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Timon Zielonka
Sales @ zukunft.com
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Wie wäre es, wenn wir zunächst einmal versuchen würden, anderen keinen Schaden zuzufügen. Darin waren sich, meines Wissen nach, alle Philosophen einig, aber praktisch umgesetzt wurde es nie. Dieser einfache Vorsatz baut auch ein Brücke zwischen dem kategorischen Imperativ und den Utilitarismus.

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Das Wesen der Meritokratie ist ja gerade eben, dass sie niemandem schadet, sondern einfach die besten auszeichnet. Das greift doch einfach zu kurz.

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Meritokratie bedeutet Herrschaft von Kompetenz. Die "besten" werden also mit Macht ausgezeichnet. Das schadet per Definition anderen Leuten, die beherrscht werden, gewaltsam Kontrolle über das eigene Leben verlieren und ihre eigenen Kompetenzen schlechter entfalten können. Kompetenz sollte Anerkennung geniessen, aber nicht prioritär Gewalt kontrollieren.

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Der Volksmund verweigert sich Ihrem Vorsatz: "Mit ehrlicher Hände Arbeit ist noch keiner reich geworden." Auch zeugt die geschädigte Natur von der Unfähigkeit des Menschen, Schaden von anderen abzuwenden.

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Timon Zielonka
Sales @ zukunft.com
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Vielfach ist der Grund, dass der einzelne Mensch bei seinen Entscheidungen die Folgen gar nicht überblicken kann. Der Mensch ist limitiert, was man unter anderem beim Schach nachweisen kann. Kein Mensch gewinnt bei Schach gegen den Computer. Und die Realität ist noch um einiges komplexer. Daher ist es notwendig, dass wir bei unseren Entscheidungen, die andere betreffen, von den Computern beraten werden. Ein Beispiel, wie das funktionieren kann, ist die Zusammenarbeit von codecheck und eaternity.

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Ich begrüsse es sehr, dass Meritokratie in der Republik zum Thema wird. Definitionen, Erklärungsansätze und Lösungsvorschläge dazu sind offensichtlich sehr vielfältig. Mich erstaunt, dass in diesem Essay von D. Binswanger und in den vielen Beiträgen der LeserInnen nie die Rolle der Intelligenz (gemessen als IQ) thematisiert wird. In der sehr umfassenden empirischen Intelligenzforschung ist inzwischen ausreichend belegt, dass Unterschiede in kognitiven Fähigkeiten bis zu 80% erblich bedingt sind und nach der Kindheit nur sehr limitiert verändert oder verbessert werden können. Eindrücklich sind die breiten Studienergebnisse zu den Auswirkungen von Intelligenzunterschieden auf Bildungsniveau, berufliche Karieren, Lebensgestaltung, Gesundheit, Lebenserwartung usw. (siehe z.B. Warne: In the Know). Leider scheint dieser Aspekt fast ein Tabu zu sein, obwohl oder vielleicht gerade deshalb, weil darin z.B. aufgezeigt wird, dass Leistung und Erfolg nicht in erster Linie 'verdient' sind, sondern überwiegend auf genetischem 'Glück' basieren. Intelligenz wird in der postmodernen Gesellschaft immer wichtiger und die dadurch bestehenden Ungleichheiten erhalten mehr Gewicht. Vielleicht könnte eine eingehende Beschäftigung mit den Ergebnissen der Intelligenzforschung einen Beitrag leisten zum Verständnis von Meritokratie und zu sinnvollen Lösungsansätzen, allenfalls mehr als religiös-moralische Konzepte wie 'Gnade' usw.

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Der "erreichte" IQ hängt auch davon ab, ob die Messung zum "Opfer" (pardon: "Probanden") passt. Die Messinstrumente sind von Vertretern einer bestimmten Schicht entwickelt worden und messen die geistige Leistungsfähigkeit innerhalb der Ansprüche dieser Schicht. Das darf man nicht vergessen.

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Dieses Vorurteil und damit die Verurteilung von IQ-Messungen ist leider immer noch verbreitet. Die Fakten und die strengen legalen Vorschriften bei der Entwicklung und beim Einsatz von IQ-Tests sprechen eine ganz andere Sprache !
Mehr dazu siehe R.T. Warne: In the Know: Debunking 35 myths about Human Intelligence oder das Buch der ETH-Professorin E. Stern und A Neubauer: Intelligenz - Grosse Unterschiede und ihre Folgen.

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Intelligenz zu 80% erblich? Können Sie mir Ihre Quellen angeben?

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Gerne. Eine verlässliche Quelle ist sicherlich das Buch von E. Stern (ETH-Professorin) und A. Neubauer: Intelligenz - Grosse Unterschiede und ihre Folgen.
Darin sind auch andere Themen zur Intelligenz abgehandelt wie z.B. der Zusammenhang von IQ und 'Emotionaler Intelligenz' oder wie heute der IQ objektiv gemessen werden kann.
Eine andere Quelle wäre das bereits erwähnte Buch von R.T. Warne: In the Know: Debunking 35 Myths about Human Intelligence. Hier sind die üblichen Vorurteile/Mythen zu Intelligenz systematisch dokumentiert und den wissenschaftlichen Fakten gegenübergestellt.

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Ein spannender Beitrag. Aus meiner Sicht ist dabei die Rolle des Sports komplett vernachlässigt. Sie spielt meines Erachtens gerade für die breite Bevölkerung eine wichtige Rolle. Sie ist für die Akzeptanz der Meritokratisierung ein wichtiges Element, wenn nicht das Wichtigste. In keinem anderen Zweig wird die Belohnung der Spitze zu einem solchen Kult erhoben. Siehe jüngst Vertrag Messi/Barcelona.
Volkswirtschaftlich lässt sich das auch auf einfache Weise herbeiführen: Durch Verknappung. Gleichzeitig durch die Konzentration der Ressource Geld auf möglichst wenige Akteure.
Wieviel Sportförderung wäre auf allen Stufen mit 555 Mio Euro möglich?
Die Spitzenuniversitäten weiten ihr Angebot nicht gemäss der Nachfrage aus, sondern Sonnen sich in ihrem Ruhm. Das dient vorallem einer selbstgefälligen elitären Vorstellungen eines Alleinstellungsmerkmals. Volkswirtschaftlich wäre es jedoch auf allen Stufen sinnvoller das Angebot auszuweiten. Das Ergebnis wäre eine grosse Zunahme von qualifizierten Menschen. Unter ihnen wären dann auch noch mehr hoch Talentierte zu finden als mit dem aktuellen System.
Aber was, wenn die Arbeit schwindet, trotz besserer Qualifikation? Dieses Problem lässt sich wohl am Sinnvollsten durch ein bedingungsloses Grundeinkommen lösen.
Der Ruf nach Anerkennung ist wichtig und muss zwangsläufig priorisiert werden. Aber was braucht es dazu? Eine klare Wertedebatte die Arbeit am Menschen und am Gemeinwohl thematisiert und nach üblichen gesellschaftlichen Werten einordnet. Sonst bleibt es beim alten System. Die Anerkennung der Geldelite und Ellbogentechniker für einfache Menschen und deren Jobs bliebe in etwa die Qualität eines Hundehalters für seinen Hund. Er tätschelt den Kopf seines Hundes wenn sein Barry schön brav aportiert. Den Negativfall können sie sich ja selbst denken.
Wollen wir das? Nein!

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Ich teile ihre Ansichten zum Spitzensport und Eliten-Bildungsinstitutionen.
Sie haben aber offenbar eine sehr schlechte Meinung von Hundehaltern. Viele Hundehalter leben genau dieses moralische Dingsbums das im Artiklel als Lösung des Problems angedeutet wird. Der verantwortungsvolle Hundehalter wird dem Hund genau diese Wertschätzung und Anerkennung zukommen lassen, die dieser genau so braucht wie ein Mensch. Das Streicheln und Tätscheln ist nur die Ausdrucksform, welche für den Hund am verständlichsten ist. Der Lohn dieser Bemühungen ist die Anerkennung und Wertschätzung welche der Hund durch Gehorsam, Zuneigung oder energische Verteidigung gegen echte und eingebildete Gefahren seinem Halter zukommen lässt. Hier schliesst sich ein Kreis, was doch so symptomatisch für das Leben an sich ist, das sich scheinbar immer in Kreisläufen organisiert, um dem Chaos der Entropie ein Schnippchen zu schlagen.

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Danke Herr Sieber für diesen Einwand. Einverstand bin ich mit Ihnen und allen Hundehaltern wenn es um Zuneigung und Wertschätzung für den Vierbeiner geht. Dann hört es in diesem Gleichnis jedoch schnell mal auf.
Denn es gibt sehr wohl ein paar Parallelen zur besprochenen Meritokratie. Das liegt in der Anlage des Hundehaltens. Es ist ein einseitiges und unzweideutiges Machtgefälle. Es handelt sich nicht um ein demokratisches System. Der Hundehalter entscheidet relativ diktatorisch über alle Aspekte des Hundelebens. Er ist Legislative, Exekutive und Jurisdiktion, was seinen Hund anbelangt aus seiner Sicht gleich alles in sich selbst vereint.
Er hat sich diese Merite ja verdient ein Hund zu halten. Kraft seiner eigenen Existenz und seines Willens. Oder braucht es da mehr?
Kein Hund kann über sich selbst bestimmen. Wenigstens nicht in unserer Gesellschaft. In Afrika und anderswo in 'natürlichen Habitaten' sieht man noch 'streunende' Rudel, denen es allem Anschein nach sehr gut geht in ihrer selbstorganisierten Freiheit.
Bei uns sieht es dagegen für den Hund schlecht aus. Was er alles nicht kann und/oder nicht darf: Seinen Drang nach Bewegung, seine Sexualität, sein natürliches Habitat, sein Rudel nicht selbst wählen, seinen Instikten nicht nachgehen wenn sie aufkommen. Das scheint mir dann doch schon weit weg von einem idealen Hundeleben.
Die Zuneigung und Anerkennung erfährt der Hund in der Hauptsache, wenn er sich nach den Vorstellungen seines Halters verhält und nicht kraft seiner Existenz.
Zudem erwartet der Hundehalter gerade diese Unterwürfigkeit, den Gehorsam und seine Zuneigung. Stellt sich der Hund mit seiner ganzen Persönlichkeit und seiner Energie dagegen lässt ihn dass sein Besitzer spüren. Schon das Wort Besitzer zeigt das Machtgefälle wie oben beschrieben sehr deutlich.
In einem puren meritokratischen System verkommt diese Hundehalter Betrachtung zu einer dystopischen Vorstellung einer nicht egalitären Gesellschaft, die wohl keinerlei Freiheiten mehr offen lässt für die 'Verlierer' des Systems.
Oder wollen Sie mal freiwillig mit einem Hund tauschen und seine Realität erfahren?

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Bitte führen Sie für die Republik endlich eine Maximal-Zeichenzahl pro Artikel ein. Vielen Dank! Das Thema wäre superspannend, aber ich bin es nicht mehr gewohnt, einen Artikel 32 Minuten lang zu lesen...

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Chefredaktion
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Vielen Dank für Ihre Rückmeldung, Herr Heinzer. Wir entwickeln uns entlang Ihren Bedürfnissen, etwas wird aber nie ändern: Dass die Republik in die Tiefe geht. Dann wirds manchmal auch länger. Kennen Sie das Lesezeichen, dass Sie nach einer Pause wieder an die Stelle bringt, wo Sie aufgehört haben?

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Tiefe ist gut! Aber Länge und Tiefe sind ja oft nicht proportional. Mehr Länge verleitet oft zu mehr Breite.
Haben Sie eigentlich eine Statistik über die Länge der Republik-Texte? Und wissen Sie, ob diese ganz gelesen werden? Ich finde das interessant, weil zu lange Texte ein Magazin elitärer machen.

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Alte weisse Frau
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Für mich war er eher zu kurz, was nun?

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Informatik-Ingenieur und Ökonom
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Die fehlende Anerkennung für Arbeits­leistung auf allen Qualifikations­stufen – materiell und kulturell – ist das Grundübel der Meritokratie.

Neben vielen guten Einsichten zieht sich ein Fehlschluss wie ein roter Faden durch den Beitrag: die Gleichsetzung von meritokratischem Verdients und akademischer Qualifikation. Eine sinnvoll ausgestaltete Meritokratie ordnet Anerkennung eben gerade nicht nach der auf einem Papier ausgewiesenen Qualifikationsstufe zu, sondern denjenigen, die tatsächlich nützliche Produkte und Dienstleistungen hervorbringen.

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Die «Gleichsetzung von meritokratischem Verdients[sic] und akademischer Qualifikation» wird ja nicht von Sandel begangen, sondern gerade vom System, das Sandel kritisiert. Ein System, in dem «bessere» Berufschancen von akademischer Qualifikation abhängig sind – auch mangels Berufslehre. Mit der akademischen Qualifikation, den «besseren» Berufen geht der höhere Status und mehr Anerkennung einher. Sandel kritisiert genau diese die moralische Meritokratie, dass also der moralische Wert, die «Würde» und Anerkennung des Menschen, von Meriten, also Leistungen, Verdiensten und Nutzen, abhängig gemacht wird.

Die Frage an Sie wäre: Was sind «tatsächlich nützliche Produkte und Dienstleistungen»? Was sind ihre Kriterien?

Und schliesslich: «Verdienen» jene, die keine «tatsächlich nützliche Produkte und Dienstleistungen» erbringen, – oder noch nie solche erbracht haben – keine Anerkennung? Haben etwa arbeitslose Menschen keinen Wert und damit keine «Würde»?

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Ein hervorragender Artikel, der eigenes Denken und Diskurs anregt!
Ein Thema, m. E. das Grundlegendste, wird jedoch übersehen, nämlich die Spiritualität.
Ernesto Cardenal (hoffentlich kennen ihn viele LeserInnen?) schreibt: 'Der Baum hätte unendlich hoch weiterwachsen können, aber er warf lieber Samen'.
Der Mensch entwickelt Gier und beutet sich und die Mitwelt aus, wenn seine tiefen Bedürfnisse nach Zugehörigkeit und Wärme unentdeckt und unbefriedigt bleiben. Materielle Bescheidung wird dann möglich, wenn die nicht-materiellen Bedürfnisse befriedigt werden und dem Menschen innere Zufriedenheit schenken.
Diese Richtung verfolgt Papst Franziskus in seinen Büchern, besonders im letzten: Über die Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft (Fratelli tutti).
Es geht um das Gemeinwohl der ganzen Menschheitsfamilie, also aller 8 Milliarden Menschen. Zu dieser Einsicht braucht es keine bestimmte Religion, aber den Zugang zu Spiritualität. Dies wiederum bedingt das Loslassen eines allfälligen Kinderglaubens und das hineinwachsen in eine verantwortungsvolle, geerdete Spiritualität.

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Ich mag den Begriff Spiritualität nicht. Er suggeriert, dass es einen höheren Sinn habe zu leben. Diesem vermuteten umfassenderen Plan wird dann das Hier und Jetzt unterworfen, und wenn es ganz schlecht läuft wird diese Vermutung zur absoluten Wahrheit erhoben und anderen Menschen mit Gewalt übergestülpt.
Das was sie grundsätzlich als übersehen anschauen, wird im Artikel sehr prominent erwähnt:
Der Mensch sucht nach Anerkennung und Wertschätzung. Diese Aussage bedarf keiner weiteren Doktrin, sie ist universell gültig und wird auch von allen sozial organisierten Tieren gelebt. Dies ist die Grundlage des Zusammenlebens in einer Gruppe und hat absolut nichts mit Religion oder anderen (Verschwörungs)Theorien und zu tun. Diese machen sich nur zunutze, dass es diese Anerkennung und Wertschätzung nicht umsonst und ohne Aufwand gibt, sondern, dass es einer erheblichen Anstrengung bedarf, um sie zu erlangen.
Da kommt es natürlich sehr gelegen, wenn einem gesagt wird, dass man mit dem Kauf von unnötigen Sachen oder dem bedingungslosen Glauben an übernatürliche Phänomene zu dieser Anerkennung und Wertschätzung gelangen kann. Dass es nicht wirklich funktioniert ist eigentlich auch allen klar, darum braucht es regelmässige Gebete, Messen, Gottesdienste oder eben ständig neue Sachen um die Leere zu übertünchen.

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Theologe
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Da haben Sie aber ein sehr einseitiges und verzerrtes Bild von Spiritualität. Verantwortungsvolle, geerdete Spiritualität wie ich sie sehe und sie querbeet bei Mystikerinnen, Poeten, Erzählerinnen und Forschern diverser Weltanschauungen finde, hat gerade nichts zu tun mit Abhängigmachen und Glauben an irgendwas von irgendwem Vorgegebenes. Es braucht gerade keine regelmässigen Gebete und keine Doktrin.
Spiritualität wie ich sie pflege, ist befreiend, ganz persönlich, lebendig und nie am Ziel. Leitbilder wie eine Vision von persönlichem Lebenssinn oder einem weltumspannenden vielfältigen Ganzen sind immer mit Fragezeichen versehen. Schweigend wird die Leere ausgehalten und manchmal nach neuer Sprache gerungen. Begegnungen mit anderen Lebensformen haben immer auch den Aspekt von Lernen.
Institutionalisierte Religion hat immer wieder versucht, spirituelle Monokulturen zu errichten und Macht auszuüben, um die Welt nach starren Leitideen zu lenken. Trotzdem wird sie lebendige Spiritualität nicht auslöschen können.

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Was ich mich frage: Könnte es sein, dass wenn man, wie hier im Artikel, Rawls Theorie der Gerechtigkeit als Linksliberalismus benennt, diesem Philosophen etwas unrecht tut, da Begriffe wie politisch Links oder Rechts seiner Grundhaltung als sogenannt gerechter Liberalismus doch gerade entgegen laufen? Bin leider weder Philosoph noch Ethiker, aber ich befürchte Herr Rawls hätte keine Freude an diesem Begriff...

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Weil das philosophische Institut der Universität Bern gleichsam eine Hochburg Analytischer Philosophie ist und auch sonst angelsächsisch orientiert ist, durfte ich dazumal auch Rawls politische Philosophie studieren. Diese trägt auch den Namen «liberal egalitarianism». Und glauben Sie mir, wenn Sie irgendeinem in den USA diese Kombination von Ausdrücken entgegenwerfen, dann kriegen Sie ein «leftist» oder schlicht ein «liberal» zurück. Der «Rechts-Liberalismus» ist eher mit dem Neoliberalismus in libertärer Ausprägung und Neokonservatismus verbunden (Nachtwächterstaat, Markt, Familie, Tradition und Intervention).

Ein guter Einstieg fand ich das Interview mit Katrina Forrester, der Autorin der Rawls-Studie «In The Shadow Of Justice (2019)».

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Was ich eher meinte oder besser vermutete, dass hinter dem von Rawls vorgeschlagenen "Schleier des Nichtwissens" nicht politische Einstellungen und Begriffe, sondern nur Frage der Gerechtigkeit stehen können, die weder als links, noch als rechts angesehen werden können unter eben diesem "Schleier", da diese darunter liegend keine politischen Faktoren und Machtstrukturen dulden würden. In seiner Grundkonzeption gedacht, erachte ich es falsch Rawls Theorie als Linksliberalismus zu benennen. Auch wenn dies möglicherweise so gemacht wird..

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Mich würde ineressieren wie sich die Meritokratie in der Schweiz niedeschlägt. Ich denke die Unterschiede zu den USA sind gross. Persönlich erlebe ich es als ausgesteuerter Arbeitsloser. Ein Versager, der die Leistung nicht gebracht hat. Selber schuld. Arbeitslose und Sozialhilfempfänger werden grundsätzlich als Betrüger angesehen. Hat sich dies wegen der Meritokratie derart fest in unseren Köpfen festgesetzt?

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Theologe
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Diese Verbindung würde ich auch machen. Und zwar wird das auch antrainiert. Wenn ich sehe, wie unsere Kleinen schon ab Kindergarten darauf getrimmt werden, das Priisli zu gewinnen, die meisten Punkte zu holen, nach dem Wettbewerb die meisten Süssigkeiten essen zu dürfen, gute Noten zusätzlich noch mit Geschenken belohnt zu bekommen, in der Freizeit Wettkampfsport zu treiben, eine Miss oder ein Superstar werden zu wollen und dann noch all die Computergames mit Belohnungen, Orden, Levels etc. ... liegt das für mich ziemlich auf der Hand.

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Und doch werden wir kaum ganz ohne (ritualisierte?) Kompetitivität auskommen, oder?

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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· editiert

Die Eule der Minerva beginnt bekanntlich erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug. Damit ist nicht Binswangers Rezension gemeint, die erst mit der deutschen Übersetzung kommen darf (an dieser Stelle: Herzlichen Dank dafür!). Auch nicht, dass vor Sandel et al. bereits Bourdieu u. a. in «Die Illusion der Chancengleichheit» (1964/71) und «Der Staatsadel» (1989/2004) die implizite Meritokratie in der expliziten Demokratie Frankreichs kritisierte. Sondern, wie Youngs Dystopie zeigt, dass die Meritokratie schon von Anfang an im Prinzip am Ende war, aber dies erst jetzt – an ihrem «realisierten» Ende – reflektiert wird.

Selbst ein sog. «Arbeiterkind» – und zu allem Überfluss auch noch ein sog. «Ausländerkind» – waren mir schnell die impliziten Regeln, Normen und Wertungen am Gymnasium, an der Universität und im Berufsleben bewusst.

«Ein vom Marktwert unabhängiger Wert» – wartet… Hiess das nicht mal… Ja, genau: «Würde»! Dabei würde ich – und das wäre meine Kritik – sie nun nicht wie Sandel auf die «Würde der Arbeit» einengen. Denn, wie etwa Arendt zeigte, wird in der «totalen Arbeitsgesellschaft» der Mensch nicht nur als Konsument, sondern auch nur als Produzent instrumentalisiert. Was fehlt, ist also die «Würde des Menschen» und mit ihr die «Würde der Bürger*in».

Es ginge also v. a. auch um Partizipation und Bürger*innen-Tugenden. «Tugenden» dürfen dabei nicht allzu schnell mit «Leistungen» synonym gesetzt werden. Da Letzteres allzu schnell mit «Nutzen» und dieses wiederum mit «Geld» synonym gesetzt – oder mit Bourdieu gesprochen – «konvertiert» wird.

Tugenden der Klugheit und der Güte werden dann schnell durch Untugenden der Gerissenheit und Boshaftigkeit ausgestochen, welche dann durch Geld und «erkauften» Status legitimiert werden.

Jemand der die «politische Kraft von Anerkennung und Verachtung» eingehend untersucht hat, ist – mit Rückgriff auf Hegel – Axel Honneth.

Trump, nun, vermochte die «deplorables» (H. Clinton) nicht wegen seines eigentlich konträren ökonomischen, sozialen und politischen Status abzuholen (was allen als Widerspruch erschien), sondern einzig wegen seines moralischen. Galt er doch – obwohl «celebrity» – als Anti-Establishment, als stigmatisierter outsider, als mit Füssen getretener underdog im politischen und moralischen Feld. Je stärker «das Establishment», «der Mainstream», ihn ausgrenzte, umso authentischer, umso stärker wirkte er. Bis die Eskalationsspirale sich zum Sturm aufs Capitol zuspitzte. Was gleich blieb, war der Rangkampf in der Hierarchie. Derjenigen zwischen «winners» und «loosers».

Können wir uns eine Gesellschaft vorstellen, ohne moralische «winners» und «loosers»? Ohne moralische Hierarchie? Zumindest gälte es, dies zu versuchen. Daran erinnert uns, ja, gemahnt uns Sandel. Was vielleicht sein wichtigster «Verdienst» wäre.

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Besten Dank für Ihre Hinweise auf Hannah Arendt und Axel Honneth! Der Aufstieg der meritokratischen Eliten hat m.E. auch etwas mit der Entpolitisierung der Demokratie zu tun. Maggie Thatcher behauptete, es gebe keine Alternativen mehr, und die neoliberal gefärbte Sozialdemokratie des "Dritten Weges" à la Blair und Schröder pflichtete ihr bei. Wenn es aber im politischen Raum keine Wahl mehr zwischen alternativen Wegen geben kann, dann entscheiden eben die, die es am besten zu wissen glauben: die Experten und Expertinnen, die an den Eliteeinrichtungen geschult worden sind.

Deshalb ist eine grundlegende Reform nicht nur in den Bildungsinstitutionen notwendig. Entscheidend wäre es, wie Honneth in seinem Buch "Die Idee des Sozialismus" (Berlin 2015) schreibt, alle Formen von "Zwang, Herrschaft und Nötigung in den persönlichen Beziehungen und in der demokratischen Willensbildung" zu überwinden. Damit würden Frauen und Männer nicht mehr auf ihre Rolle als Konsument*innen - beispielsweise des politischen Betriebs - reduziert, sondern nähmen ihre Sache selbst in die Hand.

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Absolut, Herr S.! Die «Entpolitisierung der Demokratie» geht mit ihrer Ökonomisierung einher. Und der Rhetorik der Alternativlosigkeit folgt der «Sound des Sachzwangs». «Die unsichtbare Hand des Marktes» regelt das, die Propheten der Vorsehung sind die Ökonom*innen und deren Modelle und die Ausführenden des Gesetzes die Technokrat*innen. Die Bürger*innen sind nurmehr die Bevölkerung, das Objekt einer biopolitischen «Gouvernementalität». Der «Biomacht», wie Foucault schreibt, welche die disziplinierte und sich selbst kontrollierende und optimierende Masse durchdringt und ordnet.

Doch wo Macht ist, ist auch Widerstand. Ihre «demokratische Willensbildung», Herr S., bedarf dann geradezu der Bildung einer «Gegen-Macht». Die Menschen müssen sich selbst als Bürger*innen (frz. citoyens) verstehen und sich aktivistisch durch empowerment selbst befähigen und kooperativ solidarisch partizipieren. Um so gemeinsam Erlerntes zu entlernen und Alternatives neu zu erlernen.

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Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen mit der „Würdigung“ bzw. Instrumentalisierung des Menschen als Konsumenten oder Produzenten: In unserer Wissensgesellschaft werden Mitarbeiter:innen entlassen, weil sie „überflüssig geworden“ sind. Sie sind dann nicht einmal mehr „instrumentalisierte Produzenten“. Jegliche Form der Anerkennung ihrer Meriten am Erfolg des Unternehmens und am erfolgreichen Wegrationalisieren ihrer selbst wäre in diesem System sogar paradox. Die Chance auf eine Requalifizierung ist gering und so zieht dann die Arbeitslosigkeit herauf. Eines der wenigen Mittel dagegen ist - wie ich in meiner Bekanntschaft mehrfach erlebt habe - sich einzulassen auf einen Job mit tieferer Qualifikation, mithin auf den nächsten, der die Saat in sich trägt, den ihn ausfüllenden Menschen überflüssig werden zu lassen. Und auch zum Status „arbeitslos“ lässt die meritokratische Haltung keine Zweifel übrig - selber schuld.
Ja, wie schaffen wir es, in Richtung einer Gesellschaft ohne loosers und damit auch ohne winners zu gehen oder zumindest zu denken? Die richtige Frage, die Sie stellen, Herr Rebosura.

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Vielen Dank Herr Binswanger für diesen grossartigen und meiner Meinung nach sehr wichtigen Beitrag!

Im Bezug zu ihrem Essay sehe ich Parallelen zu unserem Schweizer Bildungssystem.
Im Hinblick Berufswahl, geniessen da die akademischen Fächer gegenüber den „handwerklichen“ und „musischen“ seit je her an stärkerer Beachtung.
Und auch da wird diese Ungleichheit einfach so hingenommen!
Wie kann denn jemals ein gesundes Gleichgewicht der Werte/Kräfte und Talente in unserer Gesellschaft existieren, wenn schon während der Schulbildung dafür gesorgt wird, dass diese sich nicht gleichberechtigt entfalten können?

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Nun, die Faecher sind nicht gleichwertig. Die sogenannt musischen Faecher sind eher fuer das Toechterchen/Soehnchen um eine schoene Zeit zu haben, bis sie die Firma der Eltern uebernehmen koennen. Diese Faecher generieren als Beruf sonst nur kleine Loehne fuer Ausnahmefaelle. Ein Hobby in so einem Fach ist eine tolle Sache zum Ausgleich.

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Guten Tag Herr B.,
Ich selber übe einen musischen Beruf aus. Dabei habe ich sehr wohl das Gefühl, eine sinnvolle Tätigkeit auszuüben.
Meine Kinder sind nicht alle gleich veranlagt. Einer ist eher praktisch orientiert, möchte gerne mit den Händen arbeiten, zwei davon auch eher musisch und einer wird wahrscheinlich mal ein akademisches Studium angehen. Alle vier haben gleiches Recht, in ihrem bevorstehenden Beruf glücklich und auf dem Weg dorthin gleichwertig behandelt zu werden.

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Die deutsche Verfassung beginnt aus gutem Grund mit: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Eine Gesellschaft, die diesem Grundsatz nicht folgt, sondern „die da Unten“ verachtet, wird nie Gutes erreichen.

Aber leben wir wirklich in Meritokratien?

Die Daten insbesondere der USA, aber auch vieler anderer westlicher Demokratien zur gesellschaftlichen Durchlässigkeit zeigen: Nein.

Gerade in den USA ist „vom Tellerwäscher zum Millionär“ seit mehreren Jahrzehnten vorbei.

Es kommt auf die Herkunft an.

Für die, die aufgrund ihrer Herkunft oben stehen, sagt es sich halt so gut: „Ich bin hier wegen meiner Leistung.“

Ein wirksamer rhetorischer Trick.

Aber so lange, wie die Vermögen schneller wachsen als die Einkommen (und das tun sie genauso wie in den USA auch bei uns in der Schweiz), sollte man den rhetorischen Trick auch als Trick erkennen.

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Florian Gysin
Software Engineer
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Ich bin völlig einverstanden - auf diese Frage wollte ich mit meinem Kommentar auch hinweisen. Konkret:

Kann man modale Meritokratie-Kritik überhaupt üben basierend auf Beispielen aus der Realität wenn wir davon ausgehen, dass diese Realität teilweise/grösstenteils eben genau nicht meritokratisch ist?

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Ich denke, entscheidend ist eine Unterscheidung zwischen Mittel und Zweck.

Wie das obige Beispiel der Menschenwürde schön illustriert, darf Meritokratie niemals der Zweck, also das Ziel einer gesellschaftlichen Organisationsform sein.

Wie demgegenüber aber zahlreiche Freie-Software-Projekte illustrieren, kann eine meritokratische Organisations- und Arbeitsweise ein sehr effektives und harmonisches Mittel sein zur Erreichung nicht-meritokratischer Ziele.

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Ein relevanter Aspekt der mir hier noch fehlt ist eine Kritik dieser für mich völlig unsinnigen Ansicht:

Von Hayek will zwar den Marktwert nicht moralisch deuten, glaubt aber, dass er das objektive Mass für gesellschaftliche Nützlichkeit bildet.

Der Marktwert hängt offensichtlich von den politischen Rahmenbedingungen ab, kann also niemals objektiv sein. Erfolgreiche Leute betreiben deshalb ja z.B. Lobbying, um Gesetze so anzupassen, dass der Marktwert ihrer eigenen Produkte steigt. Meistens schaden sie dabei der Gesellschaft. Leute, die den freien Markt mit solchen Argumenten für objektiv erklären, scheinen Gewalt nicht in ihre Modelle einzubauen. Schlussendlich geht es doch bei dieser Ideologie genau darum, ein System mit falschen Modellannahmen zu rechtfertigen, die in der Realität nicht zutreffen. Dann können Marktineffizienzen und Gewaltanwendung benutzt werden, um eine Rente zu beziehen, die dann sogar noch "objektiv" gerechtfertigt ist. Dafür bezahlen unter anderem "dumb people" mit ihrer Arbeitsleistung. Entgegen manchen Erzählungen bemerken diese das schon, auch wenn sie vielleicht nicht genau argumentieren können, welche Schwachstellen die Rechtfertigungen aufweisen.

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Wenn die Politik in den Markt eingreift ist es kein freier Markt mehr, sondern ein semi-freier Markt.

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Ich sprach ja bereits von falschen Modellannahmen. Ausserdem: Definiere Politik. Greift die Politik nicht in den Markt ein, dann wird einfach eine Industrie entstehen, die für die Gesellschaft immens wertvolle Produkte anbietet wie "wir töten euch nicht". Aus Leibeigenschaft wird Monarchie, Revolution, Nationalstaaten, repräsentative Demokratie, Lobbying, Leibeigenschaft, etc.

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Ich fände es schön, könnte die eklatante Unterbezahlung der Pflegeberufe in Beziehung gesetzt werden zur Meritokratietheorie. Pflegende in den Intensivstationen müssen jahrelang sehr viel lernen, hervorragend sein in Theorie und Praxis in einem hochtechnologischen Beruf und verdienen für ihren oft gesundheitsschädigenden Einsatz weniger als jemand, der ein Praktikum in einer Versicherung macht: warum wird das hingenommen? Warum wird dieser für die Gesellschaft und somit die meisten von uns äusserst schädliche Umstand nicht schleunigst von der Politik aufgegriffen um ihn zum Wohle aller zu korrigieren? Könnte es sein, dass Meriten den Geschlechtern auch ganz unterschiedlich zugeschrieben werden? Frauen können per se pflegen, sie müssen sich nicht besonders anstrengen, verdienen deshalb nicht einen guten Lohn. Die Meritokraten kommen zu ihrer Leistung, weil sie sich auf ein Heer unterbezahlter Dienstleistender abstützen. Trügt meine Wahrnehmung, oder haben sich bis jetzt an der Diskussion v.a. Männer beteiligt und wenn ja, warum könnte das sein?

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Ein sehr wichtiger Beitrag, wieder ein Beitrag, der für sich alleine das Republik-Abo bezahlt macht.
Schade finde ich, dass die enorme Informationsbombe nicht strukturiert wurde und möglicherweise viele Leser unterwegs verlorengingen. Das Thema hätte es verdient, in mundgerechtere Stücke einer Serie unterteilt zu werden. Fleisch am Knochen für eine Serie hätte es auf jeden Fall mehr als genug.
Ich finde, dass wir die Meritokratie nicht mit dem Bad ausschütten müssen. Aus zwei Gründen:

  1. Ich finde, dass das Problem nicht ist, dass es die Meritokratie gibt. Sondern die disproportionale Entschädigung (finanziell und in gesellschaftlicher Anerkennung) der "gesellschaftlich und wirtschaftlich Leistungsfähigen". Denn es geht dabei heute nicht mehr hauptsächlich um harte Arbeit. Die "Leistungsfähigkeit" beruht auf Kompetenzen, die man unverdient erhalten hat: Durch die genetische Ausstattung, durch ein günstiges soziales Umfeld.
    Dass dies geht, zeigen die skandinavischen Staaten. Deren egalitäre soziale Struktur geht nicht zulasten ihrer gesellschaftlichen, staatlichen und wirtschaftlichen Leistungsbilanz. Ganz im Gegenteil.

  2. Ich teile die Meinung von Sandel nicht, dass man in einem Jahrgang Akademiker kaum mehr nach "wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Leistungsfähigkeit" selektionieren kann und besser auslost, wer die verantwortungsvollen Stellen erhält. Meine Erfahrung ist, dass der Talentpool für die Besetzung von Spitzenstellen sehr knapp ist und es für die Leistungsfähigkeit von Firmen und Institutionen sehr stark auswirkt, ob sie die guten Leute erkennen und kriegen. Das Problem ist, dass diese Kompetenz durch den IQ und schulische/akademische Qualifikationen nur sehr unzureichend abgebildet werden und das Bildungssystem auf allen Stufen sich dagegen wehrt, andere Kompetenzen in seinen Kanon aufzunehmen. Auch eine Form von Bildungsdünkel.
    Und zum Schluss: ich hoffe, dass wir Linken (ja, ich zähle mich noch dazu) den Aufruf, über unseren Bildungsdünkel nachzudenken, ernst nehmen. Im ureigensten Interesse.

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Spannender Artikel und auch interessanter Input Herr R. Danke. Was Sie in Ihrem 2. Punkt ansprechen, in dieser interessante Leserdiskussion jedoch noch kaum angesprochen wurde, ist eine gesellschaftliche Definition von Intelligenz. Weshalb bloss glauben wir, dass der IQ dies auch nur einigermassen „richtig“ oder ganzheitlich abbildet"? Ist es nicht viel mehr so, dass dieser sehr einseitig Begabungen wiedergibt? Wie steht es denn um Empathie, emotionale Intelligenz, soziales Denken, Fairness anstatt Logik. Ich arbeite im IT-Umfeld und für mich ist es gruselig zu sehen, wie oft rein logisch rationale und oft leider auch emotionslose analytische Talente gesucht werden und fördern. Leider finden wir dies gerade auch im Management und Top Management in den letzten Jahren immer ausgeprägter (nicht nur in der IT...). Passt wunderbar zur Mediokratie. Wir können so auch dieses Algorhythmus-verherrlichende Business Denken so schön einordnen. Konklusion: Lassen wir uns doch gerade beim Anstellen von Talenten nicht von Elite Unis und MBA Zertifikaten leiten sondern von unserer Lebenserfahrung und unserem gesunden Menschenverstand. Niemand hindert uns daran. Übrigens ein fundamentaler Vorteil den KMU Unternehmen gegenüber globalisierten Konzernen haben. Ja damit ist die Mediokratie Herausforderung nicht gelöst aber wir können konkret handeln.

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Stimme völlig zu. Und nehme den Steilpass gerne auf.
Genau, ich finde, IQ und Schulnoten völlig unzureichend für die Beschreibung von zukünftigen Spitzenkräften. Und würde das jederzeit illustrieren mit Beispielen von Klassen, den Noten der Schüler/Studenten und dem jeweiligen individuellen Karriereverlauf.
Sie geben eine gute Auswahl möglicher anderer wesentlicher Qualitäten, ich hätte auch die genannt. Jetzt: Warum sollen Schulen und Unis nicht auch versuchen, diese in ihre Beurteilung und in den Kanon der auszubildenden Kompetenzen aufzunehmen? Die Behauptung, dass diese nicht lernbar oder zumindest durch Ausbildung verbesserbar ist, ist unbewiesen und auch widerlegbar.
Die Schulen und Unis machen das im eigenen Interesse. Denn mit der jetzigen Haltung "ist kein Schulstoff" bewegen sie sich Richtung Irrelevanz.

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Katharina Schlatter
Content Specialist
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Ein spannender Beitrag, danke dafür. Doch finde ich einige Punkte etwas vernachlässigt, auch wenn sie angesprochen werden.

In einer Meritokratie wird Misserfolg als selbstverschuldet angesehen und die daraus folgende Armut als „verdient“. Das ist die hässliche Seite der Meritokratie. Doch der Artikel geht zuwenig darauf ein, dass die Meritokratie nur gespielt ist. Die Karten sind gezinkt, wer nicht dazugehört, hat keine Chance. Ich empfehle das Buch „View from Flyover Country“ von Sarah Kendzior.
https://www.goodreads.com/book/show…er-country

Dann wird der Aufstieg von Populisten wie Trump gerne als Verzweiflungsschrei der unteren Schichten gesehen. Am stärksten gewonnen hat er aber in der weissen Mittelschicht. Schön illustriert durch die Immobilienhändlerin, die am 6. Januar mit dem Privatjet nach Washington flog und am Sturm auf das Kapitol mitmachte. Meiner Meinung nach spielt Rassismus eine viel grössere Rolle als Klasse, Ausbildung und Einkommen.
https://lwp.georgetown.edu/visiting…mp-voters/

„The identification of Trump with the white working-class is mostly not true.“

„While most reports on votes or polling define the working-class by lack of a college education, others define the working class by income (usually households with annual incomes below $50,000). But that definition of class also doesn’t support the idea that Trump won because of the white working class. Whites from households earning less than $50,000 are less likely to vote than other whites, and in 2016 those who did vote did not lopsidedly opt for Trump.“

Ausserdem müssen wir in dieser Frage gar nicht über den grossen Teich blicken. Ein Blick auf die Schweizer Gymnasien erzählt die gleiche Geschichte, wenn auch weniger brutal.

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Betreffend grossem Teich: James Baldwin und Josephine Baker empfanden es als befreiend, in Europa als "Menschen" wahrgenommen zu werden. Eigentlich erstaunlich angesichts der Stellung von Frankreichs Afrika-Corps in WWII und Indochina und der brutalen Unterdrückung im Maghreb, die beide in die heutigen Banlieues ausstrahlen.

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«Es gibt aber noch eine andere Alternative: eine breit gefasste Gleichheit der Lebens­bedingungen, die es denjenigen, die kein Vermögen anhäufen und keine prestige­trächtige Karriere haben, dennoch erlaubt, ein respektables und würdevolles Leben zu leben [...]

Einfach ausgedrückt: Das bedingungslose Grundeinkommen.

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Das kann ein Teil sein, reicht aber nicht. Es braucht zusätzlich Anerkenneug und Respekt für jeden Menschen. Wenn ein bedingungsloses Gruneikommen als schöne Geste oder gar zur 'Ruhigstellung' jener verstanden wird, die aufgrund zu kleiner Leistung nur wenig Wert sind, bleiben wir im hier kritisierten meritokratischen System stecken.

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Spannendes Thema, ich habe hier ja schon einige male in der gleichen Stossrichtung argumentiert - was mir etwas fehlt ist der Praxis-Bezug, sowie der Bogen zur Dienstleistungsgesellschaft in die wir gerade mit Vollgas reinschlittern.

Ein Haupttreiber für diese Entwicklung ist die ökonomische Effizienz. Grundsätzlich ist es effizienter wenn die "Elite" vom ungeliebten Alltag entlastet wird: Kochen, Putzen, Betreuung von Kindern und Alten. Aber ist das auch gerecht und fair?

Egal wie diese Tätigkeiten gesellschaftlich organisiert und honoriert werden, letztendlich sind sie immer weniger wert und würdig. Denn ihr einziger Zweck ist, der Elite mehr von den wichtigeren Tätigkeiten zu ermöglichen. Lebenszeit für Lebenszeit.

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Dass Kochen, Putzen, Betreuung von Kindern und Alten immer weniger wett sind, ist keinesfalls zwingend. Auch unter den 'Eliten' gibt es diese Arbeitsteilung ja auch, ein begnadeter Organisator als Firmenchef wird sich für die Aufarbeitung seiner Statistiken an einen Mathematiker wenden und seine Software von Informatikern entwickeln lassen, ohne diese Berufszweige abzuwerten. Das Abwerten der 'einfacheren' Tätigkeiten ergibt sich aus dem Machtgefälle. Es gibt viele, welche sich zutrauen zu Putzen, viele welche sehr gerne Kinder betreuen, etc. Durch dieses 'Überangebot' bzw. die Auswechselbarkeit der Dienstleister kann der Auftraggeber den Lohn drücken und die Arbeitsbedingungen diktieren.
Dieses Machtgefälle zu egalisieren wäre die Aufgabe des Staates, das Mittel dazu wäre ein Grundeinkommen, welches die Menschen vom Zwang erlöst sich auf dem Arbeitsmarkt zu verdingen. Nur wer mehr Komfort, mehr Luxus oder mehr Exklusivität anstrebt, muss sich um Lohnarbeit bemühen.
Ungeliebte Arbeiten wie das Putzen würden so wahrscheinlich extrem aufgewertet und auch für Gutsituierte fast unerschwinglich, was vermutlich in Automatisierungsbemühungen münden würde und letztlich günstige Putzroboter und eine automatisierungsfreundliche Wohnungsinfrastruktur zur Folge hätte.
Bei an sich beliebten Tätigkeiten wie Pflege und Betreuung würde sich vielleicht eine Entspannung einstellen, da die effektiven Lohnkosten ja sinken würden und sich nur mit anständigen Arbeitsbedingungen genügend Freiwillige rekrutieren lassen.
Wirtschaftsbeziehungen sind keine Naturgesetze, sie lassen sich immer beeinflussen. Man muss das nur wollen.

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Flavio Frei
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Beim Lesen des Artikels musste ich an das folgende Video des Youtube Wissenschafts-Channels Veritasium denken:

Is Success Luck or Hard Work?

Der Host beschreibt darin sehr gut das paradoxe Denken, das seiner Meinug nach zu Erfolg führt:

  1. Man muss glauben, dass man komplette Kontrolle habe und dass Erfolg nur auf den eigenen Talente und der eigenen harten Arbeit basiert.

  2. Man muss wissen, dass dies nicht stimmt, weder für einen selber noch für andere Leute.

Für mich persönlich und bestimmt auch für andere Menschen sind diese zwei Punkte einleuchtend und nachvollziehbar. Was man aber in meinen Augen nicht machen darf ist, Policies (Erlasse, Gesetze etc.) darauf basierend zu entwickeln .

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Danke, Flavio, für den Link! Mir fehlt:

  1. Man muss sagen, dass man komplette Kontrolle habe und dass Erfolg nur auf den eigenen Talente und der eigenen harten Arbeit basiert.

Genau dies wird ja in (neoliberalen) Leistungsgesellschaften wie der unseren gemacht: In privater wie politischer Kommunikation wird dies und das Gegenteil – für Misserfolg und schlechter Stellung ist jede*r selbst schuld – behauptet. Um mit dieser Werthaltung und entsprechender Politik die Stellung der Erfolgreichen zu legitimieren und zu stabilisieren. Sowie um nichts oder so wenig wie möglich mit den «Anderen» zu teilen.

Das Wissen um die Unwahrheit wird vor Anderen geheim gehalten, mehr und mehr ausgeblendet, ja verdrängt. Bis man die Unwahrheit selbst beginnt zu glauben und fortan im Selbstbetrug, in der Unaufrichtigkeit (frz. mauvaise foi) lebt. Und mit der Kommunikation und Politik alle anderen dazu bringt, sich ebenfalls selbst zu betrügen.

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Super Artikel, Gratuliere!
Habe mich von einer etwas anderen Seite dem Thema angenähert, nämlich über Andreas Reckwitz, Das Ende der Illusionen.
Ein Vergleich Sandel-Reckwitz wäre wohl interessant. Kann jemand was dazu beisteuern?

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Uff, ein solcher Theorievergleich wäre eine Riesenarbeit. In welcher Hinsicht, anhand welches Vergleichspunktes würden Sie beide vergleichen wollen?

Ein grundlegender Unterschied ist aber, dass Sandel als Moralphilosoph einen explizit normativen Ansatz verfolgt, während Reckwitz als Soziologe einen deskriptiven, wobei auch bei ihm normative Punkte anklingen, etwa wenn er am Ende von «Krisen» spricht. That said würde ich jedoch sagen, dass Sandel grosso modo der Beschreibung Reckwitz' folgen würde.

Sandels «Tyranny of Merit» in der Leistungsgesellschaft entspricht Reckwitz' Tyrannei des Wertes in der «Valorisierungsgesellschaft». Bei beiden steht die Status konsumierende neue akademische Mittelklasse des kulturellen Kapitalismus im Zentrum. Und beide sprechen die ähnlichen Polarisierungstendenzen an, welche bei Reckwitz zu einer «Krise des Allgemeinen» und «Ende der Illusionen» (des allgemeinen Fortschrittes) führen und bei Sandel zu einer Krise der Demokratie und «Ende des Gemeinwohls».

Als Moralphilosoph konkretisiert Sandel nun Reckwitz' abstrakter Forderung nach einem politischem doing universality.

Ich hoffe, Ihnen damit wenigstens ein paar Anhaltspunkte gegeben haben zu können.

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Florian Gysin
Software Engineer
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Modale Meritokratie-Kritik?

Ich verstehe nicht ganz - wird jetzt von Sandel generell die Idee eines meritokratischen Systems kritisiert, oder lediglich dessen mangelhafte Umsetzung in den USA? Der Artikel scheint ersteres zu vermitteln, aber die Zitate und Beispiele von Sandel eher zweiteres. Ich sehen diesen Gegensatz zum Beispiel im folgenden Abschnitt:

"«Die Aristokratie der ererbten Privilegien ist abgelöst worden von einer meritokratischen Elite, die jetzt genauso privilegiert und gefestigt ist wie diejenige, die sie ersetzt hat», schreibt Sandel. [...] Für eine Gesellschaft, deren Selbst­verständnis vom «amerikanischen Traum» und vom Glauben an soziale Mobilität geprägt wird, ist das eine fundamentale Unterminierung ihrer Wertebasis."

Ich glaube es braucht keine enormen Anstrengungen um zu sehen, das das System der amerikanischen Elite-Universitäten in der jetzigen Umsetzung kein grosser Förderer der sozialen Mobilität ist... Aber ist die Kritik von Sandel/Binswanger modal, also in allen möglichen Welten meritokratischer Ordnung? Oder geht es nur um "Mängel im System"?

-> Falls ersteres stellt sich die Frage nach einer alternativen moralischen Gesellschaftsbasis.
-> Falls zweiteres stellt sich "nur" die Frage nach der Verbesserung des Systems, was zwar nicht einfach, aber ungleich weniger weitreichend zu behandeln wäre.

Kann man modale Meritokratie-Kritik überhaupt üben basierend auf Beispielen aus der Realität wenn wir davon ausgehen, dass diese Realität teilweise/grösstenteils eben genau nicht meritokratisch ist?

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IP - Suisse - Bäuerin
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Vielen Dank für diesen Artikel! Er spricht Dinge an, die mich schon seit vielen Jahren beschäftigen. Hinzufügen möchte ich noch zwei Aspekte, die mich mein Leben als Adoptivmutter gelehrt hat: Erstens: Der Mensch ist bei seiner Geburt kein unbeschriebenes Blatt. Es wurden ihm unterschiedliche Begabungen mit auf den Weg gegeben und in unterschiedlicher Ausprägung. Leider ist diese Verteilung nicht gerecht. Förderung ist deshalb gut. Nützt aber da nichts, wo das Potential fehlt. Betroffene Menschen können sich dadurch noch wertloser fühlen. Und zweitens: Adoptiveltern wissen, dass Menschen, die ein Trauma erlitten haben (z.B. Babys, die zur Adoption freigegeben wurden, Kinder, die von einer Pflegefamilie zur nächsten weiterziehen , Heimkinder etc) je nach Resilienz , keine Energie mehr aufbringen können für ganz normale Tätigkeiten. Bei Adoptiv- und Pflegekindern spricht man von Anstrengungsverweigerung unter der ein Teil von ihnen (und damit ihr Umfeld) leidet. Auch das Sich - Anstrengen - Können ist also nicht jedem Menschen gleich gegeben und erfordert für manche Menschen viel mehr Energie als es sich der Durchschnittsmensch vorstellen kann. Meiner Meinung nach ist also auch das kein objektives Kriterium, wonach ein Mensch belohnt werden sollte. Bis jetzt fällt mir als einzige Lösung nur das bedingungslose Grundeinkommen ein....und die Anerkennung der Würde jedes Menschen, egal, was er tut oder evtl. auch nicht tut.

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Mir scheint die Frage bedenklich, wie man die "Würde der Arbeit" achten oder aufwerten kann, ohne die Abwertung von Arbeitslosen und anderen angeblich "Nichtarbeitenden" (die in Wirklichkeit oft nicht anerkannte Care-Arbeit leisten) noch zu verschärfen. Alle Menschen verdienen Würde und ein einigermassen gutes Leben, das sollte nicht auf Arbeit (was auch immer als solche anerkannt wird) bedingt sein. Der Verweis auf die "Würde der Arbeit" wurde hingegen von rechter/konservativer Seite schon oft benutzt, um miese (Erwerbs-)Arbeitsverhältnisse zu rechtfertigen und Menschen in solche hineinzudrängen, weil das ja immer noch "würdiger" als Nichtarbeit sei.
Geht Sandel auch auf diese Problematik ein?

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Danke Herr Binswanger für Ihren Beitrag und das Auslösen dieser angeregten Diskussion, die übrigens auch in den Unternehmen angesichts der "Agilisierung" immer aktueller werden wird.
Man müsste wohl, um die Formen von "Meritokratie" noch besser zu verstehen, auch kulturelle Grundprägungen zu Rate ziehen, z. B. in den USA: Individualismus, Universalismus, Utilitarismus und Kompetitivität. Diese könnten auch eine Erklärung für die Mischung von rein meritokratischen (z. B. reine, individuelle Leistung) mit nicht-meritokratischen (Abgang von Elite-Universität verschafft entsprechende Privilegien) sein, die hier verschiedene Beiträge ansprechen, wie auch die Fokussierung auf materielle Vorteile im zukünftigen Leben.
Das Wichtigste scheint mir aber, dass gerade uns gerade hier in dieser Diskussion bewusst sind, dass wir uns in einer Art von Diskurs bewegen, der von weniger gebildeten und abstrakt denkenden Menschen vielleicht gar nicht verstanden oder evtl. nicht als relevant gesehen würde. Der moralische Appell, die Würde z. B. aller Berufsarten und Bildungsgrade anzuerkennen, wird nicht ausreichen. Wie können wir selber in unserem direkten Umfeld dazu beitragen? Zum Beispiel wenn unsere Kinder eine Lehre absolvieren möchten, obwohl sich es auch ins Gymnasium schaffen könnten? Wie reagieren wir dann? Und wie, wenn eine Person, die es weniger "verdient" hat, anstelle von uns selber befördert wird?

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Ohne den R-Verlegerinnen und R-Verlegern nahe treten zu wollen, liegt für mich die Ironie der meisten fast ausnahmslos intelligenten Beiträge darin, dass deren Verfasser*innen zur meritokratischen Gesellschaftsschicht gehören, ohne unterstellen zu wollen, dass sie ein meritokratisches Leben führen. In der Reflexionsfähigkeit der meritokratischen Schicht liegt vielleicht die Chance der Überwindung, auch wenn wenig Hoffnung dafür besteht - siehe:
Mediocrity Is Now Mandatory By Andy Kessler
From stimulus to school admissions, leaders act as if ease is the only worthy goal: Don’t stand for this [mediocrity] because when everyone gets a trophy, no one gets a trophy. Push for excellence.

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Keine andere sozialpolitische Absicherung könnte besser kompatibel sein mit dem meritokratischen Ethos: Welche Form der Bedürftigkeit wäre geeigneter dazu, als «ohne eigenes Verschulden» betrachtet zu werden, als der Krankheitsfall.

Schön wär’s. Auch im Gesundheitswesen bzw. bei den Krankenversicherungen macht sich der Geist der Meritokratie breit. Auf der einen Seite gibt es Bonusprogramme für Versicherungsnehmer, die fleissig ihre Schritte zählen oder sonstige Fitness betreiben. Auf der anderen Seite sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, „selbstverschuldete“ Erkrankungen zu sanktionieren bzw. die Übernahme von deren Behandlungskosten zu reduzieren. Die Belohnung von gesundheitsförderndem Verhalten könnte somit der Unterhöhlung des Solidaritätsprinzips den Weg bahnen. Da sollte man auf jeden Fall sehr wachsam sein.

P.S. Die Auffassung einer Krankheit als Strafe Gottes ist ja schon sehr alt. Ich habe den Eindruck, dass das unbewusst leider immer mal wieder mitschwingt.

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  1. Die meritokratische Zweiklassen-Gesellschaft, Herrscherkaste versus unwürdigen Pöbel, die der Artikel postuliert, gibt es nicht. Ich muss doch nicht zur Weltelite gehören, um Anerkennung und Einfluss zu erhalten, das geht auch sehr befriedigend auf mittleren Stufen in mittlerem Umfang.

  2. Eliteschulen und andere Organisationen, deren Aufgabe es ist, Art und Wert von Verdiensten nach dem Sinn des Machterhalts ihrer Mitglieder zu definieren, stehen im Dienst genau derjenigen Mächtigen, die ihre Stellung nicht mit Verdiensten halten können - sie sind von Grund auf unmeritokratisch.

Die Meritokratiekritik geht auf dieser Basis nicht auf. Die Beispiele und Argumente im Artikel sprechen allesamt für mehr Meritokratie, nicht für weniger.

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Und deshalb macht es die Schweiz - bisher - besser. Leute mit handwerklichen Fähigkeiten werden geschätzt, auch die Putzfrau, solange sie arbeitet. Das ändert sich in Zentren wie Zürich und Genf, wo die Expats eine neue Philosophie (Elitär, Universitäts- fokussiert, Privatschulen) einbringen. Dem müssen wir uns entgegenstellen, sonst passiert und das gleiche wie in den USA und auch Europa. Wir sind alle etwas Wert, wir sind alle wichtig, was auch immer das heisst. Die momentane, von billigem Geld getriebene Entwicklung (künstlich erzeugte, boomende Vermögenswerte währendem die Wirtschaft in einer grossen Krise steckt), zeigt einmal mehr: Wir stecken da NICHT gemeinsam drin, I win, you lose! Die Vermögenskonzentration wird auf die Spitze getrieben, ein Geldadel geschaffen. Das muss sich ändern, und zwar schnell.

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Sehr interessanter Essay, vielen Dank Daniel Binswanger. Aber leben wir zumindest in Europa und in der Schweiz ganz besonders nicht eher einen Mythos der Meritokratie, als die Meritokratie selbst?

An die Macht bringen sich ja doch weniger die wirklich Leistungsfähigen und Befähigten, als vielmehr die Leistungswilligen. Also immer wieder von Neuem diejenigen, die über das Talent und die Bereitschaft verfügen, sich den Regeln, die die Eliten sich zur Reproduktion ihrer selbst gegeben haben, am Elegantesten zu unterwerfen. An „die Spitze“ gelingt man also weniger durch die Erbringung von Leistung, als vielmehr durch die Einhaltung und Reproduktion von Regeln und Strukturen, die suggerieren, Leistung objektiv messen und honorieren zu können. Paradigmatisch dafür sind die „Creditpoints“ an den Universitäten, die den akademischen Nachwuchs zu Buchhalter*innen ihrer eigenen Wissensproduktion gemacht und sie vom forschenden Ethos der Akademien entfremdet haben, der auch immer das Risiko und die Chance in sich tragen sollte, im Sinne eines Anspruchs auf ein zählbares Ergebnis zu scheitern. Es geht also in der gegenwärtigen „Meritokratie“ weniger um die berühmte liberale „Innovation“, die ja auch immer eine Disruptionsgefahr für das jeweils gegenwärtige Herrschaftssystem darstellt, als vielmehr darum, „der Spitze“ möglichst reibungslos und widerspruchsfrei entgegenzukriechen. In diesem Sinne ist dieses gesellschaftliche Ordnungssystem nicht nur konservativ und klassistisch, sondern auch antifeministisch und (mindestens) strukturell rassistisch, weil es das Bisherige so lange wie möglich in die Zukunft verlängern will.

Wir haben es also zumindest diesseits des Atlantiks meiner Meinung nach in der Regel (es gibt natürlich Ausnahmen) weniger mit einer Merito- als vielmehr mit einer Strebokratie elitärer Funktionsempfänger (sie sind in ihrer grossen Mehrheit immer noch männlich) zu tun, die sich sehr elegant als Meritokratie tarnt, weil niemand (oder nur sehr seltene Ausnahmefälle), die oder der es in dieser Scheinmeritokratie bis „nach oben“ schafft oder das zu erreichen hofft, ein Interesse daran oder Lust darauf hat, seinen Leistungsmythos infrage zu stellen. Selbstverständlich werden dementsprechend auch nur jene zu diesen Sucker Games zugelassen, denen man im Allgemeinen zutraut, den Schein zu reproduzieren, tatsächlich auf Grund meritokratischer Verdienste nach oben geklettert zu sein oder dies bewerkstelligen zu können. Das ist wohl das, was gemeinhin mit „Talent“ heute gemeint ist.

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Ein sehr erhellender Artikel. Vielen Dank dafür. Ich musste mehrfach an das bedingungslose Grundeinkommen denken, es würde mich interessieren wie Sandel es bewerten würde.

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Ich möchte etwas nachschieben: ich hätte gerne nicht nur ein Fairtrade-Label für
Waren aus dem Ausland, sondern ein "Fair entlöhnt Label" für Dienstleistungen im Inland. Wie wär's mit solchen Labeln für "Pflege" und Kinderbetreuung und ähnliche Branchen? Wobei, leider, stelle ich mir grad vor, wie die Einzelnen sich überlegen müssen: zahle ich anständig für... ?oder leiste ich mir... ? bin nicht sicher, ob eine Gerechtigkeitswelle losrollen würde... kommt ja immer auch drauf an, wie man sich und seine gesellschaftliche Position und sein Recht auf ... einschätzt.

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Weitete man den Horizont auf nicht-westliche Regionen, so «entdeckte» man bei Kong Zi, also Konfuzius (551 bis 479 v. Chr.), eines der ersten bekannten meritokratischen Systeme, das notabene innerhalb eines feudalen institutionalisiert worden ist – und bei europäischen Aufklärern wie Voltaire als Vorbild galt.

Statt Blutadel und Potenz war Tugend und Kompetenz gefragt. Konfuzius nahm daher Studenten aus jeder Gesellschaftsklasse an. Jedoch nur Männer – die soziale Hierarchie, die auf der sog. kindlichen Pietät beruhen, reflektierte und reformierte er bloss.

Das meritokratische System entwickelte sich zur berühmt-berüchtigten «Chinesischen Beamtenprüfung». Welche oft karikiert worden ist, da bereits früh die «Korruption» sichtbar geworden ist: Teure «Hilfslehrer», «Tugend-Adel» und vielfältige Arten und Weisen des Betrugs.

Die Daoisten boten gegenüber diesem korrupten-korrumpierenden Leistungswettbewerb von letztlich aristokratischen Familien ein Gegenbild. Etwa, indem bei ihnen auch schon mal ein Metzger oder Fischer sich als Geeignetster für das Amt des «Kaisers unter dem Himmel» herausstellt. Oder gegenüber dem geraden, gefällten Baum der krumme, nutzlose, aber langlebige Baum gerühmt wird.

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Der Beitrag ist ausschliesslich auf das amerikanische System bezogen. Die erwähnten Universitäten sind privat. Entgegen den unterschobenen Anmerkungen können auch Kinder einfacher Leute dort studieren. Denn mittellosen Hochbegabten können die exorbitanten Studiengebühren erlassen werden.
Bei uns kann eigentlich jeder an eine Eliteschule, unabhängig vom Einkommen der Eltern. Die Korrelation der Klasse basiert auf einem einfachen Mechanismus. Hochgebildete haben ein erhöhtes Einkommen. Sie wissen und handeln auch danach, dass man die Kinder in der Jugendphase nicht mit dümmlichem Verhalten (genannt Zoff/Stress) von der Bildung abhalten soll, sondern eher motivieren soll.
Grundsätzlich macht es Sinn in einer Gesellschaft jenen das Bestimmen zu überlassen welche etwas können. Die Diskussion beginnt bei der Definition von "etwas können". Dies wird in der Tat nicht ganz optimal, aeh, verbesserungswürdig, durchgeführt, resp eben nicht. Bei uns sind's vorherrschend Solche, welche ein Studium ohne wirtschaftliche oder technologische Relevanz haben.
Edit. Das kam aber schlecht an... Ich verstand den Text nicht als eine Ode an Politiker, welche eine unendliche Fülle an alternativen Fakten und Realitäten hervor zaubern.

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Mitverleger
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Wow ! Hervorragender Artikel ! Öffnet Augen und Bewusstsein und erklärt vieles, was bisher nicht oder wenig verständlich war. Danke ! Schade, dass stark auf die USA fokussiert. Europa ist kaum anders, und die Schweiz schon gar nicht. Bin echt gespannt, welche Wirkungen diese Einsichten auf Dani Binswanger und seine weiteren Artikel und auf die ‚aufgeklärte Linke‘ haben wird. Müsste eigentlich viele Dogmen stürzen ! On verra !

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Marco Zaugg
Coach und Prozessbegleiter
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Ein so umfassender und breiter Blick auf eine zentrale Thematik - vielen Dank an Daniel Binswanger! - kann nicht in einen Kurztext verpackt werden. 33 Minuten Lesezeit sind angemessen. Ich schätze es, wenn sich die Republik herausnimmt, auch mal längere Stoffe zu bringen.

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Theologe
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Noch vor achtzig Jahren mussten Menschen zunächst mittels Propaganda zu Unmenschen erklärt werden, um dann in Lager gepfercht, in unwürdigen Umständen und an der Grenze allein gelassen zu werden. Ohne Propaganda hätte das einen Aufschrei und eine Solidaritätswelle hervorgerufen.
Heute, in der etablierten Meritokratie reicht es, dass sie es nicht verdienen hierherzukommen. Und sie leben in abgebrannten Lagern, die im Schlamm versinken oder ertrinken in den Fluten. Schulterzucken.
Oder hatten Sie über die Weihnachtstage ernsthafte Schlafprobleme?

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Geschäftsführerin
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Die Währungen der Meritokratie: Geld (Bonus), Statussymbole (Titel, Penthouse, Firmenparkplatz, technische Gadgets), Diplome (auch wenn sie nicht wirklich Kompetenz belegen), der richtige Pass (Eu-Pässe kann man auch kaufen, wenn man will).
Menschen, denen all das fehlt, werden es in einer durchdigitalisierten Welt noch schwerer haben, da man kaum irgendwo noch mit richtigen Menschen sprechen kann, um auf seine Not hinzuweisen...

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Die Analyse von Sandel bzw. Binswanger bezieht sich explizit auf die USA. Implizit bringt aber Binswanger zum Ausdruck, die Meritokratie betreffe die ganze Welt. Als Schweizer frage ich mich deshalb besonders, wie es sich bei uns verhält, und komme dabei zu einem anderen Ergebnis. Wenn die USA für das Universitäts¬jahr 2014/2015 162 Milliarden Dollar für das Studium auf College-Stufe, für die jährlichen Bundes¬ausgaben für berufs¬begleitende Ausbildung dagegen nur 1,1 Milliarden jährlich ausgaben, ist das Verhältnis bei uns deutlich anders. In der Schweiz hat die Berufsbildung bekanntlich einen hohen Stellenwert. Binswanger beschreibt ein Problem, das es bei uns so nicht gibt, und folgt einem allgemeinen Trend. Empörungswellen wegen Rassismus, Sexismus etc. oder eben Meritokratismus beginnen in der Regel in den USA, werden dann auch in die Schweiz gespült und hier unbesehen aufgenommen. Sicher haben auch wir Probleme, aber nicht diejenigen der USA. Um unsere Probleme sollten wir uns kümmern, auch wenn es angenehmer ist, sich mit fremden zu beschäftigen.

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Ein Blinder Fleck bei den Sozialdemokraten, die sich immer wieder verschämt verschnupft darüber zeigen, dass die Benachteiligten ihre Bemühungen um soziale Verbesserungen so wenig zu schätzen wissen.

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Märchentante*onkel
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Hocherfreut, lieber Herr Binswanger, lese ich von Ihnen etwas Corona-transzendierendes, auch wenn, gewiss, vereinzelten Glutnestern im Dachstock des bereits gelöschten Hauses gleich das Thema noch hie und da auflodert, als scheu illustrierendes Narrativ einer gröberen Story, aber im grossen Ganzen doch resulut in Schach gehalten.

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Aus meiner Sicht geht man viel zu stark von einer atomisierten Gesellschaft aus. Natürlich sollen fähige - und in diesem Sinne verdienstvolle - Personen die Entscheide fällen. Erleben wir heute nicht oft das Gegenteil, nämlich, dass Machthungrige Dilettanten an die Macht drängen? Die Macht muss sodann zugunsten der ganzen Gesellschaft ausgeübt werden. In diesem Sinne sind Fähigkeiten eine Verpflichtung sich für das Gemeinwohl einzusetzen. Ein Grund für deutliche Lohnunterschiede gibt es nicht. Jeder tut, was er kann, das ist der „Verdienst“. Das Mass der Anstrengung ist die „ Merite“ und wird entschädigt - egal als was. Bei politischen Entscheiden sollte sodann der van Reybroucks Zufallsprinzip zum Zuge kommen!

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(durch User zurückgezogen)
Billo Heinzpeter Studer
Präsident fair-fish international
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Wirklich lesens- und bedenkenswerter Überblick über die Hierarchisierung der Gesellschaft und die zunehmenden Abschottung extremer Eliten «trotz», nein gerade wegen des nur vermeintlich geöffneten Zugangs der Hochschulen für alle Schichten. Eine fulminante Anklage nicht nur gegen Neo-, sondern auch gegen Linksliberale – gipfelnd in einer dagegen haltenden Vorstellung einer Gesellschaft, die jedem Menschen, auch dem unbegabtesten, die Würde eines eigenen tätigen Beitrags verleiht. Oder wie es Ivan Illich einst so treffend sagte: Das grösste Problem ist nicht die physische Speisung der Milliarden von Menschen, sondern die Aufgabe, ihnen allen einen Lebenssinn zu ermöglichen.
Eine solche freie und gerechte und jeden Menschen sich entfalten lassende Gesellschaft ist nur möglich, wenn jeder nach seinen Möglichkeiten beiträgt und – davon unabhängig – jeder nach seinen Bedürfnissen bekommt.

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Eine tiefgründige Analyse mit weiter Sicht! Besten Dank für diese gute und anregende Zusammenfassung des Werkes von Michael Sandel.
„Es geht nicht nur um Mindest­löhne und Umverteilung. Es geht um Respekt und Anerkennung.“ Den Menschen als Menschen wertzuschätzen – auf dieser Einsicht und Grundvoraussetzung muss eine humanere Gesellschaftsordnung aufbauen.

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Die Arroganz der "Erfolgreichen" ist weit verbreitet. Klar, man darf ruhig Stolz sein auf sein Erfolg, wenn man etwas aus seinen glücklichen Umständen gemacht hat. Jedoch ist schlicht dumm zu meinen, Erfolg sei vollständig selbsverschuldet. Soziales Umfeld, Geburtsort, Gesundheit, geistige Fähigkeiten bestimmen wesentlich den Erfolg. Reiner Zufall. Wenn ich jeweils "Arroganten" sagen, wie hoch wohl die Wahrscheinlichkeit wäre, wenn Sie im ärmsten Land, Burundi in Afrika, geboren wären, "erfolgreich" zu sein, wird meist mit Schweigen oder Giftigkeit reagiert.

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Lieber Daniel Binswanger,
Es würde mich doch sehr interessieren, wie Sie die diesbezügliche Situation in der Schweiz beurteilen. Können Sie dazu auch etwas in derselben Art Differenziertes sagen?

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"Elite-Uni"-Student
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Ausgezeichneter Artikel. Dafür habe ich die Republik abonniert. Ich musste den Artikel ausdrucken und langsam, mit Zeit lesen. In diesem Fall finde ich das gut - die Ideen hatte ich auf solche Weise nie genau zusammengebracht. Vielen Dank.

Bezüglich des Schweizer Systems: so weit wie in den USA sind wir (noch) nicht. Wir müssen aufpassen, nicht in deren Fussstapfen zu treten.

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Äusserst interessant (wenn auch für die untere Hälfte der beschriebenen Meritokratie-Gesellschaft schwer zugänglich beschrieben - dergestalt, dass ich mich über meinen eigenen "Merito-Status" zu fragen begann...)
Solange es um die beschriebenen "Meriten" geht und die Chancen, innerhalb des Bildungssystems besser "ausgerüstet" zu werden, in der Gesellschaft auch ohne akademische Titel gut mitzuschwimmen, wäre das Schweizer Bildungssystem vergleichsweise gut aufgestellt (und hat sich sogar in den letzten 20 Jahren noch verbessert).
Nur ist die fatale Aura der akademischen Bildung auch in unserer Gesellschaft stark wirksam. Als ehemaliger Lehrer spürte ich das früher in den Elterngesprächen: "Ohne Uniabschluss bist du nichts" - was nach meiner Erfahrung eben gar nicht stimmt.
Zwei sehr konkrete eigene Erlebnisse konnte ich dabei jeweils ins Feld führen:
Als wir unser Badezimmer im Neubau einrichteten, besprach der 22jährige Angestellte der Sanitärbude allein auf Augenhöhe mit dem künftigen Wohnungsbesitzer Details der Ausgestaltung.
Beim Mittagessen in der Landbeiz hörte ich, wie am Nebentisch zwei Handwerker sich lustig machten über die "Eier", die sie dem arroganten Professor in seinem Neubau "legten" - dessen ganze universitäre Bildung nützt ihm hier nichts, wenn er nicht zusammenarbeiten kann mit andern Schichten...

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Sehr lesenswerter Beitrag, mir fehlt die Rolle die die ''Globalisierung'' und Multinationale Unternehmen in diesem System spielen. Für mich sind es klar Beschleuniger und Nutzniesser dieser Strukturen.

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Bitte lesen Sie "American Foreign Policy" von Noam Chomsky und denken Sie darüber nach... Danke

American Foreign Policy - Noam Chomsky (Delivered at Harvard University, March 19, 1985):
https://chomsky.info/19850319/

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Beim Durchlesen der Dialogbeiträge sind mir Fragen nach einem Bezug des Artikels zur Situation in der Schweiz wie auch Diskussionen zum Einfluss des IQ in Bezug auf den Bildungs- wie auch später auf den Berufserfolg aufgefallen.
Seit Jahren beschäftigt mich die meritokratische Entwicklung in der Gesellschaft und den Einfluss einer solchen Gesellschaft auf die Entwicklung und den Bildungserfolg von Schülern. Auch habe ich bis heute keine Antwort auf meine Frage gefunden, wie Integration/Inklusion in einem selektiven Schulumfeld/in einer meritokratischen Gesellschaft nachhaltig funktionieren kann/soll, wenn nicht Werte wie Respekt, Achtung, Würde als Basis für jegliches Zusammenleben und für jegliche Leistung vorausgesetzt werden.

Statt einer persönlichen Stellungnahme möchte ich den Klappentext einer grösseren Langzeitstudie (Universität Freiburg, CH) zu diesem Thema zitieren. Diese Langzeitstudie wurde schon 2007 veröffentlicht, hat mich schon damals nachhaltig beeindruckt und ist heute im Zeitalter von Integration/Inklusion, der massiven Zunahme von Homeschooling und teuren Privatschulen in der Schweiz aktueller denn je. Die Situation hat sich meines Erachtens in den letzten 10 Jahren eher verschärft als verbessert.

Prof. Dr. phil. Winfried Kronig, «Die systematische Zufälligkeit des Bildungserfolgs. Theoretische Erklärungen und empirische Untersuchungen zur Lernentwicklung und zur Leistungssteigerung in unterschiedlichen Schulklassen» Hauptverlag 2007

«Was unterscheidet die guten von den schlechteren Schülern? Weit weniger, als man annehmen müsste, ist der Bildungserfolg nur das Ergebnis von individuellen Fähigkeiten und persönlicher Anstrengungsbereitschaft. Er scheint auch das Produkt von Privilegien und von Zufällen zu sein. Die dargestellten empirischen Resultate irritieren. Sie belegen, dass die schulische Selektion, die Leistungsbewertung und sogar die Leistung selbst massgeblich von Faktoren jenseits der individuellen Kontrolle bestimmt werden.
Aus dem empirischen Datenmaterial einer grösseren Längsschnittstudie werden Fragen zu den Auswirkungen von Heterogenität, zur Leistungssteigerung und zu den kompensatorischen Wirkungen der Schule, der Schulklasse als Lernbedingung, zum Einfluss von Leistungserwartungen und zu den Tücken der Leistungsbewertung und der Bildungsselektion bearbeitet.
An verschiedenen Stellen der untersuchten Bildungssysteme zeigen sich empirische Auffälligkeiten. Möglicherweise sind sie das Resultat einer Schule, die gleichzeitig den ideellen Wert und den instrumentellen Nutzen von Bildung anbieten muss.»

Das Buch ist noch heute lesenswert...

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Die Zukunft der Bildung ist freies Wissen und die Autodidaktik. Die Befreiung der Information von ihrer Körperlichkeit, und die damit einhergehenden Befreiung von Wissen, lässt nicht nur viele Ungerechtigkeiten verschwinden, sondern nimmt den Universitäten und Hochschulen auch einen Teil ihrer elitären Rolle weg. Die Bildungseinrichtungen der Zukunft werden sich deutlich weniger mit dem Vermitteln von Informationen beschäftigen, dafür umso mehr mit dem Vermitteln von Kompetenzen.

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Vielen Dank für diesen scharfsinnigen Essay, Herr Binswanger. Das Einzige, was mir darin - und damit auch in Sandels Buch? - fehlt, ist eine explizite Behandlung der ArbeiterInnenbewegung. Rawls Linksliberalismus, der hier als Gegenentwurf zum Neoliberalismus ins Feld geführt wird, ist ja historisch gesehen auch eine bürgerliche Ideologie. Aber im 19. uns 20. Jahrhundert waren es explizit nicht bürgerliche Parteien, Gewerkschaften und Genossenschaften, die es gerade den Geringqualifizierten erlaubten, sich als gemeinsam Handelnde, als Subjekte der Geschichte zu begreifen. Mein Ursgrossvater etwa, 'simpler' Bauhandlanger, zog seinen trotzigen Stolz aus diesem Klassenbewusstsein. Didier Eribon beschreibt dieses Phänomen ja treffend in "Rückkehr nach Reims" und erklärt auch dessen Niedergang: Als die linken Parteien aufhörten, sich als proletarisch zu begreifen und alle nur noch zur Mittelschicht gehören sollten bzw. wollten, hatte der trotzige Stolz der 'Leute von unten' kein politisches Gefäss mehr, bis er vom Rechtspopulismus aufgesogen wurde. Für mich ist daher klar: Ohne ein solidarisches Bewusstsein als kollektiv Handelnde, das im gemeinsamen Kampf um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen entsteht, können diejenigen, die in der Meritokratie verachtet werden, ihre Würde nicht zurückgewinnen.

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Gemäss Binswanger ist Meritokratie ein neuerer Begriff, sein Inhalt ist meiner Meinung aber schon im Zürcher Protestantismus ersichtlich: Wer gottesfürchtig lebt wird reich und ist gesellschaftlich geachtet. Dieser Mechanismus ist auch bei (gewissen Schweizer) Nobelpreisträgern zu beobachten, die nach einem Forschungsleben im der stillen Kammer heraustreten und dank ihrer Resultate Macht und Wertschätzung in der Öffentlichkeit beanspruchen.
Das kürzliche Republik-Interview mit jenem Manager, der aufgrund seiner Meriten den EU-Rahmenvertrag bekämpft und dem sich verschiedene Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens angeschlossen haben, bestätigt diese Haltung.

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Mir fällt zu diesem Text Dostojewskis "Raskolnikow" ein. Die Ideologie und Überzeugung dieses jungen intellektuell begabten Protagonisten, legitimiert oder gar dazu berufen ("Übermensch") zu sein, eine seiner Ansicht der Gesellschaft "nutzlose" Person zu ermorden... und zur Hoffnung auch in Bezug auf das im Artikel erwähnnte Phänomen: die im Nachgang zur Tat aufkeimenden Zweifel und Schuldgefühle des Täters....

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Der Begriff der Meritokratie ist eine Cintradictio in adjecto, da ein Verdienst, der in Absicht des Herrschens erreicht wurde, kein gesellschaftsrelevanter Fortschritt ist, und demnach auch kein Verdienst ist. Der Erfolg ist ja schon an sich eine genügende Belognung für das Selbstwertgefühl, es braucht dazu keinen materiellen und politischen Gewinn. Solche Kummulierung macht Ungleichheit brisant

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Das beste, was ich dieser Jahr gelesen habe. Grossartig! Danke!

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Einer der besten Artikel, welcher die Republik hervorgebracht hat und ich selber so nicht in Worte hätte fassen können. "The Rise of the Meritocracy" ist ein Buch, welches ich definitiv lesen werde.

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Retraité
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Ein ganz wichtiges Thema. Besten Dank Herr Binswanger. Ich möchte dazu erwähnen, dass die Meritokratie mit ihrem Leistungszwang auch beträchtliche gesundheitliche Folgen hat: Herz-Kreislauferkrankungen, Sucht, Burnout, narzistisches und psychopathisches Verhalten etc.

Mir kommt unsere Leistungs- und Konsumkultur vor wie ein immer schneller drehendes Hamsterrrad, die viele Leute sehr beansprucht und zugleich zu einer Entleerung der Sinnhaftigkeit des Lebens führt. Wir sind alle nur noch Drohnen, die durch Leistungs- und Sachzwänge am Strampeln gehalten werden.

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Theologe
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Ein Kern des meritokratischen Systems ist: „Ich habe DAS verdient“, was mir dann erlaubt, damit zu machen, was ICH will. Das fungiert als extrinsische Motivation für ganze Lebensentwürfe, eigentlich auf der Basis von Gier - ich will das für mich haben!
Wie kann es gelingen, diesen Ich-Strudel zugunsten von Gemeinwohl zu kehren? Da wäre wohl Grosszügigkeit ein wichtiger Kern. „Was kann ich für andere tun?“ Im Bildungssystem würde sich das so zeigen, dass Wege zur Bildung Kindern grosszügig und auf Vorschuss zugetraut werden, mit grosser Fehlertoleranz und vielen Möglichkeiten, selber mit anderen zusammen co-kreativ Wege zu suchen, und nicht als „Leistung“ einzelner, die mit jedem Zeugnis abgerechnet werden muss.

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Der Begriff der Meritokratie ist eine Cintradictio in adjecto, da ein Verdienst, der in Absicht des Herrschens erreicht wurde, kein gesellschaftsrelevanter Fortschritt ist, und demnach auch kein Verdienst ist. Der Erfolg ist ja schon an sich eine genügende Belohnung für das Selbstwertgefühl, es braucht dazu keinen materiellen und politischen Gewinn. Solche Kummulierung macht Ungleichheit brisant

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Ein sehr wichtiger Artikel zu einem Thema, das mir im Rahmen meiner Forschung (im Bereich der Rechtswissenschaft) immer wieder begegnet. Meritokratische Vorstellungen prägen auch das Recht, z.B. das Staatsbürgerschaftsrecht, das unter die von Daniel Binswanger erwähnten "Selektionsmaschinen" fällt (siehe hierzu den folgenden, im vergangenen Herbst veröffentlichten Aufsatz: http://bit.ly/31JEJS4). Als ich begann, diesen Aufsatz zu schreiben, schien mir das Konzept der Meritokratie absolut plausibel und attraktiv. Meine Recherchen haben mich indessen eines Besseren belehrt. Entgegen meiner ursprünglichen Intuition kam ich - wie z.B. auch der Jurist Daniel Markovits, dessen Buch übrigens sehr beeindruckend und lesenswert ist - zum Ergebnis, dass dieses Ideal höchst problematisch ist und durch demokratische Wertvorstellungen ersetzt werden muss...

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Am Anfang des Textes steht, dass etwas mit den Grundlagen unseres Wertesystems nicht stimmt. Am Schluss wird dann vorgeschlagen, dass der demokratischen Beteiligung als Grundwert mehr Gewicht gegeben werden sollte. Ich glaube nicht, dass dies reichen wird, damit es gut wird. Von Beteiligung und Inklusion wird ständig gesprochen und es ändert sich nichts. Damit ich mit meinem Kommentar nicht nur als Nörgler erscheine, müsste ich einen eigenen Vorschlag machen. Einer wäre zum Beispiel: Wir sollten neu verstehen lernen, was Menschenwürde bedeutet. Als guten Ansatzpunkt sehe ich einen Satz von R. Kipke: "Die Achtung vor der Menschenwürde besteht demnach in der Achtung vor dem Menschen als sinnstiftendem und sinnbedürftigem Wesen".

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