Und sie stellten die Frau in die Mitte

Ausserehelicher Sex gilt als Sünde, Verhütung ist ein Tabu­thema, das ungeborene Leben steht über allem: ein persönlicher Blick auf den Kampf freikirchlicher Kreise, Abtreibungs­gesetze zu verschärfen.

Von Tabea Steiner (Text) und Nils Stelte (Bilder), 06.05.2023

Vorgelesen von Miriam Japp
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In verschiedenen Ländern führen Abtreibungs­gegnerinnen regelmässig Protest­märsche durch. Die Bilder in diesem Beitrag sind vom «Marsch für das Leben» 2015 in Berlin.

Die biblische Geschichte der Ehe­brecherin geht so: Eine Frau wird auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt und zu Jesus in den Tempel gezerrt. Als die Pharisäer und Schrift­gelehrten die Steinigung der Frau fordern, sagt Jesus seinen berühmt gewordenen None-of-your-business-Satz: «Wer unter euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.» Nachdem sich alle verzogen haben, rät Jesus der Frau: «Geh hin und sündige hinfort nicht mehr.»

In dieser Geschichte zeichnet sich bereits die Konflikt­linie ab, entlang derer sich immer wieder Diskussionen zwischen den verschiedenen christlichen Glaubens­positionen entzünden. Die eine Seite betont, Jesus habe die Umstehenden darauf aufmerksam gemacht, dass es ihnen nicht zusteht, zu urteilen. Der anderen Seite hingegen ist wichtiger, dass Jesus den Ehebruch als Sünde bezeichnet, zweimal sogar.

Diese Konflikt­linie ähnelt jener, welche die beiden Lager trennt, die sich für oder gegen das Recht auf Abtreibung starkmachen und sich vor allem in den USA Pro Choice und Pro Life nennen. Wer pro choice ist, gesteht einer schwangeren Frau das Recht zu, zu entscheiden, ob sie das Ungeborene austrägt und zur Welt bringt oder nicht. Pro life gewichtet das Leben der Ungeborenen stärker und setzt sich dafür ein, dass keine Schwangerschaften mehr abgebrochen werden.

Aus der Pro-Life-Bewegung heraus hat sich der «Marsch fürs Läbe» entwickelt. Dieser wird unter anderem getragen von der EDU, der Vereinigung katholischer Ärzte der Schweiz sowie der Evangelischen Allianz, dem Verbund verschiedener Freikirchen, aber auch Stiftungen wie Zukunft CH oder dem Verein Pro Life.

Letzterer macht sich gemäss eigenen Angaben für den «Schutz des Lebens» stark und bietet gemeinsam mit der Kranken­kasse Helsana einen Grossfamilien­rabatt und Geld­geschenke bei Geburten und Adoptionen. Bedingung: Es muss eine Erklärung zum Verzicht auf Abtreibung unterschrieben werden. Die EDU macht nicht nur Stimmung gegen die Fristen­­regelung, sondern auch gegen künstliche Befruchtung, und Zukunft CH setzt sich nicht nur gegen Abtreibungen ein, sondern auch gegen die «schleichende Einführung der Scharia», wie es auf der Website der Stiftung heisst.

Was treibt manche freikirchliche Kreise an, sich so vehement gegen die Reproduktions­rechte von Frauen zu engagieren? Dieser Frage will ich in diesem Beitrag nachgehen. Dass ich dabei den Schwerpunkt auf die Freikirchen lege, hat auch damit zu tun, dass ich diese sehr gut kenne – weil ich meine Kindheit in einer Freikirche verbracht habe.

Zur Autorin

Tabea Steiner, geboren 1981, ist Schriftstellerin und unterrichtet Literarisches Schreiben an der Hochschule Luzern. Sie wuchs auf einem Bauernhof in der Ostschweiz auf und studierte später Germanistik und Alte Geschichte. Ihr aktueller Roman «Immer zwei und zwei» erschien im Februar 2023.

Dieser Text ist insofern ein einseitiger Text, als er vor allem restriktive Freikirchen beleuchtet, und er ist ein Einblick in eine Ideen­welt, die nur denen vertraut ist, die sich selbst in diesem Umfeld bewegt haben. Die Geschichten, die ich zur Veranschaulichung erzähle, kenne ich, weil ich diese Welt kenne. Und auch wenn ich das Ganze heute aus der Distanz betrachte, so ist mein Blick darauf doch geprägt von dem, was ich gesehen habe.

Die Sexual­moral in restriktiven Freikirchen

Genauso wenig, wie es das Freikirchen­mitglied gibt, gibt es auch die Freikirche. Je restriktiver das Regelwerk einer Gemeinschaft ist, desto stärker grenzt sie sich von anderen Gruppierungen ab. In der Geschichte des Evangelischen Brüder­vereins, der Gemeinschaft, in der ich aufgewachsen bin und die heute Gemeinde für Christus heisst, gab es Abspaltungen, die unter anderem von der Frage ausgelöst wurden, ob Frauen Hosen tragen und sich die Haare schneiden dürfen. Oder ob moderne Musik zur Gemeinde passt.

Insbesondere streng religiöse Gemeinschaften werden zu Parallel­gesellschaften, die wenige Berührungs­punkte mit dem Ausserhalb haben. «Die Welt» ist der Begriff für ein Leben in sündhafter Umgebung, und an Hochzeiten etwa trifft man kaum Menschen an, die nicht zur gleichen Gemeinschaft wie das Braut­paar gehören.

Ein wichtiger gemeinsamer Nenner von Freikirchen ist der Stellenwert, der Ehe und Familie beigemessen wird. Wen man heiratet – mit wem man sein Leben lang Sex haben sollte –, ist die wichtigste Entscheidung, die, je religiöser eine Gemeinschaft ist, desto früher getroffen werden will. In einer Freikirche will man mit dreissig nicht Single sein, schon gar nicht als Frau.

Es wird grosser Wert darauf gelegt, dass ein Paar «rein» in die Ehe geht. Das weisse Kleid an der Hochzeit – auch ausserhalb bekannt – ist nur das offen­sichtlichste Beispiel dafür, und es ist kein Zufall, dass es die Frau trägt. Wer schwanger ist, heiratet nicht in Weiss, und wer schon vor der Ehe Sex hatte, dessen Eheleben gilt als weniger gesegnet – was auch immer das heissen mag.

Die Verantwortung für die aussereheliche Enthaltsamkeit trägt die Frau. In einer amerikanischen Variante dieser Auffassung veranschaulichen dies die purity balls, bei denen Töchter ihren Vätern geloben, dass sie rein in die Ehe gehen werden: Wahre Liebe wartet.

So veraltet das alles klingt, es wird bis heute vertreten. Auf der christlichen Dating­plattform Chringles werden nicht nur passende Partner vermittelt, es werden in Ratgeber­artikeln auch Anweisungen für angemessenes Dating­verhalten geliefert.

Im Artikel «Männer wollen nur Sex – ist das so?» heisst es: «Man hört immer wieder von Frauen, wie sie sich beklagen, dass Männer nur Sex wollen. Darum versuchen wir, dieses heikle Thema hier aufzugreifen. Dieser Artikel ist aus der Sicht eines Mannes geschrieben, da ich jedoch verheiratet bin, kenne ich natürlich auch die Sichtweise der Frau.» Der Autor schreibt weiter: «Wir wollen uns jetzt ein wenig auf den Mann konzentrieren, da die Männer in diesem Gebiet einen stärkeren Trieb oder Verlangen haben. (…) Wenn die Frau dann noch genauso aussieht, wie sich der Mann es gewünscht hat, dann wird das Verlangen noch stärker.» Und schliesslich hält er fest: «Auf der anderen Seite ist es natürlich auch wichtig, dass die Frau den Mann nicht unnötig verführt oder provoziert. Dies kann durch ihre Kleidung oder ihr Verhalten geschehen.»

An der Sexual­moral spielt sich durch, was die Strukturen einer Freikirche ausmacht. Ausserehelicher Sex gilt als Sünde, und gerade deswegen wird das Tabu­thema ständig umkreist. Das Resultat dieser Fokussierung ist hohe soziale Kontrolle, die aber als Schutz verstanden wird, als gegenseitige Hilfe. Wer einer Versuchung nicht widerstehen konnte, trägt sein Vergehen in das gemeinsame Gebet, etwa in der Klein­gruppe. Und das ist der Grund, weshalb Gemeinde­mitglieder zuweilen viel zu intime Dinge voneinander wissen – schon der Theologe Dietrich Bonhoeffer sprach von «Kammerdiener­geheimnissen».

Und so kommt es, dass ich von einem Mann weiss, der das Passwort des Familien­computers bei seiner Frau erfragen musste, wenn er den Computer nutzen wollte. Das sollte ihn davor schützen, im Internet Pornografie zu konsumieren.

Von einem anderen Mann weiss ich, dass er mit seiner Frau vereinbart hatte, ihr täglich zu gestehen, ob er einer anderen Frau nachgeschaut hatte. Damit wollte er sich davor schützen, andere Frauen zu begehren.

Und ich weiss, dass eine Frau in der Praxis zu weinen begonnen hat, als ihr die Frauen­ärztin die achte Schwangerschaft bestätigte.

Verhütung ist kein Thema, über das offen gesprochen wird, die Pille wird beargwöhnt, die Pille danach in weiten Kreisen abgelehnt. Damit, dass nur ehelicher Geschlechts­verkehr denkbar ist, ist auch die Auffassung verbunden, dass jede Schwangerschaft gottgewollt ist. Der Mensch soll nicht eingreifen, wo Gott das Leben gibt.

Über Abtreibung wird nur nachgedacht, wenn das Leben der Mutter ernsthaft und akut bedroht ist. Doch selbst dann ist der Fall nicht unbedingt klar: Ich weiss von einer schwangeren Frau, die eine Krebs­diagnose erhielt. Der Tumor wuchs schnell, eine Chemo­therapie hätte das Leben des Kindes bedroht, weshalb sich die Mutter dagegen entschied. Überlebt haben beide nicht.

Natürlich wird eine solche Tragödie zutiefst betrauert, aber man anerkennt, dass die Frau ihr Schicksal in Gottes Hände gelegt hat.

Und schliesslich wird bei Scheidungen nach wie vor die Schuld­frage gestellt. Der bereits zitierte Ratgeber­autor warnt: «Aber aufgepasst bei geschiedenen Männern, die meinen, sie müssten das intime Leben sofort wieder ausleben, ohne verheiratet zu sein.»

Eine Bekannte, die nicht religiös aufgewachsen ist, aber noch während ihres Medizin­studiums einen Mann aus einer, wie sie sagt, ultra­konservativen Freikirche geheiratet und mit ihm drei Kinder bekommen hat, erzählt mir, wie entsetzt die Gemeinde ihres Mannes war, als sie sich scheiden lassen wollte: «Für die Familie und die Kirche meines Mannes war ich die Schuldige, die Abgefallene, die ‹aus der Welt›. Im November war die Scheidung vollzogen – und im April war er bereits wieder verheiratet.»

Die Akteurinnen

Mit einer Freikirche verbunden, dem ICF Zürich, ist auch Daniel Regli, erster Verantwortlicher für den «Marsch fürs Läbe» in der Schweiz. Im August 2016 sass der ehemalige Stadt­zürcher SVP-Gemeinderat bei Verlags­leiter Ulrich Schlüer im «Schweizerzeit»-Studio. Ulrich Schlüer ist der Vater meines Partners, also wähle ich seine Nummer, weil ich wissen will, warum ein rechtes Medium dem «Marsch fürs Läbe» eine Plattform gibt.

Er sei noch nie an einem «Marsch fürs Läbe» gewesen, sagt er, aber er unterstütze das Anliegen, sich für das ungeborene Leben einzusetzen. Das sei kein Grund für Angriffe, und das Demonstrations­recht müsse für alle gelten.

In der einstündigen Sendung sagte Daniel Regli: «Wenn man als Christ vom Leben begeistert ist, mag man es auch anderen gönnen. Auch Ungeborene sollen diese Möglichkeit haben.» Auf den ersten Bekenntnis­märschen, wie er es nennt, wurden weisse Kinder­särge mitgetragen. Das erklärte Ziel ist, dass die Fristen­regelung aus der Bundes­verfassung gestrichen wird. Denn: Als Folge von Abtreibungen würden diese Kinder nicht nur in den Familien fehlen, sondern auch in der Volks­wirtschaft – weswegen die Grenzen geöffnet und «die von aussen» herein­gelassen werden müssten. Gemeint sind vor allem Musliminnen, und mit der «Islamisierung» wird auch die Christen­verfolgung herauf­beschworen, das Schreck­gespenst evangelikaler Kreise.

Wenige Jahre später setzt Regli seine Demonstrations­erfahrungen gegen Corona-Massnahmen ein und lässt verlauten: «Sicher ist jetzt schon, dass der Bundesrat den Wert eines alten Lebens (…) massiv überzeichnet hat.» Immerhin: Er wurde deswegen als Geschäfts­führer des «Marsches fürs Läbe» entlassen.

Seine Nachfolgerin, die Katholikin Beatrice Gall, arbeitet für die Stiftung Zukunft CH, die Islam, Gender und Sexual­aufklärung im Fokus hat. Die Stiftung sieht sich als prophetische Stimme, die Themen wie «das Gender-Mainstreaming» schon angesprochen habe, als noch kaum einer darüber gesprochen habe. Sie hat erwirkt, dass der Band «Sexual­pädagogik der Vielfalt» aus dem Bestell­sortiment der nationalen Bildungs­stiftung éducation21 genommen worden ist.

In Artikeln auf Zukunft CH behauptet Beatrice Gall, Abtreibungen würden als eine Art nachträgliche Verhütungs­methode genutzt. Sie sieht die Fristen­regelung als Fall von Alters­diskriminierung, weil dem Embryo das Menschsein in seinen ersten zwölf Lebens­wochen abgesprochen werde. Die Rechte der Frauen auf selbst­bestimmte Verhütung seien auch ohne das Recht auf Abtreibung erfüllt, weil die Frau eine Empfängnis vermeiden könne.

Es lässt sich festhalten: Der Anspruch der Kontrolle über den weiblichen Körper ist ein Zeichen patriarchaler Gesellschaften. Und darin trifft sich die konservative Christliche mit der Rechten.

Eine umtriebige Akteurin der Pro-Life-Bewegung ist Tabitha Bender. Die 36-Jährige ist wie ich in einer Brüder-Gemeinde aufgewachsen, heute fühlt sie sich der katholischen Kirche näher. Mit dem Ziel, dass Abtreibungen undenkbar werden, engagiert sie sich unter anderem bei «Jugend für das Leben», einer Organisation, die beispiels­weise vor dem Basler Unispital betet. Bender ist Sekundarschul­lehrerin, verheiratet und hat vier Kinder – bis jetzt, wie sie sagt.

Ihre Haltung ist klar: Schon im Moment der Befruchtung entsteht ein Mensch, dem die Menschen­rechte zustehen, allen voran das Grundrecht auf Leben. Ethisch okay seien Abtreibungen nur dann, wenn der medizinische Eingriff das Leben der Mutter rettet und es nicht die Intention war, das Kind zu beseitigen.

Als Antrieb nennt sie Liebe und Mitgefühl. Sie setze sich gegen «unwürdige» Handlungen an Mutter und Kind ein – gemeint sind Abtreibungen. Wer der Frau die freie Wahl zugestehe, abzutreiben, klammere das Kind aus. Weil sie alle Babys retten möchte, engagiert sich Bender im Komitee von «Einmal darüber schlafen», einer der beiden laufenden Initiativen, die das Ziel haben, Abtreibungs­gesetze noch stärker zu verschärfen.

Bender glaubt nicht daran, dass bessere Reproduktions­rechte unsere Gesellschaft frauen­freundlicher gestalten würden. Wenn Abtreibungen erleichtert würden, sagt sie, könnten Männer Frauen noch stärker benutzen und mit ihnen machen, was sie wollen, ohne rechtliche Folgen. «Ein Vergewaltiger könnte mit seinem Opfer einfach zur Abtreibungs­klinik fahren.»

Da keine Verhütungs­methode zu hundert Prozent sicher ist, findet Tabitha Bender es vernünftig, nur mit einer Person zu schlafen, mit der man sich vorstellen kann, ein Kind zu haben, am besten, man ist mit ihr verheiratet.

Aus all diesen Gründen macht sie mit beim «Marsch fürs Läbe» oder betet mit Gleich­gesinnten in der Nähe von Kliniken, wo Abtreibungen durch­geführt werden. Viele Frauen seien nicht sicher, ob sie wirklich abtreiben wollten, sagt sie, und würden deshalb auf ein Zeichen des Himmels warten. Zwar hat sich in der Schweiz wegen dieser Gebete noch keine Frau umentschieden, aber, so Bender: «Wir sind eine Scham­kultur, so etwas würde man für sich behalten.»

Natürlich werden sie und ihre Mitstreiterinnen von der Linken verbal angegriffen, was für sie aber kein Problem ist: «Das muss man schon mal erlebt haben, so beschimpft zu werden. Das schadet nicht.»

Was hält sie von der Nähe zur Rechten? «Ich finde die Rechte befremdlich», sagt Bender. Es erscheine ihr unlogisch, dass die beiden Strömungen sich in diesem Thema fänden, da sie die Menschen­liebe auf der linken Seite verorte. Vielleicht, sagt sie, liege es daran, dass konservative Werte von den rechten Parteien gelebt würden. Tatsächlich gehört ein Grossteil ihrer Mitinitianten von «Einmal darüber schlafen» der SVP an.

Der ehemalige SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer wiederum hält sich bedeckt, als ich von ihm wissen will, was er über diese Nähe denkt. Man solle die Freikirchen leben lassen, sagt er.

Auch bei Tabitha Bender hake ich mehrmals nach, was genau der Antrieb für ihr Engagement ist, sich in private Entscheidungen anderer Menschen einzumischen, zumal das Recht, abtreiben zu dürfen, juristisch geregelt ist.

Kein einziges Kind solle mehr abgetrieben werden, antwortet sie. Jeder Frau, die abtreiben will, würde sie sagen, sie solle das Kind austragen und ihr geben.

Es gehe aber auch um eine Generationen­frage. «Unsere Grossmütter haben die sexuelle Revolution eingeleitet. Heute stellt sich die Frage, ob das ein gutes Erbe ist.»

Bender begrüsst, dass die Anti-Abtreibungs-Bewegung jünger und moderner wird und dass immer mehr Frauen die treibenden Kräfte sind. Besonders begrüsst sie, dass sich viele junge Menschen engagieren, die selber noch gar keine Kinder haben. Sie findet das logisch: Junge Menschen stünden näher am Beginn ihres Lebens, und der Gedanke, dass es ihr Leben sein könnte, das verhindert worden wäre, treffe sie unmittelbarer. Noch deutlicher, sagt die vierfache Mutter, sei das bei Kindern: «Jedes Kind, das man fragt, findet Abtreibung falsch.»

Sie reagiert erstaunt, als ich sie darauf hinweise, dass Schwangerschafts­abbrüche in der Schweiz generell immer noch illegal sind. Dass die Rechts­kommission des Nationalrats kürzlich entschied, dass sie auch weiterhin im Strafgesetz­buch geregelt bleiben sollen, erachtet sie als sinnvoll und als Bestätigung ihrer Arbeit.

Die Disziplinen

Juristisch liegt die Sache in der Schweiz so: Eine Frau, die ihre Schwangerschaft abbricht, wird mit einer Freiheits­strafe von bis zu drei Jahren oder einer Geld­strafe bestraft. Die Ärztin, die ihr dabei hilft, wird mit einer Freiheits­strafe von bis zu fünf Jahren oder einer Geld­strafe bestraft. Es sei denn, die Schwangerschaft wird innerhalb von zwölf Wochen nach Beginn der letzten Periode abgebrochen. Die Frau muss dazu in schriftlicher Form eine Notlage geltend machen.

Straflos ist der Schwangerschafts­abbruch auch dann, «wenn er nach ärztlichem Urteil notwendig ist, damit von der schwangeren Frau die Gefahr einer schwer­wiegenden körperlichen Schädigung oder einer schweren seelischen Notlage abgewendet werden kann. Die Gefahr muss umso grösser sein, je fortgeschrittener die Schwangerschaft ist.»

Der Arzt wird bestraft, wenn er es unterlässt,

  • von der Frau ein schriftliches Gesuch zu verlangen;

  • ein eingehendes Gespräch über die gesund­heitlichen Risiken des Eingriffs mit ihr zu führen;

  • gegen Unterschrift den Leitfaden auszuhändigen, der die Beratungs­stellen, Vereine und Stellen, die moralische und materielle Hilfe anbieten, verzeichnet;

  • Auskunft über Adoptions­möglichkeiten zu geben;

  • den Schwangerschafts­abbruch der zuständigen Gesundheits­behörde zu melden;

  • sich persönlich zu vergewissern, dass eine Frau unter sechzehn Jahren sich an eine für Jugendliche spezialisierte Beratungs­stelle gewandt hat.

Die Schweiz ist nicht das einzige Land, in dem Bestrebungen laufen, Abtreibungs­rechte einzuschränken. In den USA hat der Supreme Court das nationale Recht auf Schwangerschafts­abbruch aufgehoben. In Italien ist es als Abtreibungs­befürworterin schwierig, eine Stelle als Ärztin zu bekommen. In Polen sind Abtreibungen nur noch zulässig, wenn die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung ist oder das Leben der Mutter auf dem Spiel steht. Auf Malta sind im vergangenen Winter Tausende auf die Strasse gegangen, um gegen die Lockerung des Abtreibungs­gesetzes zu protestieren, das beinhalten würde, dass eine Frau straffrei abtreiben darf, wenn ihr Leben in Gefahr ist.

Immerhin: In Deutschland wurde 2022 der Paragraf 219a abgeschafft, das von den National­sozialisten eingeführte «Werbeverbot» für Abtreibungen. Und Spanien hat ein neues Gesetz verabschiedet, worin das Recht auf Abtreibung erweitert wird und Menstruations­beschwerden ein Grund sind, Krankheits­tage zu nehmen.

Die Theologie kennt verschiedene Positionen zum Thema Schwangerschafts­abbruch. Der sozialistische Theologe Karl Barth schreibt 1951 in der «Kirchlichen Dogmatik», dass es sich bei der absichtlichen Schwangerschafts­unterbrechung um Tötung menschlichen Lebens handle. Er fragt aber auch: «Von woher sollte die absolute These begründet werden, dass Gott niemals und unter keinen Umständen etwas anderes als die Erhaltung eines keimenden Menschen­lebens wollen (…) könnte?» Und fährt fort: «Sagen wir es also offen heraus: es gibt Situationen, in denen die Tötung keimenden Lebens nicht Mord, sondern geboten ist.»

Papst Johannes Paul II. sprach 1995 von einer «Kultur des Todes».

Im «Handbuch der Evangelischen Ethik» von 2015 ist zu lesen: «Ein Schwangerschaftsabbruch ist kein ethisch akzeptables Mittel der Familien­planung. Dies bedeutet nicht, dass es nicht plausible Gründe für einen Schwangerschafts­abbruch geben könnte.» Der Eingriff dürfe nur vorgenommen werden, wenn die Frau und der Arzt die Verantwortung dafür übernehmen könnten, und eben dies sei nicht abstrakt und auch nicht unabhängig von der konkreten Situation zu entscheiden.

Und die Theologin Evelyne Baumberger zeigte kürzlich auf, dass in bestimmten Situationen ein Schwangerschafts­abbruch auch aus theologischer Sicht gerechtfertigt sein kann.

Im Judentum kennt die Debatte ebenfalls unterschiedliche Haltungen, und im orthodoxen Judentum gibt es das System der Responsen. Dabei wenden sich Juden mit ihrem Anliegen an einen Rabbiner. Dieser reicht die Frage weiter an den Rabbiner, der sich in der jeweiligen Thematik am besten auskennt. Die Antwort bezieht sich auf vorangehende Überlegungen, Responsen und Auslegungen der Thora. Im Zentrum steht die Beurteilung des Einzel­falls; es gibt kein Pars pro Toto, das heisst, keine Antwort, die für alle gleich gilt. Eine Response kann, je nach theologischer Ausrichtung und individueller Situation, auch für eine Abtreibung plädieren.

Dieser Hinweis ist mir aus zwei Gründen wichtig. Zum einen bezieht sich das freikirchliche Christentum stark auf das Judentum, die proisraelische Haltung ist unhinterfragt und Donald Trump in manchen Kreisen deswegen angesehen, weil er Jerusalem als israelische Hauptstadt anerkannt hat.

Zum anderen ist die Theologie in streng christlichen Kreisen oftmals die grosse Abwesende. Die Wissenschaften gelten als Gefahr, allen voran die Theologie. Man beruft sich zwar strikt auf die Bibel, aber eben auch auf seine eigene, ganz persönliche Beziehung zu Gott oder Jesus. Und die ist unanfechtbar. Dieses Muster erlaubt es, alles Mögliche mit der Bibel zu belegen.

Ich sehe in diesem Anspruch auf Deutungs­hoheit ein Problem des bis heute in Freikirchen praktizierten Laien­predigertums. Denn wenn die Deutung schon gemacht ist, kann sie nur eines sein – konservativ. Der Wille, das System aufrecht­zuerhalten, ist grösser als das Bestreben, zeitgenössische Diskurse in die Überlegungen miteinzubeziehen, und Wider­spruch von aussen dient letzten Endes als Beweis, dass man recht hat. Und in dieser Logik bleibt man als Laien­prediger unangreifbar.

Viele Menschen suchen in Freikirchen Eindeutigkeit. Das führt zum einen dazu, dass Pauschalisierungen leichtes Spiel haben. Zum anderen sehe ich darin das Fundament, auf das sich die patriarchalen Strukturen stützen, die Halt geben, auch den Frauen.

Dabei geben gerade die biblischen Geschichten durchaus Hinweise darauf, dass das menschliche Leben komplex ist und Ambivalenzen nicht immer umgangen werden können.

Die Einzelfälle

Um eine von der Frau ungewollte Schwangerschaft geht es in der Geschichte aus dem Alten Testament, in der sich Batseba auf dem Dach ihres Hauses wäscht und dabei von König David beobachtet wird. Es sind, einmal mehr, kriegerische Zeiten, Batsebas Mann ist im Feld. David lässt Batseba holen und schläft mit ihr, sie wird schwanger.

Um seine Vaterschaft zu vertuschen, lädt David Batsebas Mann ein und bewirtet ihn mit reichlich Alkohol. Dieser aber schläft auf dem Fuss­boden bei den Knechten, weil er es als ungerecht empfände, «in mein Haus zu gehen, um zu essen und zu trinken und bei meiner Frau zu liegen».

Also schickt David Batsebas Mann zurück an die Front, «wo der Kampf am härtesten ist (…), dass er erschlagen werde und sterbe». Davids Plan geht auf, und er lässt dem Feld­herrn ausrichten: «Lass dir das nicht leid sein, denn das Schwert frisst bald diesen, bald jenen.»

Nachdem Batseba ausgetrauert hat, holt David sie zu sich und heiratet sie. Ihr Sohn kommt zur Welt, der zur Strafe für Davids Vergehen nur sieben Tage lebt. «Und als David seine Frau Batseba getröstet hatte, ging er zu ihr hinein und schlief bei ihr. Und sie gebar einen Sohn, den nannte er Salomo.»

Davids Psalmen werden nach wie vor gelesen und gesungen. Die Tradierung dieser Texte zeugt davon, wie ein Mann seine Macht­position ausnutzen kann, ohne dass das seiner Reputation schaden würde: Er ist und bleibt ein Gottesmann.

Dass für Frauen ein anderer Massstab gilt, wird etwa ersichtlich, wenn man einen Blick in die Weihnachts­lieder wirft: Das Bild der unberührten Maria wird freigelegt, die, Hosianna!, ausgerechnet Davids Sohn zur Welt gebracht hat.

Von der Komplexität des Lebens erzählt auch die Geschichte eines anderen, viel jüngeren Davids. Erzählt hat sie mir seine Mutter.

David wäre heute zehn Jahre alt, er wäre ein vergnügtes Kind, sagt seine Mutter. Er wäre ein Bruder, der sie nicht ärgern würde wie die beiden grösseren Brüder, sagt seine Schwester, die nach ihm zur Welt gekommen ist.

Die Schwangerschaft war ungeplant, ein Magen-Darm-Virus hatte den Zyklus durcheinander­gebracht. Nach der ersten Untersuchung in der 12. Schwangerschafts­woche teilte der Frauen­arzt der Mutter mit, in ihrem Urin sei das Zytomegalie­virus nachgewiesen worden. Jedoch in so schwacher Dosierung, dass sie mit grosser Wahrscheinlichkeit vor der Schwangerschaft infiziert worden sei.

In der 23. Schwangerschafts­woche stellte sich heraus, dass das Virus doch in den Kreislauf des Kindes geraten war. Der Fötus war zu klein, sein Hirn verkalkt, der Blut­kreislauf und das Herz funktionierten schlecht und die Organe waren in lebens­bedrohlichem Zustand. Er hätte jederzeit sterben können. Ein zweiter Arzt drängte darauf, sofort eine Fruchtwasser­punktion vorzunehmen. Heute bereut die Mutter, auf ihn gehört zu haben: «Eine Fruchtwasser­punktion ist eine Störung im Lebens­raum des Kindes. David hätte gehen können.»

Der Frauenarzt stellte ihr und ihrem Mann die Frage, ob sie gewillt seien, für ein schwer­behindertes Kind zu sorgen. Das sei die verkehrte Frage gewesen, sagt die Mutter. Denn: «Hätte einer der grösseren Söhne einen Auto­unfall und wäre fortan behindert, würde ich ihn dann töten?»

Die Familie trägt ihre Sorge in die freikirchliche Gemeinde im Berner Oberland, der sie angehört. «In der Kirche hatten wir einen Rückhalt. Die Ältesten sind zu uns nach Hause gekommen und haben gebetet, und von dem Zeitpunkt an ist David normal weiter­gewachsen, die Organe haben sich verbessert, die Verkalkung im Hirn hat sich nicht mehr verschlechtert, das Herz hat besser funktioniert.»

Am 23. Juli 2012 kam David zur Welt, und am 26. Juli 2012 starb er. Er konnte nicht alleine atmen, weil sein Hirn unter­entwickelt war.

Den Namen hatten die Eltern ausgesucht, als sie schon wussten, dass ihr Kind behindert sein würde. Er bedeutet: von Gott geliebt.

Eine Abtreibung ist für die Mutter nie infrage gekommen. «Wir wollten uns nicht das Recht nehmen, über das Leben zu bestimmen. Ein Kind ist kein Besitz, sondern eine Gabe von Gott.» Als klar war, dass David nur an einer Beatmungs­maschine leben könnte, stand für das Paar auch fest, dass sie die Maschine abstellen lassen mussten. Alles andere wäre für sie wie eine Abtreibung mit umgekehrten Vorzeichen gewesen: «Wenn das Leben nicht sein soll, sollen wir es auch nicht erzwingen.»

Ihr ist aber auch klar, dass jede Entscheidung abhängig ist von der eigenen Situation. Wenn Menschen Gott als Lebens­spender nicht kennten, verstehe sie, dass man die Kraft nicht habe, ein Kind zu behalten. Und sie fügt hinzu: «Niemand wählt aus freien Stücken ein schwer­behindertes Kind.»

David habe trotz allem eine Aufgabe erfüllt, sagt seine Mutter: «Es wurden so viele Gespräche darüber geführt, welches Leben lebenswert ist.»

Trotzdem: Als die Ärzte nach drei Tagen feststellen mussten, dass David nicht lebens­fähig ist, sei eine riesige Wut in ihr aufgestiegen. Wut und Enttäuschung über einen Gott, der Leben geben sollte und nicht nehmen. Einen Gott, dem es möglich gewesen wäre, David komplett zu heilen, einen Gott, dem sie vertraut.

«Ich wollte Gläser an die Wand schmeissen vor Schmerz über die Frage, warum ich das Kind austragen musste, wenn es Gott dann doch nicht heilt. Der Trauer­prozess, der Abschied von meinem Sohn, die Versöhnung mit Gott, mir selbst und meinem Körper hat ein ganzes Jahr gedauert.»

Es tröstet sie, dass David lebend zur Welt gekommen ist und sie ihn begleiten durfte. Sie glaubt daran, ihn wieder­zusehen, dass sein Tod nicht das Ende ist. David habe jetzt alles Glück, sagt sie – und man habe die Tendenz, ein verstorbenes Kind in den Himmel zu heben.

Nachdem die Maschinen abgestellt worden waren, hat David noch vier Stunden gelebt. Die Mutter hat friedliche, ehrfürchtige Erinnerungen an diese Stunden, die David in den Armen seiner Eltern verbracht hat. «Und als wir beide vor Erschöpfung eingeschlafen sind, in dem Moment ist David gegangen.»

Die Geschichte von David berührt mich auch deswegen, weil das mein Name gewesen wäre, wenn ich als Junge zur Welt gekommen wäre. Und ich denke tatsächlich zum ersten Mal darüber nach, was für ein Mensch im Evangelischen Brüder­verein aus mir geworden wäre, wenn ich ein Junge gewesen wäre, ein Mann, ein David.

Ich weiss es nicht.

Aber ich werde meinen zweit­ältesten Bruder bei der nächsten Gelegenheit fragen, ob er sich an jenen Moment erinnert, in der Oberstufe, als seine Freunde realisiert haben, dass ich seine Schwester bin. Und ob ich mir das eingebildet habe oder ob er sich wirklich geschämt hat – während ich mit Rock und Zöpfen offen­sichtlich erkennbar war als Mitglied einer Freikirche, wären seine Freunde nicht auf die Idee gekommen, dass auch er dazu­gehören könnte.

Damals wie heute wird vieles am weiblichen Körper fest­gemacht, was nicht in die moralischen Vorstellungen der Gesellschaft passt – nicht nur im religiösen Kontext. Die Ehebrecherin, von der ich zu Beginn dieses Textes erzähle, wird von Männern herbei­geschleppt, aber es bleibt offen, mit wem sie die Ehe gebrochen hat: Sie allein wird angeklagt.

Es wird nicht nur zweimal die Sünde benannt, es wird auch zweimal gesagt, dass die Frau in der Mitte steht. Beim ersten Mal stellen sie die Schrift­gelehrten und Pharisäer in die Mitte und zeigen auf sie. Aber am Ende heisst es: «Und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand.»

Da steht sie also, mit ihrem Körper, mit ihrem Leben, mit ihrer Selbst­verantwortung.

Es geschieht aber noch etwas Zweites von Bedeutung: Es wird mit der Deindividuation gebrochen. Deindividuation bedeutet geteilte Verantwortung, jeder kann sich einreden, nicht sein Stein hätte die letale Verwundung verursacht. Die kollektive Bestrafung einer Person kann den Zusammen­halt einer Gruppe bestärken.

In Johannes 8 jedoch wird die Steinigung individualisiert, jedes Mitglied einzeln zur Verantwortung gezogen.

Die feministisch-theologische Zeitschrift «Fama» hat dem Thema Abtreibungen ein ganzes Heft gewidmet. Regina Ammicht Quinn, Professorin für Ethik an der Universität Tübingen, schreibt darin, dass in unserer Gesellschaft zwei Dinge nötig sind: Entmoralisierung und Remoralisierung.

Mit Entmoralisierung meint sie, dass nicht generell über individuelle Angst, Scham oder Über­forderung geurteilt werden soll. Ich rufe das Bild nochmals auf: Keine soll in die Mitte gestellt werden.

Unter Remoralisierung versteht sie ein kollektives Subjekt, das zum Verantwortungs­träger wird. «Es geht darum, eine Gesellschaft – und letztendlich eine Welt­gesellschaft – aufzubauen, die sensibel wird für Bedürfnisse, die oft übersehen werden, vor allem, weil diese Bedürfnisse von vornherein moralisiert sind.»

Um bei der Frau zu bleiben, die noch immer in der Mitte steht: Ich hoffe, sie trifft eine freundlichere Welt an, wenn sie den Tempel verlässt. Eine Welt der Nächsten­liebe.

Die ganze Wahrheit

In der gleichen Ausgabe der «Fama» bin ich auf eine ausser­gewöhnliche Bibel­auslegung gestossen. Jesus wird zum Synagogen­vorsteher Jaïrus gerufen, dessen zwölf­jährige Tochter im Sterben liegt. Unterwegs wird Jesus von einer Frau, die seit zwölf Jahren an Blut­fluss leidet, am Kleid berührt. Die Frau ist im selben Moment geheilt, aber als Jesus endlich bei Jaïrus ankommt, ist dessen Tochter tot.

Jesus will wissen, wer ihn berührt hat, und die Frau wirft sich aus Furcht auf die Knie und erzählt ihm die ganze Wahrheit. Die ganze Wahrheit, so die vorgeschlagene Lesart, könnte sein, dass die Frau vor zwölf Jahren eine Affäre mit dem Synagogen­vorsteher Jaïrus gehabt hatte, das Kind abgetrieben hatte und seither an Blut­fluss leidet.

Die Heilung der Frau ist mehrfach mit dem Tod des Mädchens verknüpft: Durch die von ihr verursachte Verspätung von Jesus, durch die Idee, dass die zwölf­jährige Tochter etwas damit zu tun haben könnte, dass die Frau seit zwölf Jahren an Blut­fluss leidet, und dadurch, dass die beiden Geschichten ineinander­geschoben sind.

Am Ende erweckt Jesus die Tote zum Leben und mahnt die Umstehenden, niemandem etwas davon zu erzählen. Beide Frauen sind wieder gesund, und einmal mehr beharrt Jesus darauf: Ausser den Beteiligten geht das, was hier geschehen ist, niemanden etwas an.

None of your business.

Hinweis: Wir haben das in der ursprünglichen Version verwendete Wort «Fristenlösung» an drei Stellen durch das Wort «Fristenregelung» ersetzt. Vielen Dank für den Hinweis aus der Leserinnenschaft.

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