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Liebe Frau Kempf, ich weiss, was Sie meinen, habe aber Mühe mit der Unterstellung, Statistiken würden gefälscht, weil das so nicht stimmt. Statistiken können, und werden, interessegeleitet durchgeführt und interpretiert, aber das ist nicht das gleiche wie: gefälscht.
Auch gefälschte Statistiken kommen vor, aber die werden in der Regel relativ schnell entdeckt und sind für die Ersteller eine Schande.
Wichtiger scheint mir zu lernen, Statistiken zu verstehen, damit man den Wahrheitsgehalt, oder etwas neutraler gesagt, die Objektivität selber beurteilen kann. Wegleitend sind die Fragen: wer hat die Statistik erstellt? Ist es bspw. der Hersteller, der ein Produkt mittels Statistik verkaufen will, wie es in der Pharma-Branche die Regel ist, dann ist man mit Recht zurückhaltend gegenüber der Interpretation. Gefälscht sind die Resultate mit grosser Wahrscheinlichkeit auch hier nicht, aber häufig nicht vollständig, sondern einseitig postitiv.
Ist es eine neutrale Stelle, die eine Statistik erstellt, ist die Glaubwürdigkeit in der Regel höher. Hier stimmt die Aussage, dass eine Statistik gefälscht sei, mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht, aber vielleicht werden nicht die Zahlen ausgewertet, die einen persönlich interessieren. Das heisst aber nicht, dass die Statistik gefälscht sei. Menschen, die Statistiken erstellen, tun das in aller Regel nach bestem Wissen und Gewissen, und es ist beleidigend, ihnen einfach pauschal Fälschung zu unterstellen.

Nachtrag: gerade darum finde ich solche Beiträge wie diese Ameise hier oder auch "Auf lange Sicht" so wichtig: man lernt m.E. Statistiken besser zu verstehen. Und das kann helfen, sich zu manchen Fragen eine fundiertere Meinung zu bilden. Nur schon die Tatsache, dass 'Migrationshintergrund' bei unseren nördlichen Nachbarn offenbar nicht ganz das gleiche bedeutet wie bei uns, relativiert gewisse Einschätzungen.

Die für mich andere, erschreckendere Erkenntnis resultiert aus den Onlinekommentaren zu besagtem NZZ-Artikel. Da wird die nackte statistische Angabe, dass in manchen deutschen Städten Menschen mit Migrationshintergrund die Mehrheit ausmachen, verkürzt zu der eindeutig falschen Aussage: in Deutschland machen Menschen mit Migrationshintergrund die Mehrheit aus. Und keineR widerspricht. Das kann man dann nicht der Statistik vorwerfen. Das ist einfach blindwütige Wahrnehmungsverzerrung.

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ichfürchteSuchmaschinen
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Fand ich auch sehr interessant. Auf den ersten Blick gefällt mir gefällt die deutsche Version besser, weil einfacher bzw. leicht verständlich. Und irgendwie passender. Würde jemand mit einem ausländischen Elternteil von sich aus sagen, sie /er hätte keinen Migrationshintergrund? (fände ich schade).

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Das ist doch statistisch absurd. Jemanden, der als Bürger des Landes, in dem er als Kind eines Bürgers oder einer Bürgerin geboren wird von einer «Mehrheitsgesellschaft» zu substrahieren. Ich bitte Sie...

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Die Frage ist doch eher, was mit dem Attribut "Migationshintergrund" tranportiert wird.
Binationales Paar / interkulturelle Familie tönt doch schon ganz anders.

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Sehr interessant, die unterschiedlichen Definitionen. War mir so nicht bekannt.
Danke für diese kluge Ameise.

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Genau. Das. War mein erster Gedanke, als ich über die Binswanger-Kolumne auf den NZZ-Artikel gestossen bin. Interessant wäre, wozu diese Statistiken in Deutschland verwendet werden. Als Massstab für die kulturelle Zusammensetzung ("Überfremdung") taugt es ja offensichtlich nicht, wenn die Migration wie eine dominant vererbte Krankheit behandelt wird.

Zumal gemischte Partnerschaften eher auf eine gelungene Integration hinweisen, im Kontrast zu segregierten "Parallelgesellschaften". Ach ja, wenn ich das richtig interpretiere machte 2005 der nach deutscher Definition hinzugerechnete Anteil maximal 21% der Menschen mit Migrationshintergrund aus, also vergleichbar mit der Grössenordnung im Kanton Zürich (10% / (40% + 10%)).

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Danke Michael Rüegg für den interessanten Input, der zu Denken gab! Um aus der Ameise einen Elefanten zu machen, kommen wir zum republikanischen elephant in the room. Oder im Porzellanladen, denn jüngst zwitscherte Trump eine weitere Gedankenlosigkeit, nämlich, dass die weiblichen Mitglieder von The Squad doch schnellstmöglich in ihre Heimatländer zurückkehren sollen. Gemeint waren:

Die Vorfahren der in New York geborenen Ocasio-Cortez stammen aus dem US-Übersee-Territorium Puerto Rico. Tlaib, die in Detroit geboren wurde, hat palästinensische Wurzeln. Omar floh als Kind aus Somalia und kam als Flüchtling in die USA. Sie ist die erste schwarze Muslimin im Kongress. Die Afroamerikanerin Pressley wurde in Cincinnati geboren.

Eine Aussage, die in dem Einwanderungsland, das aus diesem Grund in der Verfassung das Ius solis („Recht des Bodens“) oder Geburtsortsprinzip verwendet, schlichter Unsinn ist. Und wo auch ein Begriff wie „Amerikaner*in mit Migrationshintergrund“ eigentlich wenig Sinn macht.

In der Schweiz wie auch in Deutschland gilt hingegen in erster Linie das Ius sanguinis („Recht des Blutes“) oder Abstammungsprinzip. Es kommt also nicht so sehr darauf an, wo man geboren worden ist, sondern durch wen. Dies kommt auch beim Begriff „Migrationshintergrund“ zur Geltung:

Eine Person hat laut dem Statistischen Bundesamt dann einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren ist.

Wer als Schweizerin mit mindestens einem Schweizer Elternteil geboren ist, hat hierzulande keinen Migrationshintergrund.

Die Schweiz scheint hier also für einmal weniger restriktiv zu sein. Interessant ist aber die vom BfS angegebene Kriterien-Kaskade:

  1. Personen ausländischer Staats­angehörigkeit

  2. eingebürgerte Schweizerinnen und Schweizer: 1. Generation

  3. die gebürtigen Schweizerinnen und Schweizer mit Eltern, die beide im Ausland geboren wurden (aber bereits vor(?) der Geburt der Kinder eingebürgert worden sind): 2. Generation oder „Second@s“

  4. Ausnahme: In der Schweiz Geborene mit Eltern, die beide in der Schweiz geboren wurden (ob bereits eingebürgert oder nicht?): 3. Generation und folgende

Was hat es mit der Ausnahmeklausel auf sich? Haben in der Schweiz Geborene mit Eltern, die beide in der Schweiz geboren wurden, die aber nicht eingebürgert worden sind, einen Migrationshintergrund, da hier Kriterium 1 greift? Oder gilt für die 3. Generation, auch wenn sie nicht eingebürgert worden sind, das Ius solis?

Auf der Website des BfS steht, dass die Kriterien auf den „internationalen Empfehlungen der UNO“ basieren und eine „Kombination der persönlichen Merkmale ‚Geburtsland‘, ‚Staatsangehörigkeit bei Geburt‘ und ‚aktuelle Staatsangehörigkeit‘ sowie des Merkmals ‚Geburtsland‘ beider Elternteile“ darstellen. Es werden sogar wie in den USA Begriffe wie native born und foreign born verwendet.

Oft gibt es auch gesetzlich eine Kombination der Prinzipien, wobei eines das vorherrschende ist. Doch Ergänzungen, Erleichterungen oder Restriktionen sind stets politische und meist kontroverse Entscheidungen. Während etwa 2017 die Einbürgerung der in der Schweiz geborenen Enkel eingewanderter Ausländer erleichtert worden ist, ist seit dem 1. Januar 2018 das 2014 verordnete revidierte, jedoch restriktivere Bürgerrechtsgesetz in Kraft. In Deutschland gibt es mit dem „Optionsmodell“ ein ergänzendes Ius soli für die zweite Einwanderergeneration. Und in den USA kommt bei im Ausland geborenen Personen, die zum Zeitpunkt der Nationalitätsprüfung noch minderjährig sind, das Ius sanguinis zum Tragen.

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4/ Biologisieren und historisieren wir aber radikal wissenschaftlich, dann sind wir Menschen qua Spezies Homo sapiens alle gleich. Denn wir stammen alle nicht nur von denselben ab und haben somit dasselbe Blut (oder dieselben Gene), sondern kommen ursprünglich aus demselben Ort und haben somit Wurzeln in demselben Boden (oder derselben „Erde“).

Doch Menschheitsgeschichte war und ist immer Migrationsgeschichte. Wenn wir aber alle als Menschen einen Migrationshintergrund haben, dann kann man genau so gut sagen, dass niemand einen hat. Denn jede Eingrenzung ist - ohne ideologische Ausblendung - letztlich arbiträr und kontingent, also sozial konstruiert und nicht notwendig (wer etwa sollen die „Ur-Schweizer“ der „Confoederatio Helvetica“ sein? Die Helvetier oder die Nachkommen der Allemannen, die die Helvetier verdrängten?).

Wir könnten aber auch alle auf die unterschiedlichen Wurzeln identitätspolitisch und biographisch stolz sein, ohne aber diese als Grund für sozialpolitisch und zwischenmenschlich unterschiedlicher Behandlung zu machen.

Doch weil diese Anthropologie in kosmopolitischer Hinsicht für manche zu grossherzig erscheint, macht es, so lange es die real-existierenden Generationenverbünde mit ihren politischen Systemen gibt, Sinn, solche Kategorien zu verwenden, aber auch einen „Naturalisierungs“-Prozess, durch den Menschen zu Bürger*innen „ohne Migrationshintergrund“ werden.

Ohne wenn und aber.

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3/ Doch auch in den USA, als das Einwanderungsland, spielen trotz oder gerade wegen dem Ius solis aus dem Ius sanguinis abgeleitete Begriffe wie race und ethnicity eine grosse Rolle im Gesellschaftsdiskurs, was sich auch in den offiziellen soziologischen Institutionen wie dem US Census niederschlägt.

So zählen als racial majority die White Americans während es diverse racial und ethnic minorities gibt.

African Americans are the largest racial minority, comprising an estimated 12.7% of the population. Hispanic and Latino Americans are the largest ethnic minority, comprising an estimated 17.8% of the population. The White, non-Hispanic or Latino population make up 61.3% of the nation's total, with the total White population (including White Hispanics and Latinos) being 76.9%.

Also auch die Kategorie White Americans (oder das obsolete Caucasian) ist komplex und wird differenziert in Hispanic or Latino Whites und Non-Hispanic or -Latino Whites, welche alle mit Wurzeln aus Europa, Mittleren Osten und Nord-Afrika beinhaltet (im Grunde also post-kolumbische und damit kolonialistische Begriffe).

Diese Typologisierung ist also eine eigene Wissenschaft. Oder vielmehr eine Kunst, denn die Differenzen und Identitäten sind in ihrer Arbitrarität auch künstlich und kontingent, aber durch Essentialisierung wieder notwendig gemacht werden.

So wird im Gegensatz zum US census von manchen White people nur für White Americans mit exklusiv europäischer Abstammung verwendet. Also für die White, non-Hispanic or Latino population, die mit 61.3% die racial and ethnic majority ausmachen. Eine Mehrheit und eine durch diese gestaltete Gesellschaft, die ewig bestehen soll.

Auf diese Exklusivität beziehen sich jene der „Mehrheitsgesellschaft“ die eine White Supremacy und die z. T. fragwürdige anthropologisch-soziologische Kategorien in noch fragwürdigerer Weise in Form von racism verwenden. Und somit das Ius sanguinis in absurder Weise als Voraussetzung des Ius solis machen.

Also Blut vor Boden. Das heisst, nur jene mit dem Blut haben Anrecht auf den Boden, da Blut und Boden zusammengehören. Somit geht es - aggressiv und/oder defensiv - den White Suprematists darum, das reine Blut zu erhalten und den eigenen Boden zu behalten.

Was aber nur funktioniert, wenn man die prä-kolumbische und -kolonialistische Geschichte ideologisch ausblendet.

Blendet man diese wieder ein, müsste man nach ihren eigenen Kriterien nicht nur Donald J. Trump, sondern auch alle White Supremacists zurück nach Hause, also Europa schicken. Denn sein Vater Fred C. Trump wurde - wie AOC! - in der Bronx geboren und seine Mutter Mary Anne MacLeod kam aus ärmlichen Verhältnissen aus Schottland (die also mit DJT’s Haltung zur sog. „Armutsmigration“ gar nie in die USA hätte kommen dürfen). Seine Grosseltern väterlicherseits kamen aus Kallstadt in der Pfalz. Und Melania Trump und auch deren gemeinsamer Sohn Barron müssten zurück nach Slowenien (oder ebenfalls nach Deutschland).

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2/ Die Kriterien für die Staatsangehörigkeit und „Migrationshintergrund“ sind also nicht kongruent. Dennoch gibt es zwischen dem Ius sanguinis und der „Schweizer*in ohne Migrationshintergrund“ einen prozessualen bio-politischen Zusammenhang. Denn die entscheidende Frage ist: Ab wann gilt ein Mensch als einer „ohne Migrationshintergrund“ und ist damit nach dem „Recht des Blutes“ Schweizer*in per Abstammung?

Laut den offiziellen Kriterien offenbar ab der 3. Generation. Was auch mit der Pflanzenmetapher Sinn macht: Die 1. Generation mit Wurzeln im Ausland entwurzelten sich und verpflanzten sich auf neuem Boden und pflanzten darin - ob als Samen oder Setzling - einen neuen Baum, so dass die 2. Generation auf diesem Boden die Stammhalterin für die künftige Abstammungslinie gründet.

Doch nach manchen der „Mehrheitsgesellschaft“ soll dieser Prozess länger dauern, selbst nach „Secondos“ wie Toni Bortoluzzi, für den aber der Prozess offenbar schneller vonstatten gehen durfte. Ja, durch Essentialisierung in Form des Biologismus, Rassismus und Kulturalismus soll er sogar nie abgeschlossen sein.

Der „Migrationshintergrund“ tritt also nie soweit in den Hintergrund, bis er letztlich verschwindet, sondern bleibt immer ein „Migrationsvordergrund“.

Das Ius sanguinis und Abstammungsprinzip wird von manchen im Alltag des sog. Common Sense oder des sog. „Gesunden Menschenverstandes“ aus dem juristisch-rechtsstaatlichen Kontext gerissen (der jedoch zuvor im Alltag überkommene Normen kodifizierte) und in einen biopolitisch-nationalistischen gestellt. Nach ihnen geht es handfest um essentielle und damit ewige Eigenschaften:

  • Blut, Genetik, Aussehen

  • Religion, Sprache, Kultur

  • Boden, Eigentum, Arbeit

Doch ein solches Streben nach biologistischer Homogenität und Exklusivität entspricht gerade nicht der „Willensnation Schweiz“ nach dem Sonderbunds­krieg.

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Ich wohne in einer schweizer Mittelland Stadt mit einer Fluktuationsrate von 10% pro Jahr. Keine Ahnung wie viele ohne Migrationshintergrund (innerhalb der Systemgrenze Schweiz) hier überhaupt noch leben. Wenn die Definition gelten würde, dass beide Elternteile hier geboren sein müssen, dürfte es eine kleine Minderheit sein. Na und? Es braucht Bewohner, welche an einem sozialen Zusammenleben interessiert sind und sich daran aktiv beteiligen. Wenn, müssten solche Statistiken nachdenklich stimmen. Ich kenne keine Zahlen, aber das Desinteresse in der Bevölkerung dürfte leider vermutlich gross sein.

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Vordergründig wäre der Konstanzer in Kreuzlingen ein Migrant und der Romand in Zürich nicht.
Hintergründig war ich als Zürcher in der Hasliberger Feuerwehr war ich sicher alles andere als ein Hasliberger, sondern eher ein unnützer Migrant. Anders war es in der Hasliberger Blasmusik.
Irgendwie absurd und interessant zugleich.

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In Luzern sprach Stadtrat Meier von Migrationshintergrund bei den Armengenössigen aus dem Entlebuch, die vor den Toren der Stadt bleiben mussten. (Er ist Sozialhistoriker und macht Stadtführungen im Untergrundquartier). Mein Vater aus Luzern (resp. NW) ist in Zürich eingewandert und meine Mutter stammt aus Hamburg. Ich gebe zu, dass ich ein bischen stolz bin auf meinen Migrationshintergrund, den ich beim Aufwachsen im Kanton ZH durchaus spürte. Was mir weniger gefällt, ist die Verwendung von "Teutsch" weil es mich an den spöttischen Gebrauch von "les Totos" durch die Romands erinnert, die damit uns Deutschschweizer als Teutonen outen (und dabei wahrscheinlich nur die Männer meinen, deshalb kein Binnen-I).

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