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Urs Fankhauser
Citoyen
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Wir leben in einem Land, das lange nicht müde wurde, sich seiner "humanistischen Tradition" zu rühmen. Eine ungeheure Dreistigkeit angesichts des "Leistungsausweises" :

  • Einreiseverbote für Roma

  • Verfolgung der einheimischen Minderheit der Jenischen

  • Abweisung jüdischer Flüchtlinge zur Zeit des 2. Weltkriegs

  • Krämerseelenhafte Asylpolitik gestern und heute

  • Diskriminierung und Ausbeutung von Arbeitsmigrant*innen

  • usw.
    Der Text von Frau Nadj-Abonji ist erschütternd. Wahrscheinlich würden die meisten Schweizer*innen im Rückblick sagen, dass die Politik von damals falsch war. Und trotzdem müssen alle ohne Schweizerpass und alle, die trotz Besitz eines solchen noch bei Trost sind, schon wieder fürchten, dass es im Herbst zum worst case kommt. Ich will jetzt nicht laut sagen, dieses Land sei krank. Aber denken tu ich's.

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Herr Frankhauser, gehört die Entgegennahme von kriminell "erworbenen" und Fluchtgeldern, welche Jahrzehnte lang praktiziert worden war und erst auf Druck von aussen zaghaft und widerwillig aufgegeben werden musste, sowie die Steuerbegünstigung von Konzernen, welche systematisch skrupellos Menschen und Natur ausbeuten, ebenfalls zur "humanistischen Tradtion" dieses, wie sie es nicht laut sagen "kranken Landes"? Und sind es nicht die in diesem demokratisch organisierten Land stimm- und wahlberechtigten Menschen, die das alles erst möglich machen weil auch sie, also wir, davon profitieren?

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Danke für diese schweizerische Familiengeschichte.

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Ein sehr lesenswerter Text! Es ist bedrückend zu sehen, wie sich in fünfzig Jahren auch bei uns nichts an Fremdenhass und Rassismus geändert hat. Der Autorin gelingt es mit ihrer sorgfältigen Sprache aufzuzeigen, welch grossen Einfluss Worte und Bilder auf das Denken und Handeln von Menschen haben und so, offen oder subtil versteckt, wesentlich zu gesellschaftlichen Vorurteilen beitragen und Ablehnung und Hass schüren.

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Gemeinsam mit der Autorin erschreckt mich die Tatsache, dass die Stimmen der Betroffenen in dieser Sache auch nach 50 Jahren noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Den angestrebten Perspektivenwechsel, weg von der offiziellen Sichtweise der Mächtigen, hin zu denen, deren Leben durch die politischen Entscheide und die herrschenden Verhältnisse nachhaltig geprägt wurde und noch immer geprägt wird, wünsche ich mir auch im Bereich der aktuellen schweizerischen (und europäischen) Flüchtlingspolitik: Was denkt die Flüchtlingsmutter im griechischen Lager, wenn sie davon hört, die Schweiz habe im vergangenen Monat 23 Flüchtlingskinder aufgenommen? Was geht im Kopf des Afrikaners vor, der in Libyen unter sklavenähnlichen Bedingungen auf eine Überfahrt nach Europa hofft, wenn er davon erfährt, dass der schweizerische Bundesrat zwar 400 Millionen Franken zur Bekämpfung von Corona in den Krisengebieten spenden will, für das eigene Land aber 60 Milliarden (60'000 Millionen) für diesen Zweck locker macht? Wie ist es für die jetzt arbeitslose Textilarbeiterin in Bangladesch, wenn sie erkennt, dass die Aktionäre des Konzerns, der ihr bis vor kurzem ein sehr bescheidenes Auskommen ermöglichte, auch weiterhin fette Dividenden einstreichen können? - Ich bitte die "Republik", auch diesen Stimmen Gehör zu verschaffen.

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Wieder ein Text von Melinda Nadj Abonji, der aufwühlt. Merci! Ich war damals 19 Jahre alt, somit noch nicht stimmberechtigt, argumentierte aber vehement gegen die Initiative in der Schule, in der Familie und sogar (mit zitternden Knien) an einer Versammlung dem Herrn Schwarzenbach direkt widersprechend. Ich erinnere mich an die miserablen übertreuerten Wohnverhältnisse v.a. der Saisoniers in unserer Gegend oder dass sie, wenn sie aufmuckten auf Geheiss des Arbeitgebers "gesperrt" werden konnten, also ausreisen mussten. Empörende Rechtlosigkeit. Befremdlicherweise sagte mir damals auch ein "gut integrierter", etwa 25jähriger Italiener aus der Nachbarschaft, er würde, wenn er dürfte, Ja stimmen. Ich habe ihn verständnislos angeschrieen.

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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So erklärte der Duden im Jahre 1929 «Überfremdung» als «Aufnahme zu vielen ausländischen Geldes».

Ja, das will ich sehen. Wie die Rechtsbürgerlichen, SVP/FDP, eine «Überfremdungs-Initiative» gegen die «Aufnahme zu vielen ausländischen Geldes» lancieren. Man könnte fast meinen, die eine «Überfremdung» soll durch die angeblich andere verschleiert werden. «Die Anderen» als «Sündenböcke» – nichts Neues unter der Sonne.

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Danke für diesen so wunderbar geschriebenen Artikel über ein Problem, das ein Verhalten sichtbar macht, das selbst in egalitär-liberalen scheinenden(!) Gesellschaften wie der Schweiz immer und immer wieder aktiv bekämpft werden muss! Erst wenn wir einsehen, dass wir alle selber überall und immer «fremd» sind und erst wenn wir aufhören uns einen Staat als so etwas wie ein «Gefäss» vorstellen, das mal voller und leerer sein kann, wenn wir also selber in unserem Nachdenken die Wörter entfernen, die unser Denken erst böse machen, dann können wir die Fähigkeit verbessern, wirklich menschlich zu denken. Im Sinne von Hannah Arendt, Wörter als die gefrorenen Gedanken von früher anzusehen, die der Wirbelsturm des Denkens auftaut und wie Fahnen im Wind zerfetzt.

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Menschen die sich nicht fremd fühlen sollen sich also fremd fühlen... Es hat genug für alle... Böses Denken... Wörter entfernen...
Wenn das die Antworten sind, auf die Problematik der Migration, dann wundert es mich nicht, dass die linken Parteien rundherum verlieren.

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Eine eindrückliche Schilderung einer Migrationsgeschichte und ein Zeitdokument über eine Schweiz, die dermassen selbstherrlich über Menschen verfügte, dass einem das nackte Grauen überkommt. In jener Zeit fühlten sich viele Schweizer dazu berufen - vielleicht in der irrigen Annahme Gott zu repräsentieren - Menschen oder besser: Fremdlinge nach rein profitorientierten Kriterien aufzunehmen oder abzuweisen. Es war die Zeit der Gnomen und bei weitem nicht nur derer am Paradeplatz. "Man holte Arbeitskräfte und es kamen Menschen" hatte Max Frisch zurecht gesagt. Das "Erfolgsmodell" Schweiz gab es nur, weil die vom Krieg verschont gebliebene Schweiz dank ausländischen Arbeitskräften die Landschaft umpflügen und einen Modernisierungsschub einleiten konnte, der dem Land in zunehmendem Masse Wohlstand einbrachte. Heute sind über 20% der Bevölkerung Ausländer. Deren Anteil ist auch so hoch, weil das Einbürgerungsregime in vielen Kommunen restriktiv gehandhabt wird. Wir Schweizer haben im Laufe von fünf Jahrzehnten gelernt, dass wir in den meisten Branchen auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen sind. Ein Schweizer, der viel von sich hält, ist der geborene Herr und lässt gerne für sich arbeiten. Aber aufgepasst: Schwarzenbachs Erbe wird von der SVP bestens bewirtschaftet. Mit der Begrenzungsinitiative will sie wieder dort ansetzen, wo wir schon einmal waren: Es dürfen nur Fremde kommen, die der Wirtschaft dienen. Tempi passati ist ein frommer Wunsch. Auch das lernt man in der reichen Schweiz.

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„Es dürfen nur Fremde kommen, die der Wirtschaft dienen“: das sehe ich genau so. Wenig bekannt dürfte sein, dass Schweizer Industriebetriebe aktiv im Ausland, beispielsweise in Norditalien, Arbeitskräfte rekrutiert haben. Wäre auch einen Artikel wert.

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Eigentlich sollte das bekannt sein. Die Schweiz hatte bereits wenige Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs in den Nachbarländern begonnen, Arbeitskräfte zu werben. In Deutschland, Österreich, Frankreich blieb sie damals erfolglos - die waren mit dem eigenen Wiederaufbau beschäftigt und ihre Wirtschaft rutschte grade in ein eigenes "Wunder". Italien dagegen wies eine hohe Arbeitslosigkeit auf und die sozialen Unterschiede zwischen Nord- und Süditalien waren gigantisch. Süditaliener, die in Norditalien keine Arbeit fanden, waren bereit, in die Schweiz auszuwandern - und der italienische Staat war froh darüber: verminderte die Arbeitslosigkeit und brachte Devisen bzw. den zurückgebliebenen Familien Einkommen. Grosse Schweizer Firmen waren an der Anwerbung beteiligt - "man" wusste, was und wen man wollte. (1954 goss man das dann in Abkommen-Form: https://www.admin.ch/opc/de/classif…index.html) Sehr gut - aus Sicht der "Gastarbeiter" und mit vielen Quellen - schildert das Concetto Vecchio im inzwischen auf Deutsch vorliegenden Buch "Jagt sie fort!" (Republik-Artikel dazu: https://www.republik.ch/2019/07/26/jagt-sie-fort)

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Yvo Wüest / Education Minds GmbH
Trainer Didaktische Reduktion
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Danke für diesen erhellenden Bericht über „ausgrenzende Grammatik“ und strukturelle Ausgrenzung in der Schweiz. Ich finde es wichtig, von Menschen mit Migrationserfahrung zu hören, wie sie diese Zeit erlebt und empfunden hatten. Dies ermöglicht es mir, meinen Blick zu weiten und das Thema „Migrationsgeschichte der Schweiz“ besser zu verstehen. Eine interessante Vertiefungsmöglichkeit zum wechselhaften Umgang mit Migranten:innen bietet immer noch der interaktive Zeitstrahl. Beispielsweise mit Wochenschauen aus den 60-er Jahren oder Plakaten aus der dunklen Zeit von Schwarzenbach: https://www.contakt-spuren.ch/zeits…eline.html

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Vielen Dank für diesen Artikel. Ich habe fast das Gleiche erlebt wie Melinda Nadj Abonji und staune (übrigens auch über mich selbst), wieso so viele Jahrzehnte vergehen mussten, bis die Kinder der Gastarbeiter*innen der 1960er-Jahre das Erlebte endlich öffentlich zur Sprache bringen. Würden meine Eltern noch leben, wäre dies für sie eine Genugtuung. Übrigens gibt es noch ein weiteres Buch zum Thema: "Jagt sie weg!" von Concetto Vecchio (Orell Füssli 2020).

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Daniel Graf
Redaktor Republik
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Vielen herzlichen Dank für Ihren Kommentar und den Hinweis auf das Buch von Concetto Vecchio. Wir haben vor etwa einem Jahr, als es auf Italienisch erschien, einen umfangreichen Beitrag von Barbara Villiger Heilig dazu gebracht. In der Tat hätte das Buch auch in die Literaturliste hier gepasst. Anders als sonst, handelt es sich in diesem Fall nicht um eine redaktionelle Liste und sie hat auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern Melinda Nadj Abonji hat die für sie wichtigsten Texte zum Thema versammelt, darunter bewusst auch zwei Romane. Ich kann ebenfalls beide empfehlen.

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Die Transformation vom Überfremden zum Normbünzli wurde anhand der Kt.Nr.
819.401 vorbildlich dokumentiert.
Wurde diese 'Überfremdung' hiermit abgewehrt?

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Offensichtlich gelingt es Ihnen nicht, sich vorzustellen, welchen Anpassungsdruck die menschenfeindliche "Ausländerpolitik" auf Menschen ohne Schweizerpass ausübt. Ihr Kommentar ist arrogant und zynisch. Für die meisten "Inländer" dürfte es hilfreich sein, sich auch mal mit der Migrationsgeschichte der eigenen Familie auseinanderzusetzen. Auch wenn man Stauffacher oder Hugentobler oder wie ich Fankhauser heisst (alles superschweizer Familiennamen), genügt es in der Regel, eine bis drei Generationen zurück zu blättern: schon wird die gefühlte "Swissness" zur Wahnidee von Leuten, die meinen, sie könnten von der Tatsache, dass sie unverschuldeter- oder unverdienterweise hier geboren sind, Sonderrechte ableiten.

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Ist also die Assimilation der 'Überfremden' für sie die richtige oder die falsche Form der Integration?

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Hans von Arx
pensioniert
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Ein berührender Text, und es erscheint fast als Wunder, dass sich das Mädchen unter diesen Umständen zur gefeierten Persönlichkeit der Autorin entwickeln konnte.

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Informatik-Ingenieur und Ökonom
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Ich frage mich, woher die Angst vor der ”Überfremdung” kommt?

Möglicherweise wird befürchtet, dass sich das Zielland durch die Zuwanderung in Richtung der Herkunftsländer verändert. Die Frage, die dahintersteckt, ist, was den Wohlstand einer Nation ausmacht. Sind es die Institutionen und die Infrastruktur? In dem Fall müsste man bei extremer Zuwanderung befürchten, dass diese überlastet würden, auch bekannt als “Dichtestress”. Oder sind es die Menschen und ihre Kultur, die den Wohlstand eines Landes schaffen? In dem Fall wäre die Angst vor der Überfremdung darin begründet, dass der “Import” fremder Kultur die Grundlagen des eigenen Wohlstandes erodiert. Oft besteht möglicherweise auch die simple Ansicht, dass der Wohlstand eines Landes mehr oder weniger fix ist und man ihn unter mehr Leuten aufteilen muss, wenn Zuwanderer dazukommen (“sie nehmen unsere Arbeitsplätze weg”).

Bevor man so etwas universelles wie die Angst vor dem Fremden als völlig irrational abtut, sollte man versuchen, zu verstehen, woher sie kommt. Sonst ist es schwierig, effektiv darauf zu antworten. Ein beliebtes Mittel ist auf jeden Fall das Aufzeigen von persönlichen Lebensgeschichten, wie dies der vorliegende Artikel macht. Damit wird dem anonymen Fremden ein (in diesem Fall) sympathisches Gesicht gegeben.

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Verzeihen Sie, Herr M., dass ich Ihnen hier widerspreche! Das, was Frau Abonji in so sorgfältig gewählten Worten aus persönlicher, reflektierter Erfahrung in diesem Essay mitgeteilt hat, sollte wohl als Appell verstanden werden, ihre Eingangsfrage mit dem «Ü»-Wort so nicht zu stellen. Wir sollten als verantwortungsbewusste Sprecherinnen alle Worte vermeiden, die etwas bezeichnen, was z.B. im Kern menschenverachtend ist. Es ist sicher einer der menschlichen Konstanten, dass alles, was einem fremd erscheint, zur Vorsicht mahnt. Dieser Vorsicht wenden wir in der Regel im Alltag häufig an, auch gegenüber dem Nachbarn, den man nur selten sieht. Daher ist es durchaus nachvollziehbar, dass man eine gewisse Vorsicht gegenüber jemandem hat, dessen Sprache man nicht versteht. Aber wie gesagt: Diese Vorsicht ist nicht grundsätzlich etwas anderes, als die Vorsicht gegenüber dem Nachbarn, selbst wenn dieser dieselbe Sprache spricht. Aber alles, was darüber hinausgeht, ist eine soziale Konstruktion! Und diese Konstruktion geschieht oft mit Wörtern. Denken kann man, was man will, aber schreiben, sprechen, d.h. das Fassen von Gedanken in Wörtern, um sie sichtbar werden zu lassen, das ist eine Handlung von uns, d.h. ein bewusstes Tun. Und dafür sind wir verantwortlich. Wir sind nicht verantwortlich für unsere Angst, unsere Gefühle. Aber auch diese werden teilweise wiederum von den Worten beeinflusst, die wir wählen. Der langen Rede kurzer Sinn: Die Frage so zu stellen, wie Sie das tun, heisst, das, was da mit dem «Ü»-Wort schon in der Welt herumgeistert als existent zu akzeptieren und da dieses Wort aber schon menschenverachtend ist, ist man im Wort quasi «gefangen» und bestätigt eine behauptete Sache, ohne dies wirklich zu wollen. Man kann Böses tun, ohne es wirklich zu wollen! Leider lernt man nun diese Probleme mit der Sprachverwendung bei uns auch an den besten Schulen kaum kennen. Daher sind wir schlecht vor solchen fundamentalen Denkfehlern geschützt. Aber Autorinnen wie Frau Abonji können uns das lehren. Darum wählt sie auch ihre Worte so sorgfältig.

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Informatik-Ingenieur und Ökonom
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Das stimmt, die Sprache prägt das Denken. Mein Deutschlehrer hatte in diesem Zusammenhang von “totalitärer Sprache” gesprochen, also Begriffe, die subtil eine totalitäre Denkweise vermitteln. Als Beispiel nannte er “Asylant”. Ein Begriff, der klingt wie ein Ungeziefer, und der heute (wohl bewusst) kaum mehr verwendet wird. Auf die Spitze getrieben wird das in “1984”, wo die Begriffe soweit manipuliert werden, dass die Bürger:innen keine widerspenstigen Gedanken mehr fassen können. Ich glaube übrigens auch, dass der aktuelle Fokus auf “black” und “white” aus den USA kontraproduktiv sein könnte. In einem Forum, das ich ab und zu lese, haben heute ein paar junge Amerikaner festgestellt, dass sie im Moment kaum mehr fähig sind, im Alltag unverkrampft mit ihren schwarzen Kollegen umzugehen - aus Angst, irgendwas zu tun oder zu sagen, das als rassistisch interpretiert werden könnte. Das ist vermutlich nicht der gewünschte Effekt der Protestierenden.

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Die „Angst vor Fremden“ ist NICHT universell. Sie ist NICHT quasi biologisch dem Menschen eingeschrieben. Auch nicht in der Entwicklung des Menschen. Das „Fremdeln“ der Kleinkinder tritt vor allem in Gesellschaften mit auf, bei der nur die Mutter fuer das Kind zustaendig sein soll (Hausfrauenmodell).
Die „Angst vor dem Fremden“ ist historisch gesehen eine sehr moderne Erfindung.
Es kann sein, dass die SVP Kampagnen gegen „Fremde“ gerade auch deshalb einen solchen Erfolg haben, weil vielen die „Angst vor dem Fremden“ als natürlich erscheint. Weil sie es ja erfahren an den Kleinkindern ...
Kann bitte jemand von der Republik dies aufarbeiten? Also recherchieren, wie dieser Topos der Fremdenangst historisch entstand? Ich habe momentan keine Zeit dazu dies hier auszuführen.

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Es lässt sich nicht ohne Biologie erklären, aber ich möchte Ihnen, Frau Hug, im Wesentlichen überhaupt nicht widersprechen. Angst ist im Individuum als sehr funktionale elementare Emotion angelegt. Ihr Gegenpol ist die Neugier. Je ängstlicher ein Mensch, umso weniger neugierig ist er, umso weniger wird das jeweilige Individuum vom Fremden, Spannenden, angezogen. Unsere Neugier oder Angst entsteht auch in einem sozialen und politökonomischen Kontext, wird soziogenetisch verankert, verstärkt, gelöscht.
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In der Zivilisationsgeschichte haben wir in der Politik die Funktionalität kollektiver Angst vor einem beliebig austauschbaren Feindbild als Ergebnis der Entfremdung und des „Divide et impera“, als systemimmanente und systemerhaltende Kraft entdeckt. Voilà l‘histoire. Literatur: z. B. Norbert Bischof (Das Rätsel Ödipus), Wilkinson/Pickett (The Equal Spirit), Zhao Tingyang (Alles unter dem Himmel)

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Man muss einfach aufpassen vor reduktionistischen Erklärungen. Denn während die Biologisierung von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus das Individuum von seiner Verantwortung entlastet, entlastet die Individualisierung die Gesellschaft von ihrer. Letzteres ist ja gerade beim «strukturellen Rassismus» – wie er erneut mit dem Tod von George Floyd in den Vordergrund rückte – ein Problem.

Bei der Natur ist niemand schuld, bei Individuen nur einzelne, aber bei Strukturen alle.

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???
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Wer behauptet denn, dass Fremdenangst in den Genen der Menschen angelegt, gleichsam eine biologische Konstante ist?
Aber selbst wenn dem so wäre: Natur und Kultur sind aufeinander bezogen. Beide sind in uns als Potential enthalten. Was wir daraus machen, welche Prioritäten wir im gesellschaftlichen Leben setzen, haben wir in der Hand. Das gilt auch für unseren Umgang mit zugewanderten Menschen.

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???
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Für mich als Sohn kretischer Migranten (Jg. 1967) sind die geschilderten Episoden und Erfahrungen zwar nichts grundsätzlich Neues, aber es ist offensichtlich, dass die andere Sicht bis anhin zu kurz gekommen ist. Das kommt bei nicht wenigen Kommentaren zum Ausdruck. Daher will ich eine Geschichte schildern, die zeigt, dass es auch Gastarbeiter gab, die nicht bereit waren, mit verschränkten Armen auf die Abstimmung zu warten.
Mein Vater erzählte mir, dass ein heute bereits verstorbener Bekannter zusammen mit Komplizen geplant hatte, einen reichen Schweizer zu entführen. Der Anlass dieser Erzählung waren meine Fragen zur Gewaltbereitschaft unter der damaligen Oppositionspartei PAK während der griechischen Junta. Mein Vater vermutete, dass die letztlich nicht durchgeführte Entführung die Beschaffung von Geld für den Waffenkauf zu tun hatte. Als ich fragte, um was für einen Industriellen es ging, sagte er mir, dass es kein Industrieller war, sondern ein Schokoladenhersteller mit einem Laden im Niederdorf. Ich habe sofort an den Kolonialwarenladen von Schwarzenbach gedacht.
Diese Anekdote habe ich nicht weiter verfolgt, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Geschichte ohne Schwarzenbach-Initiative nie mehr gewesen wäre als grössenwahnsinnige Fantasien eines frustrierten griechischen Migranten zur Zeit der Obristen-Diktatur.

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Für mich als Kind kretischer Migranten (Jg. 1967) sind die geschilderten Episoden und Erfahrungen zwar nichts grundsätzlich Neues, aber es ist offensichtlich, dass die andere Sicht bis anhin zu kurz gekommen ist. Das kommt bei nicht wenigen Kommentaren zum Ausdruck. Daher will ich eine Geschichte schildern, die zeigt, dass es auch Gastarbeiter gab, die nicht bereit waren, mit verschränkten Armen auf die Abstimmung zu warten.
Mein Vater erzählte mir, dass ein heute bereits verstorbener Bekannter zusammen mit Komplizen geplant hatte, einen reichen Schweizer zu entführen. Der Anlass dieser Erzählung waren meine Fragen zur Gewaltbereitschaft unter der damaligen Oppositionspartei PAK während der griechischen Junta. Mein Vater vermutete, dass die letztlich nicht durchgeführte Entführung mit der Beschaffung von Geld für den Waffenkauf zu tun hatte. Als ich fragte, um was für einen Industriellen es ging, sagte er mir, dass es kein Industrieller war, sondern ein Schokoladenhersteller mit einem Laden im Niederdorf. Ich habe sofort an den Kolonialwarenladen von Schwarzenbach gedacht.
Diese Anekdote habe ich nicht weiter verfolgt, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Geschichte ohne Schwarzenbach-Initiative nie mehr gewesen wäre als grössenwahnsinnige Fantasien eines frustrierten griechischen Migranten zur Zeit der Obristen-Diktatur.

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Vielen Dank, Michel Rebosura, fuer die vorzuegliche Zusammenfassung der Problemlage!
Ich moechte noch ein bisschen zugespitzt anfuegen: Es ist eigentlich allen bewusst, dass Rassismus keine individuelle Sache ist und mit „individuellen Dispositionen“ oder „wir bestehen alle aus einzelnen“ (logisch, was denn sonst) - zu argumentieren, verschleiert die Tatsache, dass wir alle strukturelle Dinge mittragen und eben mitschuldig sind an den Verhaeltnissen. Die interessante Frage ist: Wo trage ich wie, wann, womit zum strukturellen Rassismus bei? Und weshalb? Aus Eigennutz? (ja warum nicht, aber dann soll man das wenigstens zugeben), aus Uninformiertheit oder Dummheit? (weil man zu faul ist zu denken?). Es ist vieles moeglich. Und alles nicht entschuldbar.

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Was Sie nicht sagen, Frau Hug. Da wär ich jetzt nie darauf gekommen. Also dann lassen Sie mal hören: wo tragen Sie wie, wann, womit zum strukturellen Rassismus bei? Und weshalb? Aus Überheblichkeit? Oder weil Sie zu faul sind zum Denken?

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Der Fremdenhass traf und trifft nicht nur die bewusst als "Hilfskräfte" rekrutierten Eingewanderten. Sie traf auch die wegen des Krieges in die Heimat zurückgekehrten hochgebildeten, mehrsprachigen und weltgewohnten Ehefrauen der im Ausland lange tätigen Schweizer. Die Landesausstellung in Zürich von 1939 mit dem Landidörfli und dem Kult der bäuerlichen Kultur warnte ganz offiziell von der Heirat mit Ausländerinnen. Solche "Mischehen" in den vornehmen grossbürgerlichen Familien wurden beargwöhnt, die betroffenen Söhne auf den Pflichtteil gesetzt, die Frauen durch die ganze Sippe 3 Generationen lang ausgegrenzt. Erst recht, wenn sie kriegsbedingt kein grosses Geld mitbringen konnten. Keine Chance, in der Schwiegerfamilie aufgenommen zu werden.

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(durch User zurückgezogen)

Oh Mann - ich kann gar nicht beschreiben, wie sehr mir dieser Bericht unter die Haut geht! Tieftraurig, betroffen und ohne Worte... Ich hoffe, dass sehr viele Schweizer, diese Art von Lebensgeschichten lesen und sich das zu Herzen nehmen. Auch viele Secondo-Schweizer sind sich dessen nicht mehr bewusst und verhalten sich sehr konservativ... Ich staune immer wieder, wo überall heute noch dieser latente Rassismus schlummert ... Nämlich dort, wo wir ihn gar nicht erwarten würden. Obwohl wir doch viel multikultureller unterwegs sind...

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Ja natürlich! Und dass ist die Aufgabe aller; zu merken und herauszufinden wo man aus Eigennutz handelt, wo man zuwenig informiert ist und wo man zu faul ist um zu denken

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