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Ich habe dieses Interview gern gelesen. Endlich mal direkt hören, was sex workers zu sagen haben. Danke.

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Ich halte dieses Interview für eine journalistische Glanzleistung, weil es die Wirklichkeit aus der Sicht der Betroffenen zeigt, und ihre Sicht ist intelligent, differenziert und frei von jedem Sozialkitsch.

Gleichzeitig appelliert es auch an unser Moralverständnis und zeigt, wie gefährlich es ist, wenn wir Gut und Böse zu einfach auf zwei Seiten verteilen und die Trennlinie dazwischen dick und unüberwindbar machen.

Moral trennt Gut und Böse. Daraus wird ein Handlungsrecht abgeleitet, ganz konkret ein Handlungsrecht der Gesellschaft in realen Situationen und gegenüber realen Menschen. Wenn dieses Handlungsrecht auf einer zu einfachen Analyse beruht, führt das leider zu einer Verschlechterung der Situation. Man will Gutes tun, erreicht aber genau das Gegenteil.

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Herzlichen Dank.

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Leider fehlt (wieder mal) die Perspektive der nicht-Schweizerinnen, die bis zu 90% der Sexarbeiterinnen/Prostitutierten in der Schweiz ausmachen. Diesen Frauen sollte man viel eher zuhören, den tatsächlichen Opfern von Menschenhandel und Gewalt. Dazu unbedingt Aline Wüst - Piff, Paff, Puff lesen. In dem Buch ist das Bild der Wirklichkeit viel näher als dieses Interview.

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Oder sich auf der Seite der Fachstelle für Frauenmigration und Frauenhandel ausführlich informieren, zum Beispiel mit dem Jahresbericht 2020: https://www.fiz-info.ch/images/cont…igital.pdf
Ich bin der Meinung, dass Sie zwei Paar unterschiedliche Schuhe gleichzeitig anziehen wollen. Dass es oft eine eingeschränkte Beleuchtung eines Themas ist, findet doch überall statt. Dass sich "privilegiertere" Sexarbeiter:innen stark machen für diejenigen, die keine Stimme haben, finde ich bewundernswert und mutig. Sie sprechen von einer Wirklichkeit. In Wirklichkeit existieren eben unzählige Wirklichkeiten. Ich auf jeden Fall wünsche dem Kollektiv viel Erfolg und viele weitere erfolgreiche und genüssliche Hurenapéros.

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Warum sollte man als Journalist den einen viel eher zuhören als den anderen? Ist diese (paternalitische) Sicht nicht genau ein grosses Problem? Haben es Sexarbeitende nicht verdient, gehört zu werden, weil andere, von Menschenhandel betroffene Menschen, auch gehört werden müssen? Genauso problematisch scheint mir Ihre selbstverständliche Vermischung und Gleichsetzung von Sexarbeit und Menschenhandel, der die Sexarbeitenden in diesem Interview widersprechen. Dass Sie diesen Sexarbeitenden zudem ihre Realität absprechen beziehungsweise Realitätsfremdheit vorwerfen, weil sie selbstbestimmte Sexarbeit tätigen, ist zwar Ihr gutes Recht, aber auch das halte ich für sehr problematisch und verhaftet in Schwarz-Weiss-Denken.

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Ich werfe den von Ihnen interviewten Sexarbeiterinnen nichts vor, im Gegenteil, ich finde das Interview sehr interessant und die dargelegten Sichtweisen differenziert. Mir fehlt einfach die Perspektive derer, die von Menschenhandel und Zwang betroffen ist - diese kommen m.E zu wenig vor. Gerade weil diese die überwältigende Mehrheit der Menschen, die in irgendeiner Form Sexarbeit tätigen, sind.

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"The lady doth protest too much, methinks.“

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Leider ist es eben wirklich so, dass die Perspektive nicht-weisser Sexarbeiterinnen in dieser Diskussion oft zu kurz gerät, obwohl diese die Mehrheit der Sexarbeiterinnen ausmacht. Es ist gut, dass die Sexarbeiterinnen im Artikel eine Stimme erhalten und das Gewerbe entstigmatisieren. Es ist aber so, dass in einer Gesellschaft die prinzipiell weissen Stimmen eine Stimme schenkt, so ein verzerrtes Bild der Realität gezeichnet wird. Die Stimmen der nicht-weissen Prostituierten (welche wie erwähnt die Mehrheit ausmachen) werden von privilegierten weissen Menschen übertönt. Der gesamte Diskurs dreht sich um eine Minderheit von privilegierten Sexarbeiterinnen. Dies erschwert Diskussionen über beispielsweise Ausstiegprogramme für Prostituierte ohne Aufenthaltsbewilligung, welche dringend nötig wäre.

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Ich bin da ganz bei Ihnen, aber ich denke dass die Diskussionen die in dem Interview geführt werden, und die Forderung nach weniger Stigma und mehr Legalität allen zugute kommen würde.
Ich finde auf jeden Fall auch, dass auch diese Stimmen mehr gehört werden müssen, damit ein differenzierter und inklusiver Diskurs entsteht und bessere Lösungen gefunden werden können.

So wie ich das verstanden habe, setzen sich die Prostutierten generell für ein gerechteres System ein, in dem dann natürlich auch dafür gesorgt werden müsste dass Menschen zum Beispiel eine Aufenthaltsbewilligung bekommen können um in der Schweiz Sexwork nachzugehen, genau wie für andere Berufe auch. Natürlich braucht es trotzdem gute und sinnvolle Massnahmen um es allen möglich zu machen den Beruf sicher auszuüben und sicher aufhören zu können, nicht nur im Sexwork sondern auch für andere Berufe die oft Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung beschäftigen.

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Die Hautfarbe an sich hat doch nichts mit dem Grad an Selbstbestimmtheit der Sexarbeiter°innen zu tun. Ihre Hauptaussage ist sicher berechtigt, aber Ihr Kommentar ist rassistisch.

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Kulturkritiker
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das ist nicht der Punkt: Migranten sind generell auf vielen Gebieten benachteiligt. man denke an Ehen, die nicht geschieden werden können, ohne dass eine Aufenthaltsbewilligung verloren geht.

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Ich sehe das genauso, Herr Fintelmann. Danke für Ihren Kommentar.
Wäre doch auch aus journalistisch-konzeptueller Sicht viel adäquater, ja ästhetischer gewesen, wenn die sexarbeitkritischen Inputs nicht vom Interviewer selbst hätten kommen müssen: 4 SexarbeiterInnen: 2 pro (mit und ohne Migrationshintergrund) und zwei ehemalige (ebenfalls mit und ohne Migrationshintergrund) welche die Contra-Seite vertreten hätten. Dann wäre man wahrscheinlich noch schneller zu „des Pudels Kern“ vorgedrungen und hätte länger und vertiefter darüber sprechen können: Müsste vor dem Problem der Prostitution (weniger polemisch: den Problemen, welche die Prostitution mit sich bringen kann) nicht zuerst das Aporem Problem der Armut gelöst werden?

Was mir an dieser Stelle aber noch wichtig ist:
a) mein Wunsch ist wahrscheinlich schon fast nicht erfüllbar. Könnte mir gut vorstellen, dass das Finden von Interviewpartner*innen zu diesem Thema generell schwierig ist.
b) Abgesehem von meinem oben angeführten Kritikpunkt finde ich das Interview sehr gelungen. Ich habe den Artikel sehr gerne gelesen. Danke Herr Ryser!

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Wenn Moralvorstellungen auf die Realität trifft...
Sehr spannender Artikel, danke den ehrlichen Protagonisten

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Kulturkritiker
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treffen

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Theologe & Religionspädagoge
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Religiös verbrämte Machtstrukturen von der Vatikanhierarchie über florierende Freikirchen bis zu einem ominösen christlichen Abendland bauen auf Geschichten über einen Mann, dem nachgesagt wurde, er sei ein Säufer, der sich mit Prostituierten und Zöllnern umgebe. Von dieser Nähe zu Prostituierten ist nicht viel geblieben. Eigentlich höchste Zeit, dass wir diesen Frauen zuhören - wenn schon nicht sonntags von den Kanzeln und während der Sessionen von den Rednerpulten, dann wenigstens in solchen Interviews.
Vielen Dank für diesen Anfang!

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Danke S. P., von dieser Geschichte habe ich auch gehört. Der jüdische Säufer soll offenbar das Establishment seiner vormaligen Glaubensgemeinschaft durch sein Verhalten und seine Äusserungen dermassen provoziert haben, dass sie seinen Tod durch Kreuzigung forderten. Der damalige römische Machthaber in jenem Land konnte jedoch keinerlei Vergehen erkennen und hat alles daran gesetzt, den Angeschuldigten frei zu sprechen. Ohne Erfolg. Das war der Beginn einer unglaublichen Geschichte, die Millionen von Menschenleben gekostet hat und bis heute die Scheinmoral des " ominösen christlichen Abendlandes" aufrecht erhält.

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Theologe & Religionspädagoge
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Wobei Pontius Pilatus auch kein Heiliger war sondern ein äusserst cleverer Machtpolitiker, der auch mal reihenweise aufmüpfige Juden ans Kreuz schlagen liess, um die Ruhe zu wahren.

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Zu: "Niemand käme auf die Idee, einen Bau­arbeiter zu fragen, ob er seinen Körper verkauft."

Ich sehe das umgekehrt und nüchtern: Natürlich verkauft ein Bauarbeiter seinen Körper. Auch ich als Informatiker verkaufe meinen Körper.

Genauer: Wir verkaufen unseren Körper, Geist und Seele. Oder einfach Lebenszeit. Zu einem mehr oder weniger fairen Entgelt. Mit dem kaufen wir wieder Produkte und Dienstleistungen, für die andere einen Teil ihrer Lebenszeit verkauft haben.

Danke für diese unverstellten Einblicke 🙂 , den Komplimenten der anderen KommentatorInnen kann ich mich nur anschliessen.

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Ich bin nicht einverstanden mit Ihnen, das ist kein Verkauf. Ein Verkauf impliziert einen Besitzerwechsel wie bei einer Ware, und das ist nie gegeben (ausser bei Menschen- und Sklavenhandel, da wäre der Begriff richtig). Ob Bauarbeiter, Informatiker oder Bürogummi, es ist immer ein Vertrag über eine erbrachte Dienstleistung oder über zeitliche Verfügbarkeit oder Arbeitskraft, aber eben kein Verkauf des Körpers oder des Geistes oder der Zeit. Der Arbeitgeber kann auch bei einem Bauarbeiter nicht über den Körper verfügen, er hat nur Weisungsbefugnis für die zu leistende Arbeit (unter Respektierung des Arbeitgesetztes etc. etc.).

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Wäre schön, wenn das immer der Fall wäre. Google hatte Klauseln im Praktikumsvertrag, dass sogar in der Freizeit geschriebene Programme trotzdem Google gehören. Es gab auch eine Klausel die besagte, dass alle Freizeitaktivitäten der vorgesetzten Person zu melden seien und diese die dann verbieten kann. Beim Antritt der Praktikumsstelle war eine vollständige Liste aller Werke gefragt, deren Rechte man bei Antritt nicht exklusiv an Google abtritt, usw. Ich habe den Vertrag nicht unterschrieben.

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Ähnlich wie nz auch schrieb, aber formaler (eben, bin Informatiker): JedeR kann für sich einen bestimmten Arbeits-Deal zB mit 6 Werten quantifizieren:

Für Körper, Geist, Seele je zwei Werte, einen für kurzfristige Leistung (1-5) (also während man die Arbeit verrichtet) und einen zweiten für langfristige Schäden oder Nutzen (-5 bis +5) (also nach bzw lange nach der Arbeit). Wie man die dann gewichtet, ist wiederum sehr persönlich.

Also ich als Informatiker habe für meinen Job:
körp. Leistung: 1-2
körp. Nutzen/Schaden: -1
Geist Leistung:5
Geist Nutzen/Schaden:+1
Seel. Leistung: 3
Seel. Nutzen/Schaden: 3

Die seelische Leistung/Nutzen kommt von meiner Aufgabe als Lehrlingsbetreuer.

Aus meiner Sicht hat also verkaufen nicht zwingend mit dem Besitzwechsel von materiellen oder immateriellen Gütern (zB ein Foto bzw das Recht es zu verwenden) zu tun.

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Vielen Dank für diesen Beitrag. Ich höre zum erstenmal die Sicht der Sexworker/innen. Ich finde immer wieder, dass es um leben und leben lassen geht. Wenn jemand diese Art der Arbeit nicht akzeptieren kann, dann ist es halt so. Aber man muss auch sehen, dass diese Arbeit überhaupt nichts mit dem Leben dieser Person zu tun hat und daher sind dessen Ansichten auch nicht relevant. Anders sieht es natürlich aus, wenn jemand zum Sex gezwungen wird. Das sind dann nicht Sexworkerinnen sondern Sexsklavinnen und denen sollte unbedingt geholfen werden.

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"Andrea: Auch die Geschichte der Sexualität spielt eine Rolle. Weibliche Sexualität sollte der Reproduktion dienen. Und bestimmt nicht etwas sein, was zum Beispiel Gefallen bringen soll. Sondern etwas, das einen bestimmten Zweck hat."

Das ist exakt der Sermon aus dem Vatikan, seit Jahrhunderten. Mit fatalen Folgen.
Und nicht etwa "nur" weibliche Sexualität, sondern Sex im Allgemeinen darf einzig der Reproduktion dienen und dies ausschliesslich innerhalb der Ehe. Ansonsten ist er des Teufels und wird mit der ewigen Hölle bestraft. Was das für die Zölibatären bedeutet ist hinreichend bekannt. Niemand kann seine Grundbedürfnisse auf Dauer unterdrücken.

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Prostitution ist ein wunderbarer Kristallisationspunkt für Vorurteile, Abwertungen, Ausgrenzung etc.

Es wäre so einfach, wenn wir den ersten Grundsatz anwenden würden, dass man niemandem etwas zufügen soll, was man selbst nicht will. Und noch den zweiten Grundsatz, dass jeder auf seine Art glücklich werden soll (aber eben nicht auf Kosten anderer, weil man das umgekehrt ja auch nicht wollte).

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"Ich brauch schnell viel Geld" - dabei ist aber schon klar, dass das nicht mit einem 0815 Job geht. Sonst wuerd's jeder machen. Zu meiner Zeit hiess das für Männer, zB nach Saudi Arabien oder auf eine Oel Plattform. Wobei der Aufhänger bei Saudi Arabien zwar das Oel war, der gefährliche Teil aber eher darin lag mit einem Kofferraum voll Alkohol durch die Wüste zu fahren.
Mein Punkt. Bei zB 25.70Fr (x) gewerkschaftlich festgehaltenem Lohn wären die 4 Porträtierten nicht mehr dabei.
(x) : setzt da etwas anderes ein. Weshalb die selbst gewaehlte Zahl ?

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x = Grundeinkommen

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Genau! Ein Grundeinkommen zwingt niemanden zur Sexarbeit nur wegen dem Geld. Wenn es jemand trotzdem tut, wäre dies ein Statement an die Mitmenschen, dass es sich wohl nicht um Nötigung handeln kann. Mit einem Grundeinkommen würden die weniger privilegierten SexarbeiterInnen besonders stark vom Druck der persönlichen Lebenssituation entlastet. Und nicht nur SexarbeiterInnen, sondern viele andere mit unwürdigen Arbeitsstellen.

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Grundeinkommen von ? .. Reinigungskraft, Koch, Lehrer, Mediziner .. ? Wie hoch ist die Austauschbarkeit ?

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Als ethisch denkender Mensch finde ich es krass, wie die Moraldiskussion den Blick auf die gelebte Realität verstellt.

Ein Beispiel: Am 8. Januar 2021 anerkannte das Bundesgericht erstmals die Gültigkeit von Prostitutionsverträgen. Zuvor galten diese als sittenwidrig, und dadurch laut Art. 20 OR als nichtig, und konnten nicht eingeklagt werden.

Der vom Bundesgericht zu beurteilende Fall lässt tief blicken: Ein Freier vereinbart mit einer Sexarbeiterin eine sexuelle Dienstleistung für CHF 2000. Nach dem Sex auf das Geld angesprochen, will er nochmals Sex bevor er zahlt. Nach dem zweiten Sex löscht er auf dem Handy der Sexarbeiterin den Chat-Verlauf, nimmt aus ihrem Portemonnaie 41 Franken mit, und schleicht sich ohne zu bezahlen davon. Vor Gericht berief er sich dann auf die Sittenwidrigkeit des Prostitutionsvertrags. Vor ein paar Jahrzehnten wäre er damit durchgekommen.

Die Kriminalisierung von Sexarbeit nimmt Sexarbeiter:innen die Möglichkeit, ihre Rechte einzuklagen. Wie das ihre Situation verbessern soll, kann ich beim besten Willen nicht verstehen.

Das heisst nicht, dass bei der Sexarbeit alles zum besten steht. Aber wenn das älteste Gewerbe aus dem Dunkel ans Licht geholt wird können die Rechte der Sexarbeiter:innen besser geschützt werden.

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Friederike Höfer
Forensische Psychiaterin
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Tatsächlich wäre ein entspannter Diskurs über Sexarbeit dringend notwendig, insbesondere um über das Dunkelfeld zu sprechen: die hohe Rate von Abhängigkeitserkrankungen unter Sex WorkerInnen mit Migrationshintergrund oder Prostitution unter Gefängnisinsassen. Illegalisieren würde dazu gar nichts beitragen.

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Es ist auch notwendig, entspannt über die Sexarbeit ausserhalb des Dunkelfelds zu reden, über Arbeitsbedingungen, behördliche Auflagen, Stigmatisierung und Diskriminierung.

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Theologin/Pfarreiseelsorgerin
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Roman: Es mangelt in unserer Gesellschaft an einer gewissen Selbst­verständlichkeit im Umgang mit Sex.

(Zu meinem Hintergrund in diesem Themenbereich: Während drei Jahren (2016-2018) war ich als Seelsorgerin der röm.-kath. Landeskirchen BL und BS in Basel im Sexgewerbe als Seelsorgerin unterwegs. Die Stelle wird bisher seitens der Gremien je weiterverlängert und durch meine Nachfolgerin geführt.)

Oben zitierten Satz unterschreibe ich sofort: Die Reaktionen seitens Menschen ausserhalb des Gewerbes auf meinen Dienst offenbarten jeweils rasch das Bedürfnis nach nicht-therapeutischen Gesprächsmöglichkeiten für Erwachsene zum Thema Sexualität. Es ist ein Irrtum, anzunehmen dass erwachsene Menschen automatisch auch (gut und umfassend) aufgeklärt sind.

Bei den Sexworker:innen ging es in praktisch allen Fällen darum, einfach mit jemandem reden zu können, der sie als Mensch wahrnimmt, auf Augenhöhe mit ihnen spricht und ihnen die Gesprächsgestaltung überlässt. Die Themenbreite reichte von Reiszubereitung bis zu Fetischen der Kunden. Doch wichtig war den Sexarbeiter:innen, dass ich Zeit hatte, offene Ohren ohne einen wertenden Filter und mich rausschmeissen liess wenn die Arbeit es erforderte. Die Menschen im Milieu, die ich getroffen habe, deckten die ganze Bandbreite von freiwillig arbeitend bis durch die eigene Familie dazu gezwungen ab.

Für mich bin ich in dieser Zeit zu folgenden Überzeugungen gelangt:

  1. Ich würde wünschen, dass kein Mensch durch Umstände oder andere Menschen gezwungen würde, diese Arbeit zu machen.

  2. Weil ich weiss, dass dieser Wunsch kaum erfüllbar ist, würde ich es begrüssen, würden die Arbeitsbedingungen sicherer, anstatt die Arbeit gesetzlich zu verbieten (egal mit welchem Modell; französische Sexarbeiter:innen haben darunter gelitten, dass die Gesetze verschärft wurden).

  3. Menschen, die über diese Arbeit und die Menschen, die sie ausüben, urteilen, sollten sich überlegen, ob sie da nicht eigenen Vorurteilen und Vorstellungen oder Unsicherheiten auf den Leim gehen.

Danke für die Geduld beim Lesen bis hierher. Falls Reaktionen kommen, antworte ich da sehr gerne später darauf. Ich habe jetzt Gottesdienste. Einen schönen Sonntag allen.

edit: Rechtschreibung

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Kulturkritiker
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ich würde auch nicht gern in einem chinesischen Kohlebergwerk arbeiten ...

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Kulturkritiker
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super Gespräch.

die Stigmatisierung hat vor allem historisch-religiöse, juristisch-systematische und kenntnismangelbedingte Gründe.

a) ist hoffentlich klar.

b) das juristische System ist extrem schwerfällig und hinkt der gesellschaftlichen Entwicklung Generationen hinterher. da sich die Entwicklung der Gesellschaft beschleunigt, wird der Abstand größer. man denke nur an die weitgehend unbrauchbaren Gesetze zu Rauschdrogen (ist Cannabis jetzt legalisiert?) und zum Rechtsraum Internet. schon bei einem absolut harmlosen Thema wie der Ehe für alle hakte es gewaltig, und bei der Fortpflanzungsmedizin ist der Knoten noch lang nicht gelöst.

c) früher hatte man zuwenig Wissen über Krankheiten, Infektionsketten und Schwangerschaftsverhütung, darum auch keine effizienten Mittel, Medikamente und Verhaltensweisen, um adäquate Regeln zu entwickeln und Maßnahmen zu ergreifen.

es wird noch ein paar Generationen dauern, bis wir da sind, wo wir sein sollten. ein Blick über den Tellerrand könnte helfen. speziell asiatische Länder, in denen oft eine scharfe Trennung zwischen Lebenspraxis und Spiritualität besteht und die nicht massiv kolonialisiert wurden, so dass die europäischen Wertvorstellungen etabliert wurden, könnten Erfahrungen liefern.

was ich an dem Artikel schmerzlich vermisse, ist eine Bewertung der Dienstleistungsqualität. schön wär es, wenn erotische Angebote wie Verpflegungsangebote von Restaurants präsentiert und bewertet werden könnten. denn, wie es aussieht, besteht die Isolation, welche die Dienstleistunganbieterinnen beklagen, auch auf Seiten der Konsumenten.

Wann wird Bordellkritiker ein respektables Berufsbild?

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Grundsätzlich bin ich da einer Meinung mit Ihnen, aber die pauschale und völlig unnötige Aussage

Juristen sind bekanntlich nicht die Hellsten

verunmöglicht mir ein Like.

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Kulturkritiker
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ermöglicht es wenigstens eine Abwertung?

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Mein lieber Herr Kulturkritiker. Sie schreiben: "Juristen sind bekanntlich nicht die Hellsten, das juristische System ist extrem schwerfällig und hinkt der gesellschaftlichen Entwicklung Generationen hinterher."

Wie hell Juristen sind, das ist wirklich mal eine Frage. Eine Frage allerdings, die nur mit einem Vorurteil beantwortet werden kann. Und so kommt es dann auch heraus. Im Studium sagte uns ein verehrter Professor, wir sollten auf die Wortwahl achten. Immer wenn es heisse "ein gewisser...", so sei das Gegenteil wahr. "Bekanntlich" war auch so ein demaskierendes Wort. Darüber kann man noch lange streiten, besonders mit einem Nicht-Fachmann.

Völlig unklar ist, was Sie wohl unter dem juristischen System verstehen könnten. Die Art zu denken? Dass es Parlamente, Justiz und Gerichte gibt? Dass Sie Gesetze veraltet finden? Keine Ahnung. Und dann lese ich Ihre Mängelliste und denke: ach so, er meint, die Juristen würden veraltete Gesetze machen, dabei sind es doch die Parlamente und das Vouch. Juristen nennen solches Danebenhauen aberratio ictus. Das ist Latein, weil man schon seit Jahrtausenden weiss, was für Fehler die Menschen so machen.

Im Osten geht die Sonne auf, schauen wir also über den Tellerrand, denn die asiatischen Länder wurden nicht massiv kolonialisiert. Schon mal von den Opiumkriegen gehört? Vietnam? What a pity that we lost India.

Und ich habe auch keine Ahnung, was ein Kulturkritiker tut. Also habe ich nachgeschlagen und -gelesen: "Kulturkritik ist ein osmotisches Denken mit Kritik- und Weltdeutungsanspruch, das vom Zeitgeist lebt, wenngleich es sich gegen die eigene Zeit wendet." (Wikipedia). Ja natürlich, osmotisches Denken, was sonst.

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(von der Moderation verborgen)
Sozialpädagogin
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Spannende Gespräche. Eröffnen mir neue Einsichten und Verständnis zum Thema. Unsere Gesellschaft ist geprägt von Jahrhunderte alten Vorstellungen wie wir zu leben zu lieben zu sterben haben. Die Möglichkeit etwas zu ändern beginnt stets in unserem Denken. Und genau dort sitzen die stärksten Barrieren, um genau das zu ändern. Um eine gesellschaftliche Veränderung herbeizuführen, egal zu welchem Thema, braucht es Menschen, die ihr Denken weit öffnen, Neues zulassen, Querdenken, neugierig sind und sich herausfordern lassen vom Gegenüber. Dann werden einzelne Gruppen nicht mehr stigmatisiert und an den Rand der Gesellschaft gedrängt, erst dann.

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Der hämische Kommentar der Frauenzentrale zum Apéro ist sehr enttäuschend. Was soll dieses Aufspielen von schweizerischen Sexworkerinnen gegen Migrantinnen? Weshalb versucht man, Selbstorganisation dieser Personen und den Kampf um bessere Arbeitsbedingungen lächerlich zu machen? Wenn angebliche Privilegiertheit ein Grund zum Schweigen sein soll, muss sich die Frauenzentrale dies selbst entgegenhalten lassen. Deren Sprecherinnen dürften um einiges privilegierter als die meisten schweizer Sexworker sein.

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Wichtiges und spannendes Gespräch! Vielen Dank an alle Beteiligte.

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wenn sexworker ein normaler beruf wäre, würde das vieles für alle beteiligten verbessern. ich schreibe aber im konjunktiv nachdem ich mir ein beratungsgespräch in der regionalen arbeitsvermittlung für arbeitslose vorstelle.

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Prohibition und Bestrafung sind keine guten Lösungsansätze, fast egal welches Thema man beleuchtet. Es gibt andere Möglichkeiten, meist starten sie mit einem Dialog und den finde ich in diesem Artikel zuweilen. In den Kommentaren finde ich für meinen Geschmack zuweilen recht viel „whataboutism“, das finde ich unnötig.

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Die Meinung in den Interviews, dass bezahlter Sex nicht kriminalisiert werden sollte, teilt auf pointierte, lesenswerte Art auch Hanna Lakomy. Sie schreibt in der Berliner Zeitung und ist im Zweitleben als Hetäre Salomé Balthus unterwegs.

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Über 65 Jahre
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Schon mit 15 J. fand ich das Sexgewerbe nötig und war dankbar, dass es Frauen gab, die diese Arbeit machten. Es hat mich als Frau und sicher auch viele andere Frauen vor vermehrten Übergriffen und Vergewaltigungen geschützt.
Seither, also seit über einem halben Jahrhundert, hoffe ich, dass diese Frauen und Männer entlich ein würdiges Arbeitsfeld erhalten. Dass sie der Arbeit wegen geschätzt und vom Gesetz geschützt werden.
Allen, die Sexarbeit leisten möchte ich hiermit einmal deutlich Danke sagen!

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Nun, ich kann mir vorstellen: In einer Zukunft ohne Stigmatisierung, ohne patriarchale Zwänge, mit global grösserer Gerechtigkeit, ohne Dominanz des Marktes über Lebenszusammenhänge - und mit unverkrampftem Verhältnis zu Sexualität, weniger Übersexualisierung des Alltags, viel Gleichstellung der Geschlechter.......wäre Sexarbeit wohl vor allem eine kleine Nische, besetzt vor allem durch Personen wie hier im Interview. Weder besonders wichtig, noch verboten, noch ganz verschwunden.
Nur: Wie verfahren wir bis dahin?

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Wie würden wohl die Antworten lauten, wäre das Interview mit Personen geführt worden, die diesen Job nicht freiwillig machen? Ich bin gegen ein Verbot der Prostitution, weil Prostitution dann nur noch im Verborgenen stattfinden könnte, was für die Betroffenen gefährlicher wäre. Aber wie viele der Sexarbeiter*innen machen den Job nicht freiwillig und können sich die Kund*innen nicht aussuchen? Können nicht aussuchen, welche Dienstleistungen sie anbieten? Wieviele Kund*innen sie pro Tag bedienen müssen?

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Ich kann zum Thema noch das Buch "Mein Huren-Manifest" von Undine de Rivière empfehlen.

Über das Buch:
Zitat von ihrer Website

Über Prostituierte glaubt jeder Bescheid zu wissen: Huren verkaufen ihre Seele. Die meisten werden zum »Anschaffen« gezwungen. Mafiose Strukturen bestimmen das Geschäft.
Mit solchen und anderen Klischees räumt die Sexarbeiterin Undine de Rivière auf. Sie gibt einen unerwartet differenzierten Einblick in die Welt zwischen BDSM-Studio, Laufhaus und Gangbang-Party und lässt Kolleginnen, Freier, Betreiber und Experten zu Wort kommen – offen und ehrlich. Ein Insiderbericht, wie es hinter den Kulissen eines Wirtschaftszweigs zugeht, über den meist nur Halbwissen und Pauschalurteile verbreitet werden – ein starker Appell für die Entkriminalisierung einer umstrittenen Berufsgruppe.
»Die meisten Kolleginnen, die ich kennengelernt habe, sind selbstbewusste Frauen, die sehr genau wissen, was sie wollen.« Undine de Rivière

Über die Autorin:
Zitat von ihrer Website

Undine de Rivière, Jahrgang 1973, wuchs in Südwestdeutschland auf. Sie finanzierte ihr Studium mit Striptease und Escort und entschied sich nach abgeschlossenem Physik-Diplom für eine hauptberufliche Ausübung der Sexarbeit. Als »Bizarrlady« leitete sie fünfzehn Jahre lang eines der bekanntesten BDSM-Studios Hamburgs. Insgesamt arbeitet sie seit über zwanzig Jahren als Sexdienstleisterin. De Rivière ist Gründungsmitglied des bundesweiten Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD) e.V., einer Interessenvertretung ehemaliger und aktiver Sexarbeiterinnen. Sie setzt sich auf lokaler und Bundesebene für eine Entkriminalisierung des Berufs und eine Stärkung der Rechte von Sexarbeiter_innen ein.

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Marius Schären
Texter, Bilder
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Danke für das interessante Interview.
Eine Erklärung der Frauenzentrale zu ihrer Äusserung würde mich ergänzend auch sehr interessieren. Die Begründung der Interviewten für ihr «Aperölen» jedenfalls erscheint mir aus Sicht sämtlicher unterschiedlicher Positionen in der Sexarbeit sehr einleuchtend.

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Sorry, zweimal vertippt! Wollte nichts eine Beanstandung melden.

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Dies war ein interessanter Einblick, aber schade das hier nur Frauen interviewt wurden.

Ähm, da wurden doch drei Frauen und ein Mann interviewt, ausser ich hätte mich grob verlesen?

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Spannendes Gespräch! Ich empfehle hier das Buch Piff, Paff, Puff. Prostitution in der Schweiz von Aline Wüst, welche über zwei Jahre lang Interviews mit Sexarbeiter*innen geführt hat und eindrücklich aus ihrem Leben erzählt.

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Dieses Buch würde empfehle ich nicht, weil es genau diese stigmata fördert. Den vorliegen Artikel finde ich hervorragend. Danke Dani Ryser.

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Ich empfehle dieses Buch: "Ich bin Sexarbeiterin".
https://www.limmatverlag.ch/program…terin.html

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Theologin/Pfarreiseelsorgerin
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Danke für den Hinweis! Einen schönen Sonntag noch.

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Die interviewten Personen haben primär Männer als Kunden. Es wäre ein Artikel wert, über weibliche Kundinnem von Sexarbeit zu sprechen.

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Was für ein sonderbarer Report über eine sonderbare Welt voller sonderbarer Menschen - ja, der Herrgott hat bekanntlich viele Kostgänger, und wir alle gehören dazu.

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...während des Studiums vor zwölf Jahren. Ich brauchte ganz einfach Geld. Also begann ich zu strippen.

...dann begannen mir die Zuschauer Geld für die Darbietung zu überweisen. [...] Das war völlig irritierend und faszinierend: Ich kann damit Geld verdienen?

#CheckYourPrivileges

Das wäre der Moment, in welchem mensch feststellen könnte, dass es vielleicht doch keine eindeutige Hierarchie zwischen den ach so unterprivilegierten Frauen° und den ach so privilegierten Männern° gibt.

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