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Mathematiker
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Danke für diesen Bericht über ein weiteres Müschterli von „Eigenverantwortung“ der Konzerne. Die sind so. Die ticken so. Global. Und meistens kommen sie durch damit – denn das Recht ist so gestrickt, dass das Kapital geschützt wird, siehe Katharina Pistor: Der Code des Kapitals. Wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft

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Spannend und erschreckend! Aber ganz schlau werde ich nicht aus der Geschichte. Offenbar war Richter Kaplan nicht nur persönlich mit Chevron verbandelt sondern hatte mit seinem Besitz von Chevron-Aktien auch noch handfeste finanzielle Interessen an einem positiven Ausgang für Chevron. Hätte die Verteidigung des Angeklagten Anwalts ihn deswegen nicht ganz einfach wegen Befangenheit von vorne herein ablehnen können? Und dann veranlasst Richter Kaplan höchstpersönlich ein Strafverfahren gegen den Angeklagten. Darf ein Richter in den USA das? Zu guter Letzt wurde die für dieses Strafverfahren zuständige Richterin Preska offenbar nicht wie üblich durch das Los bestimmt, sondern persönlich von Richter Kaplan ausgewählt. Wie ging das denn? Wieso war in diesem riesigen Justizapparat ausgerechnet Kaplan für die Zuteilung der Richterin zuständig? Und war der Verzicht auf das Los nicht ein schwerwiegender Verfahrensfehler, der das ganze Strafverfahren von vorne herein anfechtbar macht? Für mich als Laien klingt diese Sache nach einem gigantischen Justizskandal. Das wird im Artikel aber nicht explizit so eingeordnet. Ein bisschen mehr Informationen und Erklärungen zu solchen Fragen hätte ich sehr hilfreich gefunden, um diese Geschichte etwas genauer zu verstehen.

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Herzlichen Dank für Ihren Beitrag! Ich wurde angehalten, mich kurz zu fassen – so kommt das vielleicht tatsächlich alles zu wenig heraus. Ich merke mir das gern fürs nächste Mal.

Es ist ein Justizskandal. Aber solange die Justiz – und letztlich: die Politik – das nicht anerkennt, bleibt es schwierig.

Die Chevron Anteile, das kam erst im Nachhinein heraus. Das waren jetzt auch nicht Milliardenbeiträge sondern Investitionen in Fonds, in denen diese Anteile enthalten sind. Aber: finden Sie das als Anwalt des Angeklagten erst mal rechtzeitig raus.

Und: Ja, offenbar darf ein Richter das in den USA, es ist aber höchst unüblich, ebenso die Berufung einer privaten Firma als Strafanklägerin.

Und: Ja, auch das geht offenbar, ist aber auch unüblich.

Deshalb wird nun ja auch eine Untersuchung gefordert.

Ich gebe nicht vor, das US-Rechtssystem komplett zu verstehen. Aber – so viel verstehe ich – es funktioniert sehr viel anders als bei uns. Das anglo-amerikanische Rechtssystem, das common law, basiert viel weniger auf Gesetzen sondern auf richterlich entwickelten Prinzipien was Raum für Lücken lässt und Richter*innen eine grosse Macht gibt. Ausserdem ist das Prozessrecht föderalistisch geregelt und weist von Staat zu Staat grosse Unterschiede auf. In der Schweiz sind wir da definitive besser dran.

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Mathematiker
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Oops: „Ich wurde angehalten, mich kurz zu fassen“ – da sind wir als VerlegerInnen gefragt. Wie geht die Republik um mit Inhalten, bei denen nur eine ausführliche, umfangreiche Darstellung genügend Zusammenhang und Details und Tiefe vermittelt? Was sind die Gründe für die hier sich abzeichnende (Über-)Vereinfachung? Mangelnde Bereitschaft und Interesse der LeserInnen, lange Texte zu lesen? Mangelndes Budget für das Honorar an die AutorInnen langer Texte? (Zahlt die Republik Zeilenhonorar? oder gibt es andere Kriterien für den nötigen Aufwand und den erzielten Wert für die LeserInnen?) Gerade bei wichtigen Recherchen ist der Aufwand ja nicht abhängig davon, wie lang der Text am Schluss sein darf, eher im Gegenteil, ein kurzer Text, der alles Wichtige enthält, gibt oft mehr Arbeit als ein Epos. Was spart die Kürzung? Was muss sie sparen? Hätte dieser Artikel („Im Visier der Ölmultis“) einen längeren Artikel geben sollen? Zwei Artikel ungefähr dieser Länge?! Oder eine Aufteilung in ein „Management Summary“ für die Eiligen und Ungeduldigen und den eigentlichen x-mal so langen Artikel?

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Informatik-Ingenieur und Ökonom
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Der Vollständigkeit halber ein paar Punkte aus Chevrons Sicht:

  1. Die Umweltverschmutzung wurde nicht von Chevron verursacht, sondern von TexPet, welches zu 62,5% in Staatsbesitz war. Der Rest gehörte Texaco, welches heute zu Chevron gehört. Die damalige Regierung hat also ebenfalls schmutzige Hände und man kann das Debakel nicht einfach “dem Kapitalismus” in die Schuhe schieben.

  2. Hat Texaco in den 90ern sich mit Ecuador darauf geeinigt, die Verschmutzung zu reinigen und hat dafür 40 Millionen ausgegeben. Im Gegenzug hat die Regierung Chevron von seiner Haftung entbunden. Auf diesen Vertrag beruft sich Chevron bis heute. Ich persönlich finde es aber sehr fragwürdig, wenn der Staat einen Konzern von seiner Haftung entbinden kann. Sowas sollte in einem gesunden Rechtssystem nur unter Einbezug der Geschädigten gehen.

  3. Ist es unschön, wenn ein Anwalt einen Anteil der erzielten Schadenssumme erhält. Im Fall einer Auszahlung würde Donziger über 50 Millionen erhalten. In der Schweiz wäre das verboten. Hier müssen Anwälte ihre Rechnungen nach effektivem Aufwand stellen. Ich finde, das Schweizer Rechtssystem ist besser.

Trotzdem macht Chevron und das amerikanische Rechtssystem hier eine sehr schlechte Figur. Ein vorbildlicher Rechtssaat sieht anders aus. Aus spieltheoretischer Sicht hat aber auch das Gerichte in Ecuador den Geschädigten einem Bärendienst erwiesen. Gescheiter wäre es gewesen, die Entschädigung nicht gleich bei 9 Milliarden anzusetzen, sondern eine Summe zu wählen, die unter den Kosten eines Rückzugs aus dem Land liegen. In letzterem Fall wäre es für einen gewinnorientierten Konzern wir Chevron nämlich die rationale Wahl gewesen, einfach zu bezahlen.

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Herzlichen Dank für Ihren Beitrag – die entsprechende Stellungnahme sollte eigentlich oben im Text verlinkt sein. Dazu Folgende Bemerkungen

  1. TexPet ist der ehemalige Kurzname von Texaco. TexPet begann in den Sechzigerjahren mit der Exploration und trat daran zunächst eine Minderheitsbeteiligung von 25 Prozent, dann eine Mehrheitsbeteiligung an das staatliche Konsortium Petroecuador ab, aber: die operative Verantwortung lag nach wie vor bei TexPet bis 1992 als Petroecuador die verbleibenden Anteile übernahm. Natürlich ist die ecuadorianische Regierung mitverantwortlich – deswegen zu sagen, man könne es nicht dem "Kapitalismus in die Schuhe schieben" greift m.E. zu kurz: Die Zielkonflikte, die auch links regierte Lateinamerikanische Länder bis heute zwischen Umweltschutz und Volkswirtschaft antreffen, haben durchwegs damit zu tun, dass die Regierungen die Rechte an Ressourcen an ausländische Konzerne abtreten, weil sie Geld brauchen – Stichwort Extractivism – ob das nichts mit Kapitalismus zu tun hat möchte ich gerne bezweifeln.

  2. Bereits kurz nach der Einigung mit Texaco wurde klar, dass die Katastrophe weit grösser war, als in der Vereinbarung umrissen. Natürlich soll ein Staat Konzerne nicht von der Haftung entbinden können bzw. müssen – aber Investitionsschutzabkommen auf der ganzen Welt zielen allerdings genau in diese Richtung, heute mehr denn je.

  3. Laut Chevron waren es sogar 550 Millionen, was 6.4 Prozent an der Gesamtsumme entspricht. Wie Sie bemerken, ist das in den USA durchaus üblich. Ausserdem arbeitete Donziger ja auch nicht allein, sondern mit einem ganzen Team, über Jahrzehnte – da bezweifle ich, ob die Anwaltsgebühren bei uns im Schnitt sehr viel tiefer ausfallen würden. Aber Sie haben absolut recht: Das System der US-Sammelklagen und die damit verbundene Entschädigungen sind mitunter durchwegs fragwürdig – auch wenn sie, gerade in Umweltfragen, in den USA teilweise zu tiefgreifenden und wichtigen Kursänderungen geführt haben.

  4. Sie haben recht: Das US Rechtssystem ist komplett irre. Dass Chevron hier allerdings nach dem 'rational-choice' Ansatz einfach bezahlt hätte, wenn die Summe tiefer gewesen wären, wage ich zu bezweifeln. Zunächst wurde das Urteil sogar auf 18 Milliarden ausgefällt. Das Problem für Chevron und der Grund für das ganze Theater ist, dass Chevron es sich nicht leisten kann, auch nur einmal einzuknicken. Weil eine erfolgreiche Klage zieht zahlreiche weitere auf der ganzen Welt nach. Und das will die Ölindustrie um jeden Preis verhindern.

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Informatik-Ingenieur und Ökonom
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Danke für die Ergänzungen!

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Zum erweiterten Thema Investitionsschutzabkommen gibt es ja bereits mindestens ein anschauliches Beispiel - den sogenannten "Cochabamba-Wasser-Fall". Ein international agierender Konzern übernahm - nach einem geheimen Verfahren - die Wasserrechte, erhöhte darauf den Wasserpreis um 50 %, was zu einem blutigen Bürgeraufstand führte und die Regierung dazu zwang, diesen Handel rückgängig zu machen.

So auf den ersten Blick mag es nachvollziehbar sein, dass der Konzern sich am Staat schadlos halten wollte und auf Schadenersatz und Wiedergutmachung drang. Dazu rief er ein privates Schiedsgericht an, welches also indirekt über das Recht auf Zugang zu Wasser der lokalen Bevölkerung entschieden hätte. Hier wurde demzufolge nicht nur der Rechtsstaat ausgehebelt. Die Entscheidung einer kleinen - wahrscheinlich korrumpierten - Elite des Landes hätte sich in diesem Fall in gravierender Weise auf den Grundrechtskatalog der Menschen ausgewirkt.

Auf den zweiten Blick wird klar, unter dem Deckmantel des Investitionsschutzes wird einerseits die lokale Rechtsstaatlichkeit ausgehebelt, andererseits übernehmen private Schiedsgerichte die Aufgabe einer Verfassungsgerichtsbarkeit. Diese Form von Investitionsschutz gerät zu einer Null-Risiko-Police für Investoren, über welche selbst eigenes Versagen dem Steuerzahler aufgebürdet werden könnte. Das Legitimationsdefizit von privaten Schiedsgerichten lassen dieses Szenario als sehr wahrscheinlich erscheinen.

Dass im Fall Cochabama sich der Konzern freiwillig zurückgezogen hat, das kann also nicht wirklich beruhigen. Der drohende Imageverlust veranlasste die Bechtel-Gruppe, die Klage gegen Bolivien fallen zu lassen.

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· editiert

Ich kenne die Geschichte von diversen früheren Veröffentlichungen.

Wichtig fände ich es, solche Texte von einer Fachperson gegenlesen zu lassen. Ein Beispiel: "Dem Anwalt wird kein Verbrechen vorgeworfen, sondern lediglich ein Übertretungs­tatbestand: Missachtung gerichtlicher Anweisungen. Eine Bagatelle." Nein, die Missachtung des Gerichts ist in den USA keine Bagatelle, ein Anwalt kann deswegen seine Zulassung verlieren. Man sollte sie den schweizerischen Lesern nicht als etwas Ähnliches wie eine Parkbusse verkaufen. Zudem frage ich mich, ob der Richter nicht eine subpoena erliess. (Mit einer Subpoena wird eine Person unter Androhung einer Erzwingungsstrafe verpflichtet, bestimmte Auskünfte oder Beweismittel zu einem Sachverhalt in bestimmter Weise zu vorzulegen. - Und wo eine Pflicht besteht, gibt es kein Verbot.)

Im Beitrag heisst es auch: "Dabei stützte er sich vor allem auf Zeugen­aussagen des ecuadorianischen Richters Alberto Guerra, der (nach einem 53-tägigen Coaching durch die Chevron-Anwälte)..." Schweizerische Leser verstehen das falsch, weil sie nicht wissen, dass die Vorbereitung von Zeugen in den USA nicht regelwidrig, sondern geboten ist. Es wäre ein Anwaltsfehler, einen Zeugen nicht vorzubereiten, wozu gehört, mit ihm den Sachverhalt und seine Aussage im Detail durchzubesprechen und auf potentielle Widersprüche abzuklopfen.

Dass der Richter Chevron-Aktien hat... Wahrscheinlich haben alle schweizerischen Richter häufig persönlich, sicher via Altersvorsorge Aktien von Prozessparteien. Ob das für ihre Objektivität wichtig ist, kann man nur ermessen, wenn man weiss, wie viele Akien es sind und ob sie für die finanziellen Verhältnisse der Justizperson relevant sind. So pingelig die Kritiker in diesem Punkt oft sind, so schlampig sind sie, wenn es um Schulden der Justizperson geht. Wenn diese einen Kredit bei einer Partei hat, ist das viel wichtiger. Man denke nur an einen Oberrichter, der den Hypothekarkredit auf dem Wohnhaus bis zum Dach erhöht und mit dem Geld sein Ferienhaus in der Toscana renoviert.

Wir finden unser Rechtssystem das Beste und die Amis ihres. Den Deutschen gefällt ihres am besten und so fort. Es ist sehr heikel, vom Schweizer Stubentisch aus fremde Rechtsinstitute beurteilen zu wollen (Bezahlung der Anwälte, Anteil am Prozessergebnis usw.). Und es gibt auch bei uns Unternehmen, welche Kritiker mit teuren Prozessen fertigmachen wollen, und es ausnützen, dass die gerichtlich zugesprochenen Prozessentschädigungen regelmässig viel zu klein sind.

Nach allem, was ich zum Chevron in Ecuador schon gelesen habe, trifft die Aussage des Artikels im Kern zu. Es ist wirklich sehr stossend und gut, dass der Artikel erschien.

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Herzlichen Dank für Ihre Anmerkungen.

Ich gehe davon aus, dass Sie eine solche Fachperson sind? Dann wäre es hilfreich, Sie würden nicht anonym kommentieren, damit ich das nächste Mal auf Sie zukommen kann.

Ja, "Contempt of court" ist nicht das gleiche wie eine Parkbusse. Doch immer noch ein «misdemeanor» d.h. ein geringfügiges Delikt. Dafür einen über 600-tägigen, präventiven Hausarrest zu verhängen ist selbst für amerikanische Verhältnisse ungewöhnlich und kam, soweit ich informiert bin, bislang erst einmal vor.

Ich masse mir persönlich durchaus an, von meinem Glasgower Stubentisch (gemischtes Rechtssystem) aus zu sagen: Civil law liegt mir persönlich näher, was sicher auch mit meiner Sozialisation und meinem Erststudium zu tun hat – aber das kann man, wie Sie zutreffend bemerken, durchwegs unterschiedlich sehen.

Und es freut mich natürlich, dass Sie den Artikel im Kern doch für zutreffend halten.

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System Engineer
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Wie kann es sein, dass es solche Richter gibt?
Das stinkt ja richtig nach Korruption.

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Unfassbar, was da wieder passiert und leider ist das wohl nicht unüblich.
Zu dieser Thematik ist übrigens der Film „Dark Waters“ mit Mark Ruffalo sehr empfehlenswert. Auch da geht es um einen Anwalt, der gegen einen Grosskonzern kämpft - der Fall begann in den 80er Jahren und dauert bis heute an. Eine wahre Geschichte.

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