Rühren!

Geschmacksache Spezial: Wir überreichen Ihnen feierlich ein Fondue. Und ein paar Anekdoten dazu.

Von Michael Rüegg (Text) und Moritz Wienert (Illustration), 10.12.2021

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Meine Kindheit begann in den Siebziger­jahren mit orange geblümter Bett­wäsche, braunen Frottee­pyjamas und stunden­langem Spielen auf kratzigen Nadelfilz­spannteppichen. Und mit Eltern, die jedes Mal «FIGUGEGL!» schrien, wenn es Fondue gab. Ich lernte schnell, wofür die Abkürzung stand: «Fondue isch guet und git e gueti Luune». Das war ein von der Käse­union in Auftrag gegebener Werbe­slogan, den eine gewisse Doris Gisler erfunden haben soll. Sie war eines der Gs in «Gisler & Gisler», damals eine der wenigen Werbe­agenturen in der Schweiz. Heute hat jedes Dorf eine eigene.

FIGUGEGL muss eine unglaublich erfolgreiche Kampagne gewesen sein. Denn sie machte aus einem in der Deutsch­schweiz zuvor wenig beachteten Gericht aus geschmolzenem Käse innerhalb weniger Jahre die Schweizer National­speise. Dabei gibt es Fondue schon lange. Bereits im 17. Jahr­hundert hat eine Zürcher Kochbuch­autorin ein Rezept publiziert, Hunderte Jahre bevor im Niederdorf asiatische Touristinnen in Caquelons rührten.

Ihren Aufstieg verdankt die zähflüssige Gemütlichkeit vor allem zwei Umständen. Oder sagen wir drei.

Erstens: dem Aufschwung und der Konsum­gesellschaft. Nach den entbehrungsreichen Kriegs­jahren unter Traugott Wahlens Anbau­schlacht gab es ab den 1950er-Jahren wieder Käse in Hülle und Fülle. Die Schweiz sass förmlich auf einem Käseberg, der Konsum musste angekurbelt werden.

Zweitens: der Armee. Die enge Verflechtung zwischen Staat und Wirtschaft sorgte vermutlich dafür, dass die Käse­union ihre Produkte an die Armee verhökern konnte. Dort wurden die ersten Fondues im grösseren Stil verspeist. Als die Männer aus ihren WK zurück­kehrten, brachten sie das Fondue mit. Tatsächlich soll es zu den ersten Rezepten gehört haben, für die Männer ihre Frauen am Herd ablösten. Fondue wurde also gewisser­massen Männer­sache. Wer weiss, vielleicht trug es gar ein kleines Stück zur Veränderung der Geschlechter­rollen und damit letzten Endes zur Emanzipation der Frau bei. Zumindest nach dem vierten Kirsch darf man felsenfest davon überzeugt sein.

Drittens: FIGUGEGL, und damit der Kreation einer eigentlichen Fondue­bewegung, die über das Rühren, je nach Familien­gesetz im Kreis oder als «Achti», hinausging. Der Slogan muss einer der erfolg­reichsten in der Geschichte unseres Landes gewesen sein. Er prägte eine ganze Generation.

Auf alle Fälle war 1970 das Fondue bereits dermassen etabliert, dass Goscinny und Uderzo in ihrem Comic­band «Asterix bei den Schweizern» eine legendäre Fondue­szene einbauten. Das ist erstaunlich, bedenkt man, dass die französische Region Savoyen ebenfalls den Anspruch erhebt, Erfinderin des Käse­fondues zu sein. Dem Autor René Goscinny, der in Südamerika aufgewachsen war, schienen solche lokalen Empfindlichkeiten egal zu sein. Vielleicht hatte er gerade seiner Herkunft wegen einen sehr universellen Blick auf Frankreich und den Rest von Europa.

In der Ferne gescheitert

Als ich vor vielen Jahren einige Wochen lang im australischen Brisbane weilte, hatte ich die gloriose Idee, für meine Nachbarn ein Fondue zuzubereiten. Ich irrte einen ganzen Tag in der Stadt umher, auf der Suche nach geeignetem Käse. Mein Chauffeur war ein junger Mann, dessen Namen ich längst vergessen habe. Er besass einen Reparatur­dienst für Mobil­telefone, wo seine Angestellten arbeiteten, damit er nicht musste. Daher hatte er viel Zeit. Schliesslich fanden wir in einem noblen Lebensmittel­geschäft einen völlig überteuerten zweit­klassigen Gruyère. Um mein Monats­budget zu entlasten, streckte ich ihn mit allerlei anderen Käsen, darunter auch lokalem Cheddar. Vacherin war nicht aufzutreiben. Maisstärke fand ich auf Anhieb genauso wenig wie einen Weisswein, der nicht nach Vanille roch. (Es war die Zeit, als Neuwelt­produzenten in jeden Bottich Holzchips schmissen.) Statt eines Caquelons musste eine Edelstahl­pfanne herhalten, ein Rechaud liess sich keines auftreiben. Das Ergebnis war ziemlich scheusslich. Es bildete sich keine homogene Masse, sondern ein zäher Teig, der von einer dünnen Flüssigkeit umspült war. Dennoch taten alle am Tisch so, als wäre das Zeug, in dem sie auf meine Anweisung hin mit ihren Salat­gabeln rührten, köstlich. Australier sind höfliche Menschen.

Wenn man einmal jeden möglichen Fondue­fehler begangen hat, kanns nur noch besser werden. Seit jenem Abend an der australischen Ostküste ist keines meiner Fondues auch nur annähernd so misslungen. Ich würde allerdings auch nie wieder den Fehler machen, am anderen Ende der Welt nach Vacherin zu suchen.

Für die Republik hat ein Käse­sachverständiger auf meine Initiative hin die vorliegende Mischung hergestellt. Ich bat um ein Fondue, das Gräben überwindet. In erster Linie den Rösti­graben – indem sich ein West­schweizer Käse mit Deutsch­schweizer Kollegen amalgamiert. Das Resultat ist eine Mischung aus Gruyère, Vacherin, Zürcher Oberländer und Bündner. Ein wahrlich helvetisch-kosmopolitisches Fondue!

Ufos und Sekten am Kantonsrand

Falls Sie es noch genauer wissen wollen: Der Zürcher kommt aus dem Tösstal. Genauer: aus der Ortschaft Sternenberg. Sie war früher eine eigene Gemeinde, verschmolz aber unlängst mit Bauma. Aus Bauma kommen viele meiner Vorfahren, ich selber wuchs auf der Vorderseite des Hügel­zugs auf, ein paar Kilometer näher an der Welt. Bauma lag im Einzugs­kreis meines Gymnasiums, auch wenn kaum eines der Kinder des Tals es bis in die Mittelschule schaffte. Eines der wenigen war die Tochter des Gemeinde­schreibers. Mit ihr freundete ich mich an. Als Teenager legten wir einander Tarot­karten, wobei ihre stets eine raben­schwarze Zukunft versprachen. Sie hat meines Wissens später trotzdem als IT-Kapazität Karriere gemacht. Vielleicht musste sie einfach von Bauma weg, um ihrem Schicksal zu entrinnen.

In Bauma wurde zudem vor 200 Jahren mein Vorfahre Rudolf Rüegg zum Tode verurteilt, weil er zusammen mit seinem Bruder ein Haus angezündet hatte. Als das Malefiz­gericht meinen Ahnen mit dem Schwert zu köpfen versuchte, brach die Klinge entzwei. Der Verurteilte lebte noch, zumindest einiger­massen. (Rüegge gelten als Dickschädel.) Die anwesenden Herren berieten sich und kamen zum Schluss, dass der angeschlagene Verurteilte zu verbrennen sei, was angesichts seines Verbrechens, also der Brand­stiftung, als naheliegende Lösung erachtet wurde. Also starb Rudolf schliesslich in den Flammen.

Die Gegend dort hinten ist mir suspekt. Ich fahre zwar gelegentlich für Wanderungen ins Tössberg­land. Doch so richtig lieben tue ich es nicht. Ich fühlte mich in meiner Ambivalenz bestätigt, als Bauma neulich als eine von wenigen Zürcher Gemeinden Nein zur Ehe für alle sagte. Wirklich überrascht war ich nicht. Das Zürcher Oberland war schon immer ein Biotop für Sekten und Freikirchen. (Das Thema Impfquote umschiffen wir hier lieber.)

Die Mutter meines Götti­kindes in Mexiko ist Apothekerin und arbeitete früher ab und zu in Bauma. Sie hat beobachtet, dass es einen gewissen Menschen­schlag gibt, der in der Stadt Psycho­pharmaka oder Benzo­diazepine bezieht. In Bauma holen dieselben Leute jede Woche ihre Ration Schmerz­mittel. Eine Art pharmazeutischer Stadt-Land-Graben. Das entspricht ganz den SVP-Klagen über den Stadt-Land-Graben: Die Städterinnen fressen den Leuten auf dem Land die guten Medikamente weg.

Gleich nördlich von Sternenberg liegt der Weiler Schmid­rüti. Er ist neben New Mexico einer der weltweit beliebtesten Ufo-Lande­plätze. Hier residiert auch die FIGU, die «Freie Interessen­gemeinschaft für Grenz- und Geistes­wissenschaften und Ufologie­studien». Die Schweizer Armee baute an dem Ort im Kalten Krieg eine Lenkwaffen­stellung. Ob die Raketen­abwehranlage anziehend oder abstossend auf ausser­irdische Lebens­formen wirkte, ist nicht bekannt. Dass «FIGU» ein Element des allseits bekannten Fondue­slogans «FIGUGEGL» ist, kann kein Zufall sein. Eingefleischte Verschwörungs­theoretiker erkennen hier eindeutige Zusammen­hänge: Sind die Aliens etwa wegen des Oberländer Käses in Schmidrüti gelandet?

Der Gipfel der Erinnerung

Ein anderer Käse im Bunde der vorliegenden Fondue­mischung kommt aus dem Bündner­land. Als aufmerksame Republik-Leserin vermuten Sie dort wohl ein Käse­kartell. Der Bündner Bergkäse kommt aus Splügen, einem Dorf kurz vor dem San-Bernardino-Nordportal. Es wird von Walsern bewohnt, die sprechen etwas seltsam. Nicht den üblichen Bündner Skilehrerslang.

Als wir Kinder waren, verbrachten wir unsere Familien­ferien oft im Tessin. Meine Eltern waren erklärte Gegner der Gotthard­route, also fuhren wir stets via San Bernardino. In Splügen machten wir mit unserem orange­farbenen Saab einen Kaffee­halt in einer unscheinbaren Beiz. Dort gab es fantastische Butter­gipfeli. Ich erinnere mich gut, wie ich mich vor allem der Gipfeli wegen auf die Fahrt freute. Und auch, weil es in Splügen stets regnete, während am anderen Ende des Tunnels im Misox in der Regel die Sonne schien. Erst das Gipfeli, dann der Wetter­wechsel, das ist Reisen. Später, nachdem ich das erste Mal in einem Flugzeug gesessen hatte, wurden die Wetter­wechsel beeindruckender, die Gipfeli hingegen pampiger.

Gibt Fondue denn tatsächlich gute Laune? Die Probe aufs Exempel machte ich vor gut zehn Jahren, als ich meinen damaligen Schwieger­eltern im Osten Österreichs ein Caquelon mit Rechaud zu Weihnachten mitbrachte. Um seine Funktionalität zu demonstrieren, kaufte ich eine Käse­mischung dazu. Über die Festtage probierten wir das Geschenk aus.

Im Haus neben meinen damaligen Schwieger­eltern lebten Oma und Opa. Oma war eine sehr liebens­würdige Frau, Opa ein alter Stinkstiefel, Typ: «Wir hatten ja nichts, euch gehts heute viel zu gut.» Er hatte lange die freiwillige Feuerwehr kommandiert, bis ihm alle Freiwilligen davon­gelaufen waren.

Nun sass Opa vor dem Caquelon und futterte unentwegt in Käse getunkte Brotstücke. Und mit jedem Stück hellte seine Stimmung auf, als ginge nach einem jahrzehnte­langen Gewitter die Sonne über dem Horizont auf. Er wurde zum ersten Mal richtig fröhlich, gar lustig. Machte Spässe und weigerte sich, mit dem Essen aufzuhören. Danach schlurfte er davon und schlief den ganzen Nachmittag über. Am Abend war er wieder übellaunig wie eh und je.

Wir fanden dann auch den Grund für den Stimmungs­wechsel: Ich hatte mich bei der Menge des Weins im Fondue verrechnet und versehentlich das Doppelte hinein­gekippt. Und Opa, der seit Jahren keinen Alkohol mehr angerührt hatte, musste sich einen Schwips angefressen haben.

Für den Alltags­gebrauch reicht allerdings die angegebene Menge Wein. Zumindest, wenn man sich dazu ein Gläschen Dézaley und einen schönen Hochstamm­kirsch gönnt. Was unsere Republik-Mischung angeht: Nun bleiben also noch Gruyère und Vacherin, zu denen nichts gesagt ist. Hier geht es mir wie vielen Deutsch­schweizern ohne Au-pair-Erfahrungen. Hinter der Sprach­grenze liegt weitgehend Terra incognita. Belassen wir es dabei und hoffen wir auf spätere Erkenntnisse. Immerhin haben wir uns mit dem Fondue im 20. Jahr­hundert etwas West­schweizer Kultur angeeignet. Es ist das Symbol einer Willens­nation. Nirgendwo verschmelzen die Kulturen unseres Landes so reibungslos wie in diesem Käsegericht.

Vorausgesetzt, man gibt etwas Maisstärke hinein und hört nicht auf zu rühren.

Zubereitung

Gemäss Packungstext. Die Beigabe zusätzlichen in Scheiben geschnittenen Knoblauchs wird empfohlen.

Zum Angebot

Das eigens von Haus­kulinariker Michael Rüegg konzipierte Republik-Fondue ist für begrenzte Zeit erhältlich mit jeder Mitgliedschaft, Verlängerung und mit jedem Geschenk. Es hät, solangs hät.

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