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Wie viele kognitive Dissonanzen muss man aushalten, wenn man sich als Mitglied der CDU aktiv für das Thema Einsamkeit einsetzt? Es ist exakt wie bei der britischen Regierung: Zuerst die Chancengerechtigkeit mit einem strammen neoliberalen Kurs volle Kanne gegen die Wand fahren und dann ein Ministerium für Einsamkeit einsetzen, um die Folgen dieser Politik wenigstens mit ein paar Pflästerli zu korrigieren. - Es ist ein Lehrstück für den Umgang mit den aktuellen und kommenden Umweltproblemen.

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An vielem interessiert
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Das Interview hat mich dazu animiert, das Buch zu kaufen. Ich freu mich auf die Wochenendlektüre «Die neue Einsamkeit».

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Herzlichen Dank Ihnen allen für die Rückmeldungen!

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Wow was für ein beeindruckendes Interview mit dieser blitzgescheiten Frau!! Danke für diesen tollen Beitrag

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Johanna Wunderle
Muttersprache NL
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Viele Jungen leiden emotional. Da es für sie keinen ersichtlichen Grund gibt - u.A weil es scheinbar an nichts fehlt - suchen sie Sinn, dort wo nichts wirklich Sinnvolles zu finden ist. Wie Diana Kinnert das treffend ausdrückt, fehlt die Verbundenheit zu sich selber und zu den anderen. Sie sind mitten im Trubel einsam. Dies ist für den meisten unter ihnen nicht wahrnehmbar.
Und die gleiche Tragik gilt für viele Erwachsenen ebenfalls. Das wird dann von demagogischen Politikern aller Richtungen missbraucht.
Herr K. das ist meine persönliche Sicht und ergibt möglicherweise keine Antwort auf Ihre Frage. Herzlich, JW

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«Den Jungen ist gar nicht bewusst, wie schlecht es ihnen geht»
Das ist ein Paradoxon. Oder fehlt mir die Empathie zu diesem Thema?

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"Das Alternativ­modell zu einem sehr sozial­demokratischen Stil ist es, über die Tarif­autonomie zu gehen, über Arbeit­nehmer und Arbeit­geber – dort werden dann Tariflöhne und Bedingungen ausgehandelt." Wenn ich Sie recht verstehe, sind wir wieder im Markt, Sie meinen die SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT. Aber auch da wird Handel getrieben, werden Verhältnisse (materielle, Arbeitszeiten, Früchte im Korb, etc.) ausgehandelt. Austausch, materielle Zielsetzung (sich auf dem Markt behaupten: das Unternehmen zuerst, dann aber auch der Arbeitsplatz, Kettenreaktion: Leistung, Einsamkeit).
Wo beruht das Leben auf Leistung, Handel, monetarisierten Austausch? Ein Tier atmet, z.B. eine Maus: was zahlt sie dafür? Eine Pflanze braucht Licht, um zu gedeihen und zu blühen: das kostet sie wieviel? Die Elefantenfamilie bekommt Nachwuchs: wem zahlt sie wieviel und wo handelte sie den Preis aus?
Vor Jahren wandte sich der Papst an die Jungen Katholiken an ihrem europäischen Treffen und sagte ihnen einfach: "Le pape vous aime!" Gegenleistung, Handel, Aushandeln? Wann sagte je ein Milliardär und glaubhaft: "Je vous aime" im ur-menschlichen Sinn, wie ich es jedem Kind wünsche als tiefstes menschliches Erleben von Seiten seiner Eltern: bedingungslos! ohne Gegenleistung, was die Biologie seit Milliarden von Jahren macht.
Weil ich kein Anhänger des Papstes bin, zitiere ich Diogenes: Am hellichten Tag ging er in Athen auf den Markt mit einer angezündeten Laterne in der Hand, die er den Städtern ins Gesicht hielt. Auf die Frage, was er suche, erhielten sie die Antwort: "Menschen". Im Markt und in der Geldwirtschaft gibt es keine Menschen: dort werden sie zu Verkäufern und Käufern, zu Händlern und zu Klienten, zu Produzenten und zu Konsumenten, usw. Grössere Einsamkeit gibt's nicht im 21.Jh. als auf dem Markt.
Das steht im Menschenrecht MR: es ist UNVERÄUSSERLICH: da gibt's nichts auszuhandeln und zu vermarkten, das MR behandelt das Wesentliche, eben was man nicht kaufen kann, was man nur als biologisches Wesen leben kann.
I

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Die Erde entrichtet der Sonne auch keine Verkehrsabgabe, weil sie auf derer Umlaufbahn ihre Runden dreht... ich verstehe Ihr Argument aber der Vergleich von Pflanzen oder Tieren mit dem Menschen kann man so nicht machen. Der Mensch und die Gesellschaft ist einiges komplexer. Das hat auch viel mit dem Sicherheitsdrang der Menschen zu tun. Als Arzt wissen Sie sicherlich, wie weit ein Mensch geht um sich oder seine Liebsten zu schützen/retten...

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"Mensch und Gesellschaft sind um einiges komplexer" scheint vordergründig, aus unserer Sicht, einleuchtend. Allgemeinärzte haben als Gegenüber Menschen, denen als Neugeborene und Demente, beiderlei Geschlechts, Zellen, Organe, deren Zusammenspiel den ganzen Organismus ausmachen. Dies bleibt die Basis und ist die Voraussetzung für das Kilogramm Hirn, das wir so wichtig nehmen, um uns selber als Krönung der Schöpfung zu deklarieren, die den Auftrag hat, diese im Namen Gottes zu beherrschen (Moses I.26-28).
Im Innsersten der Zellen teilen wir mit allen Lebewesen die DNA (und Sie wissen, dass es Lebewesen mit viel mehr genetischem Material gibt als der Homo sapiens), aber dazu haben wir nichts zu sagen: unveräusserlich, für immer vom Markt und Handel ausgeschlossen. Die Ahnengalerie unserer Zellen ist 4 Milliarden Jahre alt, also ist dieses System (DNA, Zellen, Austausch ohne Markt) eher stabil, wenn ich das vergleiche mit den hoch-komplexen Systemen in den menschlichen Gesellschaften und ihrer Kurzlebigkeit: Nomaden: Hunderttausende von Jahren, Ägypten: 3'000; Rom 1'000; USA 250 Jahre, aber in Krise, Ausgang unsicher wegen des Menschenwahns, man könne auf einer Erde so leben, als wären es deren drei; verglichen damit sind Bakterien stabiler.
Wir erleben, was Midas uns vormachte: Gold scheffeln bis zum geht nicht mehr, und als er essen und trinken wollte, verwandelte sich das Trink- und Essbare auch in Gold: tote Materie. Er schrie, nehmt mir meine Gabe, zum Fluch geworden, wieder weg. Wie wir komplexe Menschenwesen das schaffen, weiss ich nicht. Denn Nikotinabhängige z.B. machen uns rund um den Globus millionenfach vor, wie schwierig das ist: sehr viele rauchen bis zu ihrem im Durchschnitt 10 Jahre vorzeitigem Tod, weil komplexe Hirnschaltungen einfachere Zellstrukturen willkürlich tödlich schädigen.
Ich hoffe, ich habe Sie zu Überlegungen angeregt, unsere biologische Grundlage zu bedenken.

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Anna Miller
Journalistin
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grossartige Aussagen, grossartige Frau.

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Mit-Verlegerin und begeisterte Leserin
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Vielen Dank für dieses Gespräch mit Frau Kinnert ! Dieses hebt sich sehr wohltuend ab von den üblichen Expert*inneninterviews ab, die mich jeweils persönlich kaum berühren.

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Theologe
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Wie Frau Kinnert denke auch ich, dass die angesprochenen Problemfelder weniger durch Gesetze „von oben“ ausserhalb der Prozesse sondern vielmehr durch Partizipation „auf Augenhöhe“ innerhalb der Prozesse verändert werden können. Modelle dafür finde ich bei Frederic Laloux (evolutionär-integrales Modell) oder C. Otto Scharmer (Kokreativität). Solche Modelle gedeihen aber nur auf Vertrauensbasis, was an sich wiederum ein guter Anker gegen überbordende Einsamkeit wäre.

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Die ökonomische Unsicherheit, der vor allem die junge Generation ausgesetzt ist, führt dazu, dass wir uns Intimität nicht mehr trauen und nicht in etwas investieren, wenn wir das Gefühl haben: Erstens setzt es mich meiner eigenen Gefühls­welt aus, und ich zeige eine Verletzlichkeit, die mich bei einem Rückschlag um Jahre zurückwirft. Zweitens: Warum sollte ich mich entscheiden, wenn ich lerne, dass die anderen sich auch nicht entscheiden? Diese ökonomische Durch­dringung sorgt dafür, dass wir unfähig sind zur Intimität.

Dazu passt hervorragend Brene Browns TED Vortrag von 2011, dem ich letzte Woche über den Weg gelaufen bin. Sehr inspirierend!

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Es ist hundertmal salon-fähiger zu sagen: «Ich bin pleite, aber ich bin cool und ein Rockstar», als zu sagen: «Ich habe Geld, aber keiner will mit mir spielen.»

Und die Gründer und CEOs sagen: Ich stelle euch Obst und ’nen Kicker ins Büro, deswegen könnt ihr mich duzen und wir haben gar keine ökonomische Abhängigkeit. Das, was nötig wäre, nämlich dass Arbeit¬nehmer und Arbeit¬geber in einem fairen Prozess Dinge aushandeln, wird also versteckt.

Für solche Texte bezahle ich gern mein Abo. Ein Genuss, dieses Interview. Das hat Stil, das ist klug, stimmt auf eine gute Art nachdenklich.

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«Ich bin pleite, aber ich bin cool und ein Rockstar»

Erinnert mich an Klaus Wowereits Bonmot, Berlin sei „arm aber sexy“.

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Johanna Wunderle
Muttersprache NL
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„Was Menschen krank macht ist Unverbundenheit“ zitiert Diana Kinnert. Dann schreibt sie:“ In meinem Buch untersuche ich die Unverbundenheit zu anderen Menschen.“ Und dann später im Text: „ Diese Unverbundenheit zu einem selbst ist eine der grössten Ursachen dafür, warum wir uns einsam fühlen.“
In einer Gesellschaft die durchdrungen ist von Attraktivität, Attraktion, Begehrlichkeit, Jugendlichkeit, muss es sehr schwer sein, Verbundenheit zu entwickeln. Und ob das möglich ist durch politische Massnahmen?
Wichtig ist sicher, dass Einsamkeit zum Thema geworden ist. Und dass das Bewusstsein für die emotionalen Schwierigkeiten der jungen Menschen wachst.
Vielen Dank für dieses Interview Daniel Graf. Es ist eine Meisterleistung.
Danke für die schöne Porträts Herr Rieger!

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Vielen herzlichen Dank, liebe Frau Wunderle!

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(durch User zurückgezogen)
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Brot
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Fand ich irgendwie komisch: Zuerst preist Frau Kinnert den Wert von Verbindlichkeit und dann meint sie zu ihrem Politengagement "Meine Laune ist einfach gerade woanders.".

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Multifunktional
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Das Interview konnte ich leider noch nicht lesen, bin ich doch gleich zu Beginn über das doppelte „ist“ (ist gar nicht bewusst ist) im Titel gestolpert und muss nun zuerst den verstauchten Fuss wieder gesunden lassen ;-)

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Katrin Moser
Textproduktion
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Liebe Frau W., wir haben das überflüssige «ist» entfernt. Und hoffen, dass Sie den Text jetzt lesen können. Gute Besserung und viel Vergnügen mit der Lektüre!

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Spannendes Interview. Mich hätte noch interessiert, ob und wie Diana Kinnert als Unternehmerin das praktisch umsetzt, was sie theoretisch als sozial und sozialpolitisch wünschenswert beschreibt.

Kinnert plädiert für soziale Marktwirtschaft und Tarifautonomie. Meiner Auffassung nach war in Deutschland das Ende des Ostens auch der Anfang vom Ende der sozialen Marktwirtschaft im Westen: Nach dem Wegfall der sozialen Alternative konnten die Gewerkschaften in Tarifverhandlungen nicht einmal mehr mit dem großen bösen Bruder drohen. Das Kräfteverhältnis ist seitdem noch deutlicher auf Seiten der Arbeitgeber.

Den heimeligen Blick auf Familienunternehmen finde ich sozialromantisch. "Ich glaube, auch Arbeit­geber sind bereit, bessere Löhne zu zahlen, bessere Bedingungen zu schaffen, wenn sie ihren Arbeit­nehmern vertrauen und wissen, diese stehen am loyalsten unserem Gesamt­projekt gegenüber", das klingt nach Paternalismus und nach einem "Wir wissen schon, was für euch gut ist". Und "am loyalsten" habe ich nicht verstanden – im Vergleich zu wem?

Aus meiner Sicht schwächen sich Gewerkschaften übrigens zusätzlich selbst, wenn sie sich auch in identitätspolitischen Themen tummeln. Damit tragen sie zu einer Fragmentierung bei, weil Gruppeninteressen immer kleinteiliger werden.

Dass ein Interview zur Einsamkeit ohne Erwähnung der Sozialen/Unsozialen Medien auskommt, hat mich erstaunt. Zu banal? Das Haschen nach Likes steht ja auch für den Wunsch nach Gemeinschaft, nach Bestätigung und (wenn auch fragilem und allenfalls oberflächlich zustande kommendem) sozialem Kontakt.

Ah, nach diesem Schluss werden Sie jetzt doch wohl nicht etwa meinen Kommentar heruntervoten? Schämen Sie sich denn gar nicht? ;)

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Besten Dank, lieber Herr K.! Das sind sehr interessante Perspektiven, insbesondere Ihr Verweis auf die 90er Jahre und den Paradigmenwechsel, der sich damals vollzog, vor allem auch durch die Aushöhlung der Sozialdemokratie à la Schröder-Blair. Ein interessanter Autor in diesem Zusammenhang ist sicher Francis Fukuyama, weil er gegenüber seinen damaligen Thesen zuletzt eine deutliche Korrektur vorgenommen hat. Vielleicht interessiert Sie dieses Interview zum Thema. Wo ich Ihnen nicht zustimmen würde, ist die aus meiner Sicht falsche Frontstellung von Identitätspolitik und Arbeit(nehm)errechten. Schon deshalb, weil die klassische «Arbeiterpolitik» immer auch Identitätspolitik war. Vor allem aber, weil darin die Gefahr liegt, dass verschiedene berechtigte Interessen gegeneinander ausgespielt werden – was am Ende nur der Affirmation der bestehenden Verhältnisse dient. Aber dieses Thema ist natürlich ein weites Feld ...

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Ja, vielen Dank, lieber Herr Graf, auch für den Hinweis auf dieses mir bis dato entgangene Interview mit dem Ende-der-Geschichte-Autor.

Die Arbeiterpolitik war natürlich Identitätspolitik. Aber damals für eine als weitgehend einheitlich empfundene Arbeiterklasse. Während die neueren identitätspolitischen Bestrebungen von links auf zahlreiche Kleingruppen abzielen. Und je kleiner die Gruppe, desto unversöhnlicher oft die Diskussion. Die ja selten eine Diskussion ist, sondern eher dazu dient, die eigene moralische Überlegenheit herauszustellen. Die amerikanische Politikwissenschaftlerin Sheri Berman hat das im IPG-Journal recht schlüssig dargestellt als ein Wir gegen die. Es gehe nicht mehr wie früher um Verteilungsfragen, bei denen man Kompromisse gefunden habe, sondern um das Beharren auf Moral, was Kompromisse ausschließe und zu Unversöhnlichkeit führe.

Oder wie eine andere Autorin im selben Journal Quoten charakterisiert: als "sich immer weiter auffächernde Spaltung der Gesellschaft in Merkmalsträger, die zu einem Konkurrenzkampf um staatliche Privilegierungsmöglichkeiten animiert werden."

Wie vergiftet die Diskussion ist, zeigt das Beispiel von Götz Aly, der in der Berliner Zeitung seine Bedenken formuliert hat gegen einen Vorstoß der Grünen und der FDP, in einem neuen Transsexuellengesetz 14-jährigen geschlechtsverändernde hormonelle und operative Eingriffe zu ermöglichen. Sowie seine Skepsis gegenber dem "Recht eines jeden, sein Geschlecht, seine Diversität und seinen Namen einmal im Jahr durch eine einfache Erklärung zu ändern": Schmeißt endlich Aly raus

Irgendwo anders habe ich gelesen: Früher hätten noch die Mächtigen für "Teile und herrsche" sorgen müssen. Heute würden die Beherrschten das sich Teilen schon von selbst unternehmen.

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PS Grad fällt mir ein: Ich habe hier Max Krause porträtiert, einen Familienunternehmer aus der Kaiserzeit. Er hat es vom Waisenhauszögling zum Gründer einer ganzen Branche geschafft ("Schreibste mir, schreibste ihr, schreibste auf MK-Papier."). Und war sozial sehr engagiert.

Wie passt das zum Interview? Mit den sozialen Verhältnissen Unzufriedene hat er gemahnt: "Deine Seele ist kleinlich und du musst dich ändern (...)"

Dieses 110 Jahre alte Mantra passt verblüffend zu den aktuell allgegenwärtigen Aufforderungen zur Selbstoptimierung. In deren Folge Arbeitnehmer oder sich selbst ausbeutende Kleinselbständige nicht der Gesellschaft, sondern nur sich selbst die Schuld geben, wenn sie als Schmiede des eigenen Glücks sich ständig auf den Daumen hauen: halt zu ungeschickt, zu wenig engagiert, zu wenig angestrengt. Und der Uber-Fahrer nimmt doch noch ein paar Kunden an und hofft auf Likes, dann wird das schon ...

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Vielen Dank für dieses Interview zu einem Thema, das so eminent wichtig ist, wie es tabuisiert wird (und kürzlich im sehenswerten SRF-DOK «Tabu Einsamkeit – Geschichten über das Alleinsein» thematisiert worden ist). Ein interessantes Interview mit einer spannenden Persönlichkeit – gerade weil sie so widersprüchlich erscheint.

Einerseits ist da ihre Identität als «Konservative» (CDU-Politikerin) mit ihren Werten und Wünschen, aber auch Glaubenssätzen. Und andererseits ihre Identität als «Wissenschaftlerin» (Labour-Beraterin) mit ihren Analysen und ihrer Kritik. Dies ergibt zusammen dann eine kapitalismuskritische Diagnose mit einer konservativen Therapie, die merkwürdig anachronistisch erscheint (Neue Zünfte usw.). Womöglich könnte man dies mit Sloterdijk als «Links-Konservativismus» bezeichnen, der sich zeitlich auf die 50er/60er, der Blütezeit der sozialen Marktwirtschaft bezieht mit ihrem Ideal von Betriebsräten und einvernehmlicher «Sozialpartnerschaft».

Das Thema von Kapitalismus und mentaler Gesundheit ist ja eigentlich so alt wie der Kapitalismus selbst. So sprach ja bereits Marx (mit Hegel) von «Entfremdung». Verstärkt wurde diese durch den wettbewerbsorientierten und atomisierenden Neoliberalismus: «There is no such thing as society» (Thatcher). Worauf nicht zuletzt in UK ein kritischer Diskurs folgte: Liquid Modernity (Bauman), Der flexible Mensch (Sennett), Mark Fishers Analysen oder jene von George Monbiot. Aber auch in Deutschland rund um Hartz IV und die sprichwörtlich gewordene «Ich-AG».

Daher ist eine Institutionalisierung und Anerkennung dieser Erkenntnisse in Form eines Ministeriums und von policies sicherlich überaus begrüssenswert. Politisch und ökonomisch ist aber interessant, wie Diana Kinnert zwischen den Interessen von Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen laviert:

Ich glaube, auch Arbeit­geber sind bereit, bessere Löhne zu zahlen, bessere Bedingungen zu schaffen, wenn sie ihren Arbeit­nehmern vertrauen und wissen, diese stehen am loyalsten unserem Gesamt­projekt gegenüber.

Meine Sympathie gilt den Familien­unternehmen [...].

Ich habe eine Sympathie gegenüber Arbeit­gebern [...].

Einerseits erscheint der Glaube an die Güte der Arbeitgeber*innen etwas naiv (oder mit Blick auf die Familienunternehmen anachronistisch), andererseits aber hat sie die wirklichkeitsadäquaten kritischen Analysen vor Augen. Gerade was die Jüngeren (aber auch die Älteren, die ja in derselben Welt leben) betrifft:

Die ökonomischen Strukturen, die die junge Generation betreffen, sind so sehr auf Disruption, Unverlässlichkeit, Veränderung, Flexibilität und Anpassung gepolt, dass das genau die Tugenden sind, die wir dann in unser Kultur­leben übersetzen. Ich bin dann oberflächlich und flüchtig.

Aber wir erleben heute einen neuen Kapitalismus mit diesen ganzen Start-ups, die mit Betriebs­räten nichts zu tun haben wollen. Und wo verschleiert wird, was zu Marx’ Zeiten galt, aber heute immer noch gültig ist, nämlich dass es ökonomische Abhängigkeit gibt. Erst wenn die erkannt und adressiert wird, wenn es unter Arbeit­nehmern tatsächlich Widerstand gibt, kann sich das ändern

Ihre Lösung erscheint daher ebenfalls widersprüchlich (und etwas aus der Zeit gefallen?). Einerseits bottom-up durch den Widerstand der Arbeitnehmer*innen, was aber unwahrscheinlich sei, andererseits top-down durch die Güte der Arbeitgeber*innen, was aber im gegebenen Marktumfeld nicht opportun wirkt:

Ein sozialer Aufstand, den ich mir als konservativer Mensch natürlich über Partizipations­modelle in der Wirtschaft wünsche, ist sehr unwahrscheinlich geworden.

Deswegen wäre mein langfristiger Wunsch, dass es wieder neu solche Partizipations­modelle innerhalb der Unter­nehmerschaft gibt.

Für mich als konservativen Menschen ist aber das Entscheidende: Ich will auf Stabilitäts­anker und auf vertrauens­volle Prozesse setzen. [...] Solche Sachen müssen zwischen Arbeit­nehmern und Arbeit­gebern in neuen Zünften, in neuen Betriebs­räten, in neuen Gewerkschaften ausgehandelt werden.

Im Grunde also könnte sie sich auch eine breite Genossenschaftsbewegung wünschen.

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Mir erschien Kinnerts Konservatismus eher kirchlich geprägt, also linkskatholisch christsozial.

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Lieber Michel, vielen Dank. Du benennst gewohnt treffend die einschlägigen kulturhistorischen Referenzen, die teilweise auch in Diana Kinnerts Buch diskutiert werden. Neben George Monbiot spielt vor allem Richard Sennetts Klassiker «Der flexible Mensch» darin eine wichtige Rolle.

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Advocatus diaboli
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Zum kritischen Diskurs in Grossbritannien würde ich auch die Strukturationstheorie des Soziologen Anthony Giddens zählen, die er erstmals in seinem 1984 erschienenen Buch The Constitution of Society präsentierte. Giddens hält sowohl die Betonung des Individuums als auch die Betonung der Gesellschaft für einseitig und hält demgegenüber Modelle entgegen, die die Verbindung dieser Pole zu denken versuchen.

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Ein Faktencheck wäre hilfreich (zum Beispiel: 2009 haben 80% der Deutschen angegeben, ihren Arbeitsplatz "nie" oder "1-2" Mal gewechselt zu haben, hat sich das in den letzen Jahren geändert?). Auch die "der Wirtschaft" unterstellten Verhaltensweisen werden sich in ihrer reduzierten Komplexität nicht nachweisen lassen (ich denke das Gegenteil ist der Fall: Als Unternehmen habe ich ein Interesse, meine Mitarbeiter möglichst lange zu beschäftigen).
Schade, dass mit diesen pauschalisierten Aussagen das gerade jetzt drängende eigentliche Thema verblasst.

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Lieber Herr Finger, vielen Dank für Ihren Kommentar, den ich wichtig finde und auch sehr interessant, denn ich hätte Kritik an den Positionen von Diana Kinnert eher aus einer sozialdemokratischen oder kapitalismuskritischen Perspektive erwartet – ähnlich wie Michel Rebosura sie formuliert, wenn er auf unaufgelöste Widersprüche bzw. Spannungsfelder aufmerksam macht. Was man meines Erachtens Diana Kinnert nicht attestieren kann, ist eine pauschale Kritik an der Wirtschaft. Zum einen, weil sie doch recht genau formuliert, welche Entwicklungen sie kritisiert, zum anderen, weil sie auch aus der Position der Unternehmerin (und der Unternehmersympathisantin) heraus spricht.

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Ich muss ehrlich sagen, dass die Frage nach den Fakten der Ausweg ist, um überhaupt einen Ansatz zu finden, um mein Gefühl des Widerspruchs auszudrücken. In der Zwischenzeit fiel mir noch ein, was ich suchte: Ideologiefreiheit. Das Interview lässt sich keiner Idee zuordnen, insofern ist eine Kritik aus einer Ideologischen Perspektive nicht möglich.

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Ich nehme an, Sie beziehen sich auf diese Zahlen? Diese besagen:

  • Niemals: 14%

  • 1-5 mal: 66%

  • 6-10 mal: 7%

  • mehr als 10 mal: 1%

  • niemals gearbeitet: 10%

  • weiss nicht: 2%

Zum Teil aktuellere Zahlen – jene von 2009 sind ja auch schon 12 Jahre alt – hat der Spiegel in «So arbeitet Deutschland. Job fürs Leben oder ständig was Neues?» (2017) besprochen:

Die jüngsten Zahlen stammen aus dem Jahr 2014. Da lag diese Betriebszugehörigkeitsdauer bei 10,9 Jahren. Seit den achtziger Jahren hat sich der Wert sogar leicht erhöht, 1985 betrug er 10,1 Jahre.

Entscheidend für die Betriebszugehörigkeit ist, in welcher Branche man arbeitet.

Also gar keine Beschleunigung? So ist es auch nicht. Für junge Arbeitnehmer dreht sich die Arbeitswelt tatsächlich schneller. In den ersten Jahren des Berufslebens sind die Beschäftigungsverhältnisse kürzer geworden. Betrachtet man jeweils Arbeitnehmer im Alter von 15 bis 30 Jahren, dann blieben sie Mitte der 1970er Jahre durchschnittlich 834 Tage beim selben Betrieb, im Jahr 2009 nur noch 652 Tage - ein Rückgang von 22 Prozent.

Und was die «Generation Praktikum» betrifft, schrieb der Spiegel in «Berufsanfänger. Wer jung ist, wird nur noch befristet angestellt - stimmt das?» (2017):

7,4 Prozent der angestellten Arbeitnehmer waren im Jahr 2014 laut IAB-Analyse befristet beschäftigt. Und: Dieser Anteil ist in den vergangenen Jahren sogar gesunken - 2006 und 2010 lag er noch bei 8,8 bzw. 8,9 Prozent.

Doch auch hier wieder:

Trotzdem scheinen viele das Gefühl zu haben, der Arbeitsmarkt sei gerade für junge Menschen besonders hart. Das könnte daran liegen, dass laut IAB-Bericht bestimmte Bevölkerungsgruppen tatsächlich stärker als andere von Befristungen betroffen sind.

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Genau diese Zahlen meinte ich. Mehr möchte ich dazu gar nicht sagen, Sie haben die Ambivalenz des Interviews in Ihrem Kommentar ja sehr schön herausgearbeitet.

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Danke für das interessante Gespräch!
Danke auch an A. H. und L. H. für die Kommentare, die ich so unterstützen kann!

Meine Gedanken gehen auch ein wenig in die Richtung, dass wir das Thema "ausgelagert" haben zu den entsprechenden Fachpersonen und Institutionen. Angefangen bei der Sozialpädagogin für das unangepasste Kind, über Psychotherapie, Coaching und ähnliches im erwachsenen Alter bis zu den Angeboten speziell für Senioren von pro Senectute und ähnlichen. Wohlgemerkt: All das ist wichtig und sinnvoll und manchmal absolut lebensnotwendig. Aber es kann kein Ersatz sein für die sozialen Verbindlichkeiten und die Verantwortung von jedem von uns für unser Umfeld.
Auch wenn nicht jede einsame Person besonders angenehm oder dankbar für die Zuwendung ist.
Menschen können enorm anstrengend sein. Ich glaube, ein Grund für die verbreitete Einsamkeit liegt darin, dass wir dafür mehrheitlich keine oder zu wenig Geduld aufbringen.

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Vielen Dank, liebe Frau L. Was Sie ansprechen, scheint mir ein wichtiger Punkt: Wenn der Glaube vorherrscht, dass Zeit Geld ist, ist auch Geduld eine knappe Ressource. Soziale Verbindlichkeit scheint aber eben gerade auf Wiederholung, auf wiederholte Aufmerksamkeit, in Kinnerts Worten: auf ein emotionales Investment angewiesen zu sein. Insofern sind die Ursachen auch nie allein bei den Einzelnen zu suchen, sondern bei den Rahmenbedingungen und Zwängen, die sozusagen die Fähigkeit zur Geduld begünstigen oder beeinträchtigen.

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Advocatus diaboli
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· editiert

Neben den von Diana Kinnert aufgezählten Formen der Einsamkeit gibt es eine «wesentliche Einsamkeit» (Maurice Blanchot), die vermutlich jeder menschlichen Existenz eigen ist. Sie wird uns insbesondere durch die Kunst erfahrbar gemacht. Etwa in Wolfgang Hildesheimers wunderbarem Marbot: «Jeder ist mit seiner Wirklichkeit, seinem Glauben und seinem Mythos, seiner Vergangenheit und seiner Gegenwart allein und versucht, obgleich sie nicht mitteilbar sind, sie mitzuteilen, weil er die Widerstände, die Hemmnisse, die Barrieren und die Barrikaden im anderen, der seine eigene Wirklichkeit hat, nicht kennt oder nicht wahrhaben will oder ihrer nicht gewahr wird.» Auf wunderbare Weise schafft es die Kunst im Allgemeinen bzw. die Literatur und die Musik im Besonderen, diese wesentliche Einsamkeit für einen Moment aufzuheben. Genau deshalb ist sie so wichtig für uns.

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Lieber Herr H., besten Dank. Die Verweise auf Blanchot und Hildesheimer freuen mich besonders. Zumal Hildesheimer ein Autor ist, der meiner Wahrnehmung nach heute nur noch wenig gelesen wird – zu unrecht, wie auch Ihr Beitrag zeigt.

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Advocatus diaboli
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Lieber Herr Graf, Ihr Kommentar hat mich sehr gefreut. Für mich gehört Hildesheimer zu den ganz grossen Schriftstellern der deutschen Literatur. Eines meiner Lieblingsbücher von ihm ist das traurige und gleichzeitig urkomische Buch Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge und anderes, über das sich Max Frisch angeblich nicht besonders gefreut haben soll.
Und dann natürlich Tynset. Noch nie bin ich von seiner Reise nach dem utopischen Ziel Tynset enttäuscht worden, bei der ich wirklich von Stern zu Stern fliegen kann, um endlich, das ganze Weltall hinter mir lassend, am er­träumten Ort anzukommen, wo meine Sehn­sucht nach dem Nichts erfüllt wird …, «denn jetzt stosse ich tief in die unendliche Vergangenheit, hier gleichbedeutend mit un­endlicher Zukunft, und immer gezogen von meiner Sehnsucht, nirgends zu sein, dorthin, wo kein Stern, kein Licht mehr sichtbar ist, wo nichts vergessen wird, weil nichts erin­nert wird, wo Nacht ist, wo nichts ist, nichts, Nichts. Dorthin –»

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Tolles Interview zu einem topaktuellen, unterschätzten und sehr wichtigen Thema. Es macht mir Hoffnung zu sehen, dass politische Akteure das Problem erkennen und Lösungen suchen.
Der Impact der "Einsamkeit" wird nach wie vor oft unterschätzt. Jeden von uns kann die Einsamkeit eines Tages treffen - an den Rand der Gesellschaft treiben. Gerade dann sind wir auf tiefe, emotionale und echte Beziehungen zu Freunden und Mitmenschen angewiesen - wir brauchen das, eben besonders dann.
Das "Abschotten" von Betroffenen, das kalte Ausgrenzen aus der Gemeinschaft, nur weil jemand einen gewissen sozialen "Standard" nicht erfüllt, ist ein Armutszeugnis für unsere heutige Lebensweise. Wir erleben es überall. Emotionen und Gefühle zeigen heisst sich Verletzlich zeigen - sich angreifbar machen. Die Bereitschaft sich diesem Risiko auszusetzen, schwindet in der Masse zunehmend. Worauf können wir noch bauen, wenn dieses derart wichtige Fundament, zunehmend verfällt?

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Lieber Herr H., vielen herzlichen Dank! Sie formulieren zentrale Gedanken aus dem Interview noch einmal ganz neu und, wie ich finde, sehr treffend. Merci!

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