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Leserin
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Danke herzlich für dieses interessante Interview mit Bettina Hitzer. Insbesondere der Teil mit den einsam sterbenden Menschen in Südeuropa hat mich sehr bewegt. Gerade ihre Aussage „Das Sterben wird nicht nur als Abschluss des Lebens gedacht, sondern als die letzte Lebensphase, die man miteinander intensiv erleben kann“, und dass das jetzt wegen Corona leider verunmöglicht wird. Brutal, wenn das fehlt. Davor hätte ich Angst.

Länger nachgedacht habe ich über ihren Satz „Auch heute geht es ja immer wieder darum, haben die Menschen vielleicht zu wenig Angst und nehmen das Ganze nicht ernst genug?“. Muss man wirklich Angst haben, um etwas ernst zu nehmen? Ich wage dies zu verneinen.

Auch schön – das Äussern Ihres persönlichen Unbehagens angesichts Ihrer Fokussierung auf Corona.

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Liebe Frau S., vielen herzlichen Dank. Es freut mich, dass Sie den Aspekt der Trauer besonders stark machen. Denn sich die Bedeutung auch von Trauerarbeit klar zu machen, das ist vielleicht in den letzten Wochen insgesamt zu kurz gekommen. Bei dem Satz, der Sie besonders beschäftigt hat, bezieht sich Bettina Hitzer ja auf Überlegungen in gesundheitspolitischen Abwägungen, es ist also quasi nicht direkt ihr eigenes Sprechen. Aber Sie haben völlig recht, man kann hier berechtigt fragen, ob Angst die notwendige Voraussetzung für ein Problembewusstsein ist. Die Antwort hängt sicher auch davon ab, ob man Angst automatisch als etwas Negatives versteht oder ob man – wie, glaube ich, Bettina Hitzer das in ihrem Buch tut – Angst als ein ambivalentes Gefühl begreift, dessen positive Seiten eben eine Art Sensibilisierung für Problemlagen und ein daraus resultierendes Handeln meinen. Was mir generell an diesem Punkt wichtig scheint: Angst wird manchmal als etwas rein Persönliches verstanden: Habe ich (für mich) vor einer Sache Angst oder nicht? Ich denke aber, man kann Angst auch als ein soziales Gefühl verstehen; als Angst, die man auch um andere haben kann. Sprich: Selbst wenn ich keine Gefahr für mich persönlich sehe, kann ich um das Leben anderer fürchten. Auch in dieser Hinsicht ist also Solidarität gefragt. Und man kann das dann statt Angst auch z.B. Sorge oder solidarisches Problembewusstsein o.ä. nennen. Gemeint wäre jedenfalls etwas, das sich von Gleichgültigkeit oder Gelassenheit unterscheidet. Und das scheint mir in dieser Krise ein potentiell sehr wichtiges Gefühl.

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Vielleicht so etwas wie Für-Sorge, sich für andere sorgen?

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Leserin
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Lieber Herr Graf, herzlichen Dank für diese weiteren Aspekte und Ansichten. Jetzt wird es etwas länger, ich entschuldige mich.

Der Satz über die Angst in Bezug auf das ernst Nehmen ist m.E. auch nicht direkt so von der Gesundheitspolitik formuliert, also vielleicht doch auch etwas die Sprache von Frau Hitzer bzw. bereits leicht von ihr interpretiert. Jedoch habe ich ihr Buch nicht gelesen und kann deshalb schlecht mitreden. Ich sehe es wie Sie, dass es eine wichtige Rolle spielt, wie man Angst beurteilt, doch sie als etwas Ambivalentes anzusehen, ist mir nicht vertraut. Eine Definition von Ansgst, die mir gut gefällt, ist die von Eckart Tolle. Er beschreibt einerseits die Urangst, ein Trieb und keine eigentliche Emotion, die dann ausgelöst wird, wenn effektive körperliche Gefahr besteht (also wenn bspw. ein Tiger vor Ihnen steht). Diese macht durchaus Sinn und verleiht Ihnen schnelle Beine.

Andererseits sei da die emotionale Angst, eine durch das Denken ausgelöste Körperreaktion. Diese Reaktion könne laut Tolle zwar schon eine Reaktion auf eine aktuelle Situation sein, aber habe bereits den Filter einer mentalen Interpretation (gut, böse, mein, dein….) durchlaufen. Z. B. wenn wir hören, dass sich ein schlimmer Sturm unserem Wohnort nähert, dann löst das höchstwahrscheinlich Angst aus (um uns selbst, um die Menschen, die wir kennen…). Wenn wir hören, dass dies in den USA der Fall ist, löst das allenfalls Mitgefühl aus. Weiter schreibt Tolle, dass Angst eine negative Emotion ist, also eine, die sich schädlich auf den Körper auswirkt und ihn aus dem Gleichgewicht bringt. Das erlebe ich persönlich auch so, weniger als ambivalentes Gefühl, das Sie beschreiben (ich sollte das Buch lesen). Angst hemmt mich und nimmt mir die Klarheit – und ich glaube, nicht nur mir, sondern auch ganzen Gesellschaften, die durch Angst manipuliert werden/wurden.

Nehmen wir an, der Sturm wütet nicht bei uns, sondern im Nachbardorf, wo sich gerade Bekannte von uns aufhalten. Dann - wie Sie beschrieben haben – haben wir Angst um die andern, wobei in diesem Fall auch Verlustangst mitschwingt. Könnte es also sein, dass es sich um Angst handelt, wenn man unmittelbar betroffen ist (entweder selbst oder seine Nächsten) und sonst mehr um Mitgefühl und Solidarität? Gleichgültigkeit und Gelassenheit würde ich hier nicht unbedingt in den gleichen Topf werfen bzw. Gelassenheit als Gegenspieler von solidarischem Problembewusstsein einsetzen. Ich glaube, es gab Menschen, die haben mit (oder gerade wegen) Gelassenheit anderen Menschen sehr helfen können und hatten gleichzeitig ein sehr hohes solidarisches Problembewusstsein. Wie sonst könnte z.B. eine Ärztin im Krieg funktionieren, wenn zahlreiche schreiende, neue Schwerverletzte eingeliefert werden?
Nun ja, ich habe die Corona-Thematik verlassen. Ich erspare es Ihnen, den Bezug darauf noch zu machen.

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Dass sie den Aspekt der Sterbebegleitung, der Bestattung und des Trauerns hervorhob, fand ich auch sehr schön. Dazu kam vor kurzem der eindrucksvolle Artikel "How the Virus Robs Families of the Rituals of Mourning" in der NYT heraus. Doch auch Schweizer Medien behandelten das Thema. So etwa das SRF :

Interessant ist auch die "(Un-)Sichtbarkeit des Todes" in der Schweiz. Während wir in den hiesigen Medien Bilder aufgereihter Särge aus Italien und USA sehen, fehlen solche Bilder – zumindest in meiner Wahrnehmung – aus der Schweiz. Als ob es eine Direktive gäbe. Oder eine andere Empfindlichkeit? Auf jeden Fall ein spannendes Thema für ein*en Emotions-Historiker*in.

Hierzu:

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Anderer
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Ich bin ja wahrscheinlich immun und habe logischerweise keine Angst mehr bei dieser Pandemie. Einen Moment habe ich im „Delirium“ sterben wollen und mein Leben abschliessen. Ich war eigentlich glimpflich davon gekommen, wie die meisten Schweizerinnen.
Das mittelalterliche Bild über den Sensemann habe ich beim Covid-19 wieder vor mir. Ob es die Magd oder den König mitten im Leben trifft, ist unergründlich.

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Pee Siegrist
Labormediziner im ruhigen Stand
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Ein aussagekräftiger Beitrag. Als alter weisser Mann möchte ich aber noch Folgendes beitragen: Nicht immer, das weiss ich aus Erfahrung, geben Metadateien wie sie Frau Hitzer verwendet, und verwenden muss, die ganze Wahrheit wieder. Und es ist mir deshalb wichtig zu erwähnen, dass wir Alten uns einerseits schon zu Recht beklagen, dass wir krumm angeschaut werden, wenn wir das Lebensnotwendigste selber einkaufen; andrerseits aber haben wir vielfach einfach ein dickeres Fell als die Generation, für die Tschernobyl die erste grosse Katastrophe war. In den späten vierziger Jahren (eine meiner frühesten Erinnerungen an meinen Vater, der 1948 am Heiligen Abend notoperiert werden musste) war ein geplatzter Blinddarm noch fast ein Todesurteil. Eine Anästhesie mit Chlorform gefährlich, aber kein(e) Anästhesist(in) verlangte damals ein Revers, indem er (oder sie), wie heute, von aller Verantwortung freigesprochen werden will. Man war einfach fatalistischer, im Grossen wie im Kleinen. Wir "Alten", auch geprägt von der Weltkriegsgeneration, aufgewachsen noch ohne Polio-, BCG, Diphtherie- und Rötelnimpfung, für die eine Sepsis fast immer tödlich war, haben einfach ein anderes Sicherheitsgefühl als die heutigen Generationen, auch als Individuen. Was uns derzeit als Nonchalance ausgelegt wird, ist darum oft einfach historisch bedingter Fatalismus. Dennoch: Ich stehe zu den Massnahmen, unsere Kinder kaufen für uns ein, wir bleiben in der Wohnung, spazieren allein im Wald: Solidarität unter den Generationen ist wichtig! Beiderseits!

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Danke für diesen Beitrag, Herr Siegrist. Ich erkenne meine Grossmutter in Ihrem Text wieder.

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Wir erleben unbestreitbar eine Zeit (vielleicht eine Epochenwende), die das Potential hat, gängige Strukturen und Abläufe zu hinterfragen.
Vieles, was wir unmittelbar wahrnehmen, scheint uns als Faktum gegeben zu sein: u.a. Primat der Wirtschaft, das Lebensziel in Karriere und Geld zu messen. Da kommt ein solch feinsinniges Gespräch zwischen einem interessierten (!) Interviewer und einer sachlich kompetenten Expertin auf die wohltuendste Art bei mir an. Gegebenheiten sind eben nicht einfach ewigwährend sakrosankt, sondern immer ein Ergebnis historischer Entwicklung.
Lohnte es sich nicht vielleicht in diesem bei vielen aktuell entstandenen Orientierungs-Vakuum zwei Schritte beiseite zu treten und seine eigenen (Vor-) Urteile unter dem Gesichtspunkt eines Perspektiven-Wechsels zu hinterfragen und Neu-Beurteilungen zuzulassen?
Statt nur die gewohnten Gefühle (Ängste, Sensations Zahlen) zu bedienen, wie es viele Medien seit Anbeginn der Corona-Krise tun, ein tolles Gespräch über einen neuen gesellschaftlichen Umgang mit und über Gefühle auf der Meta-Ebene.

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Ja, stimmt. Und die Info zur Einordnung ist für mich hilfreich - meine Güte, von dieser Grippewelle 1957 hätte ich nie erfahren. Zwei Millionen Opfer, heiliger Strohsack! Aber klar, davon erfuhr man ohne dieses www natürlich nur gefiltert, verspätet, aufbereitet und kuratiert.
Übrigens kommt mir im Interview die Rolle dieses www-Netzes etwas zu kurz. Es gibt ja mindestens eins, was noch schneller reist als absolut jede Pandemie - Gerüchte. Und was sind Gerüchte? Eben, Information von geringer Qualität. Und die reist heute schneller und vor allem im breiten Strom. Wo 1957 vielleicht der Botschafter und der Korrespondent ein Telefon und einen Telegrafen hatten, haben heute Milliarden Mitmenschen Zugriff auf ganz andere Möglichkeiten.
Das müsste aus meiner Sicht auch historisch eingeordnet werden, so schwer es fällt.
Ach ja, und danke viiihlmols an die Republik, dass Sie mich am Ostermontag weiter versorgen!
Alles Gute -

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Danke für das präzise, wertvolle Interview, das tolle Spuren legt und vieles im grösseren Kontext verständlich macht (schlechte Vorsorge!). Auch die Aspekte wie wir Emotionen wahrnehmen und erzeugen. Da ist viel weiteres Potential darin für eine achtsame Aufarbeitung der aktuellen Vorgänge.

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Eric Hunziker
Guitarist, Composer
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A propos Emotion, ich fühle mich im Moment von vielen Beiträgen der Republik nicht abgeholt. Woran es liegt? Ich kanns gar nicht sicher sagen. Zuviel Geschwurbel, zuviele Fremdwörter, zuviel Kalter Krieg? Zuviel schwarz/Weiss bilder? (Eine sonst schöne Aesthetik) Entmutigende überschriften? In der jeztigen Situation würde ich von Wort und Schrift gerne auch einmal wieder umarmt.

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Guten Morgen Herr Hunziker könnte es sein, dass wir zurzeit etwas dünnhäutiger, insgesamt ein bisschen instabiler in unserem Befinden und entsprechend schwieriger zufriedenzustellen sind ? Aber ich stimme Ihnen in einem Punkt voll zu: mehr Poesie wäre herzerwärmend! ich wünsche Ihnen und allen einen zauberhaften Tag

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Dank meines Büchergestells habe ich regalweise Poesie zur Verfügung, die ich wirklich - im Sinne von Salome Lippuner - einmal mehr als herzerwärmende, lebensnotwendige Anregung erlebe! An die Republik möchte ich aber diesen Anspruch nicht auch noch stellen - der anregende, der Klarheit verpflichtete, zum Dialog bereite Journalismus "meines" Leibblattes ist mir Hilfe genug. Ein herzliches Dankeschön der gesamten Redaktion für die sicher nicht einfache Gratwanderung in schwierigen Zeiten. Atemlos blicke ich nach wie vor hinauf zum Hochseil.

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Liebe Frau Lippuner, lieber Herr Hunziker, vielen Dank. Mit dem Wunsch nach mehr Poesie rennen Sie bei mir natürlich grundsätzlich offene Türen ein! Allerdings mit zwei Einschränkungen: Erstens finde ich, das gilt generell, nicht nur in Zeiten einer Pandemie. Zweitens bin ich doch ganz froh, wenn die Poesie von den Künstlerinnen und Künstlern kommt – und die Historiker_innen sich an Fakten halten. Die Wissenschaft hat ja nicht die Aufgabe uns zu erbauen, sondern Analyse und Erkenntnis zu liefern. Das macht Bettina Hitzer hier meines Erachtens dennoch sehr umsichtig.
Was aber den Wunsch nach der Poesie angeht: Ich bin nicht ganz sicher, ist das mehr im übertragenen Sinne gemeint? Dann würde ich Ihnen sehr die Serie "Zuhausmusik" empfehlen, die uns durch die letzte Woche begleitet hat. Wenn ganz konkret Lyrik damit gemeint ist: Es ist doch das Schöne an der «Republik», dass man immer auch das gesamte Archiv zur Verfügung hat. Da finden Sie dann zum Beispiel

In all diesen Fällen sind die Gedichte original von den Autor_innen gelesen. Und in diesem Text hier finden Sie – passend zu heute – ein lyrisches Osterrätsel (3. Abschnitt). Einen schönen, poesievollen Feiertag Ihnen!

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Die Tatsache, dass eine Infektions­krankheit pandemische Ausmasse in Europa annimmt und zu Situationen führt, wie wir sie aus Italien und Spanien, auch Nord­frankreich hören – das ist ein ganz neuer Zustand, auf den wir emotional eigentlich nicht vorbereitet sind. Weil wir weder auf Erinnerung noch auf eigene Erfahrungen zurückgreifen können.

Wirklich? Was mich viel mehr erstaunt:
Der Strassenverkehr fordert weltweit etwa 1 mio Tote pro Jahr. Und das jedes Jahr. Aber merkwürdigerweise berühren uns diese Tote kaum. Und es wäre sehr einfach die Anzahl dieser Toten stark zu reduzieren. Bei den Autofahrern werden da in vielen Staaten auch massiv Anstrengungen unternommen. Bei Fussgängern und Velofahrer aber kaum. Da stagnieren die Zahlen seit langem. Warum sind wir bei Verkehrstoten derart abgestumpft, obschon diese, realistisch gesehen, ein viel grösseres Problem darstellen, insbesondere wenn man verlorene Lebenszeit betrachtet?

... dass Angehörige und Freunde oft nicht persönlich Abschied nehmen können.

Das ist auch bei Verkehrstoten völlig normal. Trotzdem hätte ich dieses Argument bei Verkehrstoten noch nie gehört. Warum ?

Wie ist es unserer Gesellschaft gelungen, die Verkehrstoten völlig zu entemotionalisieren?
Wir nehmen diese mit einer enormen Gelassenheit in Kauf, verglichen mit Krankheitstoten. Haben Sie eine Thorie, warum dies so sein könnte, Frau Hitzer?

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Guter Punkt. Rauchen fordert übrigens pro Jahr 7.1 Millionen Todesfälle weltweit. Weshalb verbieten wir nicht einfach den Vertrieb von Nikotinprodukten? Wir hätten wesentlich bessere Gesundheitseffekte bei gleichzeitig marginalen Einschränkungen der persönlichen Freiheit. Die Tabakanbaufläche beträgt weltweit etwa 3,4 Millionen Hektaren. Laut Agenda 2030 des globalen Referenzrahmens ist es ein Ziel, die Armut in all ihren Formen und überall zu beenden.

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.... auch die Klimakrise ist hier zu erwähnen, und die Luftverschmutzung...

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Beim Rauchen wurde zumindest recht viel unternommen. Immerhin ist es nicht mehr erlaubt in Restaurants und in anderen öffentlichen Räumen zu rauchen. Ein guter Anfang, weil so vor allem die passiv Getöteten vermindert werden können.
Beim Verkehr hingegen erlauben wir immer noch in den Städten mit Autos die Fussgänger und Velofahrer zu gefährden. Da hat sich absolut nichts getan, wie die Umfallzahlen zeigen. Wenigstrens nichts das Effekte zeigt.

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Oder schlechte Ernährung:

Zu viel Zucker, kaum Obst und Vollkornprodukte: Geschätzte elf Millionen Menschen sterben weltweit an den Folgen schlechter Ernährung. Spitzenreiter sind nicht, wie vermutet die USA, sondern ein zentralasiatischer Staat.

Usbekistan liegt auf dem letzten Platz der Statistik, gefolgt von Afghanistan und den Marshallinseln. China hatte den höchsten Anteil an ernährungsbedingten Krebstoten aufzuweisen, schreiben internationale Forscher im Fachblatt "The Lancet". Insgesamt gehen die Forscher davon aus, dass jeder fünfte Todesfall auf fehlerhafte Ernährung zurückzuführen ist.

"Die Studie bestätigt, was viele schon seit Jahren vermuten - dass schlechte Ernährung für mehr Todesfälle verantwortlich ist als jeder andere Risikofaktor auf der Welt", erklärte Hauptautor Christopher Murray von der Universität von Washington. "Nach unserer Einschätzung sind zu viel Salz und zu wenig gesunde Nahrung die größten Risikofaktoren". Im Schnitt nehmen die Menschen demnach zehn Mal so viele zuckerhaltige Getränke und 86 Prozent mehr Salz zu sich als empfohlen.

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Mann könnte auch sagen, wenn Leute lieber Süssgetränke oder Alkohol trinken als Wasser und dass mit ein paar wenigen Lebensmonaten bezahlen, ist das ihre Privatsache.
Beim Verkehr und der Luftverschmutzung ist das etwas anders.

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Oder Alkohol:

Genf – Jeder 20. Todesfall geht auf Alkohol zurück. Laut einem heute veröffentlichten Bericht der Welt­gesund­heits­organi­sation (WHO) sterben jedes Jahr rund drei Millionen Menschen weltweit durch Alkoholkonsum – das sind mehr als durch Aids, Gewalt und Verkehrsunfälle zusammen. Am stärksten betroffen sind Männer – sie machen drei Viertel der alkoholbedingten Todesfälle aus.

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Eine so pauschale Behauptung wie "So gibt es aus der Generation, die das überlebt hat, wenig Erinnerungen, die dann weitergetragen worden sind." lässt sich nicht halten:
Mein Vater hat als 8-jähriger Bub 1918 in einer Woche seine Mutter und seinen Zwillingsbruder an der "Spanischen Grippe" verloren. Das war für ihn eine Art Ur-Trauma, das auf sein ganzes weiteres Leben einen emotionalen (und auch sozialen) Einfluss hatte. Ich nehme an, dass auch in vielen andern Familien mit Grippe-Pandemie-Toten die Erinnerung sehr wohl weitergetragen wurde.

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Lieber Herr C., haben Sie vielen Dank, dass Sie diese Erinnerung geteilt haben. Bettina Hitzer benutzt ja das Wort "wenig", nicht "keine". Insofern ist es eigentlich gerade keine pauschale Behauptung, oder? Was mir aber ein wichtiger Punkt scheint (und da passen Ihre und Frau Hitzers Aussage sehr gut zusammen): Je mehr die Erinnerungen mündliche und familieninterne sind, je weniger schriftliche Quellen also überliefert sind, desto schwieriger ist sicher für die Geschichtswissenschaft die Rekonstruktion. Und desto schwieriger bildet sich ein kollektives Gedächtnis für diese Erfahrungen aus. Das ist ja der Punkt, auf den Bettina Hitzer hier abzielt: Die europäischen Gesellschaften haben weniger Erinnerungen an diese Pandemie als an andere Katastrophen des 20. Jahrhunderts.

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Lieber Herr Graf, Sie haben selbstverständlich recht mit Ihrer Präzisierung. Ich habe habe mir auch nicht eingebildet, dass meine Erfahrung einen repräsentativen Aussagewert hat - wie könnte ich auch. Aus meiner Erfahrung kann ich nur, statistisch irrelevant, sagen, dass auch im weiteren Freundes- und Bekanntenkreis meiner Eltern die Grippe von 1918 ein Thema war, das immer wieder Erwähnung fand und damit auch im Gedächtnis der nachfolgenden, also meiner, Generation haften geblieben ist. Dies, ohne dass wir irgendeiner Vereinigung von Grippe18-Geschädigten angehört hätten.

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Lieber Herr C., vielen Dank für Ihre Antwort. Ich finde ausgesprochen interessant, was Sie schreiben. Und ich denke, solche Erinnerungen sind keinesfalls „irrelevant“ (wie Sie schreiben), auch nicht statistisch. Vielmehr ist es ein methodisches Problem der Wissenschaft (und wird dort natürlich auch als solches reflektiert), dass solche Erinnerungen nicht als schriftliche Quellen zugänglich sind. So müssen sie also entweder anderweitig rekonstruiert oder als „Oral History“ erschlossen werden – was methodisch wieder eine ganze Reihe neuer Fragen und Probleme aufwirft. Jedenfalls danke ich nochmals, dass Sie auf die Thematisierung dieser Pandemie in Ihrer Familie hingewiesen haben. Wie Sie schreiben, scheint die Erfahrung ja durchaus prägend und folgenreich gewesen zu sein.
Eine andere, künstlerische Art der Verarbeitung der Influenza von 1918 kommt mir in den Sinn, weil ich erst kürzlich darüber schrieb: Die Autorin Katherine Anne Porter war ebenfalls lebensbedrohlich an dieser Grippe erkrankt und hat ihre Nahtoderfahrung in einen (wie ich finde sehr beeindruckenden) literarischen Text überführt: «Pale Horse, Pale Rider», geschrieben zwei Jahrzehnte nach ihrer Erkrankung.

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Christine Loriol
denken, schreiben, reden.
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Prima Interview! Danke sehr.

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Über diese Passage bin ich gestolpert:

Es ist ja eine relativ neue Angst für die europäische Gesellschaft. Natürlich gab es auch vorher Krankheits­ängste, über diese habe ich gearbeitet. Aber diese bezogen sich auf andere Arten von Krankheiten, im 20. Jahr­hundert eben zum Beispiel auf Krebs, während die Angst vor Infektions­krankheiten im 20. Jahrhundert immer weiter zurückgegangen ist.

Auch wenn ich erst in den 80ern geboren worden bin, war mir die weltweite Angst vor einer HIV-Infektion und The War On Aids noch sehr präsent (auch durch Filme wie „Philadelphia“ oder „Kids“). Ich vermisste daher den Bezug auf diese Infektionskrankheit. Oder ist dieses „Vergessen“ auch eine Folge des „Othering“ – Aids als Krankheit der Schwulen- und Drogenszene oder der Armen und Afrikaner*innen? Oder ist es bloss, weil hier die Grippe als Paradigma gewählt worden ist?

Gegen Schluss kam Aids dann doch noch in einem Satz vor. Immerhin.

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Und da gab es ja auch noch Polio (Kinderlähmung), eine äusserst bedrohliche virale Infektionskrankheit in den Fünfzigerjahren. Etwas irritierend, dass eine Historikerin, die über Gefühle rund um Infektionskrankheiten im 20. Jahrhundert forscht, darüber kein Wort verliert.

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Vielen Dank, liebe Frau C., das ist eine wichtige Ergänzung. Ich denke allerdings, dass Frau Hitzer genau solche Krankheiten im Blick hat, wenn sie sagt: «Und was Infektionskrankheiten sonst betrifft, ist das 20. Jahrhundert eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Das heisst, durch Impfungen, aber auch durch die Entdeckung der Antibiotika sind einfach sehr viele Infektionskrankheiten in Europa beherrscht worden und für die Wenigsten noch ein tödliches Risiko gewesen.»

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Lieber Michel, vielen Dank, guter Punkt. Wahrscheinlich ist es eine Schwäche dieses Interviews, darauf nicht näher eingegangen zu sein.

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Fun fact zum „Othering“: Die „Spanische Grippe“ kam ursprünglich aus den USA. „Patient 0“ war ein amerikanischer Geflügelfarmer, der als Soldat nach Europa kam. Da es im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten in Spanien keine bzw. eine liberale Zensur gab, wurde nur in Spanien breit darüber berichtet, so dass die Grippe – bis jetzt leider – eben „Spanische Grippe“ heisst.

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Merkwürdigerweise blieb im Artikel der Begriff der Angst für mich etwas unterbestimmt. Etwa wie sie das Verhältnis der Angst zur Furcht sieht. So gibt es bspw. vom Psychologen und Affektforscher Rainer Krause die Unterscheidung zwischen objektunbestimmter Angst (lat. angor) und objektbezogener, also zielgerichteter Furcht (lat. timor).

Einmal kommt sie darauf zu sprechen:

Bei der Angst beispiels­weise: Man möchte etwas verhindern, was man für möglich hält, und ist dabei emotional beteiligt. Diese Grund­struktur von Angst bleibt gleich.

Ist dies nun Furcht oder Angst? Oder fallen hier beide zusammen? Welchen Unterschied macht es nun, wenn sich die Angst sich auf Unsichtbares bezieht? Auf etwas potentiell Omnipräsentes? Im Gegensatz zur Angst (oder eben Furcht) vor Sichtbarem und Lokalem? Ist Ersteres unerträglicher, weshalb stets versucht wird, es auf Letzteres zu reduzieren – sei es durch Othering oder Scapegoating?

Einverstanden bin ich von der sozio-kulturellen Variabilität mancher Elemente, Dimensionen oder Aspekten der Angst:

Was sich aber ändert, ist unsere Vorstellung davon, wie Angst funktioniert. Wie wir unsere eigene Angst bewerten. Wie wir denken, mit dieser Angst umgehen zu können. Das sind nicht nur theoretische Konzepte im Umgang mit Angst, ein Wissen über Angst, das wir in uns tragen und das kulturell und historisch geprägt ist. Sondern das beeinflusst die Art und Weise, wie wir Angst fühlen.

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Diese 'Unterbestimmtheit' von Angst hat sicher damit zu tun, dass die Frau Historikerin ist: sie erforscht den Umgang mit Gefühlen und nicht die Gefühle selber. Finde ich einen interessanten Ansatz, und ein sensibel geführtes Interview.
Auch wenn auch mir darin manches ungewiss bleibt, bspw. wie man sich ein 'emotional auf etwas vorbereitet sein' vorzustellen habe: vorbereitet sein hat mit Planung zu tun, hat einen Zukunftsbezug und ist damit der Kognition zugehörig und nicht der Emotionalität. Emotion ist Gegenwart, hat weder Vergangenheit noch Zukunft, kann zwar mit Hilfe der Erinnerung vergegenwärtigt werden, erlebt sich dann aber zwingend 'wie wenn es jetzt passieren würde'. Ich meine, in die Zukunft fühlen könne man nicht oder nur sehr eingeschränkt. Man kann sich wohl ausdenken, wie etwas sein wird, u.a. indem man eigene und fremde Erfahrungen aus der Vergangenheit auswertet, aber wie es sich dann tatsächlich anfühlt, kann man erst sagen, wenn man darin ist.
Trotzdem finde ich das Interview wichtig, denn was uns an diesem Virus tatsächlich zu schaffen macht, sind unsere Gefühle, ist die Angst vor dem Verlust wichtiger Beziehungen, des Einkommens, der wirtschaftlichen Prosperität, der Gesundheit. Es ist der Ärger über den Kontrollverlust, den wir erleben, die Enttäuschung darüber, wie schnell unsere Gewissheiten, unsere ganzen tollen Errungenschaften von so einem primitiven - man kann nicht einmal sagen: Lebewesen - ausgeknockt werden, und es ist und bleibt die Angst. Je mehr wir sie verleugnen, umso schlimmer.
Dass wir zuwenig vorbereitet gewesen seien, was ich ein Stückweit auch in Frage stellen möchte, hat m.E. ebenfalls mit Angst zu tun: weil nicht sein kann, was nicht sein darf, neigen wir Menschen dazu, das auszublenden, was uns überfordert. Für das, was wir alle andauernd tun, in der Krise dann einige wenige Sündenböcke zu suchen, greift meines Erachtens viel zu kurz. Auch darauf macht dieses Interview aufmerksam.

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Dominique Turzer
Architekt und Planer
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Mir kommt dabei Jean Baudrillard in den Sinn, er hat Situationen, die bevor sie eintreten nicht vorstellbar sind (in seinem Fall der 11. September) als "Ereignisse" beschrieben. Das ist natürlich mehr eine philosophische Sichtweise, kann dafür aber vielleicht die Medien als Teil der "Ereignisse" besser verstehen. Es gab dazu zwei spannende Vorträge vor vielen Jahren in Weimar:
https://www.klassik-stiftung.de/ser…-ereignis/

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Sehr interessantes Interview, danke dafür!
Am Anfang wird sowohl von Politikerinnen und von Politikern gesprochen wie auch von Patientinnen und Patienten. Schade, dass gegen Ende dann nur noch in der männlichen Form von Ärzten, Experten und Patienten die Rede ist.
Diese unsensible Sprache löst bei mir negative Emotionen aus, die es mir schwer machen, mich auf den Inhalt zu konzentrieren.

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Liebe Frau S., vielen Dank! Sie sprechen ein wichtiges Thema an, das allzu oft als Nebensächlichkeit abgetan wird – denn natürlich bildet Sprache Denkweisen ab und verstärkt sie auch. Dennoch möchte ich Ihren Befund ein wenig korrigieren: Frau Hitzer spricht auch am Ende von «Ärztinnen und Ärzten» bzw. verwendet geschlechterübergreifende Begriffe wie «Pflegepersonal». Natürlich kann man kritisieren, dass das nicht durchgängig geschieht. Aber wenn jemand an mehreren Stellen problembewusst gendert, würde ich keine «unsensible Sprache» attestieren. Es geht ja beim Gendern nicht, wie oft von Seiten der Kritiker_innen unterstellt, um starre Regeln und die eine allein gültige Handhabung. Sondern darum, Problembewusstsein zu schaffen, sich die Veränderbarkeit von sprachlichen Konventionen kreativ zunutze zu machen und eingefahrene Schreib- und Denkweisen aufzubrechen. Ich denke, das lässt eine ganze Bandbreite unterschiedlicher Personalstile zu.

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Senior Researcher
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Angst? Vor Corona? Das ist ja wohl das Unnötigste, das es gibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass mich Velofahrer ein unvorsichtiger Autofahrer verletzt, oder gar tötet, ist immer noch sehr viel grösser als an Corona zu sterben. Und selbst, wenn man den Virus aufliest: Höchstwahrscheinlich ist es ein milder Verlauf, wie bei allen meine Bekannten.

Nein, es hat nicht an der emotionalen Vorbereitung gefehlt, sondern daran, dass man trotz sehr vielen Vorwarnungen nichts besseres dagegen zu wusste, als Grenzschliessungen und Ausgehverbote. Diese Mittel entwickelten vor ca. 500 Jahren die italienischen Stadtrepubliken, als sie infolge des Handels mit China den dortigen Pestepidemien ausgesetzt wurden. Deswegen wohl hat man ja auch sofort die Bahn- und Strassenverbindungen blockiert, aber viel zu spät die Flugverbindungen eingestellt. Es gab vor 500 Jahren eben Häfen und einige wenige Strassen, aber kaum Flugplätze

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Anderer
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· editiert

Die Pandemie in Europa ist ja nicht vom Himmel gefallen, sondern wegen der unendlichen europäischen Arroganz. Man wusste schon lange, dass es einmal gleich wie die Unfälle der AKWs passiert. Ich fahre regelmässig von Bern nach St.Gallen. Zwischen dem HB Zürich und dem Flughafen habe ich immer ein mulmiges Gefühl, wenn ich die Flugpassagiere sehe. Die Pandemie ist für mich eine mögliche Bestätigung.

Ich habe Wut. Machmal heule ich.

Nachdem eine weibliche Stimme mir telefonierte, ich sei positiv, war alles klar. Ich wurde in Mitte oder Ende Februar schon angesteckt. Mit der Krankheit kann ich jetzt gut leben. Ich musste nicht ins Spital. Ich habe schon vorher viel durchgemacht.

Das Gesülzte von Entschleunigung etc. sehe ich anders und das Ganze drum und dran, auch in der Republik nervt mich. Der Artikel über das unfähige BAG ist gut. Heute weiss man viel mehr. Man hätte es nur schneller nützen sollen.

Zum Glück habe ich vom Lockdown kaum mitbekommen. Ich war in der Quarantäne. Ich beginne jetzt wieder zum dritten Mal, ich übe Schritt um Schritt und hoffe, dass ich einmal einen „Immun“ Abstrich erhalte.

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