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völlig von der Rolle
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Vor sechzig Jahren, ich war 13, sah in Zürich das erste Mal einen schwarzen Menschen. Es war am Bellevue, wo heute beim See der Kiosk steht. Er war Afrikaner, ein grosser, stolzer und wohl auch bedeutsamer Mann, mit einer wunderschönen, hellblau und weiss gestreiften, weiten Robe, die sich im Wind blähte. Alle Passanten starrten ihr an, vielen stand der Mund offen.
In Neuenburg, wo ich das Lycée Jean Piaget besuchte, das damals noch Höhere Handelsschule hiess, gab es viele schwarze Stipendiaten. Sie kamen aus armen Ländern und sollten lernen, so zu werden wie wir, was wir damals nicht hinterfragten. Die schwarzen Studenten (Frauen wares keine dabei) blieben vor allem unter sich.
Als ich beim Essen in der Mensa zufällig neben einem solchen Studenten sass, habe ich gleich die berüchtigte doofe Frage gestellt, ob er auch einen Sonnenbrand bekommen könne, was er bejahte. Das war ein Vorwand, um ein Gespräch zu beginnen, denn ich war fasziniert von diesem Anderssein. Er kam aus dem heutigen Senegal und studierte Wirtschaft. What else?
Das nächste Mal, als ich ich Zürich einen Schwarzen sah, war ich 18. Er arbeitete als Barman im 'Turm' und sprach fliessend Schweizerdeutsch. Da war ich erst mal platt, aber auch erfreut, denn ich glaube an eine multikulturelle Gesellschaft und an die Freundschaft unter den Menschen verschiedenster Kulturen. Rasse ist so ein Scheisswort!
Ich habe ein paar wenige schwarze FreundInnen, zwei davon halbweiss, die hier, vor allem in der Kindheit und Jugend gehörig ausgegrenzt wurden. Und doch sagen sie mir, es sei nicht so schlimm in der Schweiz, die Leute seien zurückhaltender als in anderen Ländern und sie würden selten angemacht. Dass es den Alltagsrassismus bei uns aber sehr wohl gibt, habe ich selbst schon beobachtet (und mich für die Betroffenen gewehrt). Ich hoffe, diese grundlegende Unsicherheit gegenüber dem Anderem, die so oft in Verachtung umschlägt, ergibt sich in ein oder zwei Generationen und wir schauen nur noch auf die Herzen der Menschen.

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Wenn man diese schrecklichen Erzählungen liest, kann man ab der heutigen Rassismus-Debatte in der Schweiz nur noch müde lächeln.

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Weil… manche Leute nicht mehr gaffen? Sie nicht mehr «ganz genaue Vorstellungen davon haben, was für XY «typisch» ist? Sie das N-Wort oder das M-Wort nicht mehr gebrauchen, ja als gewachsener Schnabel verteidigen? Sie nicht mehr ungefragt übers Haar streichen? Marketing-Manager nicht mehr für etwas «Diversity» PoC anstellen? Angehörige bestimmter Gruppen v. a. über bestimmte, d. h. «ihre» Themen sprechen/schreiben/usw. sollen? Der Teufelskreis von Negation und Reproduktion rassistischer Muster nicht mehr existiert? Man sich nicht mehr an alltägliche Verletzungen «gewöhnen» muss, will man einigermassen «gesund» bleiben?

Wenn dieses Buch bzw. dieser Artikel etwas aussagt, dann doch das, dass – trotz aller Fortschritte – das Beschriebene nach wie vor Gültigkeit hat – wie auch ihre universelle Haltung.

Oder worüber bei der «heutigen Rassismus-Debatte» lächeln Sie müde?

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Diese spannende Rezension über ein vielschichtiges Buch hat mich in ganz verschiedener Hinsicht sehr angesprochen.
Ganz persönlich: Mit der Schilderung des Umzuges von 1953 wird meine erste zeitlich genau datierbare Erinnerung an die Stadt Bern lebendig, wie ich als kleiner Knirps zwischen den Beinen der Erwachsenen hindurch fasziniert und staunend den vorbei marschierenden Märchengestalten zusah.
Allgemeiner: In den Textbeispielen und Fotografien wird für mich auch der Mief und die gesellschaftliche Erstarrung der fünfziger und sechziger Jahre spür- und fassbar.
Vor allem aber: Es ist eindrücklich zu erleben, wie Carter mit seinem Blick von aussen und dann zunehmend auch von innen die subtilen Facetten unserer Fremdenfeindlichkeit und unseres Rassismus aufdeckt, die leider immer noch aktuell sind.

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Albert America
Grafik und Webdesign
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Danke für diesen spannenden Artikel. Ich denke, dass es besonders heikel ist, wenn Rassismus wie beschrieben, nicht mal wahrgenommen wird. Ich lebte 1975 in einer Agglo-Gemeinde vor Zürich, deren Devise war: Schweizer ins Militär, Ausländer in den Zivilschutz. Dort lernte ich einen grossen (schwarzen - "colored" oder wie sagt man dem Heute) Sprachlehrer aus Südafrika kennen. Wir konnten uns auf Niederländisch unterhalten. In den blöden Block/Bunker-Übungen war das eine Wohltat. Für mich war es eine der wichtigsten Lektionen in Geschichte und Kultur. Ich wusste vieles über die Schlacht bei Morgarten (die es so gar nie gab), aber ich hatte noch nie von Rassentrennung und Apartheid gehört. Weder durch meine Eltern, Bekannte schon gar nicht durch die Schule. Meine Sprache sei die Sprache seiner Unterdrücker, sagte er in aller Ruhe. Seine Schilderungen kamen für mich wie aus einer anderen Welt. Mit dem Lesen engagierter Literatur und nicht zuletzt den Artikeln aus "Le Monde Diplomatique" und "Republik" kann eine Kultur der Achtsamkeit und Solidarität entstehen.

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Ja, so war‘s vor nicht allzu langer Zeit auch in Zürich, der angeblich moderneren Stadt. N…. in der der Kronenhalle? Undenkbar! Im „Africana“ und „Maröggli“ (Cafe Maroc) hörten wir Jungen heimlich Jazz, den die Eltern als N….musik abqualifizierten. Niemals hätten sie einem N…. die dunkle Hand gedrückt. Danke fürs Erinnern, liebe REPUBLIK!

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Theologin/Pfarreiseelsorgerin
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Merci für den Hinweis auf dieses Buch. Das klingt auf verschiedenen Ebenen interessant und lesenswert.

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SoWi, Übersetzerin, Autorin, Bloggerin
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Danke für diesen Text, der richtig neugierig auf das Buch und den Autor macht.

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Ob ich als Nicht-Sachverständiger in Sachen Literatur mich einmischen darf? Gestatten Sie mir ein Zitat: "Le mâle est par nature à la femelle ce que le supérieur est à l'inférieur, c'est-à-dire ce que le commandant est au commandé. Il en est nécessairement de même chez tous les humains. Tous ceux, donc, qui sont aussi éloignés des autres humains qu'un corps l'est d'une âme et une bête sauvage d'un être humain (...), ceux-là sont par nature esclaves, pour lesquels il est meilleur d'être soumis à cette autorité magistrale, puisque cela est vrai pour ce dont nous avons parlé (ajout du traducteur-éditeur: par exemple, le corps par rapport à l'âme)". (Es ist Natugesetz, dass es Herren gibt, deren Aufgabe es ist, Frauen und Sklaven nutzbringend einzusetzen, also zu kommandieren).
Das ist Grundstock westlicher Kultur, selbstverständlich auch der Schweizer Kultur. Kann mich jemand aufklären, wann unsere Säulenheiligen und Gelehrten-Verehrten je grundsätzlich als unvereinbar mit den Menschenrechten befunden und relativiert wurden? Welche Schweizer-Universität bekämpft solche philosophischen Aussagen und ihre Autoren, hier Aristoteles, als unhaltbar und verbannt diese Werte aus dem Grundstock unserer Kultur, weil unvereinbar mit Wissenschaft und Menschenrecht?

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Herr N., wollen Sie solche "Grundstöcke der Kultur" ausradieren lassen? Als betroffene Frau bin ich froh um all die Ungeheuerlichkeiten, die dank einer neuen Sichtweise in Lehre und Forschung ans Tageslicht kommen. Es sind Beweise dafür, dass es nicht meine Überempfindlichkeit ist, die mich aufwühlt, sondern objektivierbare Tatsachen, schreiende Ungerechtigkeiten und heutige Scheinheiligkeiten und Relativierungen. Es geht um eine jahrtausende dauernde Unterdrückung grosser Teile der Menscheit, meist weiblich, meist nicht-weiss. Für mich ist die Zeit zum Ausradieren noch lange nicht gekommen.

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Ja, wir müssen zu unserer Geschichte und zu unseren Ungeheurlichkeiten (Antigone) stehen. Ich gehe noch weiter mit meiner Zustimmung zu Freuds ärztlicher "Diagnose" : Wir sind nicht Herr im eignen Haus (die grossen Kränkungen der naiven Eigenliebe der Menschheit): der eigentliche Souverän ist unser Körper in Symbiose mit der Biosphäre, einsichtbar für unser Hirn ("Seele" nach gewisser Anschauung), dem zu misstrauen ist, wie uns die Menschheitsgeschichte lehrt.
Ich will keinesfalls Aristoteles, Platon, etc. weder verbrennen noch verbannen, aber die Suprematismus-Werte, die sie predigten, sind meines Wissens widerlegt, und sollten nicht mehr unsere Werte sein ( mein Texte lautet: diese WERTE verbannen, dazu gehört der Prozess, warum diese nicht mehr gelten sollen, nach dem Modell der Genealogie in der Biologie: sie verbrennt nichts, sie vergisst nichts, sie schöpft Neues).

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Wunderbar spannend zu lesen. Ein spannendes und beschämendes Stück Schweizer Geschichte. Nicht nur in Bezug auf Rassismus, sondern auch in gesellschaftlicher und soziales-kultureller Sicht. Herzlichen Dank dafür!

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Danke für diesen interessanten Beitrag, der Lust macht zum Weiterlesen.
Die geschilderte Szene mit dem Warenhausmanager hat mich an die spannenden Überlegen zum commodity racism und an eine Kinderzeichnung aus den 1980er Jahren erinnert, die ich kürzlich gesehen habe: https://sammlungen.pestalozzianum.ch/nls-106-292
Wie hartnäckig sich rassistische Stereotype doch in den Köpfen zu halten vermögen...bis heute: ein Schwarzer Bekannter meinte kürzlich, er würde nie im Leben eine Banane in der Öffentlichkeit essen.

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Anthropologe/Comedian
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Unheimlich sich so eine Zurschaustellung im Bierhübeli vorzustellen. Mich würde wundern, wer heute dort auf der Bühne steht. Was ist für die Schweiz unvorstellbar fremd? Ich persönlich glaube, Menschen die sich frei fühlen.
Kommt dir sonst noch eine Figur in den Sinn? Lass es mich wissen!
schöns tägli

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Vielen Dank, Daniel, für das einfühlsame Porträt dieses in der Schweiz – zu unrecht, aber nicht überraschend – vergessenen Künstlers. Gerade das zweitletzte Zitat:

Mein Verstand wurde abgehärtet. Belanglosigkeiten verletzten mich nicht mehr so schnell. Ich gewöhnte mich an die Stadt, und die Stadt gewöhnte sich an mich.

können wohl alle, die in ihrem Leben mit alltäglichen Diskriminierungen zu hatten – und daran nicht zerbrachen, ja, nicht zerbrechen wollten – unterschreiben.

Für sich wären diese Sätze also schon universell und bleiben dennoch sehr konkret. An und für sich universell, aber auch abstrakter, ist dann das letzte Zitat, das geradezu an die Phänomenologie Husserls, Sartres, ja Bubers oder Levinas erinnert.

Du fokussierst ja sehr auf die alltagsrassistischen Stellen – weniger auf die kunstreflexiven. Was voll ok ist, aber mich nähme trotzdem wunder: Von wem oder was liess er sich inspirieren? Sah er sich in einer gewissen literarischen Tradition? Wie könnte man ihn literaturgeschichtlich einordnen? Wie gelungen ist die Übersetzung? Usw.

Jedenfalls werde ich mir das Buch zulegen – aber im englischen Original.

P.S. Lesenswert ist auch die Rezension von Anne-Sophie Scholl in der Zeit: «Im fremden Land mit dieser Marshmallow-Sprache» (11.10.2021)

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Lieber Michel, herzlichen Dank! Die philosophiegeschichtlichen Referenzen, die Du anführst, scheinen mir treffend, auch wenn Carter selbst explizit nur auf den deutschen Idealismus Bezug nimmt (da bleibt es aber eigentlich eher bei kurzen Verweisen auf Hegel und Kant, dann auch mit Rückgriffen auf Platon). Wichtiger war für ihn sicher die Orientierung an literarischen Vorbildern. Hier nennt er im Grunde ausschliesslich europäische Klassiker: Shakespeare, Montaigne, Goethe, Flaubert, Gide, Dostojewski, ... Um seinen eigenen Stil zu erfassen, geben all diese Einflüsse meines Erachtens zumindest für das «Bernbuch» wenig her – was natürlich auch mit dessen spezifischer Anlage zu tun hat, die, stark vereinfacht gesagt, dann doch eher Non-Fiction mit literarischen Mitteln ist. Man kann Vergleiche ziehen, aber die gehen eigentlich immer an mindestens so vielen wichtigen Aspekten vorbei wie sie erfassen. Am ehesten scheint mir tatsächlich der Verweis auf den Schelmenroman treffend. Laurence Sterne wird bereits von Herbert R. Lottman als Referenz angeführt – zurecht, meiner Meinung nach. Auch Joyce wird manchmal genannt. Da würde ich eher sagen: Ja, ich ahne, was Ihr meint, aber das hat bei Joyce dann doch noch mal eine ganz andere stilistische Radikalität. Weil aber eben das «Bernbuch» vor allem mit seiner Eigenwilligkeit besticht, habe ich Vergleiche eher gemieden und versucht zu beschreiben, worin das Besondere des Buches und die stilistischen Vorlieben Carters bestehen. Geistesgeschichtlich interessant aber ist noch etwas anderes: Carters Gedanken zu den zeitgenössischen Schweizer Künsten. Es gibt im Buch zum Beispiel sehr interessante und kluge Ausführungen zu Max Frisch und Ferdinand Hodler, auch zu Giacometti und Max Erni oder – eher kurz angetippt – zu Arthur Honegger, den Carter sehr schätzte. Also: Viele, viele Namen. Aber am Ende ist das «Bernbuch» doch etwas ganz Eigenes. Viel Spass Dir mit dem Buch!

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Herzlichen Dank Ihnen allen für Ihr Feedback, Ihre Erfahrungen und Gedanken! Und natürlich fürs Lesen und Ihr Interesse.

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Wieder mal eine Horizonterweiterung! Danke, liebe Republik!

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