Die Republik ist nur so stark wie ihre Community. Werden Sie ein Teil davon und lassen Sie uns miteinander reden. Kommen Sie jetzt an Bord!

DatenschutzFAQErste-Hilfe-Team: kontakt@republik.ch.



Eigentlich sollte es ja allen einleuchten, die ein Minimum an sozioökonomischen Zusammenhängen erkennen möchten: Mehr Europa gibt es auf demokratischem Weg nur, wenn solche Öffnung für eine Mehrheit der Bevölkerung bedeutet, dass sich ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen verbessern. Ein Europa des Lohndumpings und der Austerität findet auch ausserhalb der Schweiz keine Zustimmung - von einigen neoliberalen, elitären Kreisen abgesehen. Und: Den Schweizer Lohnschutz zu verteidigen ist kein patriotischer Akt, denn es geht ja gerade darum zu garantieren, dass alle, die in der Schweiz arbeiten, ganz egal, woher sie kommen, Schweizer Löhne erhalten. Wer den Lohnschutz leichtsinnig preisgibt, schadet dem europäischen Projekt langfristig deutlich mehr - und trägt zum Erstarken von xenophoben Ressentiments bei.

13
/
3

Lieber D. B., grundsätzlich teile ich Ihre Analyse - insbesondere, dass sich ohne vernünftige Lohnpolitik längerfristig auch die Zustimmung zum europäischen Projekt nicht bewahren lässt. Allerdings, so scheint mir, wird die Sache dadurch etwas verkompliziert, dass nicht alle EU-Länder dieselben Interessen haben in dieser Sache: Die Niedriglohnländer haben gar kein Interesse an einer strikten Durchsetzung von Entsenderichtlinien - weil es ja ihre arbeitende Bevölkerung ist, die sich auf diesem Wege Einkommen sichern kann und einen kompetitiven Vorteil nutzt. Deshalb: Ja, guter Lohnschutz ist im Interesse aller. Aber nur unter der Prämisse - die lange von den EU-Behörden sehr hochgehalten wurde und jetzt in den Krisenjahren zusehends aus dem Blick gerät - dass längerfristig die Löhne EU-weit konvergieren, weil sich das Prosperitätsniveau angleicht. Herzlich, DB

1
/
1

Lieber Daniel Binswanger, vielen Dank für die Antwort. Ich nehme an, wir sind uns einig, dass die von Ihnen angesprochene Konvergenz
a) nicht einseitig von den Lohnabhängigen durch Kaufkraftverlust bezahlt werden darf (d.h. es müssten sich dann europaweit auch Preise – insbesondere Mieten –, Gewinnmarchen und Steuern angleichen);
b) sich erst über Jahrzehnte hinweg einstellen würde (In Deutschland ist es ja auch dreissig Jahre nach der Wende noch nicht zu einer solchen Konvergenz gekommen.)
Auch deshalb finde ich es sehr wichtig, mit aller Kraft zu verhindern, dass Personenfreizügigkeit zum Synonym von Lohndumping und Prekarisierung wird. Ein probates Mittel scheinen mir hierzu gesetzliche Mindestlöhne, wie sie in letzter Zeit in diversen Grenzkantonen (Neuchâtel, Jura, Tessin, Genf) per Volksabstimmung eingeführt worden sind. Auch in anderen Staaten (z.B. Spanien mit einer imposanten Mindestlohnerhöhung zu Beginn des Jahres 2020) sowie auf europäischer Ebene und in den USA (als Bestandteil von Bidens Wahlkampfprogramm) tut sich diesbezüglich was. Wie stehen Sie dazu? Herzlich, auch DB.

3
/
0

Man kann es auch anders sehen: Die Niedriglohnländer müssten ein besonderes Interesse daran haben, dass die Vorschriften der Entsenderichtlinie durchgesetzt werden. Denn dann schicken ihre entsandten Arbeitskräfte mehr Geld nach Hause, weil sie mehr verdienen. Das gilt ja vor allem für z.B. Beschäftigte in der Landwirtschaft oder in der Pflege. Die werden ja nicht (nur) angestellt, weil sie billiger arbeiten, sondern weil es für diese Arbeit in den "Empfängerländern" entwerder keine oder zu wenig Arbeitskräfte gibt, die willens sind diese Arbeit zu machen. Das gilt für die Spargel- und die Erdbeerernte genauso wie für die häusliche 24-Stunden-Pflege z.B. in Deutschland. Die Frage ist, ob es genügend einheimische Bauarbeiter gäbe, um entsandte Bauarbeiter zu ersetzen oder ob dann weniger gebaut würde oder ob die Bauten nur einfach teurer würden (oder ein paar Bauunternehmen geringere Gewinnspannen hätten).

3
/
0
Interkultureller Coach
·
· editiert

2/3 unseres BSP kommen aus dem Ausland und davon wiederum zirka 2/3 aus der EU. Das ist der bestimmende Faktor, ob wir uns unser Lohnniveau leisten können. Ich durfte eine Studentin bei ihrer Diplomarbeit über den Wert der «Swissness» in einem blechverarbeitenden Betrieb begleiten. Rechnerisch betrug der Mehrwert 15% im Vergleich zur ausländischen Konkurrenz. Wenn wir uns nicht mit der EU einigen können, wird dieser Mehrwert durch Mehrkosten wie z.B. Zoll, Gebühren etc. kompensiert. Wir sind unseren Mehrwert los und unsere Exporte werden schrumpfen. Wir können unser Lohnniveau nur schützen, wenn wir diese hohe Exportquote aufrechterhalten können, denn wir werden Verluste nie und nimmer durch internen Konsum kompensieren können.

0
/
2
Mensch
·
· editiert

„Der Schweizer Vertreter reiste mit Maximalforderungen zu den Verhandlungen.“
(Kommentar aus der Analyse in der Tagesschau)

„Das ist bei der EU nicht gut angekommen.“
(Kommentar aus der Analyse bei der Tagesschau)

„Ich will den 15. Monatslohn, nur die halbe Arbeitszeit und drei Wochen Ferien zusätzlich.“
(Meine Forderung)

„Wir werden sie nicht einstellen.“
(Kommentar Arbeitgeber)

Noch Fragen?

Das Rahmenabkommen ist längst keine Sache mehr, eher eine ideologische Frage. Wenn man eine Sache lange genug schlecht redet, ist sie irgendwann schlecht. Wir dürfen dabei aber nicht vergessen: Das Resultat ist bereits ein Verhandlungsergebnis!

„Ich kaufe das Auto immer noch. Doch jetzt will ich auch noch eine schönere Lackierung und diverse Extras zusätzlich. Selbstverständlich zum gleichen Preis. Sonst will ich es nicht mehr.“

Jeder Autohändler würde sich spätestens jetzt umdrehen und verabschieden. Mit Sicherheit auch ein Schweizer Autohändler.

„Triumphieren kann die SVP. Was sie aus eigener Kraft seit der Massen­einwanderungs­initiative nicht mehr geschafft hat – die nachhaltige Beschädigung des Schweizer Verhältnisses zur EU –, wird ihr nun quasi frei Haus geliefert.“
(Aus dem Text des Beitragsautors)

Natürlich. Die SVP vertritt die möglichst einfachste Position, wenn es um die EU geht. Grundsätzlich. Sie lautet stets: „Nein.“ Sehr einfach und eingängig. So einfach und eingängig wie deren Slogans. Sie dienen einzig der Schärfung des eigenen Profils. Gerne nimmt sie dabei das ganze Land in Geiselhaft. Ein Beispiel: „Schweizer wählen SVP.“ Gut getrommelt. Leider nur eine leere Satzhülse.

Mit der EU kann man nicht in diesem Ton verhandeln. Einfach zu Erinnerung: Unsere Firmen wollen auf deren Markt tätig werden, nicht umgekehrt. Käme also jemand mit solchen Maximalforderungen zu mir und und würde Nachverhandlungen „fordern“ (nicht wünschen), würde ich ihm freundlich einen Kaffee offerieren und mit ihm über das Wetter plaudern, bis er bereit wäre, über eine Sache zu verhandeln - nicht über eine Ideologie.

Die Auswirkungen des Brexit auf Wirtschaft, Arbeitsplätze, Börse etc. von England sollte als Warnsignal genügen. Es ist Zeit sich wieder mit einer Sachfrage zu befassen. Es ist Zeit in die Realität zurückzukehren. Wir haben uns die Welt lange genug gemacht, wie sie uns gefällt. Die Chance wäre weit grösser, wenn wir Experten zu den Verhandlungen schicken und den Politikern einen anderen Spielball zuwerfen würden…

66
/
2
· editiert

Lieber Herr R., im Sinne Ihrer zwei schönen ironischen Beispiele mit dem hemmungslos fordernden Arbeitssuchenden bzw. Autokäufer möchte ich noch auf eine Karikatur (von ‚GUT’) hinweisen, die gestern in der NZZ erschienen ist:

Auf dem Bild sitzt von der Leyen fest auf einem Stuhl mit Rücken- und Seitenlehnen, ihr gegenüber steht der Parmelin mit einer Maske - direkt neben ihm liegt sein umgefallener einbeinige Melkstuhl auf dem Boden, den er offenbar kurz vorher noch umgebunden hatte - und aus seinem Mund kommt nur noch ein ‚ÄHM...‘ -

Der Bauer Parmelin, der die von der Leyen bzw. die EU offensichtlich kurz zuvor noch mit einer zu melkenden Kuh bzw. Kuhherde verwechselt hat...

10
/
3

Ich danke Daniel Binswanger für diese Auslegeordnung. Ich vermute, dass die Schweiz im Begriffe ist, einen grossen historischen Fehler zu begehen, der das Land auf Jahrzehnte hinaus blockieren wird. Den Fünfer und das Weggli haben zu wollen ist Ausdruck unserer Überheblichkeit und Arroganz. Dazu kommt ein weit verbreitetes unbedarftes Nachplappern rechtspopulistischer Schlagworte von „fremden Richtern“ und „Souveränitätsverlust“, das von einem grossen Unwissen über unsere Geschichte, unsere Stellung in Europa und die Funktionsweise der EU zeugt. Wie bereits in Kommentaren erwähnt, denke ich auch, dass diese Hetze gegen die EU und das Rahmenabkommen vorwiegend von rechtspopulistischer Seite nur dazu dient, die „Vision“ einer Offshore-Finanzinsel in der lukrativen Grauzone von Schwarzgeld und Weisswäscherei weiter zu verfolgen. Diese Entwicklung wird unsere Demokratie zerstören. Nur eine solidarische Mitarbeit in Europa kann eine Zukunftsperspektive sein.

66
/
3
Action Anthropologist
·
· editiert

Zufällig in einem Radio-Interview mit dem früheren Bundesrat, Pascal Couchepin, hörte ich von ihm einen weiteren Grund für das (voraussichtliche) Scheitern des Rahmenabkommens zwischen der EU und der Schweiz:
Der Schweizer Finanzplatz möchte weiterhin möglichst freie Hand haben für seine zwielichtigen Geschäfte und Steuervermeidungs-Modelle.
Den stolzen, freiheitsliebenden Schweizer Alphirten und den stolzen, solid-tüchtigen Schweizer Bauarbeiter mag es in der Realität ja tatsächlich geben.
Aber sie dienen dem National-Patriotismus nur als werbetechnisch ideale Sympathieträger.
Im Hintergrund zieht nämlich die "unsichtbare Mafia-Pyramide" an den Strippen:
Die Multinationalen Konzerne, unter ihnen die Grossbanken.
Die brauchen Steuerdumping-Paradiese wie die Schweiz, damit sie den internationalen Bemühungen zu einer Steuerharmonisierung, wie sie von der Biden-Regierung kürzlich angestossen wurden, trotzen können, so dass sie weiterhin die Nationalstaaten in einem "Wettbewerb um die besten Standortbedingungen" gegeneinander ausspielen können zur Durchsetzung ihrer Profitmaximierungs-Interessen.
Was geschieht nun aber in der Europäischen Union?
Auch da stehen die Interessen der Mutinationalen Grosskonzerne an oberster Stelle:
Staatsaufgaben werden privatisiert, Löhne werden gedrückt, Umweltstandards werden auf minimalem Level tief gehalten!
All das wird aber geschickt verpackt und vermarktet, mit einem "Greenwashing-Newspeek": Klimaneutral und nachhaltig soll alles werden (aber möglichst nur auf Hochglanz-Broschüren und ohne ein Verbot von Glyphosat...)!
Aus der EU hiess es kurz vor der Reise von Parmelin nach Brüssel, man wüsste gar nicht, was die Schweiz eigentlich wolle und man könne ja wohl schlecht mit sich selber verhandeln.
Aber GENAU SO kommen mir diese Verhandlungen vor!
Die mächtigen und finanzstarken Partikular-Interessen der Grosskonzerne und ihrer -mehr oder weniger "gekauften" Polit-Manöggel- führen (Schein-) Verhandlungen mit sich selbst!
Als "Marktplayer" wollen die Multinationalen Grosskonzerne überall die gleich "günstigen" Bedingungen vorfinden, mit minimalen Qualitäts-Standards und staatlichen Regulierungen und mit minimaler Besteuerung.
Und als "Steueroptimierer" brauchen sie innerhalb eines "Riesen-Slums Welt" mit Massen von anspruchslosen und pflegeleichten Billigst-Arbeitskräften und Multi-Billigstprodukte-KonsumentInnen kleine, paradiesische Inseln, auf die sich ihre Eliten zurückziehen können und auf denen sie sich in gediegener Ambiance entspannen und der weltweiten Misere und Trostlosigkeit total überlegen fühlen können.
Und ein solches Steuerparadies mit Disneyland-Charakter ist die Schweiz im Verlaufe ihrer Geschichte geworden und das soll sie auch bleiben.
Was Alphirten, Bauarbeiter und Putzfrauen dazu meinen, interessiert doch im Grunde niemanden wirklich...

64
/
3

Realität und Sarkasmus - seidenfein verwoben sehr ansprechend und amüsant!

11
/
0
· editiert

Beim Lesen ist mir wieder Kirsten Dunlop von EIT Klimate CIC eingefallen welche letzten Dezember eine künftiges sehr nachdenkliche Image der Schweiz (und ihrem Finanzplatz) sehr gut an die Gedankenwand malte: Nachzuschauen auf youtube (ab 18:50min): https://www.youtube.com/watch?v=rVs…e=emb_logo

5
/
0
Simon Reber
Software Entwickler, Familienvater
·

Das ist alles eine Spätfolge des EWR Neins von 1992. Christoph Blochers erfolgreiche Verteidigung seines unverfrorenen Insider-Deals, welcher ihm und seiner Familie den heutigen Reichtum bescherte, verurteilte die Schweiz zum Bittsteller.
In der Erwartung eines baldigen Beitritts gewährte uns die EU bei den Bilateralen I sehr viele Rosinen, bei den Bilateralen II wurde es schon wesentlich harziger und jetzt sind wir endgültig in der Realität aufgeschlagen, welche uns von weitsichtigeren Leuten schon lange vorausgesagt wurde.

Die arrogante Verweigerung in den Fragen betreffend Steuerflucht, bei gleichzeitig unverschämten Forderungen bei der Personenfreizügigkeit, lassen keinen Spielraum seitens der EU. Würde sie der Schweiz hier entgegenkommen, wären sämtliche bilateralen Regelungen der Zukunft verbaut und die Verantwortlichen würden politischen Selbstmord begehen. Die EU würde wohl lieber auf die 5% ihres Aussenhandels verzichten, als die restlichen 95% mit dieser Hypothek zu belasten. Die Schweiz ist in einer wesentlich unkomfortableren Situation, wickeln wir doch weit über die Hälfte unseres Aussenhandels mit der EU ab, dazu noch elementarste Sachen, wie den Nahrungsmittel- und Energieimport, ohne die wir kaum überlebensfähig sind.
Einen der wenigen Trümpfe welche die Schweiz in der Hand hält, den Alpen-Transit, hat sie ausgerechnet bilateral mit Deutschland und Italien geregelt und nicht mit der EU, sodass dieser hier nicht sticht.

Es scheint keine gute Idee gewesen zu sein, das Verhältnis Schweiz-EU von geldgierigen Bankern, überheblichen Reichen und tendenziell faschistischen Gruppierungen definieren zu lassen, welche unerschütterlich glaubten, aus einer Position der Stärke heraus handeln zu können.
In der näheren Zukunft werden wir viele erniedrigende Zugeständnisse machen müssen. Erfahrungsgemäss werden diese den linken Gutmenschen angelastet, während die rechten Polteris sich als die Anwälte des kleinen Mannes anpreisen werden.

Wie sagte es einst Albert Einstein?

Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.

47
/
6

Der Alpentransit ist im Landverkehrsabkommen geregelt. Dieses Abkommen wird zwar hoch gelobt, ist aber nichts wert. Eine Entwicklung des Landverkehrsabkommens gaebe es nicht, ohne Rahmenabkommen. Nur, der jetztige Alpentransit sieht vor, dass wir die NEAT bezahlen, und Italien und Deutschland Terminals dafuer bauen. Wir haben die Tunnels, die Terminals fehlen. Eigentlich gibt es nichts zu entwickeln. Eigentlich hat es sich schon erledigt. In 30 Jahren bei CO2 netto Null, fallen die Lastwagen Kolonnen aeh, weg.

4
/
0

Ja, stimmt, das mit den Zulaufstrecken für die Neat klappt vor allem in Deutschland überhaupt nicht. Nur hat das absolut nichts mit der EU zu tun. Diese Verträge (auch mit Italien) wurden bilateral - also nur zwischen der Schweiz und Deutschland bzw. Italien - geschlossen. Das ist in der EU so vorgesehen: Wenn ein Verkehrsproblem nur zwischen zwei Ländern besteht oder gelöst werden soll, ist das keine Sach eder EU.

8
/
0

Die Schweiz wähnt sich autonom und souverän. Die Schweiz hält sich für besser. In Bern die Guten, in Brüssel die Bösen. Kurz: Die Schweiz wähnt sich SVP. Viel kleingeistige Ideologie und noch mehr kurzsichtige Partikulärinteressen dominieren die leidige Debatte über das Rahmenabkommen. Die Schweiz ist drauf und dran, einen epochalen aussenpolitischen Fehler zu begehen. Es mangelt ihr am wahrlich souveränen Weitblick!

Worauf kommt es denn letzten Endes für ein gutes Rahmenabkommen über den bisher vorliegenden Entwurf und Verhandlungsstand hinaus noch an? Es sind doch im Wesentlichen zwei Punkte: Erstens geht es um den wirksamen Lohnschutz, zweitens um die Vermeidung einer unkontrollierten Einwanderung ins Sozialsystem auf der Basis der Unionsbürgerrichtlinie.

Im ersten Punkt steht die Schweiz tatsächlich besser da als die Europäische Union: Sie hat die Entwicklung eines Tieflohnsektors mit prekären Arbeitsbedingungen, wie sie unter dem Vorzeichen einer neoliberal überdehnten Personenfreizügigkeit in der EU forciert worden ist («freier Markt» für die Arbeitgeber, sich die billigsten Arbeitskräfte aus der gesamten EU zu holen), bisher weitgehend verhindern können. Die Grundlage dafür war und bleibt eine funktionierende Sozialpartnerschaft, ergänzt um die «flankierenden Massnahmen» als Baustein der Bilateralen Verträge mit der EU. Um das zu erhalten, genügt im Prinzip eine Klausel im Rahmenabkommen, die der Schweiz unilaterale Schutzmassnahmen zwar nicht generell, wohl aber punktuell anhand definierter Kriterien zugesteht, sofern ohne sie das bestehende Niveau der Löhne und der Arbeitsbedingungen ausgehöhlt würde. Als Kriterien können definierte Kennziffern zu den bisherigen absoluten und relativen Löhnen (Lohnspreizung) dienen. Da dieses gesellschaftspolitische Anliegen ebenso einsichtig ist wie die Unmöglichkeit, das Rahmenabkommen ohne wirksamen Lohnschutz in der Schweiz durch eine Volksabstimmung zu bringen, dürfte sich «Brüssel» hinsichtlich eines solchen bedingten unilateralen Schutzanspruchs vermutlich kompromissbereit zeigen, zumal auch in manchen EU-Ländern gleichgerichtete Tendenzen zunehmend Aufwind erhalten.

Im zweiten Punkt ist die konkrete Option einer gelingenden Verständigung mit der EU noch offenkundiger: Der Sinn des Rahmenabkommens besteht ja im bemerkenswerten Privileg der Schweiz, uneingeschränkt am Binnenmarkt der EU partizipieren zu können, ohne EU-Mitgliedsland zu werden. Die Personenfreizügigkeit ist für den «Sonderfall Schweiz» deshalb nur als Arbeitnehmerfreizügigkeit anwendbar, erweitert auf die direkten Familienmitglieder (Lebenspartner und Kinder). Wer in der Schweiz berufstätig ist, soll selbstverständlich Anspruch auf die zugehörigen Sozialleistungen haben. Und wer auf dieser Basis fünf Jahre im Land war, hat sich doch wohl die unbefristete Niederlassung und dieselben Sozialrechte wie alle anderen Inländer verdient. Dieser moderne Leitgedanke der Unionsbürgerrichtlinie ist legitim und für EU-Bürger*innen, die in der Schweiz arbeiten, kaum abweisbar. Eine unmittelbare Einwanderung in den schweizerischen Sozialstaat ist demgegenüber sehr wohl abweisbar, schlicht weil eben die Schweiz kein EU-Land ist. Versteht sich, dass umgekehrt schweizerische Arbeitskräfte in EU-Ländern ihrerseits keine vollen Unionsbürgerrechte beanspruchen können. Wie im Übrigen L. S. in ihrem Kommentar schon aufgezeigt hat, ist eine beschränkte Anwendbarkeit der Unionsbürgerrichtlinie für «Brüssel» auf Basis der gängigen Rechtsprechung des EuGH von vornherein kein Problem.

Nicht Brüssel ist also das wahre Problem, sondern die destruktive innenpolitische Debatte in unserem Land. Der Bundesrat ist offenbar nicht mehr fähig, den nötigen klaren Willen zu konstruktiven Verhandlungen mit der EU aufzubringen. In dieser zerfahrenen Situation sollte m. E. die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats die Führung übernehmen. In ihr sind genügend Persönlichkeiten zu finden, die sowohl die nötige Sachkompetenz als auch den unversehrten Weitblick haben, um in den skizzierten, noch klärungsbedürften Bereichen endlich zielführende Vorschläge für die Präzisierung des Abkommens auszuformulieren.

39
/
1

Lieber Peter Ulrich, herzlichen Dank für diese überzeugende Analyse. Was die Lösungsperspektive betrifft: In der Tat, der Ball wird nun in den aussenpolitischen Kommissionen sein. Allerdings sind bisher die Parteien ja auch nicht aufgefallen durch eine überzeugende europapolitische Linie. Von Seiten der SP hätte ich schon früher einen Vorschlag erwartet, welche Art von Lohnschutz sie sich künftig denn vorstellen könnten, auf welcher Basis man eine Position einnehmen könnte in dieser Frage, welche mit den Forderungen der EU zu vereinbaren wäre. Beim blossen da reden wir gar nicht drüber, wird es ja nicht ewig bleiben können. Von der FDP und der Mitte bräuchten wir endlich ein unzweideutiges Bekenntnis zum bilateralen Weg. Man hat aber nicht mehr den Eindruck, es gäbe ein eindeutiges Bekenntnis zu seiner Fortsetzung. Dass einzelne Exponenten sich wirkungsvoll für eine Lösung einsetzen wollen und auch die nötige Übersicht dazu mitbringen, will ich gar nicht bestreiten. Aber momentan scheint es doch zweifelhaft, ob das Parlament wirklich so viel handlungsfähiger ist als der Bundesrat. Herzlich, DB

4
/
0
· editiert

Die schwache EU, uneinsichtig wie immer, meinte, dass sie mit der Schweiz Verhandlungen geführt habe und zu einem Resultat gekommen sei, das man nun annehmen oder verwerfen müsse. Die mächtige Schweiz, voller Verständnis wie immer, meinte, dass einiges unklar sei, worüber man noch sprechen müsse, mochte allerdings keine Vorschläge machen. BR Cassis nannte das Reset. Das war schon eine Art Blue Screen. Und so drückte die EU den Reset-Knopf und machte dem Ganzen ein Ende. Wer den Eindruck hat, ich fände diese Art der Schweizer Verhandlungsführung nicht so gut, hat völlig recht.

Jetzt werden die Eidgenossen den Rücken gerademachen, die Brust herausstrecken und die EU umzingeln. Solches lesen wir ja da und dort in den Kommentarspalten. Wer den Eindruck hat, ich fände, dass auf Schweizer Seite eine gute Portion Selbstüberschätzung mitspielt, hat völlig recht. Und ehrlich gesagt, glaube ich, dass beide Fehler zusammenhängen. Wer meint, Freihandel und Binnenmarkt seien dasselbe (Boris Johnson lernt gerade, dass das nicht stimmt), soll sich doch fragen, weshalb das eigentlich zwei verschiedene Wörter sind.

Die Schweiz ist eine kartellgepflegte Hochpreisinsel. Arbeitsverhältnisse geniessen nur geringen Schutz. (Ich kann Arbeitnehmer problemlos entlassen. Sogar die unrechtmässige Entlassung funktioniert, wenn ich ein bisschen Schadenersatz bezahle.) Ganz anders in Europa. In Frankreich entstehen Arbeitsverhältnisse schwuppdiwupp noch ehe man es sich versieht. Und in Deutschland können Arbeitnehmer sich eine Anstellung erzwingen. Darum brauchen wir den Lohnschutz, denn eine massive Senkung aller Konsumentenpreise und insbesondere Mietzinsen ist wegen der Schulden unmöglich. Aber ist das ein Grund, sich im Schützengraben zu verbarrikadieren? Und sind auf der anderen Seite die EU-Leute so viel dümmer als wir, dass sie diese Problematik nicht sehen und zu einer Lösung keine Hand bieten würden? Ich denke, beide Antworten lauten nein.

Wenn die Schweiz glaubwürdig dartut, dass sie vernünftige Verhandlungen führen und zu Ergebnissen kommen will, dann dürfte ein Neustart möglich sein, weil auch die EU in ihrem Zentrum keine eitrige Fistel will. Deshalb könnte ich mir vorstellen, dass BR Cassis gelegentlich ein neues Ressort bekommt und dann ein Neustart versucht wird. Die Hoffnung stirb zuletzt.

Zum Schluss das Schlimmste: Weder die FAZ noch der Spiegel noch die Welt noch die Süddeutsche noch die Zeit berichten über das Scheitern der EU beim Rahmenvertrag.

34
/
0

Der Rahmenvertrag dürfte aktuell das beste Instrument sein, um unser künftiges Verhältnis zur EU zu regeln. Die letzten 7 Jahre, in welchem dieser Rahmenvertrag verhandelt worden ist, zeigen, dass das Anti-EU-Bashing bei uns bis weit in die Mitte des politischen Spektrums vorgedrungen ist und den innenpolitischen Diskurs prägt. Dieser Erfolg gehört der SVP, und das depremiert mich. Leider scheuen immer mehr bürgerliche Politiker die offene Konfrontation mit dieser Amok-Partei. Für dieses Verhalten werden wir künftig (nicht nur monetäre) Rechnungen präsentiert bekommen, die uns weh tun werden.
Das sehr technische Abkommen zeigt auch deutlich auf, dass sich nur wenige unserer Milizpolitiker in die zahlreichen Details einarbeiten. Bei einem so wichtigen Dossier erwarte ich, dass sich unsere Vertreter auf breiter Front in die Thematik einarbeiten und verschiedene Expert*innen anhören.

34
/
1

Die so gefürchtete und viel beschworene "Einwanderung in die Sozialsysteme" durch die Übernahme der EU-Bürgerrechts-Richtlinie ist ein Scheingefecht. Einmal, wiel die Unionsbürgerrechtsrichtlinie im Text des vorliegenden Rahmenvertrags gar nicht vorkommt. Mit keinem Wort. Da der Text öffentlich einsehbar ist, kann das gerne nachgeprüft werden. Hier wird über ungelegte Eier gegackert.
Zum Zweiten besteht ein Urteil des EuGH aus dem Jahr 2016: Ein Staat müsse die Möglichkeit haben, Zuwanderern ohne Job Sozialleistungen zu versagen. Er stärkte damit die geltende EU-Gesetzgebung, die besagt, es gebe ein Recht auf Freizügigkeit, aber kein Recht auf Einwanderung in die nationalen Sozialsysteme. Freizügigkeit heisse nicht, frei Sozialleistungen zu beziehen.
Der Europäische Gerichtshof entschied 2016, dass nicht erwerbstätigen Unionsbürgern, die nur um Sozialhilfe beziehen zu können, in einen anderen Mitgliedstaat ziehen und nicht über ausreichende Existenzmittel für ein Aufenthaltsrechts verfügen, Sozialleistungen versagt werden können. Dabei müsse jeder Einzelfall geprüft werden. Grundsätzlich gilt: Um Sozialhilfe zu erhalten, muss man als EU-Bürger entweder arbeiten oder seinen dauerhaften Aufenthaltsort in dem jeweiligen Mitgliedsstaat haben. In den ersten drei Monaten ist das EU-Aufnahmeland nach EU-Recht nicht verpflichtet, nicht erwerbstätigen EU-Bürgerinnen und -Bürgern Sozialhilfe zu gewähren. Für den Zeitraum ab drei Monaten bis zu fünf Jahren gilt: Nicht erwerbstätige EU-Bürger dürften selten Anspruch auf Sozialhilfeleistungen haben, da sie, um das Aufenthaltsrecht zu bekommen, den nationalen Behörden genügend Finanzielle Eigenmittel nachweisen müssen.
Der EuGH hat damit seine Rechtsprechung von 2009 gestärkt. Damals urteilte er, dass es rechtens ist, wenn Sozialhilfe erst gewährt wird, sobald der/die Arbeitssuchende "eine Verbindung mit dem Arbeitsmarkt des Aufenthaltslandes hergestellt hat". Der EuGH liess deshalb Schutzklauseln zu, die z.B. Deutschland auch erlassen hat. Es ist nicht einzusehen, warum das die Schweiz nicht auch schaffen sollte.
Die Briten sind ein ganz schlechtes Gegenbeispiel, weil sie bis kurz vor dem Brexit-Referendum keine Schutzklauseln zu erlassen hatten. So bstellten sie z.B. Zuwanderer aus den EU-Oststaaten sofort beim Anrecht auf Sozialwohnungen mit den Einheimischen gleich.

31
/
0

Besten Dank für diese wichtigen Ausführungen, die bei mir eine Wissenslücke füllen.

13
/
1

Liebe Frau S., auch meinerseits herzlichen Dank für diese ausführliche Präzisierung. Einschlägig ist hier sicher das deutsche Beispiel, da die Bundesrepublik sich ja dezidiert gegen die Einwanderung zum Zweck des Sozialhilfeempfangs zu wehren begonnen hat. Das Avenirsuisse-Paper zeigt ja deutlich, dass die Kosten überschaubar blieben - und auch, dass eine Einwanderung ganz ohne Job-Perspektive keine Ansprüche mehr bringt. Allerdings - auch wenn es wenig ins Gewicht fällt - muss man eines auch zugesehen: Gegenüber dem heutigen Regime wäre ein Zugang zur Sozialhilfe schneller und länger möglich für arbeits- und mittellos gewordene Zuwanderer. Herzlich, DB

1
/
1
Märchentante*onkel
·

Mit dem Esprit und Charme eines dreihundertjährigen knorrigen Rebstocks trat BR Guy Parmelin (Vertreter von 6.5 Mio Schweizer Bürgerinnen) zusammen mit der Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula Von der Leyen (Vertreterin von 450 Mio EU-Bürgern) vor die Medien, mutlos und unsicher im Gang, steif und zögerlich im Auftritt, als ob er Instruktionen von Seiten einer alternden Parteigrösse erhalten hätte, nur ja keine Zugeständnisse zu machen, als ob die Angst vor einem Fehltritt ihm jegliche Lebensfreude genommen hätte.
Und so kam es, dass der Eindruck entstand, dass er wie ein geschlagener Hund an sein Plätzchen vor der Schweizer Fahne beordert worden sei, um in unsicherem Deutsch zu gekünden?, verkünden?, dass erhebliche Differenzen weiterbestehen.

27
/
1

Es ist bekannt, dass die Schweiz bewegt sich nur wenn sie muss. Seit 8 Jahren nutzt die Schweiz die offensichtlichen Schwächen der EU. Die EU muss zuerst ihre eigene Schwachstellen reformieren und besser da stehen als sie heute steht, dann muss und wird die Schweiz sich sofort bewegen. Eine korrupte, zerstrittene EU lässt sich einfach von der Schweiz vorführen. Meine Prognose: Das Spielchen zwischen der EU und der Schweiz geht in die nächste Runde... und viel wird nicht passieren.

4
/
14
Action Anthropologist
·
· editiert

Ich sehe das ganz ähnlich.
Sowohl die Schweizer, als auch die Europäer wiederholen ihre Maximalforderungen.
Man kann jetzt sagen, dass es doch nur eine Kleinigkeit ist, wenn die Anmeldefrist für Unternehmungen aus dem europäischen Raum nur 4 Tage dauert, anstatt die jetzt geltenden 8 Tage. Aber eine Kleinigkeit ist es doch auch von der anderen Seite aus gesehen! Warum muss man darauf beharren und damit die -eigentlich der europäischen Integration freundlich zugewandten- Gewerkschaften gegen sich aufbringen?
Da die EU-Verhandler zu viele solche "Kleinigkeiten" mit der Macht ihrer erdrückenden Grösse durchdrücken wollten, haben sie eben zu viele Minderheiten in der Schweiz zu einer ablehnenden Haltung gegen das ausgehandelte Rahmenabkommen getrieben, so dass aus vielen Minderheiten eine Mehrheit UND eine "unheilige Allianz" geworden ist!
Offenbar hat die Europäische Union auch nichts aus dem Brexit-Debakel gelernt, bei dem es im Grunde genau gleich ablief, zum Schaden der EU UND Gross Britaniens.
Gut möglich, dass sich an Ende die Opfer des EU-Powerplay's zu einer Art "Alternativ-EU" formieren werden.
Bei einem solchen NEUEN europäischen Friedensprojekt hätte man zugleich die Chance, die Konstruktionsfehler, welche die heutige EU lähmen und behindern, NICHT zu begehen.
Ein wesentlicher Konstruktionsfehler ist das Vetorecht, das insbesondere die rechtspopulistischen Regierungen osteuropäischer Mitgliedsländer schamlos dazu ausnutzen, die EU-Milliarden an arme Netto-Empfänger in mafiosen Günstlingnetze zu leiten und parallel dazu all das zu zerstören, was eigentlich zum Kern der "Europäischen Wertegemeinschaft" gehören müsste, nämlich Demokratie, Rechtsstaat, Medienvielfalt, Service Publique.
Ich denke, die Schweiz sollte sich jetzt ehrlich aus den zu nichts mehr führenden "Ewigen Verhandlungen" mit der EU verabschieden und dafür die Kontakte und die Zusammenarbeit mit Gross Britanien intensivieren.
Mit der EU werden wir uns -so gut es eben geht- korrekt nachbarschaftlich arrangieren.
Mehr geht im Moment einfach nicht, leider...

5
/
13

Ich teile gewisse Kritikpunkte an der EU. Aber die Vorstellung, dass ausgerechnet die Schweiz - die oberste Rosinenpickerin unter der Sonne - dazu berufen sei, die EU zu Reformen zu bewegen, halte ich für realitätsblind und grössenwahnsinnig. Der Wille, den Schwanz mit dem Hund wedeln zu lassen, wird nicht ausreichen, um die Welt zu verändern. Dass Sie dann auch noch die Vision ausbreiten, wir könnten die EU zusammen mit dem maroden Grossbritannien "in die Zange nehmen" ist geradezu bizarr.

26
/
1

Die EU kennt gegenüber keinem Mitgliedsland eine Anmeldefrist für Arbeiten von Handwerkern oder Unternehmen aus einem anderen Mitgliedsland. Sie besteht gegenüber ihren Mitgliedern auf der Gleichbehandlung aller. Da sind 4 statt der bisherigen 8 Tage bereits ein Zugständnis, das keinem anderen Land gemacht wurde (die Franzosen tricksen auf eine andere Art und schotten damit den Markt ähnlich ab, wie die Schweiz). Die EU hat sich also bewegt. Wieso sollte sich da die Schweiz nicht auch bewegen können? Die 4 Tage sind ein Kompromiss - aber die Gewerkschaften wollen Alles oder Nichts. Und nachdem man sich selbst nicht bewegt, wirft man der EU vor, unnachgiebig zu sein: Sie könnte doch einfachmachen, was man selbst will und alles wäre gut. Das könnte die EU aber auch sagen: Bewegt euch und amcht, was wir wollen und alles ist gut.
Klar, der Lohnschutz muss gewährleistet sein. Aber wäre er tatsächlich gefährdet, wenn die Anmeldefrist verkürzt würde? Kontrollen sind weiterhin möglich - und sind auch bei Schweizer Firmen angebracht, wie sich oft genug zeigt.

2
/
1
Urs Fankhauser
Citoyen
·
· editiert

Die EU muss gar nichts. Natürlich wäre es wünschenswert, die EU würde ihre "Schwachstellen reformieren". Aber die Einschätzung, dass die EU durch die Schweiz "vorgeführt" werde, teile ich ganz und gar nicht. Und inwiefern die EU korrupter sein soll, als die Schweiz, kann ich nicht nachvollziehen (Cryptoleaks schon vergessen?). Auch die Briten hofften auf eine Spaltung der EU im Zusammenhang mit dem Brexit, passiert ist das Gegenteil. Ich finde es erschreckend, in wie viele Köpfe die SVP-Ideologie bereits eingesickert ist.

26
/
2

Wenn das Rahmenabkommen erst einmal tot ist, passiert nicht mehr viel. Bis nichts mehr passiert und dann bleibt nur noch der Beitritt.

10
/
1

Die Schweiz liegt mitten in Europa. Geographisch, historisch und kulturell ist mehr Europa kaum möglich. Aber die Schweiz wollte partout nicht Mitglied der EU werden. Auch das zweitbeste Angebot - den EWR - hat die Schweiz ausgeschlagen. Im Moment sind Regierung und Parlament gerade dabei, die drittbeste Lösung - die Bilateralen Verträge - zu versenken. Es schaut sehr danach aus, dass unser Land durch die SVP und ihre Helfer in eine "splendid isolation" getrieben wird. Als Schweizer und Europäer frage ich mich, ob hier eigentlich eine Art kollektiver Lemmingzug in selbstgewähltes Verderben stattfindet? Ist die Hybris der Schweiz tatsächlich so masslos, dass sie nur durch einen harten Aufprall in der Realität geheilt werden kann?
Mir kommen eigentlich nur vier Beispiele der Selbsterneuerung unseres Staatswesens in den den Sinn: die Einführung des fakultativen Referendums (1874), des Initiativrecht (1891), des Proporzwahlrecht (1918) und der AHV (1947). Alle anderen wesentlichen Reformen mussten uns vom Rest der Welt (oder dem Lauf der Zeit) aufgezwungen werden: Gleichstellung der jüdischen Bürger/-innen, Gleichstellung der Frauen, Herausgabe von Raubgold, Aufgabe des Bankgeheimisses etc.
Die "immerwährende" Stabilität, der daraus folgende Unwille zur Selbsterneuerung und der immense Wohlstand scheinen einen kollektiven Realitätsverlust zu begünstigen. Bei gefühlt 60% unserer Stimmberechtigten scheint die Ansicht verfestigt, dass "wir" a) unseren Wohlstand selbst erarbeitet haben, b) diesen deshalb verdient haben, und ihn c) gewiss mit niemandem teilen werden.
Ich wünsche mir keineswegs, dass die Schweiz erst durch Schaden zur Vernunft kommt. Aber es sieht leider so aus, dass nichts an diesem Weg vorbeiführt.

25
/
2

Ist die Hybris der Schweiz tatsächlich so masslos, dass sie nur durch einen harten Aufprall in der Realität geheilt werden kann?

Das ist eine rhetorische Frage, oder? :)

Ich durfte neulich erleben, wie einer meiner Bekannten auf FB ganz unironisch diesen Comic verlinkte.

Für breite Kreise der Schweiz ist die EU ein zündrotes Tuch. Eine Abstimmung und Zugeständnisse, geschweige denn eine Beitrittserklärung, sind absolut undenkbar.

4
/
1

Ein UNO Beitritt der Schweiz galt auch als "undenkbar".

7
/
1

Lieber Herr Frankhauser, dass die Schweiz eine fatale Neigung hat, nur auf äusseren Druck zu reagieren, trifft in der Tat zu. Man könnte auch noch die Unternehmenssteuerreform hinzufügen. Interessant ist doch: Wir waren vor gar nicht so langer Zeit dazu fähig, uns aufzurappeln zum gemeinsamen Beschreiten des bilateralen Wegs. Und sind es bereits heute nicht mehr? Diese Regression ginge über Sturheit ja noch einmal deutlich hinaus. Herzlich, DB

3
/
1

Die Mehrheit im Bundesrat will den Rahmenvertrag nicht retten. Sonst hätte Parmelin Kompromisse angeboten. Kann eine Koalition der Vernunft im Parlament einen Neustart abschieben? Wenn nicht, dann brauchen wir einen Plan B: Den EU Beitritt.

23
/
2

Warum hören die Gegner des Rahmenvertrages nicht auf Christa Tobler? (im Gespräch v. 23. März 2021 ) "Nicht die Milliardäre werden leiden, sondern der Mittelstand."

19
/
1
· editiert

Im Beitrag von Daniel Binswanger sind vor allem die linken Ängste und Vorbehalte gegen ein Rahmenabkommen aufgeführt. Mit noch mehr Wucht belasten jedoch einen Abschluss des Vertrags mit der EU die Ängste der rechten, mitgliederstarken SVP. Mit dem EU-Vorbehalt gegen staatliche Subventionen werden die hohen Schweizer Subventionen für die Landwirtschaft in Frage gestellt. Bei einem Wegfall der Agrarsubventionen könnte die SVP nicht mehr ihre treue Klientel d.h. die Bauer in der von ihr gewünschten Abstimmungsstimmung bzw. Richtung halten. Ein Ende der Agrarsubventionen bedeutet ein Ende der SVP in heutiger Form und damit auch das Ende des politischen Gewichts von Christoph Blocher. Der Übervater poltert bereits seit 30 Jahren auf Vorrat gegen die EU, die mit ihren Regeln seine politische Macht deutlich einschränken würde. Nicht die Politik, sondern das Volk müsste man über seine "europäische Zukunft" abstimmen lassen.

18
/
0

Liebe Frau R., es ist richtig, dass ich meinem Text auf die Frage der staatlichen Beihilfen (Subventionen) nicht eingehe. Sie gehört ja zu den drei Fragen, die Bern noch "präzisieren" will. Und sie beschäftigt nicht nur die Rechte, sondern fast mehr noch die Linke, die fürchtet, dass dann der Fortbestand etwa der sich in staatlicher Hand befindlichen Elektrizitätswirtschaft oder der öffentliche Wohnungsbau gefährdet wäre. Es scheint allerdings der Bereich zu sein, in dem es noch am einfachsten sein dürfte, mit der EU einen Kompromiss zu finden. Nur schon deshalb weil es auch in den EU-Ländern endlos Ausnahmen von der restriktiven Beihilfen-Regelung gibt. Herzlich, DB

1
/
0

hihi, vielen Dank Hans R.

2
/
1
Interkultureller Coach
·

Norwegen hat es mit der Annahme der EWR Verträge vorexerziert: Sie haben den Rücken frei und sind eigener Herr und Meister.

18
/
1

Interessante und wichtige Analysen sowohl im Bericht als auch den Antworten. - Aber ich bin trotzdem völlig ratlos, wie es auch längerfristig weiter gehen könnte?? Einzig die von Peter Ulrich eingebrachte Idee , dass nun die aussenpolitische Kommission des Nationalrats übernehmen sollte, scheint mir plausibel (Janos Ammann hat kürzlich in seinem Blog "Hauptstadtbericht" (hauptstadt-bericht.eu/vorschlag-zur-staerkung-der-schweizer-demokratie/) die etwas verrückte Idee eines schweiz. Europaparlementes eingebracht. Eine politische Instanz, welche sich auf EU Themen fokussiert... könnten wir jetzt brauchen...).

16
/
0
Rolf Kurath
rolfkurath.ch
·

Wertvoll, diese Erinnerung an die Fakten zu den FLAM-Lohnschutzmassnahmen und die Koalition der Vernunft, welche diese möglich machte. Jetzt wünsche ich mir einen runden Tisch mit den erwähnten Akteur/innen, an dem in Ruhe zuerst über die aktuellen Interessen und erst in einem zweiten Schritt über Positionen gesprochen wird. Es würde mich erstaunen, wenn die Linke nicht bereit wäre, einen Lösungsvorschlag aufzuzeigen. Denn die Verteidigung der roten Linien von 2014 ist keine Option, und wir dürfen das Terrain nicht der Finanzoligarchie und den rechten Fantasten überlassen.

17
/
2

Die EU hat inzwischen längst die Entsenderichtlinie 2018 in Kraft gesetzt. Für entsandte ArbeitnehmerInnen gelten seither prinzipiell die gleichen Lohn- und Arbeitsbedingungen wie jene für die einheimischen ArbeitnehmerInnen (Ausnahme: Lastwagenfahrer im grenzüberschreitenden Verkehr). Auch Kontrollmassnahmen sind danach möglich. Was es nicht gibt, ist die achttägige Voranmeldefrist für ausländische Unternehmen/Handwerker, die in der Schweiz Aufträge erledigen wollen.

Allerdings hat das Frankreich nicht davon abgehalten, seinen Markt trotzdem entsprechend abzuschotten (Anmeldung von allen entsandten ArbeitnehmerInnen, Benennung eines Vertreters in Frankreich, Übersetzung diverser Unterlagen etc - Genaueres beim "Europäischen Zentrum für Verbraucherschutz" nachzulesen). Der EuGH hat das bisher nicht verboten, obwohl gerade deutsche Unternehmen in der Grenzregion am Oberrhein genausowenig davon begeistert sind, wie jene am Hochrhein über die Schweizer Massnahmen. Es gibt also ganz offensichtlich auch in der EU mit den bestehenden Regelungen Möglichkeiten, das zu erreichen, was die Schweiz als "unmöglich" betrachtet.

Andere Regelungen sind rein national: Der deutsche Billiglohnsektor nervt den Rest der EU gewaltig - sie hat aber keine Möglichkeit etwas dagegen zu tun. Die französischen Regelungen zu Pensionierung und Arbeitszeit sind genauso national festgelegt, wie jene in Italien oder Polen. Die Schweiz könnte also wohl die (meisten) nationalen Regelungen behalten. Die Mindestlöhne sind in den einzelnen Ländern genauso unterschiedlich, wie die Arbeitszeiten. Wie auch heute zwischen der Schweiz und den EU-Nachbarländern.

11
/
0

Sehr guter Kommentar. Ich versteh trotzdem nicht warum die EU nicht bereit ist bei der Bürgerrichtlinie der Schweiz entgegenzukommen. Diese ist ja im Vertrag nicht erwähnt. Warum kann diese nicht explizit ausgeklammert werden? Denn alles das nicht erwähnt ist wird früher oder später über den EuGH kommen, das ist klar.

5
/
0

Es ist wie mit dem Schrebergarten. Wenn Sie die Regeln nicht akzeptieren wollen, bekommen sie kein Plätzchen.

Der böse EUGH und die Fremden Richter sind auch so Schlagworte: Was für ein Gericht soll eigentlich nach der Vorstellung der Schweiz EU-Recht auslegen?

15
/
1

Die Unionsbürgerrichtlinie ist gar nicht Bestandteil des vorliegenden Vertrags. Sie kommt darin mit keinem Wort vor. Aber selbst wenn sie später einmal eine Rolle spielen sollte: Der EuGH hat 2009 und 2016 Urteile gefällt, die es den Mitgliedsländern gestatten, die Einwanderung in die Sozialsysteme zu unterbinden (oder zumindest sehr zu erschweren). Niemand hat das Recht, nur um Sozialleistungen beziehen zu können, von einem Mitgliedsland in ein anderes zu ziehen. Ihm/ihr dürfen die Leistungen verweigert werden. Die meisten EU-Länder haben entsprechende Hürden geschaffen: Nur wer im entsprechenden Land gearbeitet und ein Aufenthaltsrecht hat, hat auch Anrecht auf Sozialleistungen. Inwiefern unterscheidet sich das von der heutigen Praxis in der Schweiz?

13
/
0

Bei dem "Gstürm" wo gefühlt niemand mehr den Durchblick hat, wäre es wohl besser auch die Fragen zur Grubdthematik zu stellen: Welches Verhältnis zur EU wollen wir? Wollen wir eine Insel in Europa bleiben oder im grossen Ganzen dabei sein? Welche Werte sind uns denn wichtig für das Verhältnis?

Hierzu einige Gedanken:

  • wir werden nicht darum herum kommen ein solides Verhältnis zur EU, egal welcher Form zu behalten. Sonst sind wieder schneller wieder ein "armes Volk von Bauern und Handwerkern" (soll als metapher dienen, nicht wörtlich) als man sich vorstellen kann. Denn wenn als Binnenland mit dem Nachbarn nicht kann, kann man auch nicht mit anderen Ländern handeln. Ehrlich gesagt ist mir der Handel mit der EU lieber als mit China. Schon nur bei einem Blick auf die Liste der schweizer Unternehmen in chinesischer Hand wird mir anders (https://www.beobachter.ch/wirtschaf…scher-hand).

  • die Frage ob wir in Europa dabei sein wollen oder nicht erledigt sich für mich mit dem Blick darauf in welchen Branchen ich bisher tätig war und wohin diese Produkte gingen. Der kleinste Teil jener Produkte an welchen ich auf irgend eine Weise beteiligt war (Produktion/Entwicklung etc.) blieb in der Schweiz. Das meiste ging ins Europäische Ausland.
    Ich denke aber, dass die Herstellung einiger Produkte in der Schweiz durchaus ihre Legitimation hätte und der Schweiz mit ihrem dichten Netz an technischen Hochschulen ein Standort-Vorteil schaffen würden. Man müsste jedoch vieles von dem Know-How das Europa bach China verkauft hat wieder Aufbauen. Das braucht Zeit und Geld.

  • Welche Form das Verhältnis zur EU haben soll liegt für mich auch bei der Frage was die EU sein soll. Wenn die EU ein zentralistisches Regierungssystem ist welches es nicht fertig bringt zu definieren was sie ist und welche Kompetenzen sie hat und welche die einzelnen Mitgliedsstaaten sowie ein effektiv Demokratisches System, am liebsten ähnlich des schweizer Systems, zu implementieren. Bei welchem die Vertretung nicht von einer Person übernommen wird welche von keinem, vom Volk gewählten Gremium bestummen wird, ist eine Mitgliedschaft ausgeschlossen. Ein System das nur die Volkswahl eines Gremiums zulässt welches quasi Machtlos ist, ist es nicht Wert mit zu machen da dieses System auch keine Entscheidungen im Auftrag des Volkes trifft sondern im Auftrag irgend einer Lobby (siehe bspw. Bericht der Unia über Deutsche Arbeitsentsannte in der Ostschweiz oder die Upload-Filter). Vieles beginnt mit einer guten Idee, wird dann aber durch schlechte Machtverhältnisse, un-ausgeklügelte Systeme etc. vom ursprünglichen Gedanken abgelenkt und müsste nach gewisser Zeit Restrukturiert oder evtl. sogar beerdigt werden.

14
/
0

Die aktuelle Verhandlungssituation mit der EU und die wirtschaftlichen und politischen Zusammenhänge werden sehr gut aufgezeigt. Vielen Dank dafür. Einigen Punkten muss ich aber widersprechen:

„Was sie aus eigener Kraft seit der Masseneinwanderungsinitiative nicht mehr geschafft hat – die nachhaltige Beschädigung des Schweizer Verhältnisses zur EU –, wird ihr nun quasi frei Haus geliefert.“

Unterstellt hier der Autor, dass es die SVP in erster Linie darauf angelegt hat, das Verhältnis zur EU zu beschädigen? Das glaube ich nämlich nicht.

„Sie müsste lediglich gewärtigen, dass die EU bei Nichtrespektierung des Unionsrechts Ausgleichsmassnahmen ergreifen würde, wobei das vertraglich eingesetzte Schiedsgericht darüber zu wachen hätte, dass allfällige Retorsionen auch «verhältnismässig» bleiben.“

Sorry, das halte ich für reichlich naiv. Wie war das beispielsweise mit der Verweigerung der Börsenäquivalenz, war die „verhältnismässig“ oder auch nur vertraglich abgestützt?

„Es würde sicherlich zu einer stärkeren Belastung der Schweizer Sozialwerke durch nicht arbeitstätige, vor kurzem zugewanderte EU-Bürger kommen, aber die Kosten blieben sehr überschaubar. Avenir Suisse hat eine Rechnung gemacht, die bei konstanter Zuwanderung auf relativ bescheidene 75 Millionen Franken kommt pro Jahr – im aller-schlechtesten Fall.“

Das halte ich ebenfalls für naiv. Wie hoch war die offizielle Schätzung der durch das Freizügigkeitsabkommen zu erwartenden Zuwanderung und wie hoch war die Zuwanderung dann wirklich?

3
/
13
Interkultureller Coach
·

Rechtspopulisten malen immer schwarz-weiss, schaffen so Gut und Böse und schaden der Gemeinschaft. Ob gewollt oder ungewollt ist irrelevant.

11
/
0

Lieber Herr H., ich bin mit diesem Ihrem Kommentar jetzt einen Tag und eine Nacht herumgelaufen. Sie haben natürlich Recht. Dennoch erlebe ich auch in unserer "Blase", (ich verwende den Begriff mit aller Selbstironie und allem Ernst), häufigen Schaden für die Gemeinschaft, durch "Othering", durch identitäres Schwarz-Weiss-Malen, durch Stigmatisieren, das bemerkenswert oft in die Nähe von "gut und böse", oder "dumm und intelligent" oder "brauchbar und unbrauchbar" gerät. Es ist manchmal verletzend, im Republik-Dialog einer Gruppe zugeordnet zu werden, nämlich dann, wenn frau oder man sich selbst auf gar keinen Fall dieser zuordnen möchte. Dies nur eine Randbemerkung, aber vielleicht platziere ich meine Gedanken dazu bei passender Gelegenheit in einer prominenteren Diskussion.

6
/
3

Danke für diesen informativen Artikel. Schade, dass nur wenigen PolitikerInnen solch differenziertes und unbeirrbares Denken eigen ist. Wenn ich mir die Diskurse und Statements zum Rahmenabkommen anhöre, sind es doch immer wieder die gleichen schablonisierten Argumente, die auf ein Scheitern des Abkommens zielen.

12
/
4

ich befürchte, wenn unsere Wirtschaft im Schlamassel sitzt, wird man offener zu einem Rahmenabkommen stehen, allerdings ist es dann zu spät.

5
/
0

Reaktion aus dem Ausland auf die Rahmenabkommen-Verhandlung von Guy Parmelin in Brüssel.
SZ: Theater von Bern
https://www.sueddeutsche.de/meinung…-1.5274568

6
/
0

Liebe Frau R., vielen Dank für den Hinweis. Der Artikel bringt tatsächlich recht knapp die Gefühlslage auf den Begriff, der in den EU-Staaten vorherrschen dürfte, auch in den der Schweiz traditionellerweise gut gesonnen EU-Staaten Frankreich und Deutschland: Es reicht allmählich. Dann macht beim Binnenmarkt halt nicht mehr mit. Herzlich, DB

2
/
2

Weder DB in seinem Artikel noch die vielen Kommentaren dazu haben das wirkliche Problem erwähnt. Das Haupt Problem liegt in der DNA der Schweiz, wie sie grosse Probleme löst.
Die Schweiz hat nach ihrer DNA zwei Pläne, die sie immer verfolgt:
Plan A: Das Problem aussetzen bis sie sich von selber löst.
Plan B: sofort alles akzeptieren und unterschreiben.
Die Schweiz ist immer damit wirtschaftlich (wenn auch moralisch verwerflich) gut gefahren.
Ein Beispiel, das als Anschauungsunterricht dienen soll ist das Bankgeheimnis. Seit ewig hat die Schweiz das Thema ausgesetzt und die direkte Demokratie hat kläglich und moralisch versagt bis ein Gegner (USA) selbstbewusst, stark und entschlossen erklärt hat "FERTIG DAMIT" dann hat die Schweiz diskussionslos unterschrieben und die Blocher SVP keinen falschen Ton gewagt hat, sie alle sind auf Tauchstationen gegangen. Der Herr Blocher weiss genau wann er ruhig sein muss sonst werden die vorhandenen Akten der Offentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Die Schweiz wird abwarten bis die EU selbstbewusst, stark und entschlossen agiert. Die EU agiert nicht, sie reagiert. Auch bei der Brexit hat Grossbritannien agiert und die EU hat reagieren müssen. Die Schweiz wird nie agieren, deshalb meine Prognose "das Spielchen wird in die nächste Runde gehen und viel wird lange nicht passieren"
Plan B wird die Schweiz nur brauchen wenn der Gegner bewusst, stark und entschlossen agiert... Und momentan ist die EU alles anders als selbstbewusst, stark und entschlossen.
Übriges: bei der Bewältigung der Corona-Krise ist der DNA der Schweiz ersichtlich.
Bei Menschen ist jede Handlung durch die Persönlichkeit bestimmt..... Bei Ländern ist es auch ähnlich.

8
/
2

Die Argumente betr. Lohnschutz und Einkommensverteilung überzeugen mich voll. Trotzdem habe ich ein Verständnisproblem betr. der FLAM. Die Vorschriften betreffen die Löhne bei entsendeten Personen aus Firmen in der EU und diese sind vor allem im Baugewerbe oder der Industrie tätig. Die Niedriglöhne betreffen doch vor allem Bereiche wie Pflege, Reinigung und Gastgewerbe, Landwirtschaft. Warum dreht sich denn alles um die FLAM, wenn diese doch gar nicht für die echt tiefen Löhne relevant sind?

4
/
2

Weil wir dann noch mehr Niedriglohnbereiche kriegen.

4
/
0

Lieber Herr S., das ist ein guter Punkt. Wie relevant ist die Entsendung überhaupt für das Schweizer Lohngefüge. Zunächst: Auf dem Bau werden auch ehr tiefe Löhne bezahlt, insbesondere eben für Leiharbeiter aus entsprechenden Ländern. Zweitens: Entsendung findet durchaus auch in anderen Bereichen statt. In Deutschland hat sich das nun grade bei den Schlachthöfen gezeigt. Ein anderer Bereich ist die (private) Pflege. Auch die Landwirtschaft (Spargelstecher) dürfte da betroffen sein. Und schliesslich kommt hinzu: Die Gewerkschaften fürchten ja nicht zuletzt, dass das ganze System der Überwachung des Arbeitsmarktes durch die paritätischen Kommissionen durch die Rechtssprechung des EuGH hinfällig würde. Und dieses betrifft nicht nur entsandte Arbeitnehmerinnen. Herzlich, DB

1
/
0
Informatik-Ingenieur und Ökonom
·
· editiert

Doch, das Problem ist Brüssel.

Es gibt zwei Arten, wie man Handel zwischen verschiedenen Regionen organisieren kann:

  1. Mittels Freihandelsabkommen und der gegenseitiger Anerkennung der jeweiligen Produkte und Dienstleistungen.

  2. Top-down mittels Schaffung eines zentral regulierten und harmonisierten Binnenmarktes.

Die Europäische Union hat mit der ersten Methode begonnen und schlittert nun immer mehr in die zweite. Das Cassis-de-Dijon Prinzip ist ein bekanntes Relikt aus der ersten Phase. Es besagt sinngemäss, dass wenn ein Produkt gut genug für die Franzosen ist, dann ist es auch gut genug für die Deutschen, selbst wenn es den deutschen Lebensmittelvorschriften widerspricht. Dieses Prinzip beruht auf dem gegenseitigen Vertrauen, dass die anderen Ländern schon nichts allzu schädliches zulassen werden. Dieses Vertrauen ist mit der Vergrösserung der EU erodiert und man ist zunehmend dazu übergegangen, einen zentralistisch regulierten und durchharmonisierten Binnenmarkt zu schaffen.

Den Schweizern ist ähnlich wie den Briten die erste Methode viel sympathischer. Sie ist flexibler und erlaubt mehr Innovation, während man bei der Methode "Binnenmarkt" jedes Mal alle anderen mit überzeugen muss, wenn man mal was neues erlauben möchte. Wir sollten einen Weg suchen, mittels Freihandelsabkommen mit der EU zu verkehren. Damit behält unser Parlament die Freiheit, das in der Sache richtige zu tun, wenn die EU regulatorisch danebengreift.

9
/
20
Interkultureller Coach
·
· editiert

Dass Abschottung zu Innovationen führt ist mir neu. Das Gegenteil ist der Fall - die Einflüsse von aussen, das Ändern der Sichtweisen führt zu neuen Lösungen.

7
/
3
Informatik-Ingenieur und Ökonom
·
· editiert

Abschottung hemmt Innovation, da man dann nur eine Variante von allem hat. Aber die EU macht genau das: sie schafft einen grossen, abgeschotteten Binnenmarkt. Dabei gewichtet sie Harmonisierung höher als Subsidiarität und schafft so eine regulatorische Monokultur, in der der Wettbewerb der innovativsten Ideen nicht mehr funktioniert. Europa braucht mehr Diversität. Das wird nicht besser, wenn sich auch noch die Schweiz dieser Monokultur unterwirft.

5
/
5

Ich denke, dass hier ein Irrtum besteht. Cassis de Dijon bezieht sich nur auf das Produkt, eben den schwarzen Johannisbeersirup. Der EU geht es in ihrem Binnenmarkt aber auch darum, wie dieses Produkt entstand. Boris Johnson hat das auch nicht kapiert - oder genauer: so getan, als ob er das nicht kapiere - und erlebt nun den Zusammenstoss mit der Wirklichkeit.

3
/
1

Beim Lesen ist mir wieder Kirsten Dunlop von EIT Klimate CIC eingefallen welche letzten Dezember ein künftiges, sehr nachdenkliches Image der Schweiz (und ihrem Finanzplatz) sehr gut an die Gedankenwand malte: Nachzuschauen auf youtube (ab 29:30 min): https://www.youtube.com/watch?v=rVs…e=emb_logo

4
/
1

einfach neu abstimmen für einen EU Beitritt, dann hört das ganze Theater auf!

11
/
8

Liebe Frau A., man hat tatsächlich den Eindruck: Je verfahrener die Situation wird, desto alternativendloser wird zu guter Letzt wieder ein Beitritt werden. Nur dass bis dahin noch einige Zeit vergehen dürfte - und sich die Lage der Schweiz noch einmal sehr dramatisch verschlechtern müsste. Herzlich, DB

1
/
0

Beim Lesen ist mir wieder Kirsten Dunlop von EIT Klimate CIC eingefallen welche letzten Dezember eine künftiges sehr nachdenkliche Image der Schweiz (und ihrem Finanzplatz) sehr gut an die Gedankenwand malte: Nachzuschauen auf youtube (ab 29:41 min): https://www.youtube.com/watch?v=rVs…e=emb_logo

2
/
1