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Danke! Daniel Binswanger! Genau deshalb „R“!

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Das beste, was ich dieser Jahr gelesen habe. Grossartig! Danke!

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DasGenau darum lese und schätze ich die Republik, weil hier Themen weder wie Convenience-Food aufbereitet noch wie Fast-Food serviert werden - davon gibt es heutzutage, und insbesondere im online Bereich(!), schon zu genüge. In der Kürze liegt die Würze vielleicht bei Briefings und Zusammenfassungen, aber nicht in der fundierten Auseinandersetzung mit komplexen Themen.
Die heutige Kadenz an (digitaler) Informationsberieselung macht es für uns zunehmend schwieriger, sich längere Zeit vertieft und konzentriert einer Tätigkeit oder einem Thema zu widmen. Deshalb danke ich der Republik, dass sie uns innerhalb der unterschiedlichsten Themengebieten immer wieder mal Gedankenanstösse und Anlass zu komplexeren Diskursen bietet - Merci!

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Die Glückliche
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Binswanger ist der Meritokrat der sonst eher durchzogenen Redaktion der Republik. 😉

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Einer der besten Artikel, welcher die Republik hervorgebracht hat und ich selber so nicht in Worte hätte fassen können. "The Rise of the Meritocracy" ist ein Buch, welches ich definitiv lesen werde.

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Wow ! Hervorragender Artikel ! Öffnet Augen und Bewusstsein und erklärt vieles, was bisher nicht oder wenig verständlich war. Danke ! Schade, dass stark auf die USA fokussiert. Europa ist kaum anders, und die Schweiz schon gar nicht. Bin echt gespannt, welche Wirkungen diese Einsichten auf Dani Binswanger und seine weiteren Artikel und auf die ‚aufgeklärte Linke‘ haben wird. Müsste eigentlich viele Dogmen stürzen ! On verra !

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Lieber Herr Binswanger,
Sie haben einen langen Artikel geschrieben. Ich erlaube mir eine lange Antwort.
Zunächst hat mich fasziniert, wie das theologische Thema «Rechtfertigung» in einem politischen soziologischen Kontext plausibel gemacht wird. Meritokratie ist der quasireligiöse Mythos, mit dem eine privilegierte Schicht erzählt, dass sie zurecht privilegiert ist. Die Mitglieder dieser Schicht kommen so nicht nur in den Genuss der Privilegien. Sie können zudem auch ein gutes Gewissen dabei haben.

Sodann machen Ihre Ausführungen deutlich, dass sich-gut-fühlen-können ein machtvoller individueller und kollektiver Antrieb ist. Das sich-gut-fühlen hat eine äussere (soziale, ökonomische) Seite und eine innere (Anerkennung, Selbstwertgefühl, Stolz). Wer politisch die innere Seite aus dem Blick verliert, läuft Gefahr, mit dem sozialsten Programm die Seelen der Betroffenen zu verlieren, ja gar zu demütigen. Dass man allerdings die innere Seite politisch erfolgreich bedienen kann, ohne auch die äussere spürbar zu verbessern, ist mir nach wie vor ein Rätsel. Denn - und das stellen Sie ja nicht in Abrede - Anerkennung wird in unseren Gesellschaften fast ausschliesslich finanziell geleistet. So gesehen leuchtet dann ja auch ein, warum sogenannte Leistungsträger das Mehrfache von dem verdienen müssen, was sie je ausgeben können. Umgekehrt ist nachvollziehbar, dass Beifall als Anerkennung der Leistung von Pflegenden nicht genügt. Das befriedigt auch im Innern einen Menschen nicht allzu lange.

Betrüblich fand ich die routinierte Bezugnahme auf Max Weber. Ob er mit seiner Analyse überhaupt recht hat? Umgekehrt gefragt: Steckt in der reformatorischen Position, dass Menschen ihre Würde vor und unabhängig von ihrer Leistung von Gott zugestanden bekommen, nicht mehr Potenzial, als dass man sie mit Weber allzu schnell wieder abräumt? Lohnender wäre, diese Theologie und ihrer Aufnahme in späteren Zeiten würdigen. Immerhin im Schutz kaum leistungsfähiger Mitglieder unserer Gesellschaft hat diese Theologie bis heute weltliche Folgen. Sich gut fühlen zu können, ohne durch eigene Verdienste dies rechtfertigen zu können und auch nicht zu müssen - das leuchtet vielen bezüglich Menschen mit Handicap noch ein. Wenn aber Sandel recht hat, müsste dies das Lebensverständnis gerade der Leistungsfähigen sein. Auch sie sind nicht gut, weil sie etwas leisten. Woher aber wissen sie das? Welche Institution versichert sie ihres Gut-seins? Mir fällt keine nicht theologische Antwort ein.

Eventuell steckt in der von Ina Praetorius vorgetragenen These «Wirtschaft ist Care» (Heinrich Böll Stiftung Bd. 16) ein hilfreicher Ansatz. Es geht dabei nicht bloss darum, den Care-Bereich unserer Wirtschaft aufzuwerten. Es geht mehr noch um eine andere Sicht auf unser menschliches Leben. Die dichotome Ordnung in Oben/Unten oder Geist/Körper und die daraus folgende Verachtung aller mit Leib, Stoffwechsel und Vergänglichkeit verbundenen Lebensaspekte ist lebensfeindlich. Sie wird dem Leben nicht gerecht. Eine Ökonomie, die gemäss ursprünglicher Definition ihre Aufgabe darin sieht, die menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen, würde die herrschenden Verhältnisse notwendig und förderlich durcheinanderbringen. Und so ein Bewusstsein begünstigen, dass alle Menschen vor aller Leistungsfähigkeit zunächst und immer schon Bedürftige sind. Spannend ist dazu dann die Frage, ob ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht die solcher Ökonomie entsprechende Ordnung wäre. Sie brächte ökonomisch zum Ausdruck, dass unser Mensch-sein nicht in unserer Leistung begründet ist.
Vielen Dank für Ihre Arbeit in der REPUBLIK.

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Sehr interessanter Essay, vielen Dank Daniel Binswanger. Aber leben wir zumindest in Europa und in der Schweiz ganz besonders nicht eher einen Mythos der Meritokratie, als die Meritokratie selbst?

An die Macht bringen sich ja doch weniger die wirklich Leistungsfähigen und Befähigten, als vielmehr die Leistungswilligen. Also immer wieder von Neuem diejenigen, die über das Talent und die Bereitschaft verfügen, sich den Regeln, die die Eliten sich zur Reproduktion ihrer selbst gegeben haben, am Elegantesten zu unterwerfen. An „die Spitze“ gelingt man also weniger durch die Erbringung von Leistung, als vielmehr durch die Einhaltung und Reproduktion von Regeln und Strukturen, die suggerieren, Leistung objektiv messen und honorieren zu können. Paradigmatisch dafür sind die „Creditpoints“ an den Universitäten, die den akademischen Nachwuchs zu Buchhalter*innen ihrer eigenen Wissensproduktion gemacht und sie vom forschenden Ethos der Akademien entfremdet haben, der auch immer das Risiko und die Chance in sich tragen sollte, im Sinne eines Anspruchs auf ein zählbares Ergebnis zu scheitern. Es geht also in der gegenwärtigen „Meritokratie“ weniger um die berühmte liberale „Innovation“, die ja auch immer eine Disruptionsgefahr für das jeweils gegenwärtige Herrschaftssystem darstellt, als vielmehr darum, „der Spitze“ möglichst reibungslos und widerspruchsfrei entgegenzukriechen. In diesem Sinne ist dieses gesellschaftliche Ordnungssystem nicht nur konservativ und klassistisch, sondern auch antifeministisch und (mindestens) strukturell rassistisch, weil es das Bisherige so lange wie möglich in die Zukunft verlängern will.

Wir haben es also zumindest diesseits des Atlantiks meiner Meinung nach in der Regel (es gibt natürlich Ausnahmen) weniger mit einer Merito- als vielmehr mit einer Strebokratie elitärer Funktionsempfänger (sie sind in ihrer grossen Mehrheit immer noch männlich) zu tun, die sich sehr elegant als Meritokratie tarnt, weil niemand (oder nur sehr seltene Ausnahmefälle), die oder der es in dieser Scheinmeritokratie bis „nach oben“ schafft oder das zu erreichen hofft, ein Interesse daran oder Lust darauf hat, seinen Leistungsmythos infrage zu stellen. Selbstverständlich werden dementsprechend auch nur jene zu diesen Sucker Games zugelassen, denen man im Allgemeinen zutraut, den Schein zu reproduzieren, tatsächlich auf Grund meritokratischer Verdienste nach oben geklettert zu sein oder dies bewerkstelligen zu können. Das ist wohl das, was gemeinhin mit „Talent“ heute gemeint ist.

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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· editiert

Es ist doch gerade der Witz von Binswanger bzw. Sandel, dass die Meritokratie nurmehr ein Mythos ist, ja immer schon einer war. Dass also Anspruch und Realität auseinanderfallen und womöglich nie zusammenfallen sollten. Sei es in der schweizerischen, europäischen oder nordamerikanischen sog. (neo-)liberalen «Leistungsgesellschaften», die von sozialer Mobilität, Bildungsexpansion und Chancengleichheit reden.

Für Europa hat etwa, wie Jörg Hofstetter weiter unten bemerkte, jüngst Andreas Reckwitz Analysen vorgelegt. Und viel früher noch für Frankreich Pierre Bourdieu.

Doch wenn ich Ihre Kritik richtig verstehe, geht es Ihnen vor allem um die Fundamentalkritik, dass die sog. «Leistungseliten» der (Schein-)Meritokratie nicht – ich würde behaupten nie – progressiv-emanzipatorisch wirken, sondern konservativ-systemerhaltend. Und dass selbst, sagen wir, die Rückbesinnung auf die «alte» Sozialdemokratie der industriellen Moderne durch die Aufwertung des «Werts der Arbeit» und «des Allgemeinen» letztlich nur eines ist: systemerhaltend.

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Super Artikel, Gratuliere!
Habe mich von einer etwas anderen Seite dem Thema angenähert, nämlich über Andreas Reckwitz, Das Ende der Illusionen.
Ein Vergleich Sandel-Reckwitz wäre wohl interessant. Kann jemand was dazu beisteuern?

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Uff, ein solcher Theorievergleich wäre eine Riesenarbeit. In welcher Hinsicht, anhand welches Vergleichspunktes würden Sie beide vergleichen wollen?

Ein grundlegender Unterschied ist aber, dass Sandel als Moralphilosoph einen explizit normativen Ansatz verfolgt, während Reckwitz als Soziologe einen deskriptiven, wobei auch bei ihm normative Punkte anklingen, etwa wenn er am Ende von «Krisen» spricht. That said würde ich jedoch sagen, dass Sandel grosso modo der Beschreibung Reckwitz' folgen würde.

Sandels «Tyranny of Merit» in der Leistungsgesellschaft entspricht Reckwitz' Tyrannei des Wertes in der «Valorisierungsgesellschaft». Bei beiden steht die Status konsumierende neue akademische Mittelklasse des kulturellen Kapitalismus im Zentrum. Und beide sprechen die ähnlichen Polarisierungstendenzen an, welche bei Reckwitz zu einer «Krise des Allgemeinen» und «Ende der Illusionen» (des allgemeinen Fortschrittes) führen und bei Sandel zu einer Krise der Demokratie und «Ende des Gemeinwohls».

Als Moralphilosoph konkretisiert Sandel nun Reckwitz' abstrakter Forderung nach einem politischem doing universality.

Ich hoffe, Ihnen damit wenigstens ein paar Anhaltspunkte gegeben haben zu können.

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Theorievergleich würde tatsächlich zu weit führen ;-)
Ich finde es spannend, dass ein soziologischer und ein moralphilosophischer Ansatz zu ähnlichen Erkenntnissen kommt! - Werde mich wohl demnächst in Sandel einlesen dürfen.
Merci für die Kurzeinschätzung.

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Marco Zaugg
Coach und Prozessbegleiter
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Ein so umfassender und breiter Blick auf eine zentrale Thematik - vielen Dank an Daniel Binswanger! - kann nicht in einen Kurztext verpackt werden. 33 Minuten Lesezeit sind angemessen. Ich schätze es, wenn sich die Republik herausnimmt, auch mal längere Stoffe zu bringen.

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Ich möchte etwas nachschieben: ich hätte gerne nicht nur ein Fairtrade-Label für
Waren aus dem Ausland, sondern ein "Fair entlöhnt Label" für Dienstleistungen im Inland. Wie wär's mit solchen Labeln für "Pflege" und Kinderbetreuung und ähnliche Branchen? Wobei, leider, stelle ich mir grad vor, wie die Einzelnen sich überlegen müssen: zahle ich anständig für... ?oder leiste ich mir... ? bin nicht sicher, ob eine Gerechtigkeitswelle losrollen würde... kommt ja immer auch drauf an, wie man sich und seine gesellschaftliche Position und sein Recht auf ... einschätzt.

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Die traurige Realität ist ja, dass gerade Pflege und Kinderbetreuung schon heute gemessen an einem mittleren Einkommen (geschweige denn einem tieferen) ziemlich viel kosten. Und das, obwohl die Löhne des Pflege- und Betreuungspersonals eher tief und die Arbeitsbedingungen hart sind. Wie kann man also ermöglichen, dass diese Leistungen für alle bei Bedarf zugänglich sind, und das zu fairen Bedingungen fürs Personal? Die Antwort dürfte eher in Richtung 'durch progressive Steuern finanzierte Bereitstellung für alle' (sowie gute Absicherung für Menschen, die Care-Arbeit auf eigenen Wunsch ausserhalb der Lohnarbeit leisten) gehen, denn der individuelle Wunsch, fair zu zahlen, genügt nicht bei Beträgen, die für viele richtig wehtun oder gar nicht aufzubringen sind. Es geht schliesslich um ganz andere Beträge als für Kaffee, Bananen oder Milch.

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Theologe
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Noch vor achtzig Jahren mussten Menschen zunächst mittels Propaganda zu Unmenschen erklärt werden, um dann in Lager gepfercht, in unwürdigen Umständen und an der Grenze allein gelassen zu werden. Ohne Propaganda hätte das einen Aufschrei und eine Solidaritätswelle hervorgerufen.
Heute, in der etablierten Meritokratie reicht es, dass sie es nicht verdienen hierherzukommen. Und sie leben in abgebrannten Lagern, die im Schlamm versinken oder ertrinken in den Fluten. Schulterzucken.
Oder hatten Sie über die Weihnachtstage ernsthafte Schlafprobleme?

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Mich würde ineressieren wie sich die Meritokratie in der Schweiz niedeschlägt. Ich denke die Unterschiede zu den USA sind gross. Persönlich erlebe ich es als ausgesteuerter Arbeitsloser. Ein Versager, der die Leistung nicht gebracht hat. Selber schuld. Arbeitslose und Sozialhilfempfänger werden grundsätzlich als Betrüger angesehen. Hat sich dies wegen der Meritokratie derart fest in unseren Köpfen festgesetzt?

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Theologe
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Diese Verbindung würde ich auch machen. Und zwar wird das auch antrainiert. Wenn ich sehe, wie unsere Kleinen schon ab Kindergarten darauf getrimmt werden, das Priisli zu gewinnen, die meisten Punkte zu holen, nach dem Wettbewerb die meisten Süssigkeiten essen zu dürfen, gute Noten zusätzlich noch mit Geschenken belohnt zu bekommen, in der Freizeit Wettkampfsport zu treiben, eine Miss oder ein Superstar werden zu wollen und dann noch all die Computergames mit Belohnungen, Orden, Levels etc. ... liegt das für mich ziemlich auf der Hand.

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Und doch werden wir kaum ganz ohne (ritualisierte?) Kompetitivität auskommen, oder?

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Bitte führen Sie für die Republik endlich eine Maximal-Zeichenzahl pro Artikel ein. Vielen Dank! Das Thema wäre superspannend, aber ich bin es nicht mehr gewohnt, einen Artikel 32 Minuten lang zu lesen...

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Genau darum lese und schätze ich die Republik, weil hier Themen weder wie Convenience-Food aufbereitet noch wie Fast-Food serviert werden - davon gibt es heutzutage, und insbesondere im online Bereich(!), schon zu genüge. In der Kürze liegt die Würze vielleicht bei Briefings und Zusammenfassungen, aber nicht in der fundierten Auseinandersetzung mit komplexen Themen.
Die heutige Kadenz an (digitaler) Informationsberieselung macht es für uns zunehmend schwieriger, sich längere Zeit vertieft und konzentriert einer Tätigkeit oder einem Thema zu widmen. Deshalb danke ich der Republik, dass sie uns innerhalb der unterschiedlichsten Themengebieten immer wieder mal Anlass zu Gedankenanstossen und komplexeren Diskursen bietet - Merci!

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Alte weisse Frau
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Wie wär‘s damit das wieder zu lernen?

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Seh ich auch so. Dieser ist zu lang geraten.

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Chefredaktion
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Vielen Dank für Ihre Rückmeldung, Herr Heinzer. Wir entwickeln uns entlang Ihren Bedürfnissen, etwas wird aber nie ändern: Dass die Republik in die Tiefe geht. Dann wirds manchmal auch länger. Kennen Sie das Lesezeichen, dass Sie nach einer Pause wieder an die Stelle bringt, wo Sie aufgehört haben?

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Alte weisse Frau
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Für mich war er eher zu kurz, was nun?

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Lieber Herr Heinzer und Herr M. Ich finde es sehr gut, dass Republik unterschiedlich lange und tiefe Artikel schreibt. Ich schätze das sehr v.a. auch die Hilfsmittel wie die jeweils am Beginn angegebene Lesedauer und die Lesezeichen. Dies ermöglicht mir zu entscheiden, wann und wie ich den Artikel lese. Ja natürlich kann dann der Artikel trotzdem länglich sein. Und siehe da, dann habe ich die volle Freiheit den Beitrag nicht fertig zu lesen. Kommt zum Glück selten vor. Ich hätte lieber keine Längenzensur weder durch die Redaktion noch durch Leser und VerlegerInnen. Danke für den Mut zur Länge. Anderes gibt es, so scheint es mir, schon genug im Netz ;-).

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Tiefe ist gut! Aber Länge und Tiefe sind ja oft nicht proportional. Mehr Länge verleitet oft zu mehr Breite.
Haben Sie eigentlich eine Statistik über die Länge der Republik-Texte? Und wissen Sie, ob diese ganz gelesen werden? Ich finde das interessant, weil zu lange Texte ein Magazin elitärer machen.

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Flavio Frei
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Beim Lesen des Artikels musste ich an das folgende Video des Youtube Wissenschafts-Channels Veritasium denken:

Is Success Luck or Hard Work?

Der Host beschreibt darin sehr gut das paradoxe Denken, das seiner Meinug nach zu Erfolg führt:

  1. Man muss glauben, dass man komplette Kontrolle habe und dass Erfolg nur auf den eigenen Talente und der eigenen harten Arbeit basiert.

  2. Man muss wissen, dass dies nicht stimmt, weder für einen selber noch für andere Leute.

Für mich persönlich und bestimmt auch für andere Menschen sind diese zwei Punkte einleuchtend und nachvollziehbar. Was man aber in meinen Augen nicht machen darf ist, Policies (Erlasse, Gesetze etc.) darauf basierend zu entwickeln .

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Danke, Flavio, für den Link! Mir fehlt:

  1. Man muss sagen, dass man komplette Kontrolle habe und dass Erfolg nur auf den eigenen Talente und der eigenen harten Arbeit basiert.

Genau dies wird ja in (neoliberalen) Leistungsgesellschaften wie der unseren gemacht: In privater wie politischer Kommunikation wird dies und das Gegenteil – für Misserfolg und schlechter Stellung ist jede*r selbst schuld – behauptet. Um mit dieser Werthaltung und entsprechender Politik die Stellung der Erfolgreichen zu legitimieren und zu stabilisieren. Sowie um nichts oder so wenig wie möglich mit den «Anderen» zu teilen.

Das Wissen um die Unwahrheit wird vor Anderen geheim gehalten, mehr und mehr ausgeblendet, ja verdrängt. Bis man die Unwahrheit selbst beginnt zu glauben und fortan im Selbstbetrug, in der Unaufrichtigkeit (frz. mauvaise foi) lebt. Und mit der Kommunikation und Politik alle anderen dazu bringt, sich ebenfalls selbst zu betrügen.

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Die Glückliche
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Das stimmt so nicht. Ich gebe immer "Glück" als wichtigster Grund für meinen Erfolg an. Und viele andere tun das auch.

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Beim Durchlesen der Dialogbeiträge sind mir Fragen nach einem Bezug des Artikels zur Situation in der Schweiz wie auch Diskussionen zum Einfluss des IQ in Bezug auf den Bildungs- wie auch später auf den Berufserfolg aufgefallen.
Seit Jahren beschäftigt mich die meritokratische Entwicklung in der Gesellschaft und den Einfluss einer solchen Gesellschaft auf die Entwicklung und den Bildungserfolg von Schülern. Auch habe ich bis heute keine Antwort auf meine Frage gefunden, wie Integration/Inklusion in einem selektiven Schulumfeld/in einer meritokratischen Gesellschaft nachhaltig funktionieren kann/soll, wenn nicht Werte wie Respekt, Achtung, Würde als Basis für jegliches Zusammenleben und für jegliche Leistung vorausgesetzt werden.

Statt einer persönlichen Stellungnahme möchte ich den Klappentext einer grösseren Langzeitstudie (Universität Freiburg, CH) zu diesem Thema zitieren. Diese Langzeitstudie wurde schon 2007 veröffentlicht, hat mich schon damals nachhaltig beeindruckt und ist heute im Zeitalter von Integration/Inklusion, der massiven Zunahme von Homeschooling und teuren Privatschulen in der Schweiz aktueller denn je. Die Situation hat sich meines Erachtens in den letzten 10 Jahren eher verschärft als verbessert.

Prof. Dr. phil. Winfried Kronig, «Die systematische Zufälligkeit des Bildungserfolgs. Theoretische Erklärungen und empirische Untersuchungen zur Lernentwicklung und zur Leistungssteigerung in unterschiedlichen Schulklassen» Hauptverlag 2007

«Was unterscheidet die guten von den schlechteren Schülern? Weit weniger, als man annehmen müsste, ist der Bildungserfolg nur das Ergebnis von individuellen Fähigkeiten und persönlicher Anstrengungsbereitschaft. Er scheint auch das Produkt von Privilegien und von Zufällen zu sein. Die dargestellten empirischen Resultate irritieren. Sie belegen, dass die schulische Selektion, die Leistungsbewertung und sogar die Leistung selbst massgeblich von Faktoren jenseits der individuellen Kontrolle bestimmt werden.
Aus dem empirischen Datenmaterial einer grösseren Längsschnittstudie werden Fragen zu den Auswirkungen von Heterogenität, zur Leistungssteigerung und zu den kompensatorischen Wirkungen der Schule, der Schulklasse als Lernbedingung, zum Einfluss von Leistungserwartungen und zu den Tücken der Leistungsbewertung und der Bildungsselektion bearbeitet.
An verschiedenen Stellen der untersuchten Bildungssysteme zeigen sich empirische Auffälligkeiten. Möglicherweise sind sie das Resultat einer Schule, die gleichzeitig den ideellen Wert und den instrumentellen Nutzen von Bildung anbieten muss.»

Das Buch ist noch heute lesenswert...

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"Elite-Uni"-Student
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Ausgezeichneter Artikel. Dafür habe ich die Republik abonniert. Ich musste den Artikel ausdrucken und langsam, mit Zeit lesen. In diesem Fall finde ich das gut - die Ideen hatte ich auf solche Weise nie genau zusammengebracht. Vielen Dank.

Bezüglich des Schweizer Systems: so weit wie in den USA sind wir (noch) nicht. Wir müssen aufpassen, nicht in deren Fussstapfen zu treten.

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Am Anfang des Textes steht, dass etwas mit den Grundlagen unseres Wertesystems nicht stimmt. Am Schluss wird dann vorgeschlagen, dass der demokratischen Beteiligung als Grundwert mehr Gewicht gegeben werden sollte. Ich glaube nicht, dass dies reichen wird, damit es gut wird. Von Beteiligung und Inklusion wird ständig gesprochen und es ändert sich nichts. Damit ich mit meinem Kommentar nicht nur als Nörgler erscheine, müsste ich einen eigenen Vorschlag machen. Einer wäre zum Beispiel: Wir sollten neu verstehen lernen, was Menschenwürde bedeutet. Als guten Ansatzpunkt sehe ich einen Satz von R. Kipke: "Die Achtung vor der Menschenwürde besteht demnach in der Achtung vor dem Menschen als sinnstiftendem und sinnbedürftigem Wesen".

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Ohne den R-Verlegerinnen und R-Verlegern nahe treten zu wollen, liegt für mich die Ironie der meisten fast ausnahmslos intelligenten Beiträge darin, dass deren Verfasser*innen zur meritokratischen Gesellschaftsschicht gehören, ohne unterstellen zu wollen, dass sie ein meritokratisches Leben führen. In der Reflexionsfähigkeit der meritokratischen Schicht liegt vielleicht die Chance der Überwindung, auch wenn wenig Hoffnung dafür besteht - siehe:
Mediocrity Is Now Mandatory By Andy Kessler
From stimulus to school admissions, leaders act as if ease is the only worthy goal: Don’t stand for this [mediocrity] because when everyone gets a trophy, no one gets a trophy. Push for excellence.

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Hier liegt der Trugschluss auch des Artikelschreibers. Gegen Eliten spricht eigentlich nichts, sofern sie's richtig machen im Sinne der Mehrheit der Bevoelkerung. Oft glauben die fuehrenden Leute eben nur sie koenntens, koennens dann aber doch nicht. Wie hier bei der Pandemie zu betrachten ist, wurden die falschen Leute damit beauftragt. Resp sie werden/wurden nicht unterstützt. Unter Anderem ist Planung nicht deren Ding. Leider ueberhaupt nicht.

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Spannendes Thema, ich habe hier ja schon einige male in der gleichen Stossrichtung argumentiert - was mir etwas fehlt ist der Praxis-Bezug, sowie der Bogen zur Dienstleistungsgesellschaft in die wir gerade mit Vollgas reinschlittern.

Ein Haupttreiber für diese Entwicklung ist die ökonomische Effizienz. Grundsätzlich ist es effizienter wenn die "Elite" vom ungeliebten Alltag entlastet wird: Kochen, Putzen, Betreuung von Kindern und Alten. Aber ist das auch gerecht und fair?

Egal wie diese Tätigkeiten gesellschaftlich organisiert und honoriert werden, letztendlich sind sie immer weniger wert und würdig. Denn ihr einziger Zweck ist, der Elite mehr von den wichtigeren Tätigkeiten zu ermöglichen. Lebenszeit für Lebenszeit.

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Dass Kochen, Putzen, Betreuung von Kindern und Alten immer weniger wett sind, ist keinesfalls zwingend. Auch unter den 'Eliten' gibt es diese Arbeitsteilung ja auch, ein begnadeter Organisator als Firmenchef wird sich für die Aufarbeitung seiner Statistiken an einen Mathematiker wenden und seine Software von Informatikern entwickeln lassen, ohne diese Berufszweige abzuwerten. Das Abwerten der 'einfacheren' Tätigkeiten ergibt sich aus dem Machtgefälle. Es gibt viele, welche sich zutrauen zu Putzen, viele welche sehr gerne Kinder betreuen, etc. Durch dieses 'Überangebot' bzw. die Auswechselbarkeit der Dienstleister kann der Auftraggeber den Lohn drücken und die Arbeitsbedingungen diktieren.
Dieses Machtgefälle zu egalisieren wäre die Aufgabe des Staates, das Mittel dazu wäre ein Grundeinkommen, welches die Menschen vom Zwang erlöst sich auf dem Arbeitsmarkt zu verdingen. Nur wer mehr Komfort, mehr Luxus oder mehr Exklusivität anstrebt, muss sich um Lohnarbeit bemühen.
Ungeliebte Arbeiten wie das Putzen würden so wahrscheinlich extrem aufgewertet und auch für Gutsituierte fast unerschwinglich, was vermutlich in Automatisierungsbemühungen münden würde und letztlich günstige Putzroboter und eine automatisierungsfreundliche Wohnungsinfrastruktur zur Folge hätte.
Bei an sich beliebten Tätigkeiten wie Pflege und Betreuung würde sich vielleicht eine Entspannung einstellen, da die effektiven Lohnkosten ja sinken würden und sich nur mit anständigen Arbeitsbedingungen genügend Freiwillige rekrutieren lassen.
Wirtschaftsbeziehungen sind keine Naturgesetze, sie lassen sich immer beeinflussen. Man muss das nur wollen.

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Das Grundeinkommen ist eine schöne Idee, leider übersteigt das Thema mein heutiges Diskussionszeitbudget ;-)

Auch unter den 'Eliten' gibt es diese Arbeitsteilung ja auch, ein begnadeter Organisator als Firmenchef wird sich für die Aufarbeitung seiner Statistiken an einen Mathematiker wenden und seine Software von Informatikern entwickeln lassen, ohne diese Berufszweige abzuwerten.

Dies sind Tätigkeiten welche der Firmenchef mangels Fähigkeiten nicht selbst ausführen kann. Ich denke nicht, dass man das vergleichen kann.

Das Abwerten der 'einfacheren' Tätigkeiten ergibt sich aus dem Machtgefälle. Es gibt viele, welche sich zutrauen zu Putzen, viele welche sehr gerne Kinder betreuen, etc. Durch dieses 'Überangebot' bzw. die Auswechselbarkeit der Dienstleister kann der Auftraggeber den Lohn drücken und die Arbeitsbedingungen diktieren.

Sie weichen hier von zentralen Aussagen des Essays ab - keine Wertung, bloss eine Feststellung meinerseits.

PS: Fremde Kinder zu betreuen dürfte bei weitem nicht so beliebt sein wie Sie sich das vorstellen. Für viele Frauen ist dieser Job im Moment eine Notlösung oder ein Zwischenstopp, keine erfüllende Lebensaufgabe.

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Der Beitrag ist ausschliesslich auf das amerikanische System bezogen. Die erwähnten Universitäten sind privat. Entgegen den unterschobenen Anmerkungen können auch Kinder einfacher Leute dort studieren. Denn mittellosen Hochbegabten können die exorbitanten Studiengebühren erlassen werden.
Bei uns kann eigentlich jeder an eine Eliteschule, unabhängig vom Einkommen der Eltern. Die Korrelation der Klasse basiert auf einem einfachen Mechanismus. Hochgebildete haben ein erhöhtes Einkommen. Sie wissen und handeln auch danach, dass man die Kinder in der Jugendphase nicht mit dümmlichem Verhalten (genannt Zoff/Stress) von der Bildung abhalten soll, sondern eher motivieren soll.
Grundsätzlich macht es Sinn in einer Gesellschaft jenen das Bestimmen zu überlassen welche etwas können. Die Diskussion beginnt bei der Definition von "etwas können". Dies wird in der Tat nicht ganz optimal, aeh, verbesserungswürdig, durchgeführt, resp eben nicht. Bei uns sind's vorherrschend Solche, welche ein Studium ohne wirtschaftliche oder technologische Relevanz haben.
Edit. Das kam aber schlecht an... Ich verstand den Text nicht als eine Ode an Politiker, welche eine unendliche Fülle an alternativen Fakten und Realitäten hervor zaubern.

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(durch User zurückgezogen)

Bitte lesen Sie "American Foreign Policy" von Noam Chomsky und denken Sie darüber nach... Danke

American Foreign Policy - Noam Chomsky (Delivered at Harvard University, March 19, 1985):
https://chomsky.info/19850319/

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Die Analyse von Sandel bzw. Binswanger bezieht sich explizit auf die USA. Implizit bringt aber Binswanger zum Ausdruck, die Meritokratie betreffe die ganze Welt. Als Schweizer frage ich mich deshalb besonders, wie es sich bei uns verhält, und komme dabei zu einem anderen Ergebnis. Wenn die USA für das Universitäts¬jahr 2014/2015 162 Milliarden Dollar für das Studium auf College-Stufe, für die jährlichen Bundes¬ausgaben für berufs¬begleitende Ausbildung dagegen nur 1,1 Milliarden jährlich ausgaben, ist das Verhältnis bei uns deutlich anders. In der Schweiz hat die Berufsbildung bekanntlich einen hohen Stellenwert. Binswanger beschreibt ein Problem, das es bei uns so nicht gibt, und folgt einem allgemeinen Trend. Empörungswellen wegen Rassismus, Sexismus etc. oder eben Meritokratismus beginnen in der Regel in den USA, werden dann auch in die Schweiz gespült und hier unbesehen aufgenommen. Sicher haben auch wir Probleme, aber nicht diejenigen der USA. Um unsere Probleme sollten wir uns kümmern, auch wenn es angenehmer ist, sich mit fremden zu beschäftigen.

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Vielen Dank Herr Binswanger für diesen grossartigen und meiner Meinung nach sehr wichtigen Beitrag!

Im Bezug zu ihrem Essay sehe ich Parallelen zu unserem Schweizer Bildungssystem.
Im Hinblick Berufswahl, geniessen da die akademischen Fächer gegenüber den „handwerklichen“ und „musischen“ seit je her an stärkerer Beachtung.
Und auch da wird diese Ungleichheit einfach so hingenommen!
Wie kann denn jemals ein gesundes Gleichgewicht der Werte/Kräfte und Talente in unserer Gesellschaft existieren, wenn schon während der Schulbildung dafür gesorgt wird, dass diese sich nicht gleichberechtigt entfalten können?

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Nun, die Faecher sind nicht gleichwertig. Die sogenannt musischen Faecher sind eher fuer das Toechterchen/Soehnchen um eine schoene Zeit zu haben, bis sie die Firma der Eltern uebernehmen koennen. Diese Faecher generieren als Beruf sonst nur kleine Loehne fuer Ausnahmefaelle. Ein Hobby in so einem Fach ist eine tolle Sache zum Ausgleich.

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Guten Tag Herr B.,
Ich selber übe einen musischen Beruf aus. Dabei habe ich sehr wohl das Gefühl, eine sinnvolle Tätigkeit auszuüben.
Meine Kinder sind nicht alle gleich veranlagt. Einer ist eher praktisch orientiert, möchte gerne mit den Händen arbeiten, zwei davon auch eher musisch und einer wird wahrscheinlich mal ein akademisches Studium angehen. Alle vier haben gleiches Recht, in ihrem bevorstehenden Beruf glücklich und auf dem Weg dorthin gleichwertig behandelt zu werden.

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Märchentante*onkel
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Die Lesbarkeit des Artikels würde allenfalls auch noch etwas gesteigert, wenn statt von von Hayek von Hayek geschrieben würde, das von von von Hayek verwirrt etwas.
Noch zum Inhalt:
Es erstaunt, dass der Harvard-Professor mit Balliol Oxford Abschluss sich dermassen kritisch über die Meritokratie und die Institutionen der Ivy League äussert. Es kommt mir so vor, wie wenn ein Koch im Restaurant mir sein Menu serviert mit der Bemerkung, dass es übrigens ungeniessbar sei und mir garantiert Magenschmerzen verursachen werde. Es mag ja ungeniessbar sein und Magenschmerzen verursachen, aber wieso ist er dann Koch in diesem Restaurant?
Ok, er will die Institutionen von innen heraus verändern. Oder er will, dass wir Lesenden die Institutionen verändern, er selbst verändert sie ja nicht durch seinen Diskurs, hingegen legitimiert er sie mit etwas hofnärrischem Beigeschmack.
Es liegt letztlich im Auge der Betrachterin, wieviel Wertschätzung sie einer Tätigkeit entgegenbringt. Sie ist frei, aus intellektuell abgehobener Perspektive eine handwerkliche Leistung als wertloses Produkt eines Losers zu interpretieren oder die Leistung für das ihr zugrunde liegende Können als ihren meritokratiekritischen Gedankengängen ebenbürtig oder gar gesellschaftlich wertvoller einzuschätzen. In gegenseitigem Respekt liesse es sich eigentlich gut leben, wenn die Verteilfrage so gelöst würde, dass keine Tätigkeit in finanzieller Hinsicht mehr als zehn mal soviel wert ist und alle Ausbildungstätigkeiten gleichermassen gefördert werden (Das Volksbegehren 12:1 wurde 2013 mit 65% Nein-Stimmen abgelehnt, vermutlich störten sich die Leute daran, dass 12:1 zuviel Lohnungleichheit ist;)).

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Danke Herr Binswanger für Ihren Beitrag und das Auslösen dieser angeregten Diskussion, die übrigens auch in den Unternehmen angesichts der "Agilisierung" immer aktueller werden wird.
Man müsste wohl, um die Formen von "Meritokratie" noch besser zu verstehen, auch kulturelle Grundprägungen zu Rate ziehen, z. B. in den USA: Individualismus, Universalismus, Utilitarismus und Kompetitivität. Diese könnten auch eine Erklärung für die Mischung von rein meritokratischen (z. B. reine, individuelle Leistung) mit nicht-meritokratischen (Abgang von Elite-Universität verschafft entsprechende Privilegien) sein, die hier verschiedene Beiträge ansprechen, wie auch die Fokussierung auf materielle Vorteile im zukünftigen Leben.
Das Wichtigste scheint mir aber, dass gerade uns gerade hier in dieser Diskussion bewusst sind, dass wir uns in einer Art von Diskurs bewegen, der von weniger gebildeten und abstrakt denkenden Menschen vielleicht gar nicht verstanden oder evtl. nicht als relevant gesehen würde. Der moralische Appell, die Würde z. B. aller Berufsarten und Bildungsgrade anzuerkennen, wird nicht ausreichen. Wie können wir selber in unserem direkten Umfeld dazu beitragen? Zum Beispiel wenn unsere Kinder eine Lehre absolvieren möchten, obwohl sich es auch ins Gymnasium schaffen könnten? Wie reagieren wir dann? Und wie, wenn eine Person, die es weniger "verdient" hat, anstelle von uns selber befördert wird?

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Herr P.,
ich finde es interessant, dass Sie die „Agilisierung“ erwähnen. Können Sie das noch etwas ausführen? Ich sehe den Zusammenhang noch nicht, habe aber das Gefühl, dass da einer sein könnte. Spannend zum Beispiel ä, dass unter dem Titel „agil“ ja häufig Disruptives in Aussicht gestellt wird - es dann aber möglicherweise doch nur dem Statuserhalt der „Next Generation Meritokraten“ dient. Wie sehen Sie das?

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IP - Suisse - Bäuerin
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· editiert

Die Frage der Wertschätzung, die kein Lippenbekenntnis bleibt, stellt sich mir auch schon seit langem. Eine Antwort, die mir dazu eingefallen ist und die noch weiter ginge als ein Grundeinkommen, ist sehr radikal, eigentlich eine Utopie: Die Menschheit müsste sich als Gemeinschaft betrachten, wo alle für alle verantwortlich sind, genau wie in einer Familie. Dann könnte man das Geld abschaffen und auch jeglichen Tauschhandel und andere Werte würden wichtig. Sicherlich gibt es dazu auch schon Überlegungen von Philosophen etc.?

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Theologe
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Ein Kern des meritokratischen Systems ist: „Ich habe DAS verdient“, was mir dann erlaubt, damit zu machen, was ICH will. Das fungiert als extrinsische Motivation für ganze Lebensentwürfe, eigentlich auf der Basis von Gier - ich will das für mich haben!
Wie kann es gelingen, diesen Ich-Strudel zugunsten von Gemeinwohl zu kehren? Da wäre wohl Grosszügigkeit ein wichtiger Kern. „Was kann ich für andere tun?“ Im Bildungssystem würde sich das so zeigen, dass Wege zur Bildung Kindern grosszügig und auf Vorschuss zugetraut werden, mit grosser Fehlertoleranz und vielen Möglichkeiten, selber mit anderen zusammen co-kreativ Wege zu suchen, und nicht als „Leistung“ einzelner, die mit jedem Zeugnis abgerechnet werden muss.

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Dorian Mittner
wohlwollend kritisch
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Ich habe bisher oft nicht die richtigen Worte gefunden, um mein Unbehagen auszudrücken, wenn (auch linksliberal denkende) Menschen politisch-korrekt von "bildungsfernen Schichten" sprechen, um im nächsten Atemzug soziale Ungleichheiten zu rechtfertigen und bestehende Machtverhältnisse zu zementieren. Dieser Artikel hat mir die komplexen Zusammenhänge hinter dieser Denkweise aufgezeigt und die passenden Argumente für solche Situationen mitgegeben. Vielen Dank!

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Ein sehr wichtiger Beitrag, wieder ein Beitrag, der für sich alleine das Republik-Abo bezahlt macht.
Schade finde ich, dass die enorme Informationsbombe nicht strukturiert wurde und möglicherweise viele Leser unterwegs verlorengingen. Das Thema hätte es verdient, in mundgerechtere Stücke einer Serie unterteilt zu werden. Fleisch am Knochen für eine Serie hätte es auf jeden Fall mehr als genug.
Ich finde, dass wir die Meritokratie nicht mit dem Bad ausschütten müssen. Aus zwei Gründen:

  1. Ich finde, dass das Problem nicht ist, dass es die Meritokratie gibt. Sondern die disproportionale Entschädigung (finanziell und in gesellschaftlicher Anerkennung) der "gesellschaftlich und wirtschaftlich Leistungsfähigen". Denn es geht dabei heute nicht mehr hauptsächlich um harte Arbeit. Die "Leistungsfähigkeit" beruht auf Kompetenzen, die man unverdient erhalten hat: Durch die genetische Ausstattung, durch ein günstiges soziales Umfeld.
    Dass dies geht, zeigen die skandinavischen Staaten. Deren egalitäre soziale Struktur geht nicht zulasten ihrer gesellschaftlichen, staatlichen und wirtschaftlichen Leistungsbilanz. Ganz im Gegenteil.

  2. Ich teile die Meinung von Sandel nicht, dass man in einem Jahrgang Akademiker kaum mehr nach "wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Leistungsfähigkeit" selektionieren kann und besser auslost, wer die verantwortungsvollen Stellen erhält. Meine Erfahrung ist, dass der Talentpool für die Besetzung von Spitzenstellen sehr knapp ist und es für die Leistungsfähigkeit von Firmen und Institutionen sehr stark auswirkt, ob sie die guten Leute erkennen und kriegen. Das Problem ist, dass diese Kompetenz durch den IQ und schulische/akademische Qualifikationen nur sehr unzureichend abgebildet werden und das Bildungssystem auf allen Stufen sich dagegen wehrt, andere Kompetenzen in seinen Kanon aufzunehmen. Auch eine Form von Bildungsdünkel.
    Und zum Schluss: ich hoffe, dass wir Linken (ja, ich zähle mich noch dazu) den Aufruf, über unseren Bildungsdünkel nachzudenken, ernst nehmen. Im ureigensten Interesse.

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Spannender Artikel und auch interessanter Input Herr R. Danke. Was Sie in Ihrem 2. Punkt ansprechen, in dieser interessante Leserdiskussion jedoch noch kaum angesprochen wurde, ist eine gesellschaftliche Definition von Intelligenz. Weshalb bloss glauben wir, dass der IQ dies auch nur einigermassen „richtig“ oder ganzheitlich abbildet"? Ist es nicht viel mehr so, dass dieser sehr einseitig Begabungen wiedergibt? Wie steht es denn um Empathie, emotionale Intelligenz, soziales Denken, Fairness anstatt Logik. Ich arbeite im IT-Umfeld und für mich ist es gruselig zu sehen, wie oft rein logisch rationale und oft leider auch emotionslose analytische Talente gesucht werden und fördern. Leider finden wir dies gerade auch im Management und Top Management in den letzten Jahren immer ausgeprägter (nicht nur in der IT...). Passt wunderbar zur Mediokratie. Wir können so auch dieses Algorhythmus-verherrlichende Business Denken so schön einordnen. Konklusion: Lassen wir uns doch gerade beim Anstellen von Talenten nicht von Elite Unis und MBA Zertifikaten leiten sondern von unserer Lebenserfahrung und unserem gesunden Menschenverstand. Niemand hindert uns daran. Übrigens ein fundamentaler Vorteil den KMU Unternehmen gegenüber globalisierten Konzernen haben. Ja damit ist die Mediokratie Herausforderung nicht gelöst aber wir können konkret handeln.

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Stimme völlig zu. Und nehme den Steilpass gerne auf.
Genau, ich finde, IQ und Schulnoten völlig unzureichend für die Beschreibung von zukünftigen Spitzenkräften. Und würde das jederzeit illustrieren mit Beispielen von Klassen, den Noten der Schüler/Studenten und dem jeweiligen individuellen Karriereverlauf.
Sie geben eine gute Auswahl möglicher anderer wesentlicher Qualitäten, ich hätte auch die genannt. Jetzt: Warum sollen Schulen und Unis nicht auch versuchen, diese in ihre Beurteilung und in den Kanon der auszubildenden Kompetenzen aufzunehmen? Die Behauptung, dass diese nicht lernbar oder zumindest durch Ausbildung verbesserbar ist, ist unbewiesen und auch widerlegbar.
Die Schulen und Unis machen das im eigenen Interesse. Denn mit der jetzigen Haltung "ist kein Schulstoff" bewegen sie sich Richtung Irrelevanz.

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Äusserst interessant (wenn auch für die untere Hälfte der beschriebenen Meritokratie-Gesellschaft schwer zugänglich beschrieben - dergestalt, dass ich mich über meinen eigenen "Merito-Status" zu fragen begann...)
Solange es um die beschriebenen "Meriten" geht und die Chancen, innerhalb des Bildungssystems besser "ausgerüstet" zu werden, in der Gesellschaft auch ohne akademische Titel gut mitzuschwimmen, wäre das Schweizer Bildungssystem vergleichsweise gut aufgestellt (und hat sich sogar in den letzten 20 Jahren noch verbessert).
Nur ist die fatale Aura der akademischen Bildung auch in unserer Gesellschaft stark wirksam. Als ehemaliger Lehrer spürte ich das früher in den Elterngesprächen: "Ohne Uniabschluss bist du nichts" - was nach meiner Erfahrung eben gar nicht stimmt.
Zwei sehr konkrete eigene Erlebnisse konnte ich dabei jeweils ins Feld führen:
Als wir unser Badezimmer im Neubau einrichteten, besprach der 22jährige Angestellte der Sanitärbude allein auf Augenhöhe mit dem künftigen Wohnungsbesitzer Details der Ausgestaltung.
Beim Mittagessen in der Landbeiz hörte ich, wie am Nebentisch zwei Handwerker sich lustig machten über die "Eier", die sie dem arroganten Professor in seinem Neubau "legten" - dessen ganze universitäre Bildung nützt ihm hier nichts, wenn er nicht zusammenarbeiten kann mit andern Schichten...

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Mir fällt zu diesem Text Dostojewskis "Raskolnikow" ein. Die Ideologie und Überzeugung dieses jungen intellektuell begabten Protagonisten, legitimiert oder gar dazu berufen ("Übermensch") zu sein, eine seiner Ansicht der Gesellschaft "nutzlose" Person zu ermorden... und zur Hoffnung auch in Bezug auf das im Artikel erwähnnte Phänomen: die im Nachgang zur Tat aufkeimenden Zweifel und Schuldgefühle des Täters....

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Sehr spannend, habe selten einen so guten Artikel gelesen! Danke Daniel Binswanger :)

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Ich begrüsse es sehr, dass Meritokratie in der Republik zum Thema wird. Definitionen, Erklärungsansätze und Lösungsvorschläge dazu sind offensichtlich sehr vielfältig. Mich erstaunt, dass in diesem Essay von D. Binswanger und in den vielen Beiträgen der LeserInnen nie die Rolle der Intelligenz (gemessen als IQ) thematisiert wird. In der sehr umfassenden empirischen Intelligenzforschung ist inzwischen ausreichend belegt, dass Unterschiede in kognitiven Fähigkeiten bis zu 80% erblich bedingt sind und nach der Kindheit nur sehr limitiert verändert oder verbessert werden können. Eindrücklich sind die breiten Studienergebnisse zu den Auswirkungen von Intelligenzunterschieden auf Bildungsniveau, berufliche Karieren, Lebensgestaltung, Gesundheit, Lebenserwartung usw. (siehe z.B. Warne: In the Know). Leider scheint dieser Aspekt fast ein Tabu zu sein, obwohl oder vielleicht gerade deshalb, weil darin z.B. aufgezeigt wird, dass Leistung und Erfolg nicht in erster Linie 'verdient' sind, sondern überwiegend auf genetischem 'Glück' basieren. Intelligenz wird in der postmodernen Gesellschaft immer wichtiger und die dadurch bestehenden Ungleichheiten erhalten mehr Gewicht. Vielleicht könnte eine eingehende Beschäftigung mit den Ergebnissen der Intelligenzforschung einen Beitrag leisten zum Verständnis von Meritokratie und zu sinnvollen Lösungsansätzen, allenfalls mehr als religiös-moralische Konzepte wie 'Gnade' usw.

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Intelligenz zu 80% erblich? Können Sie mir Ihre Quellen angeben?

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Gerne. Eine verlässliche Quelle ist sicherlich das Buch von E. Stern (ETH-Professorin) und A. Neubauer: Intelligenz - Grosse Unterschiede und ihre Folgen.
Darin sind auch andere Themen zur Intelligenz abgehandelt wie z.B. der Zusammenhang von IQ und 'Emotionaler Intelligenz' oder wie heute der IQ objektiv gemessen werden kann.
Eine andere Quelle wäre das bereits erwähnte Buch von R.T. Warne: In the Know: Debunking 35 Myths about Human Intelligence. Hier sind die üblichen Vorurteile/Mythen zu Intelligenz systematisch dokumentiert und den wissenschaftlichen Fakten gegenübergestellt.

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Mir kam bei diesem Artikel auch ganz schnell Elsbeth Stern in den Sinn, die eine Selektion nach Intelligenz an den Gymnasien als völlig selbstverständliches Ideal voraussetzt. Ich nehme an, die 80% beziehen sich auf eine Situation mit wenig Variation in der Umwelt? Die Erblichkeit tritt natürlich stärker hervor, wenn für alle Menschen die gleichen Bedingungen gelten, was ja gerade (die wichtigste) Grundlage der Meritokratie ist.
Ich bin mir selbst nicht einig darüber, ob eine Hackordnung nach Verdienst oder eine nach Intelligenz für die Unterlegenen unangenehmer ist. Gesellschaftliche Spannungen lassen sich so nicht vermeiden.

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Der "erreichte" IQ hängt auch davon ab, ob die Messung zum "Opfer" (pardon: "Probanden") passt. Die Messinstrumente sind von Vertretern einer bestimmten Schicht entwickelt worden und messen die geistige Leistungsfähigkeit innerhalb der Ansprüche dieser Schicht. Das darf man nicht vergessen.

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Dieses Vorurteil und damit die Verurteilung von IQ-Messungen ist leider immer noch verbreitet. Die Fakten und die strengen legalen Vorschriften bei der Entwicklung und beim Einsatz von IQ-Tests sprechen eine ganz andere Sprache !
Mehr dazu siehe R.T. Warne: In the Know: Debunking 35 myths about Human Intelligence oder das Buch der ETH-Professorin E. Stern und A Neubauer: Intelligenz - Grosse Unterschiede und ihre Folgen.

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Ich hatte etwas Mühe in der Länge des Essays die Konzentration aufrechtzuerhalten und die wichtigsten Erkenntnisse zusammenzufassen. Zudem fehlt mir der Bezug zur Schweiz - aber vielleicht habe ich das schlicht überlesen oder nicht begriffen.
Auf jeden Fall ein sehr erhellender und gleichzeitig sehr nachdenklich stimmender Beitrag. Vielen Dank.

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Geschäftsführerin
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Die Währungen der Meritokratie: Geld (Bonus), Statussymbole (Titel, Penthouse, Firmenparkplatz, technische Gadgets), Diplome (auch wenn sie nicht wirklich Kompetenz belegen), der richtige Pass (Eu-Pässe kann man auch kaufen, wenn man will).
Menschen, denen all das fehlt, werden es in einer durchdigitalisierten Welt noch schwerer haben, da man kaum irgendwo noch mit richtigen Menschen sprechen kann, um auf seine Not hinzuweisen...

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Ein sehr erhellender Artikel. Vielen Dank dafür. Ich musste mehrfach an das bedingungslose Grundeinkommen denken, es würde mich interessieren wie Sandel es bewerten würde.

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Funnily enough sprach Michael Sandel am WEF 2017 u. a. mit dem bekannten Ökonomen und UBI-Befürworter Guy Standing zu diesem Thema. (Hier zum Video)

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· editiert

Vielen Dank für diesen scharfsinnigen Essay, Herr Binswanger. Das Einzige, was mir darin - und damit auch in Sandels Buch? - fehlt, ist eine explizite Behandlung der ArbeiterInnenbewegung. Rawls Linksliberalismus, der hier als Gegenentwurf zum Neoliberalismus ins Feld geführt wird, ist ja historisch gesehen auch eine bürgerliche Ideologie. Aber im 19. uns 20. Jahrhundert waren es explizit nicht bürgerliche Parteien, Gewerkschaften und Genossenschaften, die es gerade den Geringqualifizierten erlaubten, sich als gemeinsam Handelnde, als Subjekte der Geschichte zu begreifen. Mein Ursgrossvater etwa, 'simpler' Bauhandlanger, zog seinen trotzigen Stolz aus diesem Klassenbewusstsein. Didier Eribon beschreibt dieses Phänomen ja treffend in "Rückkehr nach Reims" und erklärt auch dessen Niedergang: Als die linken Parteien aufhörten, sich als proletarisch zu begreifen und alle nur noch zur Mittelschicht gehören sollten bzw. wollten, hatte der trotzige Stolz der 'Leute von unten' kein politisches Gefäss mehr, bis er vom Rechtspopulismus aufgesogen wurde. Für mich ist daher klar: Ohne ein solidarisches Bewusstsein als kollektiv Handelnde, das im gemeinsamen Kampf um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen entsteht, können diejenigen, die in der Meritokratie verachtet werden, ihre Würde nicht zurückgewinnen.

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Die Arroganz der "Erfolgreichen" ist weit verbreitet. Klar, man darf ruhig Stolz sein auf sein Erfolg, wenn man etwas aus seinen glücklichen Umständen gemacht hat. Jedoch ist schlicht dumm zu meinen, Erfolg sei vollständig selbsverschuldet. Soziales Umfeld, Geburtsort, Gesundheit, geistige Fähigkeiten bestimmen wesentlich den Erfolg. Reiner Zufall. Wenn ich jeweils "Arroganten" sagen, wie hoch wohl die Wahrscheinlichkeit wäre, wenn Sie im ärmsten Land, Burundi in Afrika, geboren wären, "erfolgreich" zu sein, wird meist mit Schweigen oder Giftigkeit reagiert.

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Danke für den Artikel. Ich empfehle die brasilianische Serie «3% » auf Netflix zum Thema

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Starker Artikel, gratuliere Herr Binswanger. Es gelingt Ihnen, das Thema Gerechtigkeit breiter und tiefer zu beleuchten, als man das üblich liest.

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Was ich mich frage: Könnte es sein, dass wenn man, wie hier im Artikel, Rawls Theorie der Gerechtigkeit als Linksliberalismus benennt, diesem Philosophen etwas unrecht tut, da Begriffe wie politisch Links oder Rechts seiner Grundhaltung als sogenannt gerechter Liberalismus doch gerade entgegen laufen? Bin leider weder Philosoph noch Ethiker, aber ich befürchte Herr Rawls hätte keine Freude an diesem Begriff...

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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· editiert

Weil das philosophische Institut der Universität Bern gleichsam eine Hochburg Analytischer Philosophie ist und auch sonst angelsächsisch orientiert ist, durfte ich dazumal auch Rawls politische Philosophie studieren. Diese trägt auch den Namen «liberal egalitarianism». Und glauben Sie mir, wenn Sie irgendeinem in den USA diese Kombination von Ausdrücken entgegenwerfen, dann kriegen Sie ein «leftist» oder schlicht ein «liberal» zurück. Der «Rechts-Liberalismus» ist eher mit dem Neoliberalismus in libertärer Ausprägung und Neokonservatismus verbunden (Nachtwächterstaat, Markt, Familie, Tradition und Intervention).

Ein guter Einstieg fand ich das Interview mit Katrina Forrester, der Autorin der Rawls-Studie «In The Shadow Of Justice (2019)».

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Was ich eher meinte oder besser vermutete, dass hinter dem von Rawls vorgeschlagenen "Schleier des Nichtwissens" nicht politische Einstellungen und Begriffe, sondern nur Frage der Gerechtigkeit stehen können, die weder als links, noch als rechts angesehen werden können unter eben diesem "Schleier", da diese darunter liegend keine politischen Faktoren und Machtstrukturen dulden würden. In seiner Grundkonzeption gedacht, erachte ich es falsch Rawls Theorie als Linksliberalismus zu benennen. Auch wenn dies möglicherweise so gemacht wird..

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Mitabonnent
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Genau darum wird das bedingungslose Grundeinkommen immer ein wichtigeres Ziel. Man kann sich nach dessen Einführung immer noch darüber streiten, wer "oben" sein soll und warum, aber wenigstens müssen sich die "unten" nicht mehr dafür rechtfertigen, warum sie auch ein einigermassen erträgliches Leben führen möchten (ob mit oder ohne Verdienste, eben: bedingungslos).

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Vielen vielen Dank für dieses exzellente Referat eines offenbar sehr guten und wichtigen Buches!

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Märchentante*onkel
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Hocherfreut, lieber Herr Binswanger, lese ich von Ihnen etwas Corona-transzendierendes, auch wenn, gewiss, vereinzelten Glutnestern im Dachstock des bereits gelöschten Hauses gleich das Thema noch hie und da auflodert, als scheu illustrierendes Narrativ einer gröberen Story, aber im grossen Ganzen doch resulut in Schach gehalten.

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Sehr lesenswerter Beitrag, mir fehlt die Rolle die die ''Globalisierung'' und Multinationale Unternehmen in diesem System spielen. Für mich sind es klar Beschleuniger und Nutzniesser dieser Strukturen.

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IP - Suisse - Bäuerin
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· editiert

Vielen Dank für diesen Artikel! Er spricht Dinge an, die mich schon seit vielen Jahren beschäftigen. Hinzufügen möchte ich noch zwei Aspekte, die mich mein Leben als Adoptivmutter gelehrt hat: Erstens: Der Mensch ist bei seiner Geburt kein unbeschriebenes Blatt. Es wurden ihm unterschiedliche Begabungen mit auf den Weg gegeben und in unterschiedlicher Ausprägung. Leider ist diese Verteilung nicht gerecht. Förderung ist deshalb gut. Nützt aber da nichts, wo das Potential fehlt. Betroffene Menschen können sich dadurch noch wertloser fühlen. Und zweitens: Adoptiveltern wissen, dass Menschen, die ein Trauma erlitten haben (z.B. Babys, die zur Adoption freigegeben wurden, Kinder, die von einer Pflegefamilie zur nächsten weiterziehen , Heimkinder etc) je nach Resilienz , keine Energie mehr aufbringen können für ganz normale Tätigkeiten. Bei Adoptiv- und Pflegekindern spricht man von Anstrengungsverweigerung unter der ein Teil von ihnen (und damit ihr Umfeld) leidet. Auch das Sich - Anstrengen - Können ist also nicht jedem Menschen gleich gegeben und erfordert für manche Menschen viel mehr Energie als es sich der Durchschnittsmensch vorstellen kann. Meiner Meinung nach ist also auch das kein objektives Kriterium, wonach ein Mensch belohnt werden sollte. Bis jetzt fällt mir als einzige Lösung nur das bedingungslose Grundeinkommen ein....und die Anerkennung der Würde jedes Menschen, egal, was er tut oder evtl. auch nicht tut.

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New Work als Alternative zu Meritokratie
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Der Ansatz von New Work hat mir geholfen zu sehen wie ein bedingungsloses Grundeinkommen viele dieser Probleme adressieren könnte.

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Alte weisse Frau
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Vielen Dank, es ist sehr wohltuend auch einmal etwas von realer Erfahrung zu lesen.

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Ich fände es schön, könnte die eklatante Unterbezahlung der Pflegeberufe in Beziehung gesetzt werden zur Meritokratietheorie. Pflegende in den Intensivstationen müssen jahrelang sehr viel lernen, hervorragend sein in Theorie und Praxis in einem hochtechnologischen Beruf und verdienen für ihren oft gesundheitsschädigenden Einsatz weniger als jemand, der ein Praktikum in einer Versicherung macht: warum wird das hingenommen? Warum wird dieser für die Gesellschaft und somit die meisten von uns äusserst schädliche Umstand nicht schleunigst von der Politik aufgegriffen um ihn zum Wohle aller zu korrigieren? Könnte es sein, dass Meriten den Geschlechtern auch ganz unterschiedlich zugeschrieben werden? Frauen können per se pflegen, sie müssen sich nicht besonders anstrengen, verdienen deshalb nicht einen guten Lohn. Die Meritokraten kommen zu ihrer Leistung, weil sie sich auf ein Heer unterbezahlter Dienstleistender abstützen. Trügt meine Wahrnehmung, oder haben sich bis jetzt an der Diskussion v.a. Männer beteiligt und wenn ja, warum könnte das sein?

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David Graeber hat ja gemeint, dass schon fast ein umgekehrtes Verhältnis von Bezahlung und gesellschaftlichem Wert vieler Arbeiten bestehe: gar keine Bezahlung (unbezahlte Care-Arbeit) oder ziemlich tiefe (Pflegende, Putzpersonal, Abfallentsorgung u.v.m.) für viele Tätigkeiten, ohne die eine Gesellschaft in kürzester Zeit nicht mehr funktionieren könnte, während Tätigkeiten, deren Nutzen für Andere fraglich ist oder die sogar Schadenspotenzial haben (etwa vieles im administrativen und Management-Bereich, sog. "Bullshit Jobs"), oft sogar ziemlich erklecklich bezahlt werden.
Das hat mit Geschlechter-Rollenvorstellungen zu tun (angeblich natürliche Begabung und Zuständigkeit der Frauen fürs Kümmern und Sorgen), aber auch mit paradoxen Folgen der intrinsischen Motivation (gerade weil Menschen den Sinn und die schiere Notwendigkeit einer Arbeit sehen, üben sie diese trotz schlechter Arbeitsbedingungen weiter aus, und sie streiken nicht, weil sie wissen, dass unschuldige Menschen darunter leiden würden oder gar in Lebensgefahr kämen).

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Alte weisse Frau
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Es sind nicht nur die gutausgebildeten Pflegekräfte, die mehr Anerkennung verdienen. Was ist mit den Putzfrauen und -männern, die dafür sorgen, dass ein Betrieb überhaupt laufen kann..Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Privatkliniken, Rechtsanwaltbüros, Galerien, Museen, Theater, ..........? Was ist mit den sogenannten Dienstboten, Serviceangestellten, Fahrradkurieren?
Früher haben sie wenigstens noch Trinkgeld bekommen als Anerkennung, wieso machen das heute wegen ‚bargeldlos‘ nur noch so Wenige? Das ist doch ein ganz einfacher Weg einmal gleich anzufangen mit der Würdigung.
(Natürlich weiss ich auch, dass das nicht systemrelevant ist.)

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Retraité
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Das müssen Sie die Frauen fragen, Frau Dolder. Doch bin ich sehr einverstanden mit dem was Sie hier schreiben.

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Weitete man den Horizont auf nicht-westliche Regionen, so «entdeckte» man bei Kong Zi, also Konfuzius (551 bis 479 v. Chr.), eines der ersten bekannten meritokratischen Systeme, das notabene innerhalb eines feudalen institutionalisiert worden ist – und bei europäischen Aufklärern wie Voltaire als Vorbild galt.

Statt Blutadel und Potenz war Tugend und Kompetenz gefragt. Konfuzius nahm daher Studenten aus jeder Gesellschaftsklasse an. Jedoch nur Männer – die soziale Hierarchie, die auf der sog. kindlichen Pietät beruhen, reflektierte und reformierte er bloss.

Das meritokratische System entwickelte sich zur berühmt-berüchtigten «Chinesischen Beamtenprüfung». Welche oft karikiert worden ist, da bereits früh die «Korruption» sichtbar geworden ist: Teure «Hilfslehrer», «Tugend-Adel» und vielfältige Arten und Weisen des Betrugs.

Die Daoisten boten gegenüber diesem korrupten-korrumpierenden Leistungswettbewerb von letztlich aristokratischen Familien ein Gegenbild. Etwa, indem bei ihnen auch schon mal ein Metzger oder Fischer sich als Geeignetster für das Amt des «Kaisers unter dem Himmel» herausstellt. Oder gegenüber dem geraden, gefällten Baum der krumme, nutzlose, aber langlebige Baum gerühmt wird.

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Alte weisse Frau
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Genauso sehe ich das auch. Und deswegen kann ich Konfuzius nicht leiden und bin in meinem Herzen eine daoistische Sozialanarchistin.

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Und deshalb macht es die Schweiz - bisher - besser. Leute mit handwerklichen Fähigkeiten werden geschätzt, auch die Putzfrau, solange sie arbeitet. Das ändert sich in Zentren wie Zürich und Genf, wo die Expats eine neue Philosophie (Elitär, Universitäts- fokussiert, Privatschulen) einbringen. Dem müssen wir uns entgegenstellen, sonst passiert und das gleiche wie in den USA und auch Europa. Wir sind alle etwas Wert, wir sind alle wichtig, was auch immer das heisst. Die momentane, von billigem Geld getriebene Entwicklung (künstlich erzeugte, boomende Vermögenswerte währendem die Wirtschaft in einer grossen Krise steckt), zeigt einmal mehr: Wir stecken da NICHT gemeinsam drin, I win, you lose! Die Vermögenskonzentration wird auf die Spitze getrieben, ein Geldadel geschaffen. Das muss sich ändern, und zwar schnell.

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Ich empfehle Anonym 2 die Zeitung 'work' der unia. Da wird von streikenden Putzfrauen berichtet, aber auch von Tankstellenverkäuferinnen oder polnischen Müttern, die schwarz unsere Alten rund um die Uhr zuhause betreuen und wo weder Lohn noch Anerkennung stimmt.
Apropos Tankstellen: Gemäss public.eye gehören 200 Tankstellen in der ganzen Schweiz und mehr als 60 Migrolino-Shops der Aserbeidschanischen Staatsfirma Socar als direktem Arbeitgeber der Verkäuferinnen.

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  1. Die meritokratische Zweiklassen-Gesellschaft, Herrscherkaste versus unwürdigen Pöbel, die der Artikel postuliert, gibt es nicht. Ich muss doch nicht zur Weltelite gehören, um Anerkennung und Einfluss zu erhalten, das geht auch sehr befriedigend auf mittleren Stufen in mittlerem Umfang.

  2. Eliteschulen und andere Organisationen, deren Aufgabe es ist, Art und Wert von Verdiensten nach dem Sinn des Machterhalts ihrer Mitglieder zu definieren, stehen im Dienst genau derjenigen Mächtigen, die ihre Stellung nicht mit Verdiensten halten können - sie sind von Grund auf unmeritokratisch.

Die Meritokratiekritik geht auf dieser Basis nicht auf. Die Beispiele und Argumente im Artikel sprechen allesamt für mehr Meritokratie, nicht für weniger.

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Alte weisse Frau
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Only the best kann notwendigerweise immer nur für ganz wenige stimmen.

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Mir scheint die Frage bedenklich, wie man die "Würde der Arbeit" achten oder aufwerten kann, ohne die Abwertung von Arbeitslosen und anderen angeblich "Nichtarbeitenden" (die in Wirklichkeit oft nicht anerkannte Care-Arbeit leisten) noch zu verschärfen. Alle Menschen verdienen Würde und ein einigermassen gutes Leben, das sollte nicht auf Arbeit (was auch immer als solche anerkannt wird) bedingt sein. Der Verweis auf die "Würde der Arbeit" wurde hingegen von rechter/konservativer Seite schon oft benutzt, um miese (Erwerbs-)Arbeitsverhältnisse zu rechtfertigen und Menschen in solche hineinzudrängen, weil das ja immer noch "würdiger" als Nichtarbeit sei.
Geht Sandel auch auf diese Problematik ein?

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Eine ähnliche Frage ging mir auch durch den Kopf. Ich finde den Artikel/das Referat von Sandels Buch hervorragend - und vermute, dass auch das Buch exzellent ist. Es wäre interessant zu erfahren, was Sandel von der Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens hält. Im Prinzip geht es ja um beides, die materielle Sicherstellung eines würdevollen, zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigten individuellen Lebens sowie die mit einem solchen Leben untrennbar verbundene Anerkennung und Wertschätzung durch andere Individuen, die ein ebensolches Leben führen können und dadurch - alle zusammen - eine ‚gute Gesellschaft‘ bilden.

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Ein hervorragender Artikel, der eigenes Denken und Diskurs anregt!
Ein Thema, m. E. das Grundlegendste, wird jedoch übersehen, nämlich die Spiritualität.
Ernesto Cardenal (hoffentlich kennen ihn viele LeserInnen?) schreibt: 'Der Baum hätte unendlich hoch weiterwachsen können, aber er warf lieber Samen'.
Der Mensch entwickelt Gier und beutet sich und die Mitwelt aus, wenn seine tiefen Bedürfnisse nach Zugehörigkeit und Wärme unentdeckt und unbefriedigt bleiben. Materielle Bescheidung wird dann möglich, wenn die nicht-materiellen Bedürfnisse befriedigt werden und dem Menschen innere Zufriedenheit schenken.
Diese Richtung verfolgt Papst Franziskus in seinen Büchern, besonders im letzten: Über die Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft (Fratelli tutti).
Es geht um das Gemeinwohl der ganzen Menschheitsfamilie, also aller 8 Milliarden Menschen. Zu dieser Einsicht braucht es keine bestimmte Religion, aber den Zugang zu Spiritualität. Dies wiederum bedingt das Loslassen eines allfälligen Kinderglaubens und das hineinwachsen in eine verantwortungsvolle, geerdete Spiritualität.

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Ich mag den Begriff Spiritualität nicht. Er suggeriert, dass es einen höheren Sinn habe zu leben. Diesem vermuteten umfassenderen Plan wird dann das Hier und Jetzt unterworfen, und wenn es ganz schlecht läuft wird diese Vermutung zur absoluten Wahrheit erhoben und anderen Menschen mit Gewalt übergestülpt.
Das was sie grundsätzlich als übersehen anschauen, wird im Artikel sehr prominent erwähnt:
Der Mensch sucht nach Anerkennung und Wertschätzung. Diese Aussage bedarf keiner weiteren Doktrin, sie ist universell gültig und wird auch von allen sozial organisierten Tieren gelebt. Dies ist die Grundlage des Zusammenlebens in einer Gruppe und hat absolut nichts mit Religion oder anderen (Verschwörungs)Theorien und zu tun. Diese machen sich nur zunutze, dass es diese Anerkennung und Wertschätzung nicht umsonst und ohne Aufwand gibt, sondern, dass es einer erheblichen Anstrengung bedarf, um sie zu erlangen.
Da kommt es natürlich sehr gelegen, wenn einem gesagt wird, dass man mit dem Kauf von unnötigen Sachen oder dem bedingungslosen Glauben an übernatürliche Phänomene zu dieser Anerkennung und Wertschätzung gelangen kann. Dass es nicht wirklich funktioniert ist eigentlich auch allen klar, darum braucht es regelmässige Gebete, Messen, Gottesdienste oder eben ständig neue Sachen um die Leere zu übertünchen.

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Lieber Herr Reber, Danke, dass Sie sich Zeit genommen haben, meinen Kommentar zu lesen und ebenfalls zu kommentieren. Sie haben einige Missstände erwähnt, welche über Jahrhunderte das Bild der Religionen prägten, hier in Europa vor allem das Bild des christlichen Glaubens. Sie erwähnen angebliche Wahrheiten, welche den Menschen mit Gewalt übergestülpt werden. Sie schreiben vom bedingungslosen Glauben an übernatürliche Phänomene als Preis und Bedingung für Anerkennung und Wertschätzung. Und von einer grossen Leere, welche durch Gottesdienste oder durch den Kauf ständig neuer Sachen übertüncht werden muss.
Diese Missstände sind m. E. nicht zu leugnen. Sie stützen sich aber auf Gläubige, welche in einem Kinderglauben verhaftet bleiben und nicht den Mut aufbringen, diesen loszulassen. Es braucht Mut und Kraft, sich in eine verantwortungsvolle, geerdete, erwachsene Spiritualität zu entwickeln. Spiritualität ist nicht gleich Religion.
Das erfährt man durch gelebte Praxis. Man braucht keiner Religion anzuhängen, um ein spiritueller Mensch zu sein.
Der von Ihnen eher skeptisch wahrgenommene 'Sinn und Plan' der Spiritualität lässt sich einfach beschreiben: Alle Menschen mögen erfahren, dass sie eine einzige, grosse Menschheitsfamilie sind, mit der Aufgabe, eben dies zu erkennen und einander mit Wohlwollen, gar Liebe zu begegnen.

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Theologe
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Da haben Sie aber ein sehr einseitiges und verzerrtes Bild von Spiritualität. Verantwortungsvolle, geerdete Spiritualität wie ich sie sehe und sie querbeet bei Mystikerinnen, Poeten, Erzählerinnen und Forschern diverser Weltanschauungen finde, hat gerade nichts zu tun mit Abhängigmachen und Glauben an irgendwas von irgendwem Vorgegebenes. Es braucht gerade keine regelmässigen Gebete und keine Doktrin.
Spiritualität wie ich sie pflege, ist befreiend, ganz persönlich, lebendig und nie am Ziel. Leitbilder wie eine Vision von persönlichem Lebenssinn oder einem weltumspannenden vielfältigen Ganzen sind immer mit Fragezeichen versehen. Schweigend wird die Leere ausgehalten und manchmal nach neuer Sprache gerungen. Begegnungen mit anderen Lebensformen haben immer auch den Aspekt von Lernen.
Institutionalisierte Religion hat immer wieder versucht, spirituelle Monokulturen zu errichten und Macht auszuüben, um die Welt nach starren Leitideen zu lenken. Trotzdem wird sie lebendige Spiritualität nicht auslöschen können.

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Katharina Schlatter
Content Specialist
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· editiert

Ein spannender Beitrag, danke dafür. Doch finde ich einige Punkte etwas vernachlässigt, auch wenn sie angesprochen werden.

In einer Meritokratie wird Misserfolg als selbstverschuldet angesehen und die daraus folgende Armut als „verdient“. Das ist die hässliche Seite der Meritokratie. Doch der Artikel geht zuwenig darauf ein, dass die Meritokratie nur gespielt ist. Die Karten sind gezinkt, wer nicht dazugehört, hat keine Chance. Ich empfehle das Buch „View from Flyover Country“ von Sarah Kendzior.
https://www.goodreads.com/book/show…er-country

Dann wird der Aufstieg von Populisten wie Trump gerne als Verzweiflungsschrei der unteren Schichten gesehen. Am stärksten gewonnen hat er aber in der weissen Mittelschicht. Schön illustriert durch die Immobilienhändlerin, die am 6. Januar mit dem Privatjet nach Washington flog und am Sturm auf das Kapitol mitmachte. Meiner Meinung nach spielt Rassismus eine viel grössere Rolle als Klasse, Ausbildung und Einkommen.
https://lwp.georgetown.edu/visiting…mp-voters/

„The identification of Trump with the white working-class is mostly not true.“

„While most reports on votes or polling define the working-class by lack of a college education, others define the working class by income (usually households with annual incomes below $50,000). But that definition of class also doesn’t support the idea that Trump won because of the white working class. Whites from households earning less than $50,000 are less likely to vote than other whites, and in 2016 those who did vote did not lopsidedly opt for Trump.“

Ausserdem müssen wir in dieser Frage gar nicht über den grossen Teich blicken. Ein Blick auf die Schweizer Gymnasien erzählt die gleiche Geschichte, wenn auch weniger brutal.

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Betreffend grossem Teich: James Baldwin und Josephine Baker empfanden es als befreiend, in Europa als "Menschen" wahrgenommen zu werden. Eigentlich erstaunlich angesichts der Stellung von Frankreichs Afrika-Corps in WWII und Indochina und der brutalen Unterdrückung im Maghreb, die beide in die heutigen Banlieues ausstrahlen.

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Katharina Schlatter
Content Specialist
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Meiner Ansicht nach wurden Baker und Baldwin in Frankreich als Amerikaner betrachtet und deshalb als Menschen behandelt. Ausserdem waren beide da bereits berühmt. Hätte man sie als aus den Kolonien stammend betrachtet, wäre der Empfang nicht halb so freundlich gewesen. Jedes Land hat seinen eigenen Rassismus, der mehr mit den Rassisten selber zu tun hat als mit den Menschen, die rassistisch behandelt werden.

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Ein spannender Beitrag. Aus meiner Sicht ist dabei die Rolle des Sports komplett vernachlässigt. Sie spielt meines Erachtens gerade für die breite Bevölkerung eine wichtige Rolle. Sie ist für die Akzeptanz der Meritokratisierung ein wichtiges Element, wenn nicht das Wichtigste. In keinem anderen Zweig wird die Belohnung der Spitze zu einem solchen Kult erhoben. Siehe jüngst Vertrag Messi/Barcelona.
Volkswirtschaftlich lässt sich das auch auf einfache Weise herbeiführen: Durch Verknappung. Gleichzeitig durch die Konzentration der Ressource Geld auf möglichst wenige Akteure.
Wieviel Sportförderung wäre auf allen Stufen mit 555 Mio Euro möglich?
Die Spitzenuniversitäten weiten ihr Angebot nicht gemäss der Nachfrage aus, sondern Sonnen sich in ihrem Ruhm. Das dient vorallem einer selbstgefälligen elitären Vorstellungen eines Alleinstellungsmerkmals. Volkswirtschaftlich wäre es jedoch auf allen Stufen sinnvoller das Angebot auszuweiten. Das Ergebnis wäre eine grosse Zunahme von qualifizierten Menschen. Unter ihnen wären dann auch noch mehr hoch Talentierte zu finden als mit dem aktuellen System.
Aber was, wenn die Arbeit schwindet, trotz besserer Qualifikation? Dieses Problem lässt sich wohl am Sinnvollsten durch ein bedingungsloses Grundeinkommen lösen.
Der Ruf nach Anerkennung ist wichtig und muss zwangsläufig priorisiert werden. Aber was braucht es dazu? Eine klare Wertedebatte die Arbeit am Menschen und am Gemeinwohl thematisiert und nach üblichen gesellschaftlichen Werten einordnet. Sonst bleibt es beim alten System. Die Anerkennung der Geldelite und Ellbogentechniker für einfache Menschen und deren Jobs bliebe in etwa die Qualität eines Hundehalters für seinen Hund. Er tätschelt den Kopf seines Hundes wenn sein Barry schön brav aportiert. Den Negativfall können sie sich ja selbst denken.
Wollen wir das? Nein!

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Ich teile ihre Ansichten zum Spitzensport und Eliten-Bildungsinstitutionen.
Sie haben aber offenbar eine sehr schlechte Meinung von Hundehaltern. Viele Hundehalter leben genau dieses moralische Dingsbums das im Artiklel als Lösung des Problems angedeutet wird. Der verantwortungsvolle Hundehalter wird dem Hund genau diese Wertschätzung und Anerkennung zukommen lassen, die dieser genau so braucht wie ein Mensch. Das Streicheln und Tätscheln ist nur die Ausdrucksform, welche für den Hund am verständlichsten ist. Der Lohn dieser Bemühungen ist die Anerkennung und Wertschätzung welche der Hund durch Gehorsam, Zuneigung oder energische Verteidigung gegen echte und eingebildete Gefahren seinem Halter zukommen lässt. Hier schliesst sich ein Kreis, was doch so symptomatisch für das Leben an sich ist, das sich scheinbar immer in Kreisläufen organisiert, um dem Chaos der Entropie ein Schnippchen zu schlagen.

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Danke Herr Sieber für diesen Einwand. Einverstand bin ich mit Ihnen und allen Hundehaltern wenn es um Zuneigung und Wertschätzung für den Vierbeiner geht. Dann hört es in diesem Gleichnis jedoch schnell mal auf.
Denn es gibt sehr wohl ein paar Parallelen zur besprochenen Meritokratie. Das liegt in der Anlage des Hundehaltens. Es ist ein einseitiges und unzweideutiges Machtgefälle. Es handelt sich nicht um ein demokratisches System. Der Hundehalter entscheidet relativ diktatorisch über alle Aspekte des Hundelebens. Er ist Legislative, Exekutive und Jurisdiktion, was seinen Hund anbelangt aus seiner Sicht gleich alles in sich selbst vereint.
Er hat sich diese Merite ja verdient ein Hund zu halten. Kraft seiner eigenen Existenz und seines Willens. Oder braucht es da mehr?
Kein Hund kann über sich selbst bestimmen. Wenigstens nicht in unserer Gesellschaft. In Afrika und anderswo in 'natürlichen Habitaten' sieht man noch 'streunende' Rudel, denen es allem Anschein nach sehr gut geht in ihrer selbstorganisierten Freiheit.
Bei uns sieht es dagegen für den Hund schlecht aus. Was er alles nicht kann und/oder nicht darf: Seinen Drang nach Bewegung, seine Sexualität, sein natürliches Habitat, sein Rudel nicht selbst wählen, seinen Instikten nicht nachgehen wenn sie aufkommen. Das scheint mir dann doch schon weit weg von einem idealen Hundeleben.
Die Zuneigung und Anerkennung erfährt der Hund in der Hauptsache, wenn er sich nach den Vorstellungen seines Halters verhält und nicht kraft seiner Existenz.
Zudem erwartet der Hundehalter gerade diese Unterwürfigkeit, den Gehorsam und seine Zuneigung. Stellt sich der Hund mit seiner ganzen Persönlichkeit und seiner Energie dagegen lässt ihn dass sein Besitzer spüren. Schon das Wort Besitzer zeigt das Machtgefälle wie oben beschrieben sehr deutlich.
In einem puren meritokratischen System verkommt diese Hundehalter Betrachtung zu einer dystopischen Vorstellung einer nicht egalitären Gesellschaft, die wohl keinerlei Freiheiten mehr offen lässt für die 'Verlierer' des Systems.
Oder wollen Sie mal freiwillig mit einem Hund tauschen und seine Realität erfahren?

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Timon Zielonka
Sales @ zukunft.com
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Wie wäre es, wenn wir zunächst einmal versuchen würden, anderen keinen Schaden zuzufügen. Darin waren sich, meines Wissen nach, alle Philosophen einig, aber praktisch umgesetzt wurde es nie. Dieser einfache Vorsatz baut auch ein Brücke zwischen dem kategorischen Imperativ und den Utilitarismus.

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Der Volksmund verweigert sich Ihrem Vorsatz: "Mit ehrlicher Hände Arbeit ist noch keiner reich geworden." Auch zeugt die geschädigte Natur von der Unfähigkeit des Menschen, Schaden von anderen abzuwenden.

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Timon Zielonka
Sales @ zukunft.com
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Vielfach ist der Grund, dass der einzelne Mensch bei seinen Entscheidungen die Folgen gar nicht überblicken kann. Der Mensch ist limitiert, was man unter anderem beim Schach nachweisen kann. Kein Mensch gewinnt bei Schach gegen den Computer. Und die Realität ist noch um einiges komplexer. Daher ist es notwendig, dass wir bei unseren Entscheidungen, die andere betreffen, von den Computern beraten werden. Ein Beispiel, wie das funktionieren kann, ist die Zusammenarbeit von codecheck und eaternity.

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Informatik-Ingenieur und Ökonom
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Die fehlende Anerkennung für Arbeits­leistung auf allen Qualifikations­stufen – materiell und kulturell – ist das Grundübel der Meritokratie.

Neben vielen guten Einsichten zieht sich ein Fehlschluss wie ein roter Faden durch den Beitrag: die Gleichsetzung von meritokratischem Verdients und akademischer Qualifikation. Eine sinnvoll ausgestaltete Meritokratie ordnet Anerkennung eben gerade nicht nach der auf einem Papier ausgewiesenen Qualifikationsstufe zu, sondern denjenigen, die tatsächlich nützliche Produkte und Dienstleistungen hervorbringen.

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Sandel sagt dazu, dass nichts einzuwenden sei gegen "hiring people based on merit". Es sei nur fair und effizient, den besten Spengler oder Zahnarzt zu suchen. Was er dagegen kritisiert, ist die meritokratische Vorstellung, dass jeder für sein Leben, seine soziale Stellung, sein Einkommen, eigenverantwortlich sei, als ob er sich dieses Leben selbst ausgesucht hätte.

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