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Marco Zaugg
Coach und Prozessbegleiter
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"Auch ich habe mir selber die Geschichte verkauft, es sei ein Zeichen von Stärke, Unangepasstheit, Emanzipation, in hohen Stiefeln und knappen Kleidern Männer zu empfangen. Ich glaubte, selber das zu wollen, was ich tat, weil ich schon abgespalten war von meinen Gefühlen und meiner Körperwahrnehmung. Ich spürte die Verletzungen und die Wunden nicht mehr und verstand noch gar nicht richtig, was ich tat. Ich sah nur, dass mein Handeln funktionell war, weil es Geld einbrachte und dafür sorgte, dass ich gesehen wurde von meinem Mann und von anderen Männern". Zitat aus einem Interview mit Anna Schreiber, die früher zwei Jahre als Prostituierte arbeitete. Hier das ganze Interview: https://www.beruf-berufung.ch/inspi…-schreiber . Anna Schreiber arbeitet inzwischen als Psychotherapeutin in eigener Praxis und hat ein bewegendes Buch geschrieben: "Körper sucht Seele. Eine Psychotherapeutin blickt zurück auf ihre Zeit als Prostituierte". Wer dieses Buch gelesen hat, bekommt einen anderen Blick auf das Phänomen Prostitution. Anregung an Frau Hürlimann: Sprechen Sie mal mit Anna Schreiber.

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Lieber Herr Zaugg, danke für die Anregung. Bei den Frauen und Männern, die in der Sexarbeit tätig sind, handelt es sich um eine sehr heterogene Gruppe. Es gibt auch Opfer, und es gibt Menschen, die unter der Tätigkeit leiden. Wichtig ist, nicht zu pauschalisieren. Und wichtig ist, die Kräfte auf jene zu fokussieren, die unfreiwillig im Gewerbe tätig sind oder die aus anderen Gründen aussteigen wollen. Wer als ehemalige Sexarbeiterin in einer anderen Branche einen Job sucht (und die frühere Tätigkeit deklariert), hat immer noch grösste Mühe. Da sind wir als Gesellschaft gefragt. Beste Grüsse, Brigitte Hürlimann

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Danke für dieses Portrait. Ich möchte nicht respektlos erscheinen, denn die Portraitierte hat als Mensch Respekt verdient. Problematisch finde ich aber, wie so oft in der individualistischen Denklogik, dass die Frage aufgezogen wird ob die Prostituierte klug und fleissig ist, oder ein Opfer. Das ist doch gar keine Dualität! Sie selber ist initiativ, furchtlos und trampelt über alle ethischen Grenzen um zu erhalten was sie will. Aber die Frage ist doch, warum eine so intelligente, furchtlose und initiative Frau nicht an eine Uni kann, oder einen würdigen Beruf lernen wo sie anständig verdient. “es brach gerade der Kapitalismus los, skrupellos“. Da ist der Kern. Natürlich ist die Portraitierte ein Opfer, durch die ökonomische Situation gezwungen in einen extrem sexistischen Beruf, der praktisch nur Männern Dienste verkauft.

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Lieber Herr B., Clementine ist alles andere als ein Opfer. Sie hatte und hat bis heute Alternativen, und sie hat sich für die Sexarbeit entschieden, nicht zuletzt, weil es ihr einen selbstbestimmen Arbeitsablauf ermöglicht. Und ein gutes Einkommen. Beste Grüsse, Brigitte Hürlimann

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Eben genau deshalb ist sie ein typisches Opfer der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, wo sie Selbstbestimmtheit und ein gutes Einkommen nur erhält, wenn sie ihr Intimstes als Wahre anbietet. Kürzlich hörte ich im Sachbuchtrio vom Kontext Radio SRF2 vom faszinierenden Buch “warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben“, weil sie eben finanziell vom Mann unabhängig sind und daher die Sexualität einfordern können, die sie wollen. Das dies auch für den aufgeklärten Mann besserer Sex ist, versteht sich von selbst. Das Sex hingegen eine handelbare Wahre sein soll, finde ich hochgradig traurig.

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Politologin | Universität Oxford
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Genau darum geht es ja in dieser Serie, dass wir als Gesellschaft ihren selbst gewählten Beruf zu "unwürdig" herabsetzen.

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andere Sicht
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Vielleicht ist es ein Glück oder Pech im Leben einmal eine andere Sicht kennenzulernen. In jungen Jahren hatte ich von einer Reise kommend grad noch das gebuchte Schiffsticket nach Italien aber kein Geld mehr. Nach zwei Tage auf der Strasse mit "cento Lire per mangare, per favore" hatte ich dann genug Geld für ein Zugticket nach Hause zusammen. Eine interessante Erfahrung. Ja, ich war vorher ein Opfer, wurde bestohlen. Das hat mir diese Erfahrung ermöglicht.
Nicht alles ist ein gerader Weg im Leben, vielleicht bleibt man irgendwo hängen. Und - erfolgreiche Unternehmerin mit genug Geld in der Tasche ist doch schön.

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Der Artikel war erstaunlich... kurz!

Ich glaube, ein wichtiger Punkt ist die Realisation, dass verschiedene Menschen sehr unterschiedlich über ihre Sexualität denken und darüber fühlen.

Für manche mag die Überlegung, dass sie jetzt Sex mit einem Fremden haben und dabei Geld verdienen, sehr rational sein.

Da hätte ich jetzt persönlich Mühe damit, aber glücklicherweise kann ich selbst darüber bestimmen, was ich in meinem Leben anstelle. Und diese Freiheit sollte doch auch für Prostituierte gelten, ohne dass andere ihnen etwas vorschreiben.

Als kleine Ergänzung:
Ich war lange der Überzeugung, dass Sex und Liebe sowas wie eine Einheit bilden. Für mich fühlte es sich auf jeden Fall so an. Aus dieser Perspektive ist der Gedanke an 'Sex gegen Geld' absolut unmöglich. Denn ich würde meine Liebe, meine Gefühle doch niemals an jemand anderen verkaufen! Einzig in einer absoluten Notsituation liesse ich das zu, und das würde mich definitiv in meiner Würde treffen.
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es sich für jemand anders anders anfühlen könnte, weshalb es dann auch klar auf der Hand lag, dass Prostituierte Opfer sein müssen.
Es brauchte den Austausch mit vielen andersdenkenden Leuten, bis ich es ablegen konnte, ständig anzunehmen, dass andere gleich fühlen wie ich...

(Mir geht es in obiger Diskussion übrigens explizit nicht um Opfer von Menschenhandel oder sonst Leute, die tatsächlich aus einer Notsituation handeln oder sich sonstwie unwürdig behandelt fühlen. Ihnen und sowieso allen im Millieu gebührt aller denkbare Schutz, den wir als Gesellschaft bieten können.)

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Intellektueller Landarbeiter
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Die häufigste Art von Prostitution ist wenig glamourös und glitzernd.
Mir kommt da beispielsweise eine Tschechin in den Sinn, die sich auf alte Schweizer spezialisiert hatte, über die sie hier in dem reichen Land von Banken, Golduhren und Schokolade Fuss fassen konnte.
Sie wurde also die Freundin eines weisshaarigen Naturmenschen, Lebemanns und... Lustmolchs und war immer häufiger in seiner Hütte und auf seinem Grundstück anzutreffen. Sie rauchte sehr viel, aber aus dem Holzofen kam auch viel Rauch. Sie lernte deutsch währenddem sie dem alten Mann Gesellschaft leistete, ihm zur Hand ging, kochte, putzte und während seinen letzten Lebensjahren auch die Alterspflege übernahm.
Doch dieser buchstäblich "Alte Weisse Mann" war bereits verheiratet, auch wenn er nur offiziell mit seiner Ehefrau zusammen wohnte, als "verheirateter Single" sozusagen.
Für ein langfristiges Bleiberecht in der Schweiz musste diese Frau aus Tschechien also in einen wirklich sauren Apfel beissen, indem sie einen anderen "Alten Knacker" heiratete, der an MS erkrankt war, in seinem Eigenheim bleiben wollte und sich darum via Heiratsarrangement eine preisgünstige Vollzeit-Betreuung organisierte.
Trotzdem schaffte es die währschaft-tüchtige Frau immer wieder, sich Zeitfenster frei zu halten, in dem sie dann zum "Wilden Mann auf dem Berg" flüchtete, um etwas frische Luft zu schnuppern.
Als der Ehemann (endlich) gestorben war, hatte sie den Schweizer Pass, fand eine Stelle bei der Migros, die von einer "kalabrischen Mafia" (Italienerinnen) beherrscht war...
Auch dieser Broterwerb war wieder kein Zuckerschlecken, und wieder konnte sie beim "Alten, Weissen, Wilden Mann" oben auf dem Hügel Dampf ablassen, indem sie sich mit tschechisch-emotionalem Temperament beklagte, wobei auch ein weniger alter, weniger wilder, weisser Mann ihr dabei zuhörte.
Diese Frau aus der Tschechoslowakei war sich von früher nichts Anderes gewohnt, als das "Hochschlafen". Die einflussreichen kommunistischen Funktionäre liessen sich genau dort packen und manipulieren, wo der "Schniedelwutz" hängt!
Und so schaffte es die Frau, mit ihren "weiblichen Waffen" Einen der begehrten Arbeitsplätze in einem Speisewagen der Staatsbahnen zu ergattern, die den "Eisernen Vorhang" überquerten. In diesem Speisewagen lernte sie den "Wilden Schweizer mit dem buschigen, weissen Haar" kennen, der von ihr so angetan war, dass sie blitzschnell begriff, dass da etwas zu machen war: Ein Sprungbrett in den Westen!
Und da ist sie heute.
Jetzt gehören die Hütte und das Grundstück dieses "Sprungbretts" IHR!
Sie liess sehr viele Bäume fällen, allen Gerümpel, den der alte Messi gesammelt und angeschleppt hat, in vielen Mulden entsorgen. Sie verkleinerte den Selbstversorger-Garten mit der schwarzen Erde und vergrösserte den Rasen.
Jegliche Romantik des verträumten Reichs eines begnadeten Handwerkers und Konstrukteurs ging bei dieser Renovation verloren und wurde durch ein sehr konventionelles, sehr standardmässiges und sehr steriles Park-Garten-Konzept ersetzt.
Und die Hütte ist (wiederum buchstäblich) für die verwöhnte und über alles geliebte Katze.
Ich sehe sie, wie sie ihren Besitz im reichsten Land der Welt selbstzufrieden betrachtet, währenddem sie eine Zigarette raucht. Dann drückt sie den abgebrannten Zigarettenstummel im Aschenbecher aus...

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Was für eine Geschichte! Danke!

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Meine Erkenntnis aus diesem Beitrag: Clementine scheint eine charismatische, intelligente Frau zu sein, der es gelungen ist, innerhalb des Systems Prostitution für sich ein Plätzchen an der Sonne zu schaffen. Und mehr kann ich dem Artikel dann auch nicht entnehmen. Was mir in der Debatte um den Umgang mit Prostitution oft fehlt, sind folgende Punkte.

  1. Klare Daten, Zahlen und Fakten. Das "Sexworker selbständige, kluge Frauen seien, die genau wissen was sie tun" ist genauso eine Behauptung und eine Pauschalisierung wie die Aussage der Gegeseite, die behauptet, dass alle Sexworkerinnen Opfer seien. Wie viele Sexworkerinnen sind denn tatsächlich ihre eigenen Chefs*innen? Wie verbreitet ist die Zwangsprostitution wirklich? Wie viele würden aussteigen, wenn sie eine Möglichkeit sähen? etc.

  2. Während einerseits ständig die Pros und Cons des Schwedischen Modells diskutiert werden, liest man andererseits seltener über die Erfahrungen in Deutschland. Deutschland bemüht sich seit ca. 20 Jahren mittels verschiedener Gesetzenänderungen darum, die Prostitution zu entstigmatisieren und bessere Arbeitsbedingungen für Prostituierte zu schaffen. Leider scheint das nicht so richtig zu funktionieren, wenn man den Befunden des deutschen Familienministeriums glauben will (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Prost…eutschland). Ich schliesse daraus, dass sowohl der Deutsche, wie auch der Schwedische Weg Schwierigkeiten mit sich bringen.

  3. Es wird selten differenziert zwischen einer individuellen und einer gesellschaftlichen, strukturellen Perspektive unterschieden. Auf der individuellen Ebene geht es oft um die Entscheidungsfreiheit der Sexworkerinnen für oder gegen die Prostitution und um das Recht der Freierinnen auf die Erfüllung ihrer sexuellen Bedürfnisse. Diese individuellen Entscheidungen sind immer eingebettet in einen gesellschaftlichen, strukturellen Kontext. Auf der Ebene dieses Kontextes geht es um Fragen der Ethik, der Menschenwürde und der Verteilung von (finanzieller) Macht (in abhängigkeit von Geschlecht, sozialer Schicht und Herkunft).
    Ich wünsche mir für die Debatte mehr Faktenbasiertheit sowie mehr Ausgewogenheit und Differenziertheit in der Argumentation.

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Ich stimme zu, dass der Titel des Berichts eine Pauschalisierung ist, die über die allgemeine Situation von Sexarbeiter*innen in der Schweiz wenig aussagt. Gleichzeitig frage ich mich aber auch, wie realistisch die Forderung nach 'klaren Daten, Zahlen und Fakten' in einem gesellschaftlich stigmatisierten, hoch schambeladenen Bereich mit Wurzeln in der Halb- und Unterwelt ist. Wie wollen Sie bspw. an Zwangsprostituierte herankommen, wie an die Opfer von Menschenhandel? Ausser natürlich im Rahmen polizeilicher Massnahmen, die aber höchsten die Spitze des Eisbergs betreffen dürften. Wie an belastbare Angaben darüber, wieviele Sexarbeiter*innen tatsächlich aussteigen würden, wenn sie denn die Möglichkeit hätten? Wie an eine repräsentative Anzahl Freier*innen oder ausgestiegener Sexworker? Und was würde es zur Besserstellung von Sexarbeit beitragen, wenn Sie alle diese Zahlen hätten?

Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind in der Schweiz m.W. liberaler als in Deutschland. Es erstaunt aber nicht, dass sowohl der Deutsche, wie der Schweizer, wie der Schwedische Weg Schwierigkeiten mit sich bringen, Sexarbeit zu regeln und zu entstigmatisieren. (Wobei Entstigmatisierung beim schwedischen Ansatz nicht zu den Zielen gehört).
Das Thema ist sperrig, und wie Sie richtig schreiben, spielt käufliche Sexualität auf verschiedenen Ebenen und bietet unterschiedliche Perspektiven. Änderungen auf einer Ebene, derjenigen der rechtlichen Rahmenbedingungen, reichen bei einem derart beladenen Thema mit Sicherheit nicht aus, innerhalb weniger Jahre auf allen anderen Ebenen ebenfalls wahrnehmbare Änderungen hervorzubringen. Gerade dazu braucht es auch Debatten wie diese hier. Oder die angekündigte im Kosmos. (An der ich leider nicht dabei sein kann.)

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Ich denke wir bräuchten ein neues Bild von Sexualität, damit wir unsere Gedanken und Gefühle zu Themen wie Prostitution/Prostituierte (oder auch Pornografie) mal WIRKLICH neu sortieren können. Das mit „Sexualität gehört zur Liebe“ kann so ja nicht stimmen, sonst würde es keine „Anstrengung“ brauchen. „Sexualität ist wie jedes andere Bedürfnis, dann kann die Befriedigung auch eine bezahlte Dienstleistung sein“ …also so wie beim Hunger oder beim Durst… führt mich zumindest in Denksackgassen, weil da dann irgendwie was mit Würde dran hängt und nicht aufgeht. Wie wäre es denn damit: Sexualität ist eine Form der Kommunikation. Ich lese schon lange alle Infos zum Thema Prostitution und Porno mit dieser inneren Haltung und da tauchen für mich dann jedes Mal wesentliche Fragen aus dem Wörterwirbel auf, für die ich gerne Antworten hätte: Was ist der Unterschied zwischen Prostituierten und Leihmüttern oder den Menschen, die ihre nicht lebenswichtigen Organe verkaufen (wo wir ja übrigens auch über Ausbeutung und organisierte Kriminalität zu Recht entsetzt sind und dagegen Massnahmen brauchen)? Dürfen wir so was alles mit unserem Körper tun? Was ist der Unterschied zwischen einem Freier und einem Mann, der eine Frau dafür bezahlt, dass er sie ohne Rücksicht auf Verluste zutexten darf? Was würden TherapeutInnen sagen, wenn ich behaupte, dass das doch genau ihr Job ist? Was verändert sich, wenn wir Prostituierte als Therapeutinnen für Körperkommunikation betrachten? Würden wir dann immer noch tolerieren unter welchen Bedingungen da die Mehrheit arbeiten muss? (Das ideale Bordell ist für mich deswegen übrigens ein interessantes Gedankenspiel, weil ein „ideales Psychotherapiehaus“ das Konzept ziemlich genau übernehmen könnte, oder?) Was sagt das über unsere Gesellschaft aus, wenn Menschen dafür bezahlen müssen, dass jemand mit ihnen kommuniziert? Und was sagt das über diese Menschen aus? Bräuchten sie nicht schlauere Unterstützung für ihren „Durst“ als immer NOCH ein schnelles Bierchen in irgendeiner Spelunke? Und haben wir das nicht im Grunde schon verstanden, weil es ja unterdessen doch immerhin Sexualtherapie gibt? Angenommen ich würde mir für Geld jedes Tattoo stechen lassen, das jemand anders so an mir will…würden meine FreundInnen sich nicht zu Recht Sorgen um mich machen? Würden die Antworten auf diese Fragen nicht eine ganz andere gesellschaftliche Diskussion, eine neue Klarheit, einen anderen Umgang und andere Lösungen bringen?

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Leser
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Geschätzte Frau Hürlimann
Vielen Dank zunächst für die anregende Lektüre.
Vor einiger Zeit habe ich mich intensiver mit Leben & Werk von Wilhelm Reich beschäftigt. Dabei bin ich auch auf Publikationen gestossen, welche einen drastischen Rückgang der Prostitution (resp. einen Preisverfall!) in den USA im Zusammenhang mit der „sexuellen Revolution“ beschreiben (Steven Levitt, Stephen J. Dubner: Superfreakonomics, Harper Colins, New York 2009).
Vielleicht gelingt es ja, z.B. mit Beiträgen wie diesen zum „perfekten Bordell“, wieder vermehrt über einen freien und natürlichen Umgang mit dem Thema Sexualität zu diskutieren. Es ist ja eigentlich schon verrückt, dass über allem so eine dunkle Schamwolke schwebt: Scham verhindert den lustvollen Sex in Beziehungen, Verschämt durch die Hintertür schleicht der Freier zur Sexarbeiterin ( um sich danach wieder zu schämen...), und schliesslich die Scham der Prostituierten selbst. Schamfrei glücklich lustvoll leben. Das wär doch was:-)

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Die Diskussion auf dieser Ebene weiterzuführen zu können, das wäre toll! Schamfrei glücklich lustvoll leben, das ist schon fast ein Gedicht. Und ein Traum.

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Frei von Scham die eigenen Bedürfnisse aussprechen. Das wäre doch das Ideal. Ob dann das Gegenüber darauf eingeht oder sich abwendet, damit muss ich leben können, wenn ich auf Augenhöhe mit meinen Mitmenschen verkehren will. Von Subjekt zu Subjekt. Den Passus in der Hausordnung, wonach eine Sexarbeiterin ohne weitere Erklärung abbrechen darf, finde ich ganz toll. Eigentlich müsste der selbstverständlich jederzeit und überall für alle intimen Interaktionen gelten.
Hingegen über Bedürfnisse anderer zu urteilen ist eine Grenzüberschreitung und Persönlichkeitsverletzung. Die Freiheit, sich der Erfüllung eines geäusserten Bedürfnisses zuzuwenden oder sich davon abzuwenden sollten wir kultivieren. Schranken einer projizierten Moral vernebeln nur den Blick.

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24 Jahre alt, weiblich
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Die Reportage hätte noch viel länger sein können, Clementines Sicht der Dinge – und die anderer Sexworker_innen – finde ich sehr interessant! Ich finde es wichtig, dass Sexarbeit entstigmatisiert wird. Das würde nach meinem Verständnis viel dazu beitragen, die Arbeitsbedingungen in diesen Berufen zu verbessern und jeglicher Kriminalität ein Ende zu setzen. Zudem könnten Prostituierte, Pornodarsteller und andere dann ohne Scham über ihren Beruf reden. Wie jeder andere auch.
Redaktionelle Beiträge über Sexarbeit finde ich super, weil sie das Thema aufs Tapet bringen und den Dialog fördern. Gerne mehr davon :)
Zum Abschluss noch ein Tipp: The Pornhub-Podcast with Asa Akira. Porno-Stars reden über ihre Arbeit und teilen ihre Ansichten. Lieblings-Folge: https://soundcloud.com/thepornhubpo…a-milf-now

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Danke für den Hinweis, das schaue ich mir gerne an. Und hier noch eine Empfehlung von mir, absolut hörenswert: https://www.youtube.com/watch?v=vc-n852sv3E

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Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt. Schon in der Bibel gibt es die Geschichte von der Rahab, zu der zwei israelitische Kundschafter gingen, als es um die Zerstörung Jerichos gind (anchzulesen im Buch Josua, Kap. 2 und 6). Gewiss, im allgemeinen wird in der Bibel die Hurerei verurteilt. Das zeigt aber nur, dass es sie schon immer gab und dass sie wichtig genommen wurde.
Männer sind Streuner. Das hängt damit zusammen, dass die Natur von ihnen will, dass sie "möglichst viele Weibchen decken". Es geht um die Erhaltung der Art und deren Diversifikation. Im Hinblick auf diese Tatsache erfüllt die Prostitution eine wichtige Funktion. Sie ermöglicht nämlich auf diskrete und unverbindliche Art und Weise, diesen offenkundigen, biologisch bedingten Sachzwang zu entschärfen. Ich behaupte einmal kühn, dass wegen der Verfügbarkeit von Prostituierten Ehekrisen, Geschlechtskrankheiten, Vergewaltigungen verhindert wurden, nicht einzelne, sondern in riesiger Zahl.
Unstreitbar ist aber, dass im Sexgewerde teilweise desaströse Zustände herrschen. Es gibt in diesem Umfeld brutale Zuhälter, Menschenhändler, Sklavenhalter, Kredithaie, Miezins-Wucherer, von der Mafia wollen wir gar nicht reden.
Darum ist es wichtig, dass die Prostitution ent-tabuisiert, -diskriminiert, -kriminalisiert wird. Dass sie auf "normale Beine" gestellt wird, dass man darüber sprechen kann, ohne dass sich vor Scham die Zehenim Schuh krümmen.
Der Weg, den Brigitte Hürlimann in ihrem Beitrag aufzeigt, ist genau der richtige. Und vielleicht merkt sogar Stadtrat Golta irgendwann, dass auch Politik und Behörden hier einen Auftrag hätten.

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Männer sind Streuner. Das hängt damit zusammen, dass die Natur von ihnen will, dass sie "möglichst viele Weibchen decken". Es geht um die Erhaltung der Art und deren Diversifikation.

Das ist mir jetzt ein bisschen zu einfach. Wenn man schon damit argumentieren will, was 'die Natur' angeblich von Männern 'will', dann richtig: wir Menschen sind biologisch gesehen Frühgeburten. Aufgrund der Grösse unseres Gehirns und des wenig entwickelten Körpers, mit dem wir zur Welt kommen, brauchen wir eine jahrelange Nachreifung ausserhalb des Mutterleibes, bis wir in der Lage sind, für uns selber zu sorgen (resp. unsere Gene weiterzugeben, um auf der gewählten Argumentationslinie zu bleiben.) In dieser Zeit waren unsere 'Urmütter' existenziell auf Anwesenheit und Schutz der 'Urväter' angewiesen, sonst hätten die Jungen nicht überlebt (und ihre Gene und damit auch diejenigen der Eltern nicht weitergeben können). Als Gegenspieler zum 'Streunergen' haben wir deshalb von der Natur den 'Bindungstrieb' mitbekommen, der Urväter und Urmütter aneinander und an ihren Nachwuchs band. Die Evolution sorgt dafür, dass sich auch dieser Bindungstrieb fortpflanzt: wer nur Samen verstreut, ohne für das Aufwachsen der Nachkommen zu sorgen, dessen Gene dürften nach kurzer Zeit von der Erdoberfläche verschwunden sein.
Auch in Bezug auf Variabilität des eigenen Genoms ist die möglichst weite Streuung evolutionär nicht das klügste, denn sie erhöht die Inzestgefahr, die die genetische Vielfalt nicht erweitert, sondern einschränkt.
Dass das alles dann auch sozial überformt wurde, steht ausser Frage.

Soviel zum Versuch, den Handel mit sexuellen Dienstleistungen als zwingende Notwendigkeit aus der männlichen Natur herzuleiten. Dass sich da ein Teil der Frauenbewegung gegen diese Begründung wehrt, kann ich gut nachvollziehen. Nicht nur, dass die Begründung falsch ist, sie reduziert Sexualität im Grund genommen auf einen imperativen, angeblich biologisch bedingten 'Sachzwang' des Mannes, der, wenn er nicht befriedigt wird, zu allerlei Ungemach führt, insbesondere für Frauen.

Zumindest als Hypothese könnte man aber die Frage wagen, ob die Krämpfe, die wir als Gesellschaft mit der Käuflichkeit sexueller Dienstleistungen haben, nicht eher mit etwas zu tun haben könnten, was zwar ebenfalls schon in der Bibel erwähnt wird, aber nicht im Zusammenhang mit Sexualität, sondern mit Macht, nämlich: die Frau sei dem Manne untertan?
Wo liesse sich für Männer dieser Machtanspruch bequemer, unverbindlicher und lustvoller befriedigen als im zur naturgegebenen Notwendigkeit (v)erklärten und damit schuldbefreiten Gefälle von: wer zahlt, befiehlt? (Was nicht ausschliesst, dass auch die inszenierte und damit ungefährlich gemachte Umkehrung lustvoll sein könnte.)

Gleichzeitig vermittelt begehrt werden und befriedigen können natürlich auch Frauen ein Machtgefühl. Ich kann nachvollziehen, dass diese Möglichkeit, den Lebensunterhalt zu verdienen, zumindest eine zeitlang attraktiv sein kann, und ich frage mich, ob nicht gerade das der tiefere Grund für die Stigmatisierung von Sexarbeit ist: diese Art von selbstbestimmter, ungebundener Macht wollen wir als Gesellschaft auf keinen Fall. Männer nicht aus Angst vor Machtverlust, Frauen nicht aus Konkurrenzangst.

Mit Ihrer Schlussfolgerung bin ich dann wieder einverstanden:

Unstreitbar ist aber, dass im Sexgewerde teilweise desaströse Zustände herrschen. Es gibt in diesem Umfeld brutale Zuhälter, Menschenhändler, Sklavenhalter, Kredithaie, Miezins-Wucherer, von der Mafia wollen wir gar nicht reden.
Darum ist es wichtig, dass die Prostitution ent-tabuisiert, -diskriminiert, -kriminalisiert wird. Dass sie auf "normale Beine" gestellt wird.

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Sie sprechen die Bibel an, das finde ich spannend. Prostitution ist zweifellos ein altes Gewerbe. Ich habe mich dann gefragt, da es ja offenkundig auch Frauen gibt, die sexuelle Dienstleistungen kaufen - gabs das zu Zeiten der Bibel auch schon? Oder hängt es mit Macht und finanziellen Mitteln zusammen, ob dies überhaupt möglich ist? Und hängt es mit Macht zusammen, ob eine Form der Prostitution in eine Buch wie der Bibel abgehandelt wird, und die andere nicht?
Weil was den biologischen Unterschied angeht: Ich würde mal die Behauptung aufstellen, dass der Unterschied zwischen Frauen
und Männern* in dieser Hinsicht gar nicht so gross ist. Es ist durchaus auch im Interesse der Artenvielfalt, nicht monogam zu leben, für alle Geschlechter. Aber zumindest beim Menschen ist das vielleicht auch eine Frage des sozialen Kontexts, inwiefern dies gedacht und gelebt werden darf und kann - die nature vs. nurture Diskussion...
Was ich mich auch frage: kann die Antwort auf Bedürfnisse ausserhalb einer monogamen Beziehung auch sein, polygam zu leben, ohne dass Geld im Spiel ist? Oder ist das dann zu anstrengend, weil zeitaufwendiger und generell unklarer, während bei Dienstleistungen gegen Geld klar ist, worum es geht? Gut möglich, dass Prostitution viele Ehekrisen verhindert hat, aber ich frage mich: lässt sich das auch anders angehen, z.B. indem in einer Beziehung offen über Bedürfnisse geredet und über deren Erfüllung nachgedacht wird? Wobei dies vielleicht eine Frage der Persönlichkeit oder des Zeitgeists/der Generation ist, aber ich kenne nur meine ;) schwer zu sagen.
Mich beschäftigen aktuell diese Fragen im Kontext der Gesellschaft, und ich finde es interessant, verschiedene Perspektiven zu hören, wie zum Beispiel die Ihre.
Mit Ihren letzten Abschnitten (Notwendigkeit eines veränderten Umgangs mit Sexarbeit und Lob an Brigitte Hürlimann) gehe ich übrigens einig.

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Helen F. aus B.
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Lieber Herr M., ich weiss jetzt nicht so ganz, was ich mit der Bibel und dem «dass es sie schon immer gab» anfangen soll. In der Bibel wird auch Sklaverei propagiert und es gab sie wohl auch immer schon (und ja, je nach Definition besteht sie weiter). Das entlässt uns aber nicht aus der Verantwortung die Welt neu zu denken. So wie es diejenigen taten, denen wir die «offizielle» Abschaffung der Sklaverei zu verdanken haben. Weiter wie bisher ist in den meisten Belangen eine schwache Strategie.
Sexuelle Bedürfnisse unbefriedigt lassen, ist auch keine gute Strategie. Aber das «Streunern» als gegebene Notwendigkeit zu sehen, ist m. M. n. ziemlich falsch. Man kann ja auch in seinen Gedanken «streunern» und dann ergiebig onanieren – es sei denn, man bemisst der Bibel wirklich soviel Relevanz zu und meint, es würde einem das selbe Schicksal treffen wie der Bibelfigur Onan, von der übrigens das Wort «onanieren» abgeleitet ist.
Mein Vorschlag für diese Diskussion: Lassen wir was war – und vor allem die Bibel – hinter uns, und konzentrieren wir uns auf das, was in Zukunft möglich sein sollte.

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Vielen Dank auch für diesen Beitrag zur Sexarbeit. Interessante Einblicke in Denkweise und Lebensmodell einer(!) Sexworkerin.
Wie repräsentativ ist das im Interview vorgestellte Arbeitsmodell, wieviel sagt es aus über die Situation der restlichen 99.99% der Sexarbeiterinnen? Ich bin dankbar, wenn hier noch Klärungen und Einordnungen folgen.
Mit Clementine wird uns eine Frau vorgestellt, die ihre lukrative Nische im System einer neoliberalen Marktlogik von Selbstverwertung und -ausbeutung gefunden hat.
Selbständig und klug ist sie mittlerweile, ob sie wirklich weiss, was sie da in welchem System tut, sei dahingestellt.
Mich erinnert sie ein wenig an die paar wenigen Frauen, die in der Chefetage oder im Verwaltungsratspräsidium angekommen sind, und auf die Frage nach der Notwendigkeit einer Frauenquote antworten: "Schauen sie mich an, ich habs doch auch ohne Frauenquote geschafft. Es braucht halt Leistungsbereitschaft und Durchsetzungskraft, dann klappt das ganz ohne Quote." Schöne neoliberale Märchenwelt;-)
Die Vermarktung der Ware Mensch unter den Gesetzen der Profitmaximierung begegnet uns möglicherweise in der Prostitution besonders deutlich, ähnliche Zustände finden wir aber genau gleich in der Arbeitswelt z.B. von Uber-FahrerInnen, Paketdienstleistern oder NäherInnen in der Textilindustrie. Auch hier wären sicher Interviewpartner zu finden, die sich innerhalb ihres Ausbeutungssystems eine halbfreie Nische der Selbstvermarktung erobert haben, in der sie relativ gutes Geld verdienen und evt. sogar noch Arbeitsplätze schaffen und individuell ganz zufrieden sind.
Aber die ernüchternde Realität der überwiegenden Mehrheit bildet dies wohl nicht ab.
Etwas seltsam finde ich, dass uns das Ganze unter dem Label "Freiheit" verkauft wird.
Freiheit ist ein hohes Gut und wird drum gerne als sakrosankt behandelt und nicht weiter hinterfragt auf ihre genaue Bedeutung hin.
Hier erkenne ich allerdings nur 2 "Freiheiten": die Freiheit der Sexworker zur Selbstausbeutung (mit sicherlich recht unterschiedlichen individuellen Auswirkungen) auf der einen Seite, die Freiheit der Freier zum Konsum auf der anderen.
Wer sich diesem engen Korsett neoliberaler Freiheit widersetzt, wird wohl ganz schnell am Ende von Freiheit, Würde und Selbstbestimmung angekommen sein.

Bin gespannt auf weitere Beiträge zum Thema mit breiterer Einordnung!

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Vielen Dank für diesen Artikel! Ich habe selbst mehrere Jahre in einer Institution gearbeitet, die SexarbeiterInnen unterstützt und hatte mit vielen verschieden Personen und Geschichten zu tun. Clementine erzählt ein Porträt wie man es selten in der Presse sieht: selbstbestimmt, erfolgreich, frei. Die Realität kann aber auch anders aussehen: Auf den Strassenstrichs Schweizer Städte findet man vor allem sehr junge Frauen aus Osteuropa, Spanien oder Südamerika, die, falls nicht direkt durch Menschenhandel, dann aber durch sozioökonomische Faktoren zu dieser Arbeit gezwungen werden. Da wird unser Strassenstrich plötzlich zum Spiegel für globale Ungerechtigkeiten. Diese Chancenungleichheit hat mich oft Ohnmächtig gemacht, denn diese jungen SexarbeiterInnen arbeiten oft unter miserablen Bedingungen, aber kämpfen, dass ihre Kinder bessere Zukunftschancen haben werden. Sie führen Doppelleben: reisen hin und her zwischen Strassenstrich und familiären Verpflichtungen. Ihre Arbeit ist leider oft viel weniger frei, als die von Clementine, aber sie haben mich mit ihrer Courage sehr berührt. Ich hoffe, dass auch sie vermehrt persönlich in der Presse zu Wort kommen können, fernab von Stigmatisierung und Opferrolle - aber doch als Beweis unserer heutigen Welt und den globalen Machtverhältnissen.

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Lieber Verleger, danke für diesen wichtigen Beitrag. Es ist völlig klar, dass in gewissen Bereichen der Sexarbeit schlechte Bedingungen herrschen, und es ist völlig inakzeptabel, wenn junge Frauen ohne jegliche Perspektive und aus lauter Verzweiflung in der Prostitution landen, daheim oder in fremden Ländern. Sie sind den Machenschaften der Ausbeuter und Menschenhändler ausgeliefert. Es gibt aber auch andere Facetten von Sexarbeit, und von denen ist fast nie die Rede. Darum für einmal diese Vision, dieser Fokus, der nicht negieren soll, dass es die andere Seite auch gibt. Sexworker leiden darunter, dass im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit nur vom Elend und von der Ausbeutung berichtet wird. Wir sollten beide Seiten im Auge behalten. Beste Grüsse, Brigitte Hürlimann

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Da kann ich ergänzend das Buch "Rotlicht" von Nora Bossong empfehlen. Die Autorin ist mehrfach mit Preisen ausgezeichnet.
"Alles begann mit dem altmodischen Plüsch eines Sexshops. Als Kind traute sich Nora Bossong nur, ihn aus den Augenwinkeln zu betrachten. Als junge Frau aber wagt sie sich in jene Geheimzone, in der Lust nackte Arbeit ist und unsere Sexualität und der Kapitalismus frontal aufeinanderprallen. Sie trifft harmlose Studenten bei Dildo-Präsentationen und altersweise Pornoproduzenten. Sie steht in schäbigen Sexkinos und am Salat-Buffet eines Swingerclubs. Mit funkelnder Beobachtungsgabe erzählt Nora Bossong von einer Gesellschaft, die das Verruchte immer abwaschbarer gestaltet. Und sie stellt die Frage, warum das Rotlichtmilieu die echte Wollust nur an den Mann bringen will – und niemals an die Frau".

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Spannend, danke. Beim letzten Satz würde ich allerdings sagen: Stimmt so nicht. Es gibt durchaus Frauen, die Sex kaufen.

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Märchentante*onkel
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Liebe Frau Hürlimann, haben Sie beim Gespräch mit der Bordellchefin Clementine bei Lamm­koteletts mit Gnocchi und Chicorée­salat sowie Sauvignon blanc auch daran gedacht, die Frau zu fragen, wieviel Miete die Sexworker ihrer Bordelle entrichten? Wie genau ihr Geschäftsmodell funktioniert und ob Ausbeutung im Spiel ist oder ob sie das fair betreibt.

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Ist es wirklich so, dass jede Frau, die Zimmer an Sexarbeiterinnen vermietet, unter dem Generalverdacht steht, eine Ausbeuterin zu sein? Übrigens wird Clementine am 17. Februar im Zürcher Kosmos an der Podiumsdiskussion teilnehmen, Rede und Antwort stehen.

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Märchentante*onkel
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Nein, habe ich das so geschrieben? Was ich sagen will: respektvolle Haltung im Journalismus heisst kritische Fragen zu stellen, wer auch immer GesprächspartnerIn ist. Ich schätze, dass Sie sich mit dem Thema befassen, aber ich denke, der Artikel würde bereichert, wenn die eine oder andere kritische Nachfrage ebenfalls gestellt und beantwortet wird.

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Danke A. C.. Das ist die relevanteste Frage überhaupt zu diesem Bericht. Sollte die Frage gestellt worden sein, könnte deren Antwort eine völlig neue Dimension eröffnen.

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Ein Bericht einer Sexworkerin ist nun wirklich weder selten noch hier anders als unzählige Male gelesen in den letzten 30 Jahren! Würden Sie die Kohlewerkarbeitenden in einer Halde befragen, würden diese selbstverständlich auch genauso für ihr Metier und seine Notwendigkeit plädieren! Das ist doch einfach kein Argument, sondern lediglich völlig subektiver Interessenausdruck. Genauso habe ich es mit meiner Bemerkung diesbezüglich im Kommentar zur Grundsatzfrage von Prostitution vor einigen Tagen auch gemeint. Diese Haltung ist völlig legitim und stimmt auch für die Person und Situation. Aber mit einer gesellschaftlichen Grundfrage hat es einfach absolut nichts zu tun. Die könnte zB lauten: Was will die Gesellschaft mit bestimmten aktuellen Verhaltensweisen, die mit problematischem Output verbunden sind, in der Zukunft tun? Das ist nun über einen längeren Zeitraum auszuhandeln und die Antwort ist noch völlig unklar bezüglich Prostitution.
Fakt ist, dass es wir auch hier mit einer Person mit besonderem Hintergrund zu tun haben. Es ist absolut keine CH-Normalbiografie. Erst wenn Normalo- Geschichten von Sexarbeiterinnen geschildert werden, können wir weiterreden. Es hat nie jemand der/die eine Ahnung hat, behauptet, alles seien Opfer. Einige nutzen die Umstände, in denen sie leben, sehr clever. Das ist völlig ok, tut ein Banker auch.
Ich stimme aber auch nicht mit der Allianz-F/Gisler überein, dass es um die "Menschenwürde" geht. Das Wort "Würde"/"Menschenwürde" kommt immer ins Spiel, wenn ungenau intellektuell argumentiert wird. Es geht um Paradigmenwechsel. Genauso wie die Zeit für sexuelle Übergriffe als Kavaliersdelikt abgelaufen ist, ist die Zeit abgelaufen, Prostitution als "unvermeidlichen Teil der Gesellschaft" zu empfinden in westlich-demokratischen Gesellschaften. (Aus einer solchen kommt im Übrigen die Protagonistin hier eben nicht und kann entsprechend einiges persönlich nicht nachvollziehen. Auch eine Person aus der Unterschicht kann es oft weniger, weil sie den Existenzkampf im Zentrum hat und nicht Gesellschaftsentwürfe. Das meinte ich auch vor einigen Tagen mit der "aktuelle Eigeninteressen"-Aussage). Diesen wesentlichen Unterschied zu erkenne und explizit zu thematisieren, erwarte ich von der "Republik", sonst muss ich es nicht lesen. Weil eben noch etliche Faktoren unklart sind und in Wechselwirkung, zB. haben Männer auch in eine völlig gleichgestellten Gesellschaft ein grundsätzlich (statistisch, nciht im Einzelfall) höheres sexuelles Bedürfnis und auch abgekoppelter von Gefühlen? Wenn das momentan nämlich einfach so behauptet wird, ist es sehr unwissenschaftlich und könnte sogar sexistisch empfunden werden - von Männern. Oder eine weitere entscheidende Frage: Werden sich überhaupt Frauen in Genüge zur Verfügung stellen als Sexarbeiterinnen (inklusive Ausländerinnen), wenn einmal die Löhne in Frauenberufen höher und gleich der Männerlöhne sind? Da gibt es noch viele solche Fragen. Das interesseiet aber sicher weniger Sexarbeiterinnen heute, denn die müssen einfach ihr Leben bestreiten. Total ok. Sollen sie auch so fair wie möglich tun. Die grossen Fragen beantwortet es aber nicht. Eigentlich können die nur mit einem Experiment (zB eben staatliche Oberhoheit über Bordelle, wie im Mittelalter die "Frauenhäuser" der Stadt unterstanden) neutral genug eruiert werden. Weil dies so utopisch ist, ist die zweitbeste Möglichkeit, ein "Sexkaufverbot für Freier ", das die Prämissen völlig ändert und das Paradigma auf "Vermeidbarer Teil" umstellt, was auch eine kleine Utopie ist, aber im Rahmen der realistischen Schritte. Erst die Zeit wird zeigen, was für das 21. Jh. insgesamt sich durchsetzt.

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Als ich 2000 an der SAL Journalismus studierte und die Ausbildung zum Sommelier machte, bin ich in der Nacht Taxi gefahren. Könnte ein Buch schreiben aber wir unterliegen der Schweigepflicht. Was in Dübendorf in der Nacht in den 8 Clubs geschah, kann ich nicht mehr vergessen. Dass die Behörden wegsahen, war tragisch. Konnte einigen Frauen ein paar Ratschläge geben und auch bewahren, dort einzusteigen. Das Problem waren die verlockenden Inserate, die 1000Fr pro Nacht versprachen. Auch mussten wir Puff Besitzerin bis in die Wohnung begleiten, da die Angst zu gross war. Ich begegnete nur Frauen wo immer ein Zuhälter dahinter regierte und mit harten Drohungen die Frauen einschüchterte. 30 Tage ohne Pause arbeiteten viele Frauen, alle aus Ost Europa. Habe einer Frau vor Gericht als Zeuge helfen wollen. Der Freier wurde trotzdem frei gesprochen, was mich erschütterte. Weil Sie früher Drogensüchtig war, schenckte man ihr keinen Glauben. Im Mittelalter war in jedem Kloster ein Frauenhaus die Ihre Dienste anboten und die Männer glücklich machten. Das braucht es auch heute in jeder grösseren Stadt. Hoffe, dass dies bald geschieht.

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Politologin | Universität Oxford
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Herzlichen Dank für einen weiteren anregenden Bericht! Weiter so

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Ok, es fehlen mir in den ganzen von der Republik aufgebauten Beiträgen zur Sexarbeit, Prostitution, Millieu etc eindeutig die Beiträge der Freier. Die Frauen, die, wie wir erfahren, diesen Job freiwillig und aus klaren Motiven heraus ausüben sind, so höre ich im Beitrag aus dem Kosmos, keine unterdrückten Opfer. Trotzdem ist die Stigmatisierung das grösste Problem. Männer outen sich nicht als Puffgänger. Ist ein Freier ein Vergewaltiger? Wenn man dann die Stimmen der Frauen hört die ihre Vergangenheit im Salon als eine Serie bezahlter Vergewaltigungen bezeichnen muss man es fast annehmen. Nun, ich bin ein Mann der in seinem Leben ab und zu ins Bordell gegangen ist. Dabei sind zum Teil sehr schöne Begegnungen entstanden, sogar Freundschaften die bis heute andauern. Der Sex war immer bezahlt. Gerade die Unverbindlichkeit erlaubte es mir mich so zu geben wie ich bin. Ich empfinde mich nicht als Vergewaltiger. Eine Dienstleistung die unter fairen Konditionen und in angenehmem Ambiente - Puffs sind nicht per se schmuddelig - erbracht worden ist. Und man konnte sich auch im Migros begegnen und sich zulächeln ohne weitere Absichten.

Auch in anderen Berufen gibt es Menschen die ihre Arbeit ungern verrichten. Banker handeln bekanntlich ohne moralische Behinderungen. Trotzdem sind sie angesehene Mitglieder unserer Gesellschaft.
Der in Ehren gehaltene Beruf des Soldaten, dessen Aufgabe es ist in erzwungenem, duldendem Gehorsam andere ihm unbekannte Menschen zu töten hat mehr traumatisierte junge Männer produziert als das ganze Millieu.

In den 80er Jahren existierte die Zeitschrift "Tell". Damals als die Linke noch eine politisch - soziale Aufgabe wirklich wahrgenommen hat. Darin erschien vom renomierten, seit einigen Jahren verstorbenen Journalisten Kaspar Streiff eine Reportage über seine Motivation und seine Erlebnisse in diesem Kontext. Der Text mag über dreissig Jahre alt sein, ist aber so aktuell wie damals. Wäre schön ihn wieder mal zu lesen.

Sollte jemals ... in einer wünschenswerten Zukunft ... die Prostitution tatsächlich und ohne verklemmte, moralinsaure Sexualität zum anerkannten Beruf werden so müsste auch eine dazugehörige Ausbildung angeboten werden. Das gibt es ansatzweise. Ich bin selbst Tantriker und habe in dieser Ausbildung über mich und meinen Körper, aber auch über die spirituellen Aspekte viel gelernt. Heute, in meinen sechzigern, seit über dreissig Jahren in einer erfüllten Beziehung lebend, kann ich sagen das es eine wunderbare Welt der Lust gibt in der ich mich gerne bewege. Dazu gehört auch das Millieu.

Was der bunte Vogel pfiff,
fühle und begreife ich,
Liebe ist ein Inbegriff
auf das andre pfeife ich. (Willhelm Busch)

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Intellektueller Landarbeiter
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· editiert

Auch wenn es ein solches faires und freiwilliges Sex-Gewerbe tatsächlich geben sollte, dürfte die überwältigende Masse von (absolut unerotischen...) Schmuddel-Sex-Angeboten nicht ohne Zwang, Geldnot, Immigrantinnen-Rechtlosigkeit, Menschenhandel, Zuhälter-Ausbeutung, Zuhälter-Terror, Polizei-Terror und Behörden-Willkür am laufen und verkaufen gehalten werden.
Ich traue ausserdem dem Eigenwerbespot einer Puffmutter über ihr eigenes horizontales Gewerbe ebenso wenig, wie den Verlautbarungen von Multinationalen Konzernen, wie vorbildlich und erst noch sozial und ökologisch nachhaltig sie ihre Geschäfte in den Entwicklungsländern betreiben...
ABER ich bin grundsätzlich von der Idee einer unverkrampften, offenen und kreativen Erotik-Szene sehr angetan und würde es sehr begrüssen, wenn eine Solche tatsächlich Realität würde, wie es diese Puffmutter aus Weissrussland hier für ihr eigenes Etablissement behauptet!
Wenn ich die Masse an Gratis-Porno-Trailers auf meinen Recherchen in der von mir bevorzugten Erotik-Sparte (Ich verbrate hier manchmal ganze Sonntagnachmittage) durchstöbere, dann finde ich am Ende ca. 20-30 Filmchen, die ich wirklich geil finde und die mich anturnen (auf englisch). Wenn ich sie zusammen mit meiner Frau schauen möchte, sind es dann noch 5-10 Filmchen.
Das heisst: Die überwältigende Masse an Pornos sind für mich Scheisse und Schrott.
Aber in dem gigantischen Haufen an (für mich persönlich total unbrauchbaren und unnützen) Produktionen liegen -immerhin- einzelne Perlen, die wie Nadeln im Heuhaufen sind, die man aber -immerhin- gezielt-systematisch suchen und auch finden kann!
Nun zur Prostitution:
JedeR hat wohl eine "dunkle Seite", und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass da nicht ein gewisses Lüstchen vorhanden und für weitere "wissenschaftliche Expeditionen im Rotlicht-Milieu" bereit wäre.
Aber einige wenige Erlebnisse und Annäherungen an dieses Milieu waren halt ziemlich schlecht bis miserabel. Ich erlebte Prostituierte entweder als "Kalte Fische", die im Sexgewerbe Massenabfertigung betreiben, wie andere Frauen an der Migroskasse Tonnen von Waren scannen, dann einkassieren und fragen, ob man eine Kumulus-Karte besitze, oder dann als verzweifelt einen jahrelangen einzigen Ehemann-A-Kunden suchende "Arme", die halt nicht wählerisch sein können, und deshalb Jeden nehmen, der weiss ist und nicht stinkt...
Ausserdem werde ich von meiner Frau rund um die Uhr und schier lückenlos überwacht.
Sie weiss, warum sie das tut, und sie ist wirklich eine hervorragende Polizistin und Detektivin, was mich ziemlich anturnt... ;)

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Ich schliesse mich einigen Kommentaren weiter unten an. Es gibt im persönlich Bereich bestimmt genauso viele positive Berichte über selbstbestimmte Prostitution wie negative über Ausbeutung ind Gewalt.
Die spannende Frage ist doch die gesellschaftliche Frage. Was und warum hat männliche und weibliche Sexualität mit Macht und Ohnmacht zu tun?
Ein wirklich guter Film darüber ist female Pleasure. Auch einen Bericht über male Pleasure wäre sicher sehr interessant..

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Tolle Fotos, Frau Ramp. Ich war daraufhin auf Ihrem Profil unterwegs und bin sehr angetan!

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Vielen Dank Frau Hürlimann, für den sehr gut geschriebenen Artikel. Leider ist in der CH und den meisten Länder das Thema tabu. Denke, dass Sie genau hingesehe haben bei Clementine. Wünschenswert wäre wenn auch seitens Regierung auf allen 3Ebenen mehr getan würde. Solange die Mafia und verschiedene Verbrecher dieses Gewerbe beherrschen, wird sich nichts ändern. Bin gespannt auf die Veranstaltung in ZH. Danke auf jedenfall für Ihren Bericht.

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