Die Republik ist nur so stark wie ihre Community. Werden Sie ein Teil davon und lassen Sie uns miteinander reden. Kommen Sie jetzt an Bord!

DatenschutzFAQErste-Hilfe-Team: kontakt@republik.ch.



Zuerst dachte ich, ich poste diesen Beitrag anonym, aber ich hab es mir anders überlegt. 💩 auf das Opfer-Stigma.

Ich habe nicht weniger als 20 Jahre gebraucht, um erstmals einen sexuellen Übergriff in Worte fassen zu können, den ich als Teenie erlebt hatte. Wie im Artikel beschrieben war ich damals schlicht nicht in der Lage zu verstehen, was passiert war, geschweige denn aktiv für mich einzustehen. Ich hatte lediglich ein diffuses Schuldgefühl, das mich in den zwanzig Jahren nie verlassen hat.

Das ist vielleicht das Mieseste an den Vorfällen, die uns so überfordern, dass wir sie stumm ganz tief vergraben: Sie wirken trotzdem unaufhörlich auf uns, schleichen sich in unseren Entscheidungen, Reaktionen, Beziehungen ein, und sind extrem schwer zu zu fassen, wenn wir sie einmal eingegraben haben.

Damit man sich gegen einen Übergriff (welcher Art auch immer) wehren kann, müssen so viele Bedingungen erfüllt sein:

  • Man muss verstanden haben, was vorgefallen ist.

  • Man muss für sich definiert haben: Das darf jemand, und das darf jemand nicht -- hier ist die Grenze, und wenn sie überschritten wird, schütze / verteidige ich mich.

  • Man muss den Vorfall in Worten beschreiben können.

  • Man muss eine Person oder Stelle kennen, an die man sich wenden kann und der man vertraut.

  • Man muss sicher sein (oder zumindest hoffen dürfen), dass einem geglaubt wird.

  • Man muss hoffen dürfen, dass die Schuld für den Übergriff nicht aufs Opfer abgewälzt wird -- auch nicht teilweise.

  • Man muss hoffen dürfen, dass die Meldung ernst genommen und weiterverfolgt wird.

  • Man muss hoffen dürfen, dass man nicht z. B. durch einen Reputationsschaden einen (zu hohen) Preis für die Meldung zahlen muss.

So oft sind diese Bedingungen allermindestens zum Teil nicht erfüllt, und trotzdem ist die Frage "Aber warum hast du dich nicht (früher) gewehrt" allgegenwärtig. Ich hoffe ganz fest, dass sich das ändert.

Danke für den wichtigen Artikel!

112
/
0

Liebe F. T.

Vielen Dank IHNEN für die sehr wichtigen Worte. Ich hoffe mit.

27
/
0
11
/
1
Frau, fast75, Theologin, Redaktorin
·

F. T., vielen herzlichen Dank für Ihren Mut, Ihren Namen, Ihre Erfahrung.
Ich schliesse mich Ihrer Hoffnung, Ihrem Dank für diesen wichtigen Artikel an.
In persönlichen Nachgedanken, die bei mir dieser Tage landen, fällt mir zusätzlich auf:
es kann sein, dass eigene Erfahrungen fast bis zum Verschwinden in den Hintergrund gedrängt werden, weil vorne durch so laute, kollektive Empörungswellen im Gange waren und sind und dann der Zweifel: ist das so bei mir? ist mein Erleben nicht vergleichsweise unbedeutend?
Alles Gute Ihnen!

18
/
0
in diesem Fall ohne Rolle
·

Danke für Ihren Mut!

13
/
0

F. T., danke für den Mut und die Zeit, ihren Beitrag so präzise und prägnant zu formulieren. Ich stelle mir vor, da steckt viel Arbeit drin.

Was mich daran am meisten berührt, Sie schreiben:

Das ist vielleicht das Mieseste an den Vorfällen, die uns so überfordern, dass wir sie stumm ganz tief vergraben: Sie wirken trotzdem unaufhörlich auf uns, schleichen sich in unseren Entscheidungen, Reaktionen, Beziehungen ein, und sind extrem schwer zu zu fassen, wenn wir sie einmal eingegraben haben.

Und kurz davor:

Ich hatte lediglich ein diffuses Schuldgefühl, das mich in den zwanzig Jahren nie verlassen hat.

Unfassbar, dass damit auch noch Schuldgefühle einhergehen!
Das scheint mir so ungerecht! Und einerseits völlig einleuchtend und andererseits so verkehrt (die Schuldgefühle müssten in einer gerechten Welt alle anderen haben!), dass ich mir nicht vorstellen kann, wie mensch das aushalten kann! Vielleicht hilft es, wenn wir als Gesellschaft Ihren Teil an Schuldgefühlen übernehmen?
Vielen Dank für das Teilen!
Weiterhin viel Kraft und Mut!

11
/
0

Merci für Ihre solidarischen Zeilen, Samuel Blatter.

Die Sache mit der Schuld ist wirklich komplex, sie beschäftigt mich auch. Auf der Opfer-Seite entsteht sie zunächst ja mal, weil man sich das Erlebte nicht anders erklären kann: Ich muss den Übergriff irgendwie provoziert haben, warum sonst würde mich jemand so behandeln? Oft stimmt es ja auch, dass an einem Konflikt beide Seiten beteiligt sind. Aber eben nicht immer. Das muss man dann erstmal erkennen.

Meine persönliche Perspektive auf die Schuld ist, dass sie vor allem ein Hindernis ist. Sie sitzt wie ein riesiger erhobener Zeigfinger da und sagt: Du bist schlecht, du verdienst nichts Gutes. Das ist schwer zu ertragen und lädt vor allem zu einem ein: Verdrängung. Vielleicht jahre-, jahrzehntelang. Vielleicht nicht nur auf der Opfer-, sondern auch der Täterseite. Damit ist niemandem geholfen.

Ich stimme Ihnen zu: Wir sind alle gefragt; wir können alle einen Beitrag zu einem besseren Umgang mit diesem Thema leisten. Vielversprechender als kollektive Schuld scheint mir kollektive Verantwortung. Ich glaube, letztendlich geht es um ganz grundlegende Dinge: Hören wir einander zu. Machen wir uns immer wieder bewusst, dass unser Tun (und Nicht-Tun) Folgen hat, für uns und für andere. Bringen wir unseren Kindern, unseren Töchtern bei, was Grenzüberschreitungen sind und wie sie sich gegen solche wehren können. Stellen wir uns der Tatsache, dass Grenzüberschreitungen vorkommen -- und kehren wir sie nicht unter den Teppich.

8
/
0
Sabine Muth
Vielleserin
·

Als ich mit 57 Jahren das letzte Mal massiv belästigt wurde, war mir das alles tatsächlich nicht klar. Auch ich hatte das Gefühl, ich sei Schuld an den unangemessenen Annäherungen.

Diese ungemein wichtige Liste zeigt mir, dass ich gar nie eine Chance hatte mich erfolgreich zu wehren.

Der Belästiger wurde erst entlassen, als ein anderer Arzt aus dem Team der Geschäftsleitung auf dessen übergriffiges Verhalten gegenüber einer Patientin hingewiesen hatte.

Ich war den Belästiger los, aber nicht, weil man in der Chefetage auf meine Beschwerde eingetreten war. Im Gegenteil, stand ich noch unter dem Verdacht, zu diesem Verhalten eingeladen zu haben.

Liebe Frau T., Ihre Liste nimmt mir viel Schmutz von der Seele. Vielen Dank ❤️

3
/
0
Multifunktional
·

Wenn Schweigen die Bettdecke der Mächtigen ist, dann ist Lautwerden doch das, was sie am meisten fürchten. Die moralische Pflicht zum Lautwerden beinhaltet aber nicht primär das Opfer, welches wie beschrieben oft nicht dazu in der Lage ist, sondern viemehr dessen direkte Kollegen und Mitarbeiter. Wegschauen bedeutet Mitläufer und Mittäter.
Let‘s get loud!

68
/
0
Theresa Hein
Feuilleton-Redaktorin
·

Liebe Frau W., da stimme ich zu. Let's.

10
/
0

Das perfide ist genau das unvorhersehbare Wechselspiel zwischen abwertenden Bemerkungen und guten fachlichen Diskussionen. Man stellt das eigene Bauchgefühl in Frage, ist immer mehr verunsichert. Meine angefangene Liste der Übergriffe erschien mir selbst kleinlich, trivial. Der coole, vermeintlich teamorientierte, velofahrende und kletternde Chef in der "flachen" Hierarchie mit vielen informellen Abhängigkeiten mobbt derweil weiter. Es braucht Zivilvourage bei allen, denn Mobbingverhalten ist sichtbar. Nicht wegschauen, ansprechen!

56
/
0

Spannend wäre es, mal über die konkreten Erfahrungen jener zu sprechen, die bei so Ombudsstellen arbeiten, wo sich Betroffene über ihre Vorgesetzten beschweren können. Ich befürchte nämlich, dass die Gefahr recht gross ist, dass da nicht viel mehr stattfindet als ein "schön, dass wir darüber geredet haben" und dass diese Ombudsstellen wenig gegen übergriffige Vorgesetzte ausrichten können. Also auch eher Feigenblatt-Funktion haben. Und den Betroffenen auch dann nicht viel anderes übrigbleibt, als die Situation irgendwie weiter auszuhalten oder zu gehen.

31
/
1
· editiert

Diese Vermutung kann ich gemäss meiner Erfahrung und für meine Perspektive als Opfer bestätigen. Als ich der internen Beratungsstelle meiner Arbeitgeberin meldete, dass mich ein Vorgesetzter sexuell belästigt hatte, wurde mir mit etwas Nachdruck geraten, mit dem Täter eine informelle „Aussprache“ zu führen und die Sache weder dem HR zu melden noch rechtliche Schritte einzuleiten.
Leider liess ich mich auf diese Aussprache ein. Weitere Konsequenzen gab es nicht für den Täter (und auch nicht für meine Teamleiterin, die beim Vorfall ebenfalls anwesend war und nichts unternommen hatte). Beide Personen arbeiten noch dort, ich habe das Unternehmen verlassen.
Aus diesem Grund würde ich mich bei so einen Vorfall nur noch an eine externe Opferberatungsstelle wenden.

37
/
0

Meine Erfahrung diesbezüglich ist schon eine Weile her. Ich habe damals für einen Artikel in der Firmenzeitschrift einer grösseren Institution mit der Leiterin der dortigen Ombudsstelle gesprochen. Sie waren auch für Gleichstellung in diesem Unternehmen zuständig und hatten ein Jubiläum zu feiern, daher der Artikel. Als ich sie auch darauf ansprach, wie es denn um die Tätigkeit als Ombudsstelle so steht, wurde schnell klar, dass das nicht in den Text sollte. Und dass sie den Betroffenen zwar sehr gerne helfen wollten, aber im Grunde vor allem Tipps für externe Beratung und psychologische Unterstützung geben konnten, denn, so sagte mir die Leiterin, die Betroffenen konnten es sich eigentlich nicht leisten, dass ihre sie belästigenden Vorgesetzten davon erfuhren, dass sie ihr Verhalten gemeldet hatten. Zumindest, wenn sie ihren Job behalten wollten. Zudem: Es war auch zu befürchten, dass eine Frau, die dafür bekannt war, sich gewehrt zu haben, anderswo in derselben Branche keine Stelle finden würde, da sie dann als "Querulantin" gelten würde. Die Ombudsfrau war ganz offensichtlich sehr im Dilemma. Und hatte zudem noch selber mit der Schwierigkeit zu kämpfen, dass die Chefs wussten, dass sie Bescheid wusste über übergriffiges Verhalten. Ich weiss noch gut, wie geschockt ich war über den Sumpf, der sich mir da auftat...

29
/
1
in diesem Fall ohne Rolle
·
· editiert

Danke für die präzise Aufschlüsselung der Mechanismen. Die können nicht oft genug erklärt/beschrieben werden.

Als Gesellschaft neigen wir dazu, bei Grenz­überschreitungen die Verantwortung auf das betroffene Individuum abzuschieben. Weil es einfacher ist, zu fragen, was ein Opfer eines Übergriffs falsch gemacht hat, als in einer unangenehmen Situation den Mund aufzumachen.

Hier vermisse ich die deutlichere Benennung des letzten Schrittes: Es ist zwar auch die Gesellschaft, ja, doch solange wir nur von einer diffusen Grösse Gesellschaft sprechen, schieben wir wieder ab und werden uns zu wenig bewusst, dass wir, jede:r einzelne systemisch "mit drin hängen".

Letztlich sind es wir, die je Einzelnen, die in entsprechenden Momenten uns/sich selber näher sind, als dem Menschen, der Opfer wird.

Auch hier könnte die Frage im Futur II
(siehe Beitrag Zukunftslust) weiterhelfen: "Will ich am Ende des Tages diejenige gewesen sein, die geschwiegen hat, als sich eine unangemessene Situation ereignete?"

Sehr unbequem, braucht Mut, scheitert oft genug, doch es sollte wenigstens der Wille zu dieser Frage da sein, sonst ändert sich wenig.

Edit: präzisierende Ergänzung und fett.

31
/
0

Der Link zum neuen Verständnis der Eigenverantwortung wird immer wieder von der Republik als neoliberale Kritik aufgegriffen. Das gelingt in diesem Artikel sehr gekonnt.

Eine kleine Kritik:
“Geniale Dynamik” im Schlusssatz klingt als ob es bewusst erdacht wäre. Ich fand “perfide” passender.

5
/
2
Theresa Hein
Feuilleton-Redaktorin
·

Lieber Herr S., darf ich widersprechen? Mit Adjektiven muss man sorgsam umgehen, sonst verlieren sie ihre Wirkung. «Perfide» ist erstens ein enorm überstrapaziertes Adjektiv, zweitens hatten wir es weiter oben im Text schon an prägnanter und m.E. passenderer Stelle. Hätten wir es am Ende wiederholt, hätte es die ein oder andere vielleicht ermüdet, gelangweilt oder schlicht an Nachdruck verloren. «Genial» steht hier richtig, weil es an genau dieser Stelle verdeutlicht, dass es eine menschengemachte Dynamik ist (die übrigens bewusst oder unbewusst hergestellt werden kann). Das nur, damit hier nicht der Eindruck entsteht, wir würden in unseren Texten so achtlos mit Adjektiven um uns werfen wie andere mit Blumenkohl. Schönes Wochenende!

25
/
0

Off-topic, aber: wer wirft mit Blumenkohl? Ist das ein Sprachbild, das ich bisher nicht kannte, oder ist Blumenkohlschmeissen eine verbreitete Praxis?

10
/
2
· editiert

Grüezi Frau Hein
Danke für die Ausführung! Ich hatte vermutet, dass Sie Ihre Worte sehr bewusst wählen. Wenn Sie “genial” schreiben, denke ich aber lediglich an eine bewusst hergestellte Dynamik. Menschen-erdacht ist für mich genial, menschen-verursacht nicht unbedingt.
Einen guten Start in die nächste Woche!

2
/
0

Danke für Ihre spannenden Ausführungen in dem Artikel und das Aufgreifen des Themas von dieser Seite!

CN Vergewaltigung, sexuelle Belästigung

Wie Sie beschreiben, sind solche Vorfälle leider keine Einzelfälle, es steckt viel mehr ein System dahinter. Betroffene Personen spielen das leider oft herunter, denken, es sei eine Ausnahme, weshalb sie dann nichts sagen. Und eben, wenn es dann von denjenigen, die dann doch von dem Vorfall in Kenntnis gesetzt werden, heruntergespielt wird, dann wird dieses Einzelfallszenario noch bestärkt. Das ist dann (und dafür gibt es ein Fachwort, was allein schon der Beweis für ein System ist, das dahinter steckt) 1a Rape Culture, die da stattfindet, und dabei geht es nicht nur um Vergewaltigung, sondern auch um sexuelle Belästigung und das Tolerieren dieser. Damit einher geht (und auch das wird in dem Artikel zu gut beschrieben), das Victim blaming: dass die betroffene Person an der eigenen Situation schuld sei. Bei Vergewaltigungen wird etwa häufig gefragt welche Kleidung die Betroffene trug, und auch solche Fragen sind leider immernoch gesellschaftlich internalisiert (bei der Polizei oder vor Gericht).

Apropos Internalisierung: präventive Massnahmen und Ombuds-/Vertrauensstellen sind ja eigentlich etwas Gutes, allerdings gibt es auch da noch viel Aufholbedarf: Teilweise läuft das Ganze nicht anonym ab, und lets face it: wenn eine Gleichstellungsperson zum Chef geht, weil du „gepetzt“ hast, naja, das trägt sicher nicht zur Lösung des Problems bei. Und auch da zeigen sich wieder die Strukturprobleme mit solchen Situationen, auf die bisher seit #metoo immernoch nicht adäquat reagiert wurde.

Und wie sagte bereits Oscar Wilde so schön- „everything in the world is about sex — except sex. Sex is about power.”
Wir sollten mehr über diese Macht reden.

26
/
3
· editiert

Warum wehrst du dich nicht?

Die Antwort zu dieser Frage wird eigentlich in diesem und dem Artikel «Damit sie nicht sagen können: Herrgott, wenn wir das gewusst hätten!» gut dargestellt. Ein Opfer kann sich, unter heutigen Umständen (immer noch) nur wehren, indem es geht.

Immerhin werden hier die öffentlichen Anlaufstellen gelistet. Richtig wäre: die interne Meldestelle des Arbeitgebers.

Erst kürzlich, — und wir wissen alle, auch viel zu spät — hat die ETH alle Mitarbeiter in Bezug zu sexueller Belästigung am Arbeitsplatz geschult. Link

Darin sind wichtige Punkte im Bezug zur Eingrenzung von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz festgehalten:

  • Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist laut Gleichstellungsgesetz ein strafrechtliches Vergehen

  • Der Arbeitgeber ist verpflichtet eine Anlaufstelle für sexuelle Belästigung einzurichten und seine Mitarbeiter*innen darin zu schulen sexuelle Belästigung nicht zu tolerieren

  • Der Arbeitgeber soll seine Mitarbeiter*innen dazu anhalten sexuelle Belästigung als solches zu erkennen und bei der Anlaufstelle zu melden

Was (anscheinend nicht nur) mir neu ist, ist dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, eine Anlaufstelle zu bilden und ein Arbeitsklima zu schaffen wo sexuelle Belästigung nicht toleriert wird. Und hier noch einmal zum Aufschreiben: Es ist Aufgabe des Arbeitgebers (und nicht die des Opfers) eine Anlaufstelle zu bilden und ein Arbeitsklima zu schaffen wo sexuelle Belästigung nicht toleriert wird.

Meine persönliche Antwort zu „warum wehrst du dich nicht“? Zurzeit wird immer noch sich wehren mit gehen/kündigen gleichgestellt — im Sinn von „Wenn es dir nicht passt, musst du halt gehen!“ oder im Nachhinein „Warum hast du das solange ausgehalten?“. Vielleicht wollen die Opfer aber schlichtweg nicht gehen — weil ihnen der Job grundsätzlich gefällt, ihnen kein Fehlverhalten zufällt oder sie ganz einfach den Job und das Geld brauchen.

Solange die Lösung ist, dass die Opfer gehen (oder schweigen) müssen — solange werden die Täter in ihrem Fehlverhalten bestärkt. Die Arbeitgeber kommen, allem Anschein, ihrer Verpflichtung nicht nach eine kompetente Anlaufstelle zu bilden und ihre Mitrabeiter*innen darin zu schulen diese aufzusuchen.

Es wäre Aufgabe aller für dies einzustehen. Im Alltag, am Arbeitsplatz und zu Hause. Doch leider ist auch die Schweiz immer noch ein von Sexismus stark geprägtes Land. Ich frage mich, warum sich so wenige dafür schämen und sich für eine Veränderung stark machen…

22
/
0

Danke! Hat mir geholfen, das fast Unverständliche besser zu verstehen.

20
/
0
Theresa Hein
Feuilleton-Redaktorin
·

Lieber Herr Candinas, das freut uns, wir haben auch viel gelernt.

5
/
0
· editiert

Danke für den wichtigen Artikel!

In solchen Situation erfahren die betroffenen Personen der perfiden psychischen Gewalt zusätzlich Victim Blaming durch die Täter*innen, dem eigenen Umfeld wie auch der Gesellschaft. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass die Gesellschaft Mühe hat solche Ereignisse einzuordnen und lieber von dem Guten im Menschen ausgehen will und daher die einfache Lösung bevorzugt. Sprich lieber sich die Welt schön reden als handeln und Verantwortung übernehmen und so der betroffenen Person die Schuld geben.

Normalerweise braucht es immer zwei Personen, dass Konflikte entstehen aber in solchen Fällen erfolgt die Aggression nur von der einen Seite aufgrund von äusserst banalen Gründen wie Neid, Missgunst, Misogynie oder psychischen Themen der Täter*innen.

& bei den ganzen Rechtfertigungen der Täter*innen via Victim Blaming und der Abgabe von jeglicher Verantwortung für ihr Handeln haben wir ein gutes Beispiel für die Banalität des Bösen und Gaslighting.

& dann tönt alles so aufschlussreich und interessant in der Theorie aber in der Praxis ist es alles andere als rosig und da ist dringend ein Umdenken nötig mit einem Handeln in eine menschlichere Richtung ohne Schönreden & ohne Victim Blaming & ohne tratschige Verleumdungsaktionen hin zu einer Zivilcourage und einem Erkennen und Benennen von den unschöneren Seiten unserer Gesellschaft in der die Täter*innen & das sie schützende System zur Rechenschaft gezogen werden und nicht die von deren Handlungen betroffenen Personen.

Die haben meist schon genug damit zu tun das Erfahrene zu verarbeiten und passend einzuordnen.

& helfen wir ihnen dabei die Erlebnisse passend einzuordnen & zu verarbeiten, sodass sie diesen Abschnitt von ihrem Leben hinter sich bringen können.

20
/
0

Das Aufdecken und Bewusstwerden dieser Dynamiken ist so wichtig, danke dafür!
Die TäterInnen haben leider zu oft keinen Grund sich zu ändern, da sie durch ihre aktiven und passiven (schweigenden) "flying monkeys" gedeckt und somit geschützt werden. Das scheint mir nicht nur am Arbeitsplatz so, sondern auch in politischer Hinsicht.

18
/
0
Leserin um die 33 Jahre
·

Danke für diesen so wichtigen Artikel!
Gerade gestern hatte ich eine riesige Diskussion mit meinem Freund über genau dieses Thema. - warum es problematisch ist, immer und oft nur beim Opfer hinzuschauen - was es anders hätte machen können, wie es gestärkt werden könnte.
Denn das Opfer ist nicht die Ursache des Problems. Sondern die Tatperson. Sie verantwortet ihr Verhalten/ ihr Handeln. Niemand sonst.
Merci, dass ihr darüber aufklärt!

15
/
0

Für weitere Begriffe, die helfen, diese Dynamik zu verstehen, fand ich das Buch "Epistemic Injustice. Power and the Ethics of Knowing” von der Philosophin Miranda Fricker sehr hilfreich. Mit Bezug auf diesem Artikel würde ich sagen, dass diese Dynamik dazu führt, dass die Betroffenen möglicherweise keine Begriffe haben, um ihre Erfahrung zu verstehen (“epistemic injustice”), und wenn sie mal solche Begriffe doch haben, dann wird ihre Glaubwürdigkeit als Vertreterinnen der eigenen Erfahrungen in Frage gestellt (“testimonial injustice”). Das Buch ist erfreulicherweise auch auf Deutsch in der Übersetzung von Antje Korsmeier als “Epistemische Ungerechtigkeit. Macht und die Ethik des Wissens” bei Beck erschienen.

13
/
0
Theresa Hein
Feuilleton-Redaktorin
·

Danke Ihnen sehr für die Lektüreempfehlung!

3
/
0

Das Buch ist für März angekündigt.

4
/
0
Enarchist & Anfänger
·

Eine wichtige Lektüre. Ich lese darin auch einen Hinweis auf oft mangelhafte Fehlerkulturen. Ein besseres Miteinander und Füreinander in der Arbeit sollte auch ermöglichen, Machtverhältnisse flacher und kooperativer zu gestalten und so Grenzüberschreitungen jeglicher Art vorzubeugen.
Es gibt ja Firmen, die das bereits leben. Wie können wir dafür sorgen, dass rasch viele andere angesteckt werden? Vom Weg über Gesetze und Kontrollen halte ich nicht viel.

12
/
0
Organisationsentwicklerin
·

Interessanter Gedanke, dass “flache und kooperative Machtverhältnisse” Grenzüberschreitungen verhindern. Könnten Sie das noch etwas ausführen? Auch unter Kollegen und mit kollegialen Vorgesetzten kann sowas ja vorkommen. Und gerade in offenen-toleranten Kulturen kann es besonders schwer sein, zur “Spielverderberin” zu werden.

8
/
0
Enarchist & Anfänger
·
· editiert

Grenzüberschreitungen passieren überall. Daraus könnte man lernen und sie in Zukunft vermeiden. Das wäre für mich eigentlich das, was ich erwarten würde.
Belastend bis unerträglich wird es, wenn Grenzüberschreitungen zu Mustern werden und sich wiederholen oder steigern.
Partizipative Firmenkulturen, in denen Leitung und Koordination echt auf Augenhöhe passieren, entziehen meines Ermessens ausbeuterischen Strukturen und Machtmissbrauch den Nährboden. Ich denke an Firmen, die Frédéric Laloux in Reinventing Organizations erwähnt oder an gemeinsame Aufbrüche wie Prozesse nach Theorie U von C. Otto Scharmer.
In so einer Organisation sind alle mitverantwortlich. Kopf und Bauch werden ernst genommen. In der Regel ist jemand ausserhalb der Geschäftsleitung für Genderfragen zuständig und jederzeit ansprechbar. Familienfreundlichkeit, klare Regelungen für Überzeit, Möglichkeit von Homeoffice, kein Druck trotz Krankheit zu arbeiten, echte Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen können positive Zeichen sein, wenn Kopf und Bauchgefühl sich nicht widersprechen.

4
/
0
(durch User zurückgezogen)

Super! Vielen Dank für diesen fantastischen Beitrag!

5
/
0

Lesenswert zum Thema: "Die Masken der Niedertracht" von Marie-France Hirigoyen.
Danke für den Artikel!

3
/
0

Hallo und vielen Dank für diesen Artikel! Das erwähnte Beispiel mit den wiederholten Einladungen zum Abendessen entspricht genau einer Situation, die ich mit einem Kunden erlebt habe. Nur dass es nicht mit der Zusendung eines Pornofilms endete, sondern mit einer anderen, viel weniger expliziten Form der Grenzüberschreitung. Am Ende war ich sehr irritiert, dass die Person nicht begriffen hatte, dass ihr Verhalten unangemessen war und dass es sich um einen Machtmissbrauch handelte, da es sich um meinen Klienten handelte. Trotz meiner vielen Zeichen des Widerstands kam ihm nie in den Sinn, dass er sich in der Rolle des Aggressors befand. Daher meine Hypothese: Ich habe den Eindruck, dass das Problem der mangelnden Anerkennung des Opfers durch seine Umgebung häufig auf einen enormen Mangel an Empathie zurückzuführen ist. Und das vielleicht weniger in schweren Fällen, als vielmehr, wenn man sich in dieser verdammten Grauzone befindet, in der die Situation weder für das Opfer noch für den Täter klar ist, der sich nicht einmal der Konsequenzen seines Handelns bewusst ist. Wie wäre es, wenn man in den Unternehmen die Mitarbeiter schulen würde, indem man Beispiele für Belästigungen aller Art anführt?

0
/
0