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Ich bin eine dieser Staatsanwältinnen und kann vielleicht noch einen anderen Aspekt einbringen: Viele Beschuldigte und dann später Verurteilte sind sehr froh, dass sie durch das Strafbefehlsverfahren praktisch anonym verurteilt werden können. Eine Gerichtsverhandlung ist in der Regel öffentlich und das löst auch Scham aus. Der Strafbefehl ist immer ein Urteilsvorschlag der Staatsanwaltschaft und kann durch Einsprache abgelehnt werden. Dann findet das ordentliche Verfahren statt. Ich finde das ein akzeptables Vorgehen und die Verurteilten sind damit auch zufrieden, sonst wäre die Einsprachequote sicher höher als die momentanen ungefähren 3% (ohne Gewähr). Eine Qualitätskontrolle gibt es bei uns intern, indem jedes Jahr Themengebiete definiert werden (z.B. Tierschutz oder Fahrlässigkeitsdelikte), bei denen die beabsichtigten Strafbefehle vor Erlass der Amtsleitung vorgelegt werden müssen.

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Danke für diese Ergänzungen Frau M. Aber genau die Statistiken fehlen hier: Keine Staatsanwaltschaft konnte mir bisher sagen, gegen wie viele Strafbefehle Einsprachen erhoben wurden, in wie vielen Fällen diese wie geändert wurden und wie viele der Strafbefehle, an denen nach Einsprache festgehalten wurde, von Gerichten korrigiert wurden. Erst diese Statistiken liessen ein Bild der Qualität von Strafbefehlen zu. Zudem lässt der schlechte Zugang zu Strafbefehlen und der fast inexistente zu Einstellungsverfügungen nötige und verfassungsmässig gebotene Justizkontrolle durch Medien kaum zu.

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· editiert

Im Kanton Basel-Landschaft werden diese Zahlen teilweise im Geschäftsbericht der Staatsanwaltschaft Jahr für Jahr publiziert, z.B. 2019:
[link] (https://www.baselland.ch/politik-un…202019.pdf)
Der Bericht führt die Anzahl der erlassenen Strafbefehle sowie die Anzahl derjenigen Strafbefehle auf, die nach Einsprache als Anklage ans Gericht überwiesen wurden. In diesen Fällen gibt es früher oder später eine mindestens medienöffentliche Gerichtsverhandlung, so dass sehr wohl überprüfbar ist, was mit diesen 145 (von 18'544) Strafbefehlen des Jahres 2019 geschieht.
Im Bericht fehlt allerdings tatsächlich die Anzahl sämtlicher Einsprachen gegen Strafbefehle bzw. die Anzahl jener Einsprachen, die am Ende eben nicht vor Gericht landen. Insoweit könnte man aber auch spekulieren, dass in diesen Fällen zumeist eine Lösung im Sinne des Einsprechers gefunden worden sein dürfte. Art. 355 Abs. 3 StPO lässt der Staatsanwaltschaft im Falle einer Einsprache neben der Anklage ans Strafgericht ja nur noch drei Optionen: Festhalten am Strafbefehl, Verfahrenseinstellung oder Erlass eines neuen Strafbefehls. Wenn es also nach dem Festhalten oder Erlass eines neuen Strafbefehls keine neuerliche Einsprache gibt, darf auch angenommen werden, dass die Einsprecherin mit dem Strafbefehl (nun) einverstanden ist.
Nicht zu vergessen gilt es im Übrigen, dass es den allermeisten Straftätern sehr wohl bewusst ist, wenn sie eine Straftat begangen haben (auch wenn sie sie nicht zugeben) und dass sie hierfür bestraft werden. (Und dies gilt bereits im Ordnungsbussenverfahren: Mit genügend Aufmerksamkeit entgeht keiner, wenn sie ein Rotlicht überfährt, im Parkverbot parkiert, mit 40 km/h durch die 30er Zone fährt etc.) Mit einem Strafbefehl von höchstens 6 Monaten Freiheitsstrafe und ohne Gerichtsverhandlung (und allenfalls noch höhere Strafe) dürften manche durchaus auch zufrieden sein.
Von grösstem Interesse wäre somit natürlich nur noch die Frage, wieviele Unschuldige einen Strafbefehl akzeptieren und also keine Einsprache machen und warum sie sie nicht machen. Dies herauszufinden, ist aber leider nicht möglich, weil es in diesen Fällen ja keine gerichtliche Überprüfung des Falls gibt und die Unschuld somit objektiv nicht festgestellt werden kann. Spricht dies nun dafür, alle Strafverfahren vor Gericht zu bringen oder ist dies als Risiko unseres Justizsystems in Kauf zu nehmen, da es sich insoweit ohnehin überwiegend nur um Bagatellfälle handelt?

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Vielen Dank für diesen Artikel. Mich würde noch interessieren, ob der Einspruch eines Angeklagten gegen einen Strafbefehl mit Zusatzkosten verbunden ist, die dieser selbst tragen muss? Ist also der finanzielle Aspekt eine weitere Hürde für einen Einspruch?

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Sollten Sie unterliegen, wird es in der Tat teurer für Sie. Daher lohnt sich ein guter Anwalt.

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jaap achterberg
schauspieler aus holland
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Gut. Informativ. Merci!

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Schliesse mich an.

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Und auch hier wieder keine Qualitaetskontrolle. Ein korrigiertes Urteil beeinflusst nicht alle weiteren Gleichen Faelle.

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Leserin
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Sehr bedenklich, diese Macht der Staatsanwaltschaften. Dieses System sollte revidiert werden.

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ehem. Fachrichter im Nebenamt
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Das System von Staatsanwaltschaft und Gerichte sind ein Problem: fehlende Transparenz, gegenseitige Abhängigkeit, Filz und Klüngelei.
Die Gerichte bestätigen in aller Regel ein Strafbefehl der Staatsanwaltschaften; allenfalls mit kleinen nuancierten Korrekturen. Man will sich unter Juristen-Berufskollegen gegenseitig nicht auf die Füsse treten. Zudem ist ein Strafbefehl ohne Begründung im Prinzip verfassungswidrig und verstösst gegen die Begründungspflicht. Bei Staatsanwaltschaften ist eine Neutralität und Unvoreingenommenheit ohnehin fragwürdig. Sie vertreten per Definition die Interessen des Staates und nicht der Bevölkerung.
Der Rechtstaat Schweiz erodiert von innen heraus.
Ein weiterer rechtstaatlich bedenklicher Aspekt:
Bei Strafdelikten von Staatsbedienstete (auch bei Offizialdelikten, bei denen "von Amtes wegen" eine Untersuchung zwingend ist) braucht es in einigen Kantonen ein "Ermächtigungsverfahren". Dies dient gemäss Bundesgericht dazu, die Staatsbediensteten vor einer Strafverfolgung zu schützen. Die Staatsanwaltschaften unterstehen der Aufsicht durch die Gerichte (ZH: Obergericht). Die Staatsanwaltschaften müssen in einem Ermächtigungsverfahren die Ermächtigungsbehörde (ZH: Obergericht) um Erlaubnis bitten, um überhaupt ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommen zu dürfen und eine Untersuchung der Straftaten an die Hand nehmen zu können. Die Ermächtigungsbehörde (ZH: Obergericht) entscheidet nur aufgrund (einer gar noch nicht vorliegenden) Untersuchung. Ein Sympathie- / Antipathie-Entscheid. Die Erfahrungen zeigen, dass eine Untersuchung von Straftaten von Staatsbediensteten, z.B. Polizisten, Amtsjuristen, Steuerbeamten etc. in aller Regel bereits in diesem Stadium abgeblockt wird. Kommt es ausnahmsweise trotzdem zu einer Strafuntersuchung, so erfolgt dies meist nur auf öffentlichen Druck durch die Medien. Irgendwann wird dann aber auch diese Strafuntersuchung durch die Staatsanwaltschaft eingestellt, wenn in der heutigen schnelllebigen Zeit "Gras darüber gewachsen ist" (ein nicht begründeter "Einstellungsentcheid").
Kommt es seltenerweise nach einem "Ermächtigungsverfahren" irgendwann einmal zu einer Anklage, wechselt nun die Staatsanwaltschaft von einer angeblich neutralen untersuchenden Instanz die Seite und wird nun einseitig Parteienvertreter der anklagenden Seite (Staat). Die ermächtigungserteilende Instanz ist aber zugleich auch Aufsichtsinstanz (ZH: Obergericht). Damit sollte nun das Gericht (Aufsichtsinstanz) ihre zu beaufsichtigenden Schützlinge (Staatsanwaltschaften) nun plötzlich unvoreingenommen und vorurteilslos als Verfahrenspartei in einem Gerichtsverfahren betrachten? Obschon sie sich im vorangegangenen Ermächtigungsverfahren -noch ohne Faktenkenntnisse- einzig und allein auf die "Empfehlungen" der Staatsanwaltschaften abstützte? Das Obergericht wird seinen im Ermächtigungsverfahren vorangegangenen Entscheid und sein darauf basierendes Vorurteil nun in seiner neuen Rolle als beurteilendes Gericht nicht über den Haufen werfen und seinen Schützlingen (Staatsanwaltschaften) in den Rücken fallen. Ermächtigungsbehörde, Aufsichtsbehörde und entscheidende Gerichtsinstanz in Personalunion? Mit dem rechtstaatlichen Grundprinzip einer Gewaltentrennung nicht vereinbar.
Zudem kennen sich die Richter und Staatsanwälte gegenseitig aus jahrelanger enger Zusammenarbeit bestens, sind oftmals per "Du".
Da haben Angeklagte sehr schlechte Karten.

Dieses System funktioniert natürlich nicht, ein Problem der Gewaltentrennung. Ein Problem der Transparenz. Ein Problem der fehlenden verfassungswidrigen Begründungspflicht. Ein Problem der gegenseitigen Bevorzugung unter Juristen-Berufskollegen. Ein grundsätzlich rechtstaatliches Problem.
Lesen Sie dazu mehr unter der Webseite:
omerta.org

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