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lesende, menschliche Person
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Sehr geehrter Herr Strassberg
Warum vermischen Sie intime Beziehungsgespräche mit öffentlichen Debatten? Um Ihren Punkt zu machen, der in den letzten drei Abschnitten komprimiert zu sein scheint, und den ich durchaus unterstütze, wäre das nämlich gar nicht nötig gewesen. Intime, "echte" (um von schulmeisterinnenlichen Zurechtweisungen abzusehen) Gespräche zwischen Menschen basieren doch auf Empathie und Verständnis. Im Gespräch - und nirgendwo anders würde ich sagen - strecken wir unsere Fühler aus, und erweitern unseren Erkenntnishorizont durch Einfühlungsversuche in die andere Person. Intime Gespräche zwischen Subjekten sind das Fundment einer jeden menschlichen Existenz. Wie können sie überschätzt werden?
Bei öffentlichen Debatten ist das eine ganz andere Sache. Aber das sind ja auch keine Gespräche. Oder Gespräche in einem sehr weiten, symbolischen Sinne.
mit freundlichsten Grüssen

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Sieglinde Geisel
Gründerin von tell-review.de
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Nicht nur die Klimaaktivisten verweigern das Gespräch - nachdem sie lang genug die Erfahrung gemacht hatten, dass die Mächtigen ihnen nicht zuhören. Auch die Rechten verweigern sich - allerdings nachdem sich die Mainstream-Gesellschaft alle Mühe gab, ihnen zuzuhören und über die Stöckchen gesprungen ist, bis zur Selbstverleugnung.

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Nicht das Gespräch als solches wird überschätzt. Überschätzt werden bestimmte Arten des Gesprächs. DASS man miteinander redet, sagt nichts über den Wert des Gesprächs aus. Entscheidend ist, WIE man miteinander redet und welche Konsequenzen man daraus zieht. Es gibt nicht DAS Gespräch - es gibt viele verschiedene Arten, ein Gespräch zu führen, es gibt viele Möglichkeiten, miteinander zu reden.
(Ob es vielleicht sein Monolog ist, den Herr Strassberg hier überschätzt?)

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Martin Hafen
Präventionsfachmann, Soziologe
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Das Paradigma dieser von Daniel Strassberg kritisierten Arten des Gesprächs ist die Arena: eine Aneinanderreihung von vorgängig formulierten Positionen, die gegen jegliche Einwände immunisiert sind.

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Daniel Strassberg
Kolumnist@Republik
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Natürlich müssen wir miteinander reden, aber ich meine auch nicht den Monolog, sondern die ritualisierten Formen des Rechthabens, die öffentlichen, wie auch die privaten.

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Sabine Künzi
Dozentin FHNW
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Ich glaube fasziniert und enttäuscht, dass alles stimmt, was Sie schreiben. Trotzdem weiterreden, bitte. Wir können eine Kulturtechnik üben. Es kann gelingen, und das lohnt sich.

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"Das gespräch wird überschätzt". Mag sein, hängt aber doch primär auch davon ab, was man davon erwartet. Was wäre denn die Alternative zum Gespräch? Schweigen und aushalten?

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Martin Hafen
Präventionsfachmann, Soziologe
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oder Autokratie: befehlen statt diskutieren?

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Tja, auch eine Möglichkeit- aber definitiv nicht was ich möchte. Ein Gespräch, was den Namen verdient, ist m.E. alternativlos.

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Es sind anregende Gedanken, an welchen uns Daniel Strassberg teilnehmen lässt. Er zeigt überzeugend auf, dass der Dialog häufig idealisiert und seine Wirkung überschätzt wird, und dass Zusammenhänge mit Machtfragen gerne ausgeblendet werden. Dass das sog. Gespräch im öffentlichen Raum viel mehr mit Selbstdarstellung und ideologischer Propaganda zu tun hat als mit der Wahrheitsfindung, ist ja offensichtlich.
Das sind alles richtige und wichtige Erkenntnisse. Doch fehlt mir hier die Erwähnung des offenen Gesprächs in einer freundschaftlichen Ambiance, die gemeinsam zu neuen Einsichten und Erkenntnissen führen kann. Diese Art von Gespräch ist viel diskreter und kaum je öffentlichkeitswirksam. Und doch, scheint mir, ist sie für die Entwicklung von uns als Individuen und als Gesellschaft von zentraler Bedeutung.
Da möchte ich mich den Gedanken von B. E. sehr anschliessen.

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Enarchist & Anfänger
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Sie bringen es wunderbar auf den Punkt, Herr Strassberg: „Das Haupt­problem besteht heute nämlich gar nicht mehr darin, in der Debatte zu unterliegen, sondern dass sie zum Selbst­zweck degeneriert ist. Dass das Gespräch meist keine Handlung, keine Veränderung und keine politische Aktion einleitet, sondern sie ersetzt.
Ergänzend würde ich dazu raten, doch Zuhören als Mass der Dinge zu nehmen und die richtigen Fragen zu stellen. Das streitende Paar eingangs Text würde ich fragen: „Hört ihr euch überhaupt zu? Was braucht ihr, damit ihr einander zuhören könnt?“

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You can tell whether a man is clever by his answers; you can tell whether he is wise by his questions. Naguib Mahfouz, oder Machfus, wenn Sie wollen. Passt zu untenstehenden Gedanken von Frau Enz, die ich teile. Worin der Unterschied zwischen den verschiedenen Gesprächs-Sorten liegt, wissen die Götter. Vielleicht ist den Weisen-statt-Cleveren das Bewusstsein präsenter, dass wir alle nur fehlbare Menschlein sind? Ein Fokus aufs Verbindende statt aufs Trennende? Auf transaktionsanalytisch: ein reiferes I'm OK - you're OK statt auf I'm OK - you're not OK? Ist das Kikeriki der Arena - schon der Name ist eine Kampfansage! - wirklich ein gutes Beispiel für "das Gespräch"? Wie wäre es mit einem Format "Forum"? Aber eben, die Einschaltquoten... "La" conversation n'existe pas.

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Kritischer Leser
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Wir müssen etwas tun! Aber erst sollten wir miteinander darüber sprechen, was wir tun sollen. Allerdings wird "das Gespräch... masslos überschätzt". "Aber wir müssen etwas tun, und bevor wir uns abgesprochen haben, können wir nichts Sinnvolles tun." Dann tun wir halt etwas Sinnloses, und vielleicht verstehen die Andern dann, dass wir etwas tun müssen. Doch die wollen ohnehin etwas ganz anderes tun; am liebsten das, was sie schon immer getan haben. "Aber wir müssen etwas tun, und miteinander sprechen bringt nichts, weil alle immer nur das sagen, was sie schon immer gesagt haben." Also laden wir zu einem Gespräch ein, und betreiben dann Gesprächsverweigerung. "Aber damit wird den Andern auch nicht klarer, dass wir dringend etwas tun sollten."
Offenbar bewegen wir uns da in einem perfekten circulum vitiosum. Dumm nur, dass der weitgehend dem betriebsamen Stillstand entspricht, der hierzulande als Politik gilt, und dass dieser betriebsame Stillstand demokratisch abgesegnet ist. Andernorts erspart man sich diesen Aufwand, und setzt auf "starke Männer" (höchst selten auf starke Frauen!) Da gibt es dann keine unnötigen Gespräche, ohne dass deswegen irgendwie garantiert wäre, dass das Nötige getan würde. Das bringt uns also auch nicht weiter.
ABER WIR MÜSSTEN WIRKLICH DRINGEND ETWAS TUN! Also wählen wir eine vorbereitende Kommission, die einen Expertenrat einsetzt, der darüber spricht, was wir tun sollten. ABER DAS GESPRÄCH WIRD MASSLOS ÜBERSCHÄTZT! Und warum sollte irgend jemand den Empfehlungen des Expertenrats folgen, falls er sich wider Erwarten einigen könnte? Wir müssten seine Empfehlungen besprechen! ABER DAS GESPRÄCH WIRD MASSLOS ÜBERSCHÄTZT. Und so weiter und so fort ohne Ende. Der homo insipiens ist leider höchst selten ein homo sapiens, aber immer ein homo loquax! Offenbar eine Fehlkonstruktion, aber der Uhrmacher ist inzwischen spurlos verschwunden! Und es ist höchst umstritten, ob es ihn je gab!

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Es war eine lustige Idee, als auf den Züricher Trams geschrieben stand: ‘ich bin auch ein Schiff’. Jeder Mensch ist auch mehr als etwas. Menschliche Lebensverläufe und Körper und Psychen sind unendlich vielfältig und komplex. Wie könnte ich da das Denken eines Mitmenschen nachvollziehen, um seine gemeinsame Wahrheit zu suchen, zu finden . Ich weiss ja nicht mal, ob der Mitmensch beim Wort rot dasselbe sieht wie ich. Ich glaube, dass das Gespräch hauptsächlich ein Gefühl von In-Beziehung-Sein, ein grundmenschliches Bedürfnis, vermittelt. Und ich glaube an den Sinn des Gesprächs, um sich Eigenes bewusst zu werden. Ich glaube auch an die Selbstreflexion, als Gespräch mit sich selbst, um eigene Lebenszusammenhänge zu verstehen. Das Selbst-Verständnis (im wörtlichen Sinne des Begriffes), sich bewusst sein, wer man ist, und warum man in gewissen Situationen so oder so reagiert, müsste eigentlich zu einer Ethik führen!! Deshalb erklärt Spinoza in seiner ETHIK die Affekte so ausführlich. Vre

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Franz Hohler hat doch eine Geschichte von dem Mann, der so lange “So, so!” sagt, bis man ihn einsperrt.

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ichfürchte...
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Und er hatte den René, der konsequent das Gespräch verweigerte ("ich säge nüt!" ; in der Kimdersendung" Franz & René" )

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Daniel Strassberg
Kolumnist@Republik
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Vielen Dank, schaue ich mir gerne an. Ich habe es nicht gekannt, schätze Franz Hohler sehr als Philosophen.

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Bzgl. "Gespräch" bin ich inzwischen begeistert von Gadamers "Wahrheit und Methode". Harte Kost aber sehr lesenswert. Habermas baut übrigens darauf auf. Eine Kostprobe:

"Wir sagen zwar, dass wir ein Gespräch führen, aber je eigentlicher ein Gespräch ist, desto weniger liegt die Führung desselben in dem Willen des einen oder anderen Gesprächspartners... Vielmehr ist es im allgemeinen richtiger zu sagen, dass wir in ein Gespräch geraten..."

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Martin Hafen
Präventionsfachmann, Soziologe
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oder Luhmann: "Es ist nicht der Mensch der kommuniziert; es ist die Kommunikation, die kommuniziert."

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Peter Emch
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Die Beiträge von Daniel Strassberg finde ich immer erkenntnisreich und trotz komplexer Inhalte verständlich und inspirierend.
Im aktuellen Beitrag werden am Beispiel der Pfeife der Wiederspruch und die Vielschichtigkeit der behandelten Thematik beschrieben.
Massiv irritiert hat mich, dass der Autor des gescheiten und einzigartigen Bildes, René Magritte, nicht mal mit dem Namen erwähnt wird, geschweige mit einer Abbildung gezeigt wird. Das ist unentschuldbar, erstaunt mich leider nicht wirklich, erkenne ich doch seit langer Zeit bei Intellektuellen, Journalisten, Theoretikern das Misstrauen, das Unbehagen gegenüber dem künstlerischen Bild. Als eye catcher oder Illustration gerne verwendet, darüber referieren mit Begeisterung, aber als autonome Präsenz verdrängt weil sprachlich nicht erfassbar . Das Bild behauptet nicht, analysiert nicht, agitiert nicht, beschreibt nicht. Es ist sprachlos!

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2023 jährt sich das Erscheinungsjahr von Martin Bubers Ich und Du zum hundertsten Mal. Warum die Sehnsucht nach dem Dialog aufgeben, auch wenn das Gespräch immer wieder abgrundtief scheitert? Wer möchte nicht ein Ich sein, das ein Du wirklich leibhaftig meint? Und wer nicht ein Du, das sich wirklich leibhaftig erreichen lässt? Vielleicht geht es auch darum, das Gespräch von einem Absolutheitsanspruch zu befreien. Das Gespräch regelt vielleicht nichts. Und wer möchte nicht wirklich leibhaftig von einem 'Ich liebe dich' erreicht werden?

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Man kann nicht Gespräche in den gleichen Topf werfen wie öffentliche Debatten o.Ä..

Es gibt durchaus Gespräche die der gegenseitigen Erhellung dienen, aber die Voraussetzung dafür sind eine Good-Faith-Gesprächsbereitschaft, gemeinsame Grundannahmen auf die man sich stützen kann und die Absenz von Machtverhältnissen (also niemand kann sagen "ich hab recht weil ich es so sage").
Ein Gespräch unter Freunden, z.B. oder unter Mitarbeitern (wichtig: abzugrenzen von einem Gespräch dem Chefy!), oder auch ein Gespräch in einer Beziehung.

Eine öffentliche (politische) Debatte wird aber nicht geführt um die eigene Meinung zu erweitern und einen Konsens zu finden, sondern ist eine Performance für die Zuschauer, die eigenen Talking points unterzubringen, und idealerweise das Gegenüber zu entwerten.
Oder sie wird zum Sport geführt, aber diese Debatten sind ja hier nicht gemeint.

Viele Rufe nach Gesprächsoffenheit sind deswegen auch mit Vorsicht zu geniessen weil sie erscheinen demokratisch, verletzen aber mehrere dieser Punkte, z.B. wenn eine Partei die Existenzberechtigung der anderen Person gar nicht erst anerkennt (Stichtwort mit Nazis reden) oder gewisse Grundlagen nicht akzeptiert (Stichwort Pandemieverlängerer).
Das kann auch im "Kleinen" wie Beziehungen ein Problem sein, z.B. wenn ein Partny nicht die Grundlage akzeptiert dass die Bedürfnisse aller beteiligten wichtig sind, aber dann (vermeindlich) das Gespräch sucht.

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Wirtschaftshistoriker
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Herrn Strassberg ein dickes Kompliment und allen 28 Beiträgen der VerlegerInnen ein upvote.
Ich bin voll und ganz meiner Meinung.

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Politologin
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Das finde ich einen sehr wichtigen Beitrag. Ja, er ist auch mit mir und meiner Erfahrung überein und macht ihn dadurch wohl nicht absolut wahr. Aber immerhin sehr wertvoll in einer Debatte über das Wohl der Demokratie, wo immer wieder weniger Mächtigen die Dialogverweigerung vorgeworfen wird und dabei auch ausgeblendet wird, was für ein Preis Dialog hat wenn es darin eben immer auch um Macht geht. Was es für Unterdrückte bedeutet, wenn erneut verhandelt werden soll, ob es denn nun Rassismus oder geschlechtsspezifische Gewalt überhaupt gebe.

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Gespräche zur Wahrheitsfindung sind also überholt? Dass man zu viele Aussagen macht, statt Fragen stellt, habe ich bei mir selbst festgestellt. Und dass der Dialog ausgedient hat, wissen wir spätestens seit Precht und Lanz ;)

Finde den Schluss super! Auf ein Gespräch eingehen, heisst seine Position bestehenden Machtstrukturen zu unterwerfen. Genau das möchten man als AktivistIn vermeiden.

Insofern glaube ich dass das Gespräch als Mittel zum Zweck nicht funktioniert, aber als Konsensfindung nach wie vor einen Wert hat.

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Das Palaver ist heute leider negativ besetzt und gilt als oberflächliche Plauderei. Ursprünglich war damit aber ein Zusammensitzen gemeint, um so lange zu diskutieren bis eine allseits akzeptable Lösung gefunden wurde. Man stelle sich einmal eine Arena vor, in der nicht nur die eigene Meinung zementiert wird, sonder einmal ein Satz fällt wie : "Ich glaube sie haben recht, aus dieser Perspektive habe ich es noch gar nie betrachtet." Unvorstellbar, oder?

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Was beweist, dass Gespräche überschätzt werden. Die Arena kann man zugunsten der Übertragung eines Hockey Spiels streichen; da wird gehandelt nicht gesprochen. Und wenn die Schiedsrichter keine Fehlentscheidungen treffen, ist das Resultat vernünftig. (Leider gibt es um diese Zeit keine Spiele mehr, die live übertragen werden können.)

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"Dass das Gespräch meist keine Handlung, keine Veränderung und keine politische Aktion einleitet, sondern sie ersetzt." Völlig einverstanden. Dem verwandt sind insbesondere in der Politik die zahlreichen Scheinhandlungen, die Legitimation durch Verfahren. Es werden Berichte verlangt, um nichts zu beschliessen. Und wenn diese u.U. nach Jahren erscheinen, interessiert es keinen mehr. Ähnlich ist es mit dem Einreichen von Vorstössen oder auch dem Einsetzen von Kommissionen. Damit will ich nicht ausschliessen, dass es ab und zu zu echten Beschlüssen und entsprechenden Massnahmen kommt.

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Bartleby sagt eigentlich, „ "I would prefer not to." Er ist ein höflicher Gesprächsverweigerer.

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Das Gespräch in der Politik der Demokratie ist nicht das Mass aller Dinge, sondern meiner Dinge. Die ökonomischen Interessen wollen sich durchsetzen.

Alles andere wurde zur Beilage seit Margaret Thatcher & Co.

Der Diskurs um Wahrheiten und Vernunft ist ausgelagert für Philosophen und an die Phil. einer. Und an Richard David Precht für Einschaltquoten dank der mitternachtlichen Denker auf dem Sofa. - In der Ehe dient das Gespräch dem Überleben in der Zwei- und Mehrsamkeit. Als Versuch der Beziehung eine nötige Länge zu geben.

Politischer Dialog will recht haben, weil er sich dann lohnt. Deshalb heisst er neu seit Jahrzehnten Kommunikation, communicatio, Mitteilung. Wenn Parteien schwächeln sagt der Kommunikationsexperte nicht: «Ihr müsst bessere Gespräche suchen.» Er sagt: «Die Kommunikation ist mangelhaft. Ihr verkauft euch unter eurem Wert.»

Der Verkauf ist, was zählt. Die Expansion der Ökonomisierung weltweit ‘fressen Seele auf’. Auch die der Politik. Es geht immer weniger ums Gemeinwohl und die Wahrheit für viele in der polis, weil die Rendite der Wahrheit den Atem nimmt. Meine Rendite ist das Argument, deshalb die rückbezügliche Floskel zur Einleitung «Für mich ist … (es so und so).»
Tiefer Pegelstand im Rhein hin oder her.

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Dann lassen wir‘s hier mit dem Dialog lieber – aber andererseits: man kann nicht nicht kommunizieren.

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Daniel Strassberg
Kolumnist@Republik
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Selbstverständlich!, Sie haben völlig recht. Mir ging es nur um diejenigen Gespräche, in denen man die Wahrheit und den Konsens sucht.

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Gut, doch bei den Klimaaktivisten (und anderen sozialen Bewegungen) geht es nicht um Wahrheit oder Konsens, sondern gerade darum einen Dissens festzuhalten und der Mehrheit ihre Falschheit vorzuhalten.

Die anderen sollen nicht nur überzeugt, sondern auch zu einer anderen Handlungsweise oder gar Lebensweise "bewegt" werden – sprich, die "bestehenden Macht­verhältnisse" sollen revolutioniert werden.

Die Melancholie darüber, dass das (wahrheitssuchende und konsensfindende) Gespräch in der Politik zum Selbstzweck "degenerierte" und das Politische ersetzte, hängt noch zu sehr am Ideal des (wahrheitssuchenden und konsensfindenden) "herrschaftsfreien Diskurses".

Doch mit Rancière gesprochen, bestand das Politische immer schon im Dissens, im "Unvernehmen":

"La Mésentente (1995), der bis heute wohl einflussreichste Text Rancières, stellt den Versuch dar, Politik als eine Kette von Subjektivierungen zu denken, als Praxis des Streits, die ihren Anfang bereits in der griechischen Polis nimmt. Der Kampf zwischen Arm und Reich, zwischen Mächtigen und von der Macht Ausgeschlossenen ist demnach nicht ein Problem, welches es qua Politik zu lösen gilt, sondern Politik selbst. Indem der gesellschaftliche Anteil der Anteillosen („la part des sans-part“) sich seiner Position bewusst wird und für seine Rechte eintritt, werden soziale Strukturen revidiert. Dies bedeutet u. a. auch eine Absage an den vordergründigen Konsens einer medialisierten Politik." https://de.wikipedia.org/wiki/Jacqu…nvernehmen

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Johanna Wunderle
Unity in Diversity
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Geschätzter Herr Strassberg, vielen Dank für diesen wertvollen Beitrag, der mir wichtige Erkenntnisse gebracht hat.
Dass Scheingespräche keinen Sinn ergeben und der Demokratie mehr schaden statt nützen, könnten alle wissen die politische Debatten zuhören.
Für die persönlichen Gesprächen fand ich die Erkenntnis, wie schädlich recht haben wollen ist, hilfreich.
Es wurde mir sehr klar, dass zustimmendes Zuhören die Voraussetzung ist für ein gelungenes Gespräch. Mit "zustimmend" meine ich ein Zuhören ohne zu widersprechen. Nicht mal in Gedanken zu widersprechen. Im Idealfall ist es: Raum geben an der Wahrheit des Gesprächspartners. Eine individuelle Wahrheit des jeweiligen Augenblicks. Ein Empfangen. Darauf folgend kann ich zurückmelden, was ich aus den Worten der Partnerin entnommen habe. Wenn das stimmig ist, kann ich dann meine Wahrheit sagen ohne Konsens zu erwarten. Der Konsens besteht darin, dass jede/r den Raum bekommt um seinen Gedanken in Worte zu fassen. In Worte die gehört werden wollen. So wird ein Gespräch zur gegenseitigen Bereicherung.

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Dazu wäre auf die Form des Zwiegesprächs von Lukas Moeller zu verweisen. Nimmt genau auf was Sie sagen, für Gespräche in Paarbeziehungen.

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Johanna Wunderle
Unity in Diversity
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Vielen Dank für den Hinweis Frau G.

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Leser, Biotech, Jazz, Sport
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Frage mich gerade, welche Wahrheiten gemeint sind, die über ein Gespräch den Zugang in unser Bewusstsein finden müssen. Der naturwissenschaftlichen Wahrheitsfindung liegt die Empirie zugrunde. Sie ist die Kraft, welche die Gesprächsteilnehmer immer wieder zu Aussagen der Art “ich liege falsch, ich muss meine Meinung (Hypothese) revidieren” zwingt. Eine “Gesprächsmacht”, die etwas Absolutes, nicht Willkürliches in sich trägt und welcher sich alle Gesprächsteilnehmer freiwillig unterwerfen (wollen sie für voll genommen werden).

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Eine “Gesprächsmacht”, die etwas Absolutes, nicht Willkürliches in sich trägt

Ich stimme Ihnen zu, dass naturwissenschaften einen besonders rigorosen Versuch der Wahrheitsfindung darstellen, aber von "absolut" sind auch diese weit entfernt. Denn selbst "harte Daten" müssen erhoben, verarbeitet und interpretiert werden. Viele Schritte darin können oft hinterfragt werden: Messmethoden, Versuchsanordnungen, die Wahl der (z.B. statistischen) Analysemethode etc. Geben Sie dieselbe Fragestellung zwei Forschern, denselben Datensatz zwei Statistikern oder denselben wissenschaftlichen Artikel zwei (qualifizierten) Lesern, Sie werden oft nicht dasselbe daraus machen.
Dazu kommt das Problem der Nachvollziehbarkeit: Wer nicht selber im jeweiligen Forschungszweig unterwegs ist, kann die wenigsten Ergebnisse/Schlüsse "mal überprüfen". Schlussendlich müssen wir den Forschenden - bzw. der Forschungsgemeinschaft, denn die Kolleginnen schauen einem ja schon ein bisschen über die Schulter - auch einfach vertrauen.

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Leser, Biotech, Jazz, Sport
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Genau, und dieser empirische Prozess, dem sich die Wahrheitssuchenden unterwerfen schafft die Basis für eine Gesprächskultur, welche diese Ergebnisoffenheit und Selbstkorrektur zulässt/fordert. Mikrobiologen, welche damals eine Kausalität von Helicobacter und Magenkrebs postulierten wurden anfänglich vom Gespräch ausgegrenzt. Nach global verifizierenden weiteren „Gesprächsrunden“ wurde ihnen der Nobelpreis zuerkannt.

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"Eine “Gesprächsmacht”, die etwas Absolutes, nicht Willkürliches in sich trägt und welcher sich alle Gesprächsteilnehmer freiwillig unterwerfen"

Ui, da haben Sie ja ein höchst idealistisches Bild von Naturwissenschaft. Da übten die alten Empiristen schon mehr Skepsis und Selbstkritik. Aber wenn Sie daran glauben wollen, sei es Ihnen gegönnt ;-)

Für mehr Realismus siehe Hume, Popper, Kuhn, Feyerabend, Lakatos, Quine, Latour…

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Drei Fragen an Herr Strassberg: Sie benutzen die Worte Gespräch, Dialog, Diskussion und Debatte als Synonyme. Unerwähnt bleibt in ihrem Text der Bohmsche Dialog nach dem Philosophen David Bohm, der als Tool für systemischen Wandel eingesetzt wird und sich klar von Debatten und Diskussionen abgrenzt. 1. Schliessen Sie den Bohmschen Dialog in Ihrem Text mit ein? 2. Haben Sie sich mit verschiedenen Formen von Dialogen und deren Erfolgsrate beschäftigt? 3. Wie können sich Ihrer Meinung nach Menschen begegnen, um systemischen Wandel zu ermöglichen?

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Wie kommen Meinungsverschiedenheiten überhaupt zustande? Ich meinte, über drei Faktoren: verschiedene Sensibilitäten, verschiedenes Wissen, verschiedene Thesen. Welche Wahrnehmungen bewerten wir also wie, was meinem wir über die Funktionalitäten dazu zu wissen und was spekulieren wir, wo wir noch nicht wissen. Bezüglich den verschiedenen Wahrnehmungen/Sensibilitäten sollten wir uns empathisch zuhören. Punkto Wissen sollten wir bereit sein, zu lernen wo wir uns irren und Punkto Thesen sollten wir gemeinsam kreativ spekulieren und gemeinsam verschiedene Szenarien entwickeln, je nach These. Wir navigieren alle im Trüben, Konsens bringt da nichts zur Wahrheitsfindung, die Vielfältigkeit der Meinungen intelligent und differenziert analysieren und nutzen wäre an sich angezeigt. Doch dafür müssten alle von ihrem hohen Ross runterkommen, den eigenen Narzissmus überwinden, sich relativieren können und sich mit dem Nichtwissen, mit dem wir alle ständig konfrontiert sind anfreunden. Mit mehr Bescheidenheit durchs ganze politische Spektrum kämen wir also schneller sehr viel weiter.

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Sehr geehrter Herr Strassberg
fast hätten Sie das Kind mit dem Bade ausgeschüttet in der Kolumne von gestern. Und übrig geblieben wäre nichts als eine leere Wanne. Hätten Sie nicht doch noch im Laufe Ihres Schreibens begonnen, den Oberbegriff 'Gespräch' zu differenzieren und zu dem zu kommen, was zum Schluss dann zu einer Diagnose unseres Gemeinwesens geworden ist: das zum Selbstzweck gewordene Debattieren gleicht einer Ersatzhandlung, welche davon abhält, Not hervorrufende Dynamiken zu benennen, zu verstehen, anzuerkennen und einzuordnen und Not wendende Veränderungen einzuleiten.
Gerne würde ich Sie fragen, ob Sie tatsächlich denken, dass die zitierte Hannah Arendt von der Gleichung 'Gespräch gleich Konsens gleich Einheit gleich Wahrheit' ausging und woran Sie das erkennen in dem Ihrem Text eingefügten Zitat. Geht es nicht gerade in dieser zitierten Sätzen um Pluralität schlechthin, das heisst um die menschliche Grunderfahrung, Ambivalenz und Widersprüchlichkeit in sich selbst zu wissen und Wege zu finden, diese mit sich auszuhandeln, zu tarieren und auszuhalten? Und geht es nicht in diesen zitierten Zeilen um etwas sehr Wesentliches, das in einer Zeit, in welcher Tag und Nacht und Nacht und Tag irgendwo stellvertretend debattiert wird, zu kurz kommt? Nämlich um den Mut, sich auch mit sich selber und eigenen Widersprüchlichkeiten (Pluralität) auseinanderzusetzen? Hannah Arendt nennt solches die innere Zwiesprache. Durch diese kommt die Frau, der Mann, die Philosophin zu ihrer eigenen 'doxa'. Arendt ist vielleicht Idealistin, wenn sie meint: das 'mit sich selbst Sprechen ist nicht bereits Denken, aber es die politische Seite alles Denkens: dass sich selbst im Denken Pluralität bekundet' (H.Arendt, Denktagebuch Juni 1954)
Ich erlaube mir zum Schluss eine Frage. Wie kommen wir vom Debattier-Überfluss - oder Überdruss? - weg hin zu mehr Gesprächen im Sinne von Begegnungen von Menschen mit ihren eigenen Welterfahrungen? Welche Aengste gibt es da zu überwinden? Und welchen Ohnmachten würden wir dabei begegnen?

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Spannende Gedanken mit einem für mich (!) überraschenden Schluss. Danke.

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Wie ironisch es doch ist, wie viele Leute (inkl. mir) hier im "Dialog"teil dieses Artikels schreiben und sich austauschen.

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Sehr geehrter Herr Strassberg

In meinem Beitrag (siehe weiter unten) habe ich eine Interpretation und Wertung des letzten Abschnitts Ihres Beitrags vorgenommen.

Die Aktion ergab zweifellos überhaupt keinen Sinn. Und genau das verleiht ihr ihre politische Kraft.

Ich habe darin zum Ausdruck gebracht, dass ich eine politische Kraft, welche das Gespräch verweigert, negativ bewerte. Dafür habe ich fast nur Downvotes erhalten. Das ist für mich schon enttäuschend, vor allem deshalb, weil dies ja ohne Gespräch bzw. Begründung passiert. Ich muss deshalb leider annehmen, dass viele, die in diesem Forum schreiben diesen Weg der Verweigerung – angesichts der in der Schweiz herrschenden Machtlosigkeit der sogenannten einfachen Menschen – als zielführend erachten. Mich interessiert ihr konkreter Meinungsbezug zu meiner Stellungnahme sehr.

Freundliche Grüsse
R. S.

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Ich verstehe nicht, wie eine Aktion die zweifellos überhaupt keinen Sinn ergab, ihr ihre politische Kraft verleiht. Sie haben aber vielleicht insofern recht, als solche Aktionen zu sozialer Spaltung führen und insofern eine negative politische Kraft hervorrufen, welche in der Gesellschaft Spaltung, Hass, Uneinigkeit, usw. verstärkt. Gesprächsverweigerung ist in der Politik der falsche Weg und das auf die Gesprächsverweigerung wahrscheinlich einmal in der Zukunft entstehende Narrativ, wonach es diese Verweigerung gebraucht habe, um die Gesellschaft auf den richtigen Weg zu bringen, nichts weiter als ein unglaubwürdiges Märchen.

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