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Danke für diesen Denkanstoss. Er macht mich betroffen. Diese schleichende Unterwanderung menschlicher Prinzipien geschieht oft unter unserer Wahrnehmungsschwelle. Das Nazitum ist längst in unserer Mitte angekommen. Es tut Not genau hinzuschschauen und zu handeln. Wehret den Anfängen ist definitive zu spät. Über diesen Punkt sind wir lange hinaus. Solidarität mit 'Ausgegrenzten' ist wichtiger denn je! Zivilcourage im Umgang mit Rechtsradikalen und sie unterstützenden Politikern fordert uns alle.
Haltet uns wach Republik.

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Anderer
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Ich verstehe das Nazitum in der Mitte nicht. Die Nazis sind ein Randgruppe in der Schweiz. Etwas anderes ist, dass Alle sorgfältig mit den Minderheiten umgehen. Die Solidarität sollte wieder im Zentrum stehen.

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Danke für die Rückmeldung. Ich bin mir bewusst, dass es mehr mein Gefühl spiegelt als dass es rational begründet ist. Nichts desto trotz muss eben dieses Gefühl nicht argumentiert werden. Es geht nicht darum, dass eine Statistik präzise Aufschluss gibt. Die neuen Medien, das Internet mit all seiner Möglichkeiten ist Tummelplatz sehr rechts stehender und teils radikaler Menschen. Die jährliche Zunahme an rechtsradikalen Vergehen in den europäischen Ländern ist mehr als ein deutliches Warnsignal. Sie machen auf erschreckende Weise deutlich wie schnell Agitation zu realen Greueln werden. Dies muss uns erschrecken und aufrütteln. Michael Köhlmeier hat in seiner Rede gegen das Vergessen am 4.5.18 in der Wiener Hofburg zum Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus uns ins Gewissen geredet. https://www.youtube.com/watch?v=6Emi7agSGgo
Stellen wir uns nun dumm? Wieviele Belege brauchen wir? Wollen wir wegsehen, weghören, stumm bleiben?

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Ein so wahrer Beitrag. Natürlich gab es keine echte Entnazifizierung. Es brach ja der kalte Krieg aus und alles wurde gut geheissen, was gegen den Kommunismus war.
Und heute? Und in der Schweiz? Eine einst staatstragende Partei wie die FDP, eine Zeitung wie die NZZ grenzt sich nicht gegen staatsfeindliche , rechtsextreme Gruppen und Tendenzen ab. Der Grossteil des sogenannten Bürgertums denkt wenig selber, sondern Hauptsache, man wettert gegen „links“, wie immer man dies definieren mag. Ich bin bereit, auch als Linke, Linkes zu hinterfragen und mich auch mal abzugrenzen. Bleiben wir doch differenziert. Das sage ich auch und gerade zu mir selber
Vera Gerwig

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Die Autorin bringt das Problem auf den Punkt: der Rassismus in all seinen grauenhaften Ausprägungen war in all unseren Gesellschaften nie weg, und wer die Erinnerung an diese Verbrechen negiert, bereitet neue Verbrechen vor. Das gilt auch für die Schweiz, in der die Verbrechen der Nazi-Zeit erst auf Druck von aussen halbherzig aufgearbeitet wurden und in der es viel zu lange dauerte, um das Unrecht der Zwangsverwahrungen und der Verdingkinder einigermassen anzuerkennen und zu sühnen. Und in unserer aktuellen Flüchtlings- und Sozialpolitik, in der zunehmend grundlegende Menschenrechte missachtet werden, zeigen sich die alten rassistischen und ausgrenzenden Dämonen erneut.
Solidarität und Zivilcourage, wie es in einem Kommentar heisst, und unermüdlichen Einsatz für die Menschenrechte braucht es in jeder Generation und heute mehr denn je!

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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· editiert

Danke, Mely Kiyak, für den "Zweitschlag" auf die Erinnerungskultur. Zu Ihrer Frage, welches Trauma, welche Angst hinter der Reaktion steht, meine Gedanken, die natürlich keine abschliessende Antwort darstellen.

Auch die Schweiz besitzt eine unrühmliche Tradition des Denunzierens von "Nestbeschmutzern". Eine Schweiz, die 'tendenziell intellektuellenfeindlich' ist, wie Sieglinde Geisel in ihrem Bärfuss-Artikel mit dem (ironischen!) Titel "Der Nestbeschmutzer" schreibt.

Die das Nest schmutzig machen, zeigen empört auf einen, der ihren Schmutz bemerkt und nennen ihn den Nestbeschmutzer.

Obiger Satz stammt von Max Frisch, der bekanntlich ein ähnlich wechselhaftes, ja noch komplizierteres Verhältnis zur NZZ hatte wie Bärfuss, das nicht frei von Menschlichem, Allzumenschlichem war.

Offenbar teilt man die Erwartung, dass öffentliche Personen - und erst recht public intellectuals - die Schweiz bloss loben sollen. Und wenn sie Kritik äussern wollen, dann sollen sie tunlichst auf "die Anderen" zielen. In der Schweiz gibt es dazu sogar den Begriff der "Geistigen Landesverteidigung" des "Sonderfalls Schweiz", diese "Schraube ohne Ende" (Dürrenmatt).

Angesichts dieser trotzigen Empfindlichkeit, die womöglich von einem historisch gewachsenen Minderwertigkeitskomplex herrührt, welche wiederum mit elitärer Selbstgewissheit kompensiert wird, gilt es geradezu als unverzeihlich, ein Schlaglicht auf genau diese Kleinheit, ja (zwanghafte) Kleingeistigkeit der Schweiz zu werfen.

Frisch tat dies etwa mit der Wendung:

Irrelevanz unserer schweizerischen Existenz

Und Bärfuss mit:

Ein Volk von Zwergen will man hierzulande sein und bleiben. Darauf besteht man durch alle sieben Böden und bis ins hinterste Tal.

Als Reaktion folgt dann oft das allzu liebgewonnene Spiel des shooting the messenger. Wo doch der reflektierte Blick in den Spiegel not täte. Die freiwillige Selbstverblendung ermöglicht die blinde Selbstbespiegelung.

Aus der Angst heraus zu den bad guys zu gehören - ja, entdeckt zu werden, bereits dazuzugehören - macht man dann lieber "die Anderen" schlecht, in dem man sie mit dem Dreck bewirft, den sie selbst verschissen haben, wie Dürrenmatt schrieb:

Der Mist steht so hoch, daß man überhaupt nur noch Mist sieht ... Wir sind total vermistet ... Verdreckt und verschissen ... Versunken und verstunken.

Blickt man doch einmal in den Spiegel, erkennt man sich wieder - in "Zukunftsangst und Stagnation".

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Einen völligen Mentalitätswandel innerhalb einer Generation oder zwei: Das geht schlicht gar nicht, in keinem Land zu keiner Zeit! (bestehende ) Psychologische und soziale Mechanismen wirken viel zu stark uund können nicht wie ein Ersatzteilchen ausgewechselt werden. Es ist doch völlig klar, dass die Denkweisen nur langsam abgebaut werden und dass es immer auch starke Abwehrmechanismen gibt. Es ist aber überhuapt nicht produktiv, dies in einem "Links-Rechts"-Pingpong wie wir es nun wirklich zur Genüge aus Politik und den Medien kennen, alarmistisch immer wieder aufzupeitschen. Es verstärkt nämlich in erster Linie die Reaktanz und nicht die Einsicht. (Nicht besser als Gujer mit seinen Ausfällen). Die Informationen über die Verstrickungen, hier die der entstehenden CDU auf dem Buckel von Schuld an Zwangsarbeit, sind wichtig. Aber es bringt nichts, dies in alarmistischer Manier, die Bärfuss eben auch ständig bedient, vorzubringen. Er ist bei weitem nicht immer ein erstklassiger Denker, wenn ich seine Querdenkereien zuweilen auch sehr schätze.
Von einer "Republik" erwarte ich Journalismus, die auch ihren KolumnistInnen auferlegt, etwas mit "qualifizierter Distanz" zu recherchieren und nicht vor allem aus den Emotionen heraus. Statstisch ist der Neonazismus seit 45 eine marginale, wenn auch nicht zu unterschätzende Kraft. Wie etliche andere extremistische Gruppen und Ideologien. In der Langzeitpersepktive ist es aber als Fortschritt der Zivilisation einzuordnen, wie die Demokratie damit umgeht und wie solid der Rechtsstaat und die Institutionen funktionieren. In Deutschland und der Schweiz. Darauf müssen wir aufpassen, selbstverständlich. Und es kann immer noch besser werden, das ist die Aufgabe. Aber das Paradies auf Erden wird es nie geben, wer das fordert zeigt vor allem wie stark dessen/deren Bedürnis ist, nur das eigene Denken als das "Richtige" sehen zu können. Menschen sind widersprüchlich, sowohl sozial als auch von egoistischen Motiven geleitet, das wird immer so sein. Bei Links und Rechts. Das sind ganz starke Impulse, die alle Menschen antreiben, weil sie immer eigenen Interessen bedienen, früher das Überleben, heute vor allem das Selbstbild erhöhen und die Orientierung in einer komplexen Welt stärken - eigentlich läuft alles auf Stressabbau und Abbau von Ängsten hinaus, gepaart mit dem Bedürfnis nach Anerkennung. Und Aufmerksamkeit, alle schreien nach Aufmerksamkeit. Als Einzelne/r und als Gruppe oder Nation. Und wenn man günstige Gelegenheit hat (oder wenig Bildung), tut man/frau das auf "die billige Tour" in Form von Polemik gegen Andere; unbewusst zwar, aber die Motivation ist klar. Eine AfD kommt aber genau aufgrund dieser Mechanismen hoch und nicht weil es eine unausrottbare Verschwörung von Nazis gibt und diese sogar von Regierungen bewusst geschützt würden. Selbstverstädnlich versuchen aber alle immer, möglichst dem Unangenehmen aus dem Weg zu gehen, deshalb braucht es Demokratien mit institutioneller gegenseitiger Balance und demokratischen Kontrollsysteme.
Bitte die eigenen Verhaltensweisen, die "Rechthabetendenezn und vor allem die Macht des "Confirmation Bias" zuerst kritisch anschauen, das Problem sind nämlich im 21. Jh. genau diese, denn ums nackte Überleben geht der Kampf hier schon lange nicht mehr. Bei Neonazis läuft dies einfach extrem dumm und plump und durchschaubar.
Natürlich darf die "Republik" das auch unterlassen und auf dem Niveau bleiben (wobei mindestens der Daniel Graf weiter ist), dann aber einfach nächstes Jahr ohne mich.

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Wenn ich Sie richtig verstehe, so beurteilen Sie den „Neonazismus seit 45“ als „marginale, wenn auch nicht zu unterschätzende Kraft“. Eine solch bagatellisierende Einschätzung liegt in Ihrem Ermessen, wie auch Ihr Glaube an den Fortschritt der Zivilisation und die Unerschütterlichkeit rechtsstaatlicher Institutionen. Wenn Sie aber einen Bericht über die Anschläge auf die Erinnerungskultur als „alarmistisch“ und aufpeitschend und den Beitrag in der heutigen „Republik“ mit fehlender „qualifizierter Distanz“ und zu emotional beurteilen, so kann ich das nicht unwidersprochen lassen. Ich möchte Sie einfach darauf hinweisen, dass in Europa der Rassismus in all seinen Formen zunimmt und immer offener und dreister auftritt, dass die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit in mehreren europäischen Ländern zunehmend in Frage gestellt ist und dass eine beunruhigende Anzahl offen rassistischer Politiker an der Spitze von einflussreichen Ländern stehen. Angesichts all dieser Tatsachen ist Emotionslosigkeit wohl fehl am Platz.

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Ja zurzeit ist es eher unruhig, denn die Demokratie ist nicht einfach so solide, sie muss ständig verteidigt werden. Nach ca 30 jahren neoliberaler Ifast schrankenloser Interessenpolitik, die man gewähren liess oder gar förderte, ist vieles aus der Balance. Die zunehmende Ungleichheit an Einkommen und Vermögen innerhalb eines Staates gefährdet den sozialen Frieden und begünstigt Alarmismus und Populismus. Dies begünstigt auch leicht Verschwörungstheorien und "Bubblebildung". Die "Anschläge auf die Erinnerungskultur sind Miscungen aus Reaktanz, Dummheit und Populismus, plus psychologisch auffällige Persönlichkeitsstrukturen ihrer AnführerInnen. Profilneurosen sind da noch die harmlosesten. Es bringt gar nichts, denen in der gleichen alarmistischen Aufgeregtheit auf dem gleichen Niveau entgegenzutreten. Denn eines ist sicher: im 21. Jh. ist der Stand der Bildung und die Bequemlichkeit durch den gewohnten Wohlstand (ja, den hat hier im Vergelich zum Rest der Welt fast Jede/r) viel zu gross, um dass diese VerharmloserInnen und DemagogInnen die Mehrheit gewännen.

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Liebe R. P., wir können natürlich, um die Reaktanz zu vermeiden, die Hände in den Schoss legen und den Moment abwarten, in dem die Generationen mit "gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" (GMF) ausgestorben sind. Doch ist diese GMF leider keine Frage von Generationen. Die "Mentaltät", oder das "Gedankengut", wird kulturell variierend weitervererbt und politisch verstärkt.

Ja, GMF gibt es Links wie Rechts. Und der Neonazismus im engeren Sinn mag "seit 45 eine marginale, wenn auch nicht zu unterschätzende Kraft" sein. Doch GMF von rechts in Form "politisch motivierter (Hass-)Kriminalität" ist in Deutschland im Vergleich zu 2001 massiv gestiegen. So auch der Rechtsterrorismus weltweit gegen "Andere" jeglicher Façon.

Sie sagen es ja selbst: Viele sehen ihren "gewohnten Wohlstand" aufgrund der "zunehmenden Ungleichheit" in der neoliberalen "Abstiegsgesellschaft" bedroht, was sie für "autoritäre Versuchungen" anfällig macht. Da nützt oft auch der Stand als "Dichter und Denker" nicht (es gab und gibt immer auch "rechte Intellektuelle"). Früher nicht. Heute nicht.

Der "Stand der Bildung" ist daher m. M. n. nicht "viel zu gross". Es bräuchte im Gegenteil viel mehr Bildung. Dahingehend gehen wir wohl einig.

Sie beklagen zudem das Niveau Bärfuss' wie Kiyaks. Sie würden ohne "qualifizierte Distanz" emotional in "alarmistischer Manier" argumentieren - und so die Reaktanz verstärken. Sie seien also Teil des Problems. Doch deren (selbst-)kritische Anklagen zielen nicht per se auf "Nazis", sondern sind als leidenschaftliche Appelle v. a. an Demokrat*innen gerichtet, die in anästhesierter Indifferenz die Augen verschliessen vor dem Leiden "Anderer", um leidenschaftslos den (privilegierten) Alltag zu bewältigen. Während es bei "den Anderen", den Betroffenen, sehr wohl "ums nackte Überleben geht".

Mitten unter uns. Hier. Im 21. Jahrhundert.

Der Alarm gilt nicht jenen, von denen die Gefahr ausgeht, sondern jenen, die die Gefahr noch nicht in ihrer Dringlichkeit erkannt haben. Ja, in keiner Weise an Leib und Leben spüren.

Aus einer privilegierten Position mag man dann leidenschaftslose "qualifizierte Distanz" fordern können. So wie die NZZ:

[W]er ihren Terraingewinn auf Geschichtsvergessenheit zurückführt, dämonisiert ein Phänomen, wo nüchterne politische Analyse nottut.

Doch jede*r Fünfte in Deutschland, sowie mehr als jede*r Zweite AFD-Wähler*in empfindet das Gedenken als "zu viel".

Und genau darum geht es: nicht um eine "unausrottbare Verschwörung von Nazis", sondern um systemische Geschichtsvergessenheit und Indifferenz.

Damit wir nicht dem 'Unangenehmen aus dem Weg gehen' bedarf es eben nicht nur demokratischer Institutionen und Kontrollsysteme, sondern auch einer (selbst-)kritischen Öffentlichkeit, die zu einer lebendigen Demokratie nunmal dazugehört. Und die Stimme von Bärfuss und Kiyak gehört u. v. a. zu eben dieser. Wie auch die unsrige.

Daran sollten wir denken - nicht nur am Holocaust-Gedenktag.

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Erstens: Ich finde das Wissen, das Erinnern und das Mahnen genauso wichtig wie Sie. Auch die Stimme von Bärfuss. Meine Kritik gilt dem "Alarmismus", der eben gerade eine Zunahme der Zustimmung zu so unreflektierten Aussagen wie "Zuviel Erinnern" fördert, in Form von Reaktanz: Diese erfolgt klassisch mit "Jetzt erst gerade recht, wenn ihr mir das Maul verbieten wollt!" Sie kann auch die Form von Indifferenz annehmen: "Ich mags nicht mehr hören, geh weg damit". Damit erreicht sie sogar den Mainstream, was sehr bedenklich ist. Reaktanz lässt sich nur taktisch-psychologisch vermeiden, nicht mit: "Du darfst das aber nicht denken!"
Zweitens: Wir erwarten zuviel von "alarmistischer Pädagogik". Soziale Normen wirken viel stärker, sowohl in konstruktive als auch in weniger humane Richtung. Sie sind die nicht unter einem Kilometer Distanz anzuhaltende Titanic. Sie sind aber auch schützend, niemand würde heute noch behaupten, wir seien gefährdet, die Sklaverei oder die Todesstrafe wieder einzuführen. Schon gar nicht akut. Unsere sozialen (hier ethischen) Normen haben sich weit davon entfernt, durch den Prozess der Zivilisierung, der daraus formulierten Menschenrechte.
Und die heutigen selbstverständlichen sozialen Normen einer überwiegenden Mehrheit verurteilen schon lange Rassismus und Antisemitismus klar. Vor 100 Jahren waren noch sogenannte Völkerschauen etwas ganz "normales" und die meisten "aufgeklärten westlichen" Menschen hatten selbstverständlich Vorstellungen von essenziellen Rassentheorien. Das haben heute nur noch "Weniggebildete". Oder psychisch auffällige.
In Zeiten des Internets können die sich (kurzfristig ) zwar massiv ausbreiten und verbinden, aber den Dumpfbacken gehört nicht die Zukunft - sie sind ihr schlicht nicht gewachsen. So, das reicht an dieser Stelle...

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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· editiert

Trotz meiner Vorbehalte nähme mich wunder, wie sie dieses gesellschaftliche Problem aus ihrer psychotherapeutischen Perspektive angehen würden. Ihr Hinweis auf das Reaktanz-Phänomen halte ich nämlich nach wie vor für wichtig.

Dürfen wir im Raum des Politischen, also der Öffentlichkeit, keine Emotionen zeigen?

Im Buch "Politische Emotionen - Warum Liebe für Gerechtigkeit wichtig ist" hinterfragt die Philosophin Martha C. Nussbaum dieses politische Gebot der leidenschaftslosen Vernunft.

Aus dem Klappentext:

Wie viel Gefühl verträgt eine Gesellschaft, die nach Gerechtigkeit strebt? Nicht viel, könnte man meinen und etwa auf die Gefahren verweisen, die mit der politischen Instrumentalisierung von Ängsten und Ressentiments verbunden sind. Emotionen, so eine weitverbreitete Ansicht, setzen das Denken außer Kraft und sind daher im politischen Kontext generell schädlich.

Dem widerspricht Martha C. Nussbaum in ihrem neuen Buch. Um der Gerechtigkeit politisch zur Geltung zu verhelfen, so ihre These, bedarf es nicht nur eines klaren Verstandes, sondern auch einer positiv-emotionalen Bindung der Bürgerinnen und Bürger an diese gemeinsame Sache. Manche sprechen in diesem Zusammenhang von Hingabe. Nussbaum nennt es Liebe.

Gerne würde ich hier ihre Meinung dazu lesen.

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Zwischen Gefühlen und Alarmismus gibt es einen grossen Raum. Dazu am Schluss. Wir können davon ausgehen, dass sich Geschichte nie gleich wiederholt. Obschon wir immer auf Bildungsmängel fokussieren können - ich als aktive Lehrerin sowieso - können wir eben auch durchaus darauf vertrauen, dass der aktuelle Bildungsstand in der Schweiz zB, aber auch in Deutschland hoch genug ist, damit sich die Geschichte noch viel weniger so wiederholen kann. Natürlich müssen wir Geschichte kennen und jeder Generation weitervermitteln! Wir unterschätzen aber die zivilisatorischen Fortschritte ständig. im Zuge der Industrialisierung sind sie gewaltig und schnell vonstatten gegangen.
Weil wir den Fokus immer wieder auf das "noch nicht Gute" neu ausrichten und dabei auch immer sensitiver werden, verzerrt sich aber relational die Wahrnehmung des Ausmasses des Schlechten. Die Daten und Fakten, nach wissenschaftlicher Strenge erhoben, zB nachzulesen in Büchern wie "Gewalt" von Steven Pinker oder indirekt bei Piketty, müssten deshalb journalistisch Pflichtgrundlage sein.

Wir dürfen/müssen durchaus emotional BEUNRUHIGT sein bei Verleugnung oder neuem Missbrauch der Geschichte, und sollen uns gegen die teilweisen Rückfälle engagieren. Die Frage ist einfach, wie. Und dafür braucht es eben aktuelles (sozial)psychologisches Wissen, damit man nicht den unkontrollierten Impulsen auf den Leim geht, den eigenen und denen der Demagogen. Gerade bei Gedenktagen soll jeder Satz der geäussert wird, die bestbelegten aktuellen Daten enthalten, nicht um zu relativieren, sondern um daraus die besten Verhinderungs-Lösungen für die Zukunft zu finden.
Der grosse Fehler ist, zu denken, es gäbe einfach eine Gruppe böser, gegnerischer Menschen, zutiefst rassistisch und unmenschlich! Die zu bekämpfen seien, mit Denen man nichts gemein hätte. Dabei wissen wir doch, wie sehr das "Böse" im Holocaust durch allzu Alltägliches und Banalitäten mitgesteuert und möglich wurde (Hannah Arendt).
Die Deutschen haben doch längst nicht mehr den moralisch-militärisch-autoritären Gehorsams- und Untertanencharakter, wir sind individualisiert und von der Gemeinschaft um ein Vielfaches unabhängier - Beides schon fast im Übermass. Es hilft uns aber, keinen Rattenfängern mehr nachzulaufen. die Populistischen Strömungen sind in jungen Demokratien Übergangsphänomene, in reiferen wohl unvermeidliche Störphasen, wenn die Politik zu träge und abgehoben wird.

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Denn der Deutsche hat es grundsätzlich lieber, wenn er über seinen Nazifizierungs­grad selber Auskunft geben darf.

Der Deutsche? Frage ich mich und kurz blitzt die Erinnerung auf an Daniel Strassbergs Text Was ist DER Mensch? und an die unangenehme Diskussion über die Zementierung antisemitischer Vorurteile, die daraufhin hier im Forum ablief.
Aber egal, vergessen wir die Vergangenheit. Denn schliesslich wollen wir ja nichts Böses, sind auf der Seite der Guten und darum vor Wiederholung geschützt. Könnte man argumentieren. Würden wir gerne glauben. Und dass man einen Schneeball nicht mit einer Lawine vergleichen kann. Oder eine Bagatelle nicht mit einer Menschheitskatastrophe. Was natürlich stimmt.

Um innerpsychische Mechanismen zu verstehen, eignen sich Kleinigkeiten besser als grosse Katastrophen. Weil die Erinnerung weniger belastende Gefühle auslöst und damit auch weniger Abwehr und inneren Widerstand (aka Reaktanz). Dadurch wird besser erlebbar, was innerlich abläuft. Und das ist bei uns kein bisschen anderes als bei einem beliebigen Altnazi oder Neofaschisten: als Menschen ticken wir alle gleich.
Das ist das Thema der Psychologie. Und wie wir damit umgehen, wie wir ticken. Womit wir uns vor unseren eigenen inneren Abgründen schützen. Hier geht Psychologie dann über in Psychotherapie: manche dieser Schutz- oder Abwehrstrategien (die immer eigenen Gefühlen gelten, auch wenn wir deren Auslösung gerne am anderen bekämpfen) sind längerfristig so dysfunktional, dass sie krankheitswertig werden und die Alltagsbewältigung einschränken. Oder ganz verunmöglichen können. Unsere eigene oder diejenige von andern.
Führt die innere Abwehr zu äusserer Gewalt als immer möglicher Strategie, ist nicht mehr das Gesundheits- sondern das Justizsystem zuständig. Im Grundsatz geht es aber auch hier nicht um Ideologie, sondern immer um Gefühle. Da hat die Autorin, die Sie zitieren, m.E. absolut recht. Nur: was sie beschreibt, funktioniert bedauerlicherweise in beide Richtungen. Was als gerecht empfunden wird, hängt u.a. davon ab, was jedeR einzelne erlebt hat.

Zurück zu Mely Kiyaks Text:

Diese versuchten Anschläge auf die Erinnerungs­kultur haben einen einzigen Grund: Wer alte Schuld, Verstrickung oder Verantwortung negiert, dessen Motiv ist die Wiederholung.
Es steckt nämlich nur derjenige Energie in das komplizierte und anstrengende Unter­fangen, Menschheits­verbrechen vergessen zu machen, der von neuen Verbrechen träumt.

Diese Aussage ist im Endeffekt nicht falsch, aber sie gehört vom Kopf auf die Füsse: wer die Vergangenheit leugnet, ist dazu verurteilt, sie zu wiederholen. Das heisst nicht zwingend, dass er oder sie eine Wiederholung will. Bewusstes Wollen gibt es vermutlich auch, aber häufiger dürfte das Motiv, die Vergangenheit zu leugnen, darin liegen, unangenehme Gefühle zu vermeiden: Scham, Schuld, Demütigung.
Aus dieser Perspektive ist die Wiederholung ein Versuch, die demütigende Erfahrung eigenen Versagens auszulöschen. Indem man jene zum Schweigen bringt, auf die man die quälenden Gefühle der Nichtswürdigkeit projiziert. Oder die einen daran erinnern.

Grundsätzlich gebe ich R. P. recht, auch wenn ich ihre Meinung sonst oft nicht teile:

Der grosse Fehler ist, zu denken, es gäbe einfach eine Gruppe böser, gegnerischer Menschen, zutiefst rassistisch und unmenschlich! Die zu bekämpfen seien, mit Denen man nichts gemein hätte.

Und fast wichtiger noch:

Bitte die eigenen Verhaltensweisen, die "Rechthabetendenezn und vor allem die Macht des "Confirmation Bias" zuerst kritisch anschauen [...]

Wenn man das ernst nimmt und als unabschliessbare Aufgabe ansieht, tut man m.M.n., was einem/r Einzelnen möglich ist, um eine Wiederholung des Unaussprechlichen zu vermeiden. Der Anspruch, die Welt zu retten, endet nicht selten im Krieg. Die Arbeit an sich selber ist einiges bescheidener. Aber dafür sind die Folgen auch nicht so gravierend, wenns schiefläuft. Und woher sollen wir Mut und Kraft nehmen, Nein zu sagen, wenn es drauf ankommt, wenn nicht aus uns selber? Dass es im Nachhinein kein bisschen von Schuld entlastet, dass der Andere auch nicht Nein gesagt hat, gerade das führt uns doch die Geschichte vor Augen.

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Leserin
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Sie treffen mit der Rolle der Medien in der Aufmerksamkeitslenkung einen verwundbaren Punkt. Hier sind wir auf der Diskursebene, nicht mitten in der nur politischen Information. Das gibt gerade die Gelegenheit, und ist sehr schön herausgearbeitet, Unterschiede zwischen der Schweiz und Deutschland in der Diskussion anzusprechen. Mein Gefühl ist, dass es Schweizer Rechten nicht bewusst ist, dass ihre populistischen Positionen hierzulande nahezu folgenlos bleiben, weil unser politisches System unverrückbar konservativ funktioniert und die Schweiz offiziell viersprachig - und -kulturell - verfasst ist. Terror in der Schweiz ist linkslastig (wobei mich die Analyse dieser Statistik interessiert). Die Auswirkungen einer popularisierten Rechten in Deutschland hingegen ist geradezu extrem, der rechte Terror überwiegt und tötet. Darum halte ich den Anlass für die Republik als gegeben, genauer hinzuschauen auf das Selbstverständnis der Schweiz in dieser Frage.

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Es ist doch so, dass in Deutschland eine 75 Jahre dauernde Erinnerungskultur gepflegt wird, dass so etwas nie wieder passieren soll, das sind drei Generationen. Die jüngste dieser drei Generationen, die Enkel von Nazis, müssten sich fremdschämen für ihre Grossväter? Dass irgendwann genug ist, haben schon viele formuliert. Dass aber ein Schweizer, der auch alles
nur aus Geschichtsbüchern kennt, sich hier als moralische Instanz aufbäumt, das stinkt nicht
nur den Angeklagten, sondern auch uns neutralen Schweizern, die wir uns ja nicht in "fremde Händel" einmischen sollten. Wie wenn wir hier in der Schweiz nicht genügend politische Probleme zu lösen hätten...

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Die Enkel und mittlerweile die Urenkel der Nazis müssen sich nicht "fremdschämen" - das erklärt sich schon aus dem Wort "Erinnerungskultur", die eben nicht "Schäm-" oder gar "Fremdschämkultur" heisst. Es geht darum, nicht zu vergessen, was damals angerichtet wurde, damit es sich nicht wiederholt. Es geht aber nicht darum, dass sich heutige Jugendliche für die Handlungen ihrer Urgrosseltern schämen. Der Unterschied sollte eigentlich nicht so schwer zu begreifen sein.
Und Nein - es ist nicht genug bzw. es ist nur für jene "genug", die gerne hätten, dass man sich der Mechanismen, Praktiken, der Taktik und Strategien nicht mehr erinnert, damit sie neu wieder angewendet werden können. Bärfuss' Aussagen stinken ja Deutschen deutlich weniger als SchweizerInnen (wie die Kolumnistin bereits am Anfang ihres Textes festhält). Und die "neutralen Schweizer" sollten sich darüber lieber weniger aufregen - nicht nur weil Bärfuss sie ja ziemlich in Ruhe lässt, sondern auch, weil einem sonst wieder einmal einfallen könnte, womit sich die Schweiz damals ihre Neutralität erkaufte. Nicht zu vergessen, wie sie mit ihren eigenen "Braunen" (den "Fröntlern2) umging bzw. wie schnell sie deren Existenz "vergass".
Herr Weiler, es ist ausserdem ein Unterschied, ob gezielt, bürokratisch perfekt organisiert, ohne kriegerisches Geschehen, bestimmte Bevölkerungsgruppen ausgerottet werden (bzw. ausgerottet werden sollen) oder ob im Rahmen kriegerischer Auseinandersetzung Millionen getötet werden - wobei die Zugehörigkeit zu bestimmten Bevölkerungsgruppen keine Rolle spielt. Die Tragödie der Millionen Kriegstoten (nicht nur der Russen, auch der Chinesen, West-Alliierten, Inder etc) ist eine andere "Baustelle".

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Wenn Sie Erinnerungskultur mit "fremdschämen" parallelisieren, zeigt mir das, dass Menschen sehr wohl andere Menschen brauchen, die eine (andere) Einordnung vornehmen.

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Nein nein, nix parallelisieren, nur die verschiedenen Stufen der Erinnerung an das Schreckliche vielleicht wahrnehmen. Im Uebrigen wird immer wieder vergessen, dass
der Holocaust das eine, die 20 Mio. getöteten Russen eine ebenso grosse/noch grössere Katastrophe war.

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Anderer
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· editiert

Diese Diskussion ist sehr schwierig. Mein Vater hatte mindestens ein halbes Regal mit Büchern über Deutschland im zwanzigsten Jahrhundert. Bevor man überhaupt etwas schreibt, sollte man mehr lesen.

Die „Entnazifizierung“ braucht lange. Sie läuft immer noch. Ich denke z.B. über die Keks Firma. Was wäre passiert, wenn man alle Richter ins Gefängnis gesteckt hätte. Die Amerikaner wussten es ganz genau. Es ist ein Grund von vielen, dass wir in Europa seit 75 Jahren kein Krieg mehr haben.

Man könnte meinen, dass Willy Brandt nie gelebt hätte. Deutschland hat sich verändert.

Das Erinnern ist sehr wichtig. In unseren Gymnasien hat man die Geschichte leider schon fast abgeschaft. Über jüdische Deutsche heute weiss ich zu wenig. Die Angst ist aber da. Die AfD und alle Gruppen sind in Deutschland unter Verdacht. Gerade gestern Abend habe ich dazu zwei Filme gesehen. Die ZDF hat eine ganze Reihe. Gewisse kann ich nicht sehen.

Die Basis ist heute anders. Die grösseren Firmen sind global. Keine einzige darf öffentlich Neonazis unterstützen.

Die Neonazi heute mit der Shoah und dem Zweiten Weltkrieg zu vergleichen, verstehe ich nicht.

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"Die Neonazi mit der Shoah und dem Zweiten Weltkrieg zu vergleichen, verstehe ich nicht". Darf ich mit ein paar Zitaten helfen? (Diese und noch mehr auf ihre Korrektheit überprüfte Zitate finden Sie unter https://www.volksverpetzer.de/analyse/afd-zitate/):

„Ich wünsche mir so sehr einen Bürgerkrieg und Millionen Tote. Frauen, Kinder. Mir egal. Es wäre so schön. Ich will auf Leichen pissen und auf Gräbern tanzen. SIEG HEIL!“ Marcel Grauf, Referent von Dr. Christina Baum, AfD und Heiner Merz, AfD
„Immerhin haben wir jetzt so viele Ausländer im Land, dass sich ein Holocaust mal wieder lohnen würde.“ Marcel Grauf, Referent von Dr. Christine Baum, AfD und Heiner Merz, AfD
„Brennende Flüchtlingsheime sind kein Akt der Aggression.“ Sandro Hersel, AfD
Was glauben Sie, wie lange würde es wohl mit solchen Leuten dauern, bis man bei Geschehnissen wäre, die nicht allzu weit von jenen vor 80 Jahren wären?

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Anderer
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Entschuldigung. Deutschland 1933-1945 ist nicht das Gleiche wie 2020, auch wenn es ähnlich tönt. Die AfD hat 12.6% bei der Bundeswahl 2017 und 11% bei der Europawahl 2019. Der höchste Teil hat ein Kreis im südöstlichen Teil mit 32.9%. Es gibt Gründe.

Der Verfassungsschutz befasst sich mit der AfD. Deutschland arbeitet daran über die verschiedenen Probleme. Ihre Verfassung ist aber heute stark und Deutschland ist in Europa eingebunden.

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Informatik-Ingenieur und Ökonom
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· editiert

Dass ein zwanghafter Nörgler wie Bärfuss vielen auf den Geist geht, erstaunt mich eigentlich nicht. Was mich eher erstaunt, ist, wie viele Leute denken, die "Nazis" seien wieder auf dem Vormarsch. Vorkommentator Guido Besimo schreibt, "das Nazitum ist längst in unserer Mitte angekommen" und die Autorin merkt nebenbei an: "Ich denke, das ist auch einer der Gründe für die Re-Nazifizierung," ohne dies näher zu begründen.

Meine Wahrnehmung ist aber gerade umgekehrt: ich finde schwieriger denn je, im Internet echte Nazis zu finden. In den 90ern gab es noch diverse Nazi-Webseiten, doch ich kenne keine einzige solche Seite, die heute noch online ist. (In der ersten Version des Kommentars habe ich auf eine Beispielseite aus dem Internet Archive verlinkt, habe den Link nun aber wieder entfernt, da ich eigentlich nicht auf solche Inhalte verlinken möchte. Die Beispielwebseite von 1996 hatte ihre Besucher mit "This time the world!" und dem "Horst Wessel"-Lied begrüsst, und ging dann in dem Stil weiter.) Mir scheint, diese Bewegung hat ihren Zenit spätestens 1941 überschritten und ist seither im Niedergang. Die These der "Re-Nazifizierung" hält meines Erachtens einer näheren Überprüfung nicht stand.

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Soso, Sie finden es schwierig, im Internet echte Nazis zu finden. Vielleicht hängt das auch mit dem Bild zusammen, dass Sie sich von Nazis machen. Auch die haben nämlich einen Formwandel durchgemacht und sich "modernisiert". Ich empfehle Ihnen dazu die Lektüre des Buches von Thomas Wagner Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten, 2017 im Aufbau Verlag Berlin erschienen.

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Zum Formwandel des Rechtsextremismus mit seinem heute teilweisen „antiautoritären“ Politikstil bzw. Instrumentarium vgl. auch Torben Lütjen über den „Antiautoritären Aufstand“ an der re:publica 2019 https://youtu.be/mxVVVcvM2Fk

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Lieber L. M., ihr Eindruck täuscht aufgrund ihrer (nachvollziehbaren) Engführung des Ausdrucks "Nazi" auf den historischen Nationalsozialismus, dessen direkte Filiation einzig aus Alt- und Neonazis bestehen würde. Doch sind damit im übertragenen - aber nicht diskontinuierlichen - Sinne auch andere "autoritäre Versuchungen" in der "Abstiegsgesellschaft" gemeint.

So gibt es auch (globale) rechtsextreme Netzwerke, aus z. T. verbotenen rechtsextremen Organisationen, die sich intensiv im Internet austauschen, das auch als Radikalisierungsmaschine fungiert.

Und Hassrede bleibt nicht nur im Internet, sondern führt auch zu Hasskriminalität und Gewalt. "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" von rechts in Form "politisch motivierter (Hass-)Kriminalität" ist im Vergleich zu 2001 massiv gestiegen.

Und die aktive Geschichtsvergessenheit - man denke etwa an Gaulands "Fliegenschiss" - trifft auf passive Geschichtsvergessenheit aus purer Indifferenz.

Dies ist, was Bärfuss zu Recht anklagt:

[S]ie [die Nazis] und ihr Gedankengut sind überhaupt nie weg gewesen, und jeder Demokrat, der darüber staunt, sollte sich vielleicht fragen, warum er es vergessen hat.

Die NZZ schreibt dazu anästhetisch beruhigend:

[W]er ihren Terraingewinn auf Geschichtsvergessenheit zurückführt, dämonisiert ein Phänomen, wo nüchterne politische Analyse nottut.

Doch just vor dem gestrigen Holocaust-Gedenktag macht u. a. die FAZ bekannt:

Jeder Fünfte findet Holocaust-Gedenken "zu viel".
Bei den AfD-Wählern ist der Anteil derjenigen, die ein Zuviel an Gedenken und Erinnerung sehen, besonders groß. Mehr als jeder Zweite (56 Prozent) ist dieser Meinung.

Das sollte zu denken geben.

Weitere Literatur zum Thema:

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Danke für diese wichtige Klarstellung!

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Informatik-Ingenieur und Ökonom
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Danke für den gut recherchierten Kommentar!

Es scheint klar, dass sich die Bewegung gewandelt hat. Ob der Begriff "Nazi" nach wie vor eine geeignete Bezeichnung ist, ist letztlich eine Frage der Definition. Ich persönlich vermeide den Begriff, da man damit selten konstruktive Diskussionen führen kann.
Vgl. Godwin's Law: https://en.wikipedia.org/wiki/Godwin%27s_law

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Brilliant geschrieben - und passt genau zu meinem subjektiven Empfinden über den "status quo".

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Im Archiv graben
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Liebe Mely Kiyak
Danke für Ihre hervorragende Chronik. Sie treffen genau den Punkt. Diese Frage nach der mangelnden Entnazifizierung in der Schweiz beschäftigt mich auch seit langer Zeit. Vielleicht hilft es ein Bild zu nehmen. In vieler Hinsicht funktioniert die Schweiz wie ein grosser Konzern. Es ist nicht nur so, dass die Schweiz relativ früh (im Laufe des 19. Jahrhunderts) wie eine kommerzielle Marke zelebriert und im Ausland vermarktet wurde. Wie die Schweiz regiert wird erinnert auch oft an den Verwaltungsrat von einem grossen Konzern, sagen wir mal Nestlé oder Novartis. Im Umgang mit dem Nazi-Unrecht hat die Schweiz infolgedessen genau dasselbe gemacht, wie die grossen Firmen in Deutschland auch. Als in den 2000er Jahren die Skandale um die Rolle von Daimler-Benz oder Volkswagen beim Zwangsarbeiterprogramm in die Schlagzeilen kamen, reagierten die Konzerne einfach wie folgend. Sie ernannten gute, glaubwürdige Expertenkommissionen, liessen Berichte schreiben und entschuldigten sich ehrlich. Danach kam manchmal, aber nicht immer, noch ein Fonds dazu, wo die Firmen aber nur freiwillig und steuerfrei Beiträge verrichten durften. Und dann fertig Schluss, Deckel drauf... Mit dem Bergier-Bericht ist es in der Schweiz ähnlich verlaufen. Die Texte und Forschungsarbeiten der Bergier-Kommission sind von grosser Qualität (ich denke insbesondere an die Bände über die Flüchtlingsfrage und über die Verfolgung der Sinti und Roma). Eine Aufarbeitung in der ganzen Gesellschaft gab es aber nicht wirklich. Die Gründe dafür sehe ich vor allem darin:

  • Die Archive waren nur für die Mitglieder der Kommission offen; sie hatten die Pflicht, das eingesehene Material danach nicht mehr zu verwenden.

  • Meiner Meinung nach gab es nicht genug Bemühungen, die Aufarbeitung auch lokal zu verankern, wie es in Ländern wie Deutschland wunderbar aufgrund der zahlreichen Gedenkstätten funktioniert (anstatt von Aufarbeitung musste man eher von historischer Gerechtigkeit sprechen, siehe das Interview mit Raphael Gross in der Republik).

Die Folge davon: die meisten Bürger und Bürgerinnen haben die Geschädigten-Seite eher ausserhalb der Schweiz gesehen, die Notwendigkeit der Aufarbeitung also eher als ein Druck und vielleicht auch eine Bedrohung von aussen gesehen. Insgesamt sehr Schade. Wäre die Bemühung um historische Gerechtigkeit im Zuge der Bergion-Komission erfolgt, hätten wir wahrscheinlich das Jahrzehnt der Brandstifter von der Albisguetli nicht gehabt.

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Was mich etwas stört ist der grosse Topf (Mülleimer), in den hier alles geschmissen wird was nach Nazi riecht. Nicht um zu beschwichtigen, sondern weil es wichtig ist nach verschiedenen Motiven zu differenzieren, wenn man verstehen oder präventiv wirken will. Fremdenfeindlichkeit ist nicht Judenhass ist nicht Faschismus ist nicht blinder Patriotismus ist nicht Politikverdrossenheit.

Selbstverständlich kann sich daraus eine ungeniessbare Suppe zusammenbrauen. Aber zumindest in der Schweiz ist das bloss ein kleiner harter Kern von Neonazis der sich all diese Aspekte zu eigen macht. Verbreiteter sind eher unterschwellige Fremden- oder Juden-Feindlichkeit. Wobei sich auch die einzige grössere Partei mit diesen Themen, die SVP, in dieser Richtung nicht allzu viel leistet. Da ist die Basis zu breit, und die Elite wirtschaftlich abhängig von Stabilität und internationaler Attraktivität.

Das dürfte wohl in Deutschland anders aussehen. Zumal mit dem geschichtlichen Hintergrund noch weitere Motive hinzukommen, welche es so in der Schweiz kaum gibt. Gerade deswegen lohnt es sich m.E. besser zu unterscheiden, zwischen der alten Machtelite aus der NS-Zeit, neuen politischen Akteuren, völkischen Sentimentalisten, erinnerungsmüden Patriotinnen, ...

Eine differenzierte Haltung bietet auch mehr Plattformen für gemeinsame Debatten, da wo dies möglich ist ("mit Rechten reden"). Man muss es ja nicht ganz so plump angehen wie Guier.

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Der Artikel ist hervorragend!

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