Der Fall ETH
Letzte Aktualisierung: 15.07.2019
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«Professorin mobbt Doktoranden», titeln nationale und internationale Medien im Herbst 2017. An der Schweizer Elite-Hochschule ETH Zürich, die in globalen Rankings regelmässig in den Top 10 rangiert, soll eine Astronomieprofessorin ihre Mitarbeiter über Jahre schikaniert, beleidigt und herablassend behandelt haben. Die Öffentlichkeit reagiert empört auf die Enthüllungen. Doch was steckt wirklich hinter dieser Mobbingaffäre?
Im Sommer 2018 beginnt die Republik zu recherchieren. Ein Autorenteam führt über mehrere Monate Dutzende Gespräche, analysiert mehr als 3000 Seiten Dokumente – und deckt im März 2019 in einer dreiteiligen Serie gravierende Führungs- und Verfahrensfehler an der ETH Zürich auf. Weder wurden die Vorwürfe gegen die beschuldigte Professorin Marcella Carollo ordnungsgemäss untersucht, noch wurden die vorgegebenen internen Prozesse zur Konfliktlösung eingehalten. Ungeklärt bleibt die Frage, was sich Professorin Carollo tatsächlich hat zuschulden kommen lassen – doch die Recherchen legen ein schwerwiegendes systemisches Versagen an der Hochschule offen: Das rechtsstaatliche Prinzip der Unschuldsvermutung ist ausser Kraft gesetzt, die Mobbingvorwürfe entwickeln sich zum Rufmord. Und führen zur ersten Entlassung einer Professorin in der 164-jährigen Geschichte der ETH Zürich.
Interne Dokumente des ETH-Rechtsdiensts belegen ausserdem, dass der «Fall Carollo» kein Einzelfall ist – und dass die Hochschule von Weltruf keinen einheitlichen Umgang mit schweren Vorwürfen gegen Professoren kennt. Die Leidtragenden dieser Willkür sind – die Doktoranden.
Der «Fall Carollo» wird zum «Fall ETH».
Chronologie
ETH-Rat gibt die Entlassung der Astronomieprofessorin bekannt
Fall ETH: Finanzkontrolle empfiehlt Transparenz – und eine unabhängige Ombudsstelle
Gravierende Führungsmängel, Sexismus, Korruption – es waren harte Vorwürfe, die Physikprofessorin Ursula Keller im Interview mit der Republik gegen die ETH Zürich erhob. Die Resultate einer ausserordentlichen Prüfung durch die Eidgenössische Finanzkontrolle geben Keller in wesentlichen Punkten recht.
Interview mit Martina Hirayama: «Die ETH-Leitung hat Fehler gemacht»
Die Staatssekretärin für Bildung, Forschung und Innovation äussert sich erstmals zum Fall ETH. «Auch an Hochschulen muss die Unschuldsvermutung uneingeschränkt gelten», sagt Hirayama. Und sie kündigt Massnahmen an, sollten an der ETH Frauen systematisch benachteiligt werden: «Sexismus dulde ich nicht.»
ETH erweitert Führungsstruktur
Interview mit Christoph Eymann: «Es sind Zweifel angebracht, ob die ETH-Verantwortlichen richtig gehandelt haben»
Nationalrat und Bildungspolitiker Christoph Eymann fordert eine politische Untersuchung der Vorgänge an der ETH. «Ich begrüsse die Untersuchung der Finanzkontrolle, zweifle aber, dass sie genügt», sagt er im Interview mit der Republik. Denn: «Eine Beschränkung rein auf das Finanzielle würde bei der ETH zu kurz greifen.»
Wie an der ETH Posten vergeben werden – der «Groschenroman»
Gestützt auf interne Dokumente zeichnet die Republik nach, wie sich ETH-Professoren im innersten Machtzirkel am Physikdepartement gegenseitig zu Führungsfunktionen verhelfen – mittels einer Findungskommission, die bloss als Feigenblatt dient. In einem Faktencheck kontert die Republik die vorgebrachten Vorwürfe eines involvierten Professors gegen die ETH-Recherche.

Willkür
Ein neues, internes Dokument des ETH-Rechtsdienstes zeigt: Der Fall Carollo ist an der ETH Zürich kein Einzelfall – bloss der einzige, bei dem es zu einer Entlassung kommen soll. Weder die Leitung noch die Aufsicht der Hochschule kennen einen einheitlichen Umgang mit Vorwürfen gegen Professoren.
ETH-Rat lässt Vorwürfe extern überprüfen
Audio-Podcast: Der «Fall ETH»
Die drei beteiligten Republik-Autoren erklären, wie sie bei der Recherche zum «Fall Carollo» vorgegangen sind, warum sie die Schuldfrage der Professorin nicht geklärt haben und wie sie die ersten Reaktionen auf die Publikation der Recherche einschätzen.
Interview mit Kenneth Westhues: «Als wären Studierende zarte, schwache, hilflose Wesen»
Für die Republik analysiert Kenneth Westhues den «Fall Carollo»: Der renommierte Experte für Mobbing an Hochschulen stellt der ETH ein miserables Zeugnis aus. Und er kritisiert, dass Doktoranden anonym gegen Professoren vorgehen können.
Interview mit Ursula Keller: «Mit einem männlichen Professor wäre man anders umgesprungen»
Ursula Keller – die einzige weibliche ETH-Physikprofessorin neben Marcella Carollo – geht in der Republik an die Öffentlichkeit, stellt sich an die Seite ihrer beschuldigten Kollegin und belastet die ETH Zürich schwer. «Die ETH wird von inoffiziellen Koalitionen gelenkt, die sämtliche Macht auf sich vereinigen», sagt sie – und spricht von gravierenden Führungsmängeln, Sexismus und Korruption.
Abgekartetes Spiel
In Teil 3 der Serie zeichnet die Republik nach, wie der Leiter der Administrativuntersuchung im «Fall Carollo» ein Urteil fällte, das Fragen aufwirft, und wie ETH-Präsident Joël Mesot trotz gegenteiliger Empfehlung der Entlassungskommission die Kündigung von Professorin Marcella Carollo besiegelte.
Macht und Ohnmacht
In Teil 2 der Serie schildert die Republik, wie die ETH Massnahmen gegen Professorin Marcella Carollo einleitet, ohne die Vorwürfe auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen – unter Druck der Öffentlichkeit und besorgt um ihr Image. Als das Aufsichtsorgan ETH-Rat – aufgeschreckt von einem ersten Medienbericht – eine Administrativuntersuchung anordnet, entwickelt sich die Mobbingaffäre zum Rufmord.

Das Versagen
Gestützt auf über 3000 Seiten interner Dokumente und Dutzenden Gesprächen rollt die Republik den «Fall Carollo» neu auf und zeichnet in Teil 1 der Recherche nach, wie anonym vorgebrachte Vorwürfe aufgrund eines internen Machtgerangels dazu führen, dass die ETH ihre vorgegebenen Konfliktlösungsprozesse systematisch missachtet – und damit auch das rechtsstaatliche Prinzip der Unschuldsvermutung ausser Kraft setzt. Der «Fall Carollo» wird zum Fall ETH.
ETH stellt Antrag auf Entlassung
Entlassungskommission stellt sich gegen Entlassung
ETH leitet Kündigungsverfahren ein
ETH leitet Untersuchung ein
Der Fall wird publik
Das Dossier zum «Fall ETH» bündelt die Recherchen der Republik und bietet einen Überblick über die Ereignisse rund um die Entlassung der ETH-Professorin Marcella Carollo. An der Umsetzung waren beteiligt: Christof Moser und Dennis Bühler (Redaktion), Andreas Moor (Umsetzung), Christian Andiel (Produktion), Christina Heyne (Korrektorat).