beat zum Sonnen­untergang. Sondern sich und seine Lebens­gestaltung im Griff zu haben, «Self-Admin» nannte er das. Natürlich hatte sich Marco also als Organ­spender eingetragen.

Marco starb mit 42 Jahren.

Nun wird sein Herz in einem anderen Körper weiterschlagen.

So war er: nicht nur reden, sondern machen.