
«Die Frage ist: Mit welchen Verbrechen hängt unser Reichtum zusammen?»
Die Credit Suisse und ehemalige Kreditanstalt ist bald Geschichte. Ein Grund zur Trauer? Nein, sagt Historiker Hans Fässler. Die Geschichte der Bank und ihrer Vorläuferin sei geprägt von einer Kontinuität der Kriminalität und fortlaufender Kooperation mit den schlimmsten Verbrechern.
Von Daniel Ryser, 02.05.2023
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Schuld am Niedergang der Credit Suisse, das haben wir in den letzten Wochen häufig gehört, sei die Amerikanisierung der Bank in den 1980ern gewesen. Die Kombination von angelsächsischem Investmentbanking und schweizerischer Vermögensverwaltung habe auf Dauer nicht funktioniert, auch wenn man die hohen Boni natürlich gerne genommen habe. Die Schweizer hätten in einem Kulturkampf den Kürzeren gezogen, und deswegen sei die ruhmvolle Credit Suisse schliesslich kollabiert.
Ohne die Amerikanisierung in den Achtzigern, so das Narrativ, hätte es also gar keine Probleme gegeben, und wir hätten noch viele weitere unbekümmerte, glanzvolle Jahre der Grossbank als Sponsorin von Tennisstars und unseres Fussballnationalteams erleben können.
In St. Gallen trafen wir den Historiker Hans Fässler zum Gespräch. Sein Spezialgebiet: die Verstrickungen der Schweizer Wirtschaft in Kolonialismus und Sklaverei. Ein Mann, der unerbittlich den Finger auf die wunden Punkte der grossen Erzählung legt, die Schweiz sei von innen heraus und allein durch Ehrlichkeit und Fleiss so reich geworden.
Die schwerwiegenden Probleme der Bank, sagt der St. Galler Sklavereiforscher, begannen nicht in den Achtzigern des 20. Jahrhunderts, sondern schon 120 Jahre vorher, bei ihrer Gründung.
Hans Fässler, als Historiker, der sich intensiv mit den Abgründen der Credit Suisse beschäftigt hat: Teilen Sie die Einschätzung der letzten Wochen, dass die Probleme der Credit Suisse erst begannen, als sie sich auf das Amerika-Geschäft zu fokussieren begann?
Wenn ich zum Beispiel auf die Fluchtgelder des philippinischen Diktators Ferdinand Marcos blicke, der sein Land ausplünderte und diese Millionen bei der Kreditanstalt unter dem Decknamen William Saunders versteckte, was der Bank angeblich nicht auffiel, frage ich mich, ob der Geschäftsbereich der gutschweizerischen Vermögensverwaltung wirklich so unproblematisch war. Ich habe aus vielerlei Gründen Mühe zu glauben, dass die Credit Suisse erst mit dem angelsächsischen Kapitalismus zu einer üblen Bank geworden sei und vorher der anständige nicht-amerikanische Kapitalismus am Werk war. Was denken Sie, wann die Kreditanstalt ihre erste US-Filiale eröffnete?
Sagen Sie es mir.
Im Jahr 1870. Vierzehn Jahre nach Gründung der Bank in der Schweiz. Die Kreditanstalt war von Anfang an global, international und kolonial verhängt und hat sich nie gescheut, Geschäfte zu machen, die mit der Ausbeutung des Globalen Südens zu tun hatten. Eine lange Liste von Skandalen deutet darauf hin, dass es nicht die amerikanische Kultur brauchte, um aus dieser anständigen Bank eine schweinische Bank zu machen.
Reumütige Nachrufe auf die anständige Bank lasen wir in den letzten Wochen genug. Reden wir bitte über die schweinischen Geschäfte.
Gerne.
Hans Fässler ist Historiker, Sklavereiforscher und Anti-Apartheid-Aktivist aus St. Gallen. Recherchen zum politischen Kabarettprogramm «Louverture stirbt 1803» für die 200-Jahr-Feier des Kantons St. Gallen führten Fässler zur Beschäftigung mit der Geschichte Haitis, der Sklaverei und der schweizerischen Beteiligung daran. Daraus entstand 2005 sein Buch «Reise in Schwarz-Weiss. Schweizer Ortstermine zur Sklaverei», das 2007 ins Französische übersetzt und bei Duboiris in Paris veröffentlicht wurde. Seither beschäftigt sich Hans Fässler publizistisch und als Referent hauptsächlich mit den Themen Sklaverei, Kolonialgeschichte, Wiedergutmachung und Rassismus. Im Zusammenhang mit der Debatte über die Schweiz als eine koloniale Gesellschaft ohne Kolonien, die Ende der 1990er-Jahre einsetzte, initiierte er zahlreiche politische Vorstösse auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene. Fässler ist zudem Gründungsmitglied des Vereins «Gerechtigkeit für Paul Grüninger», den St. Galler Polizeikommandanten, der im Zweiten Weltkrieg hunderten jüdischen Menschen das Leben rettete, indem er ihre Einreisevisa fälschte und damit die Einreise in die Schweiz ermöglichte. Grüninger wurde für diese Handlung entlassen, von der offiziellen Schweiz fallen gelassen und starb in den Siebzigern verarmt. Der Verein half in den 1990er-Jahren bei der Rehabilitierung des Flüchtlingsretters mit, die schliesslich 1998 zur Gründung der Paul-Grüninger-Stiftung führte.
Kürzlich sagten Sie auf einem Podium zum Niedergang der Credit Suisse: «Die Schweizerische Kreditanstalt stammt mitten aus einem kolonialen Zusammenhang.» Was meinten Sie damit?
Der Mann, der den Anstoss für die Gründung dieser Bank gab, hiess Hans Caspar Hirzel. Er war ein Zürcher Kaufmann in Bordeaux, dem grossen französischen Atlantik-, Sklaverei- und Welthafen. Als Grossbritannien 1842 als Folge des Opiumkrieges die Öffnung der Häfen Chinas erzwang, war Hirzel vor Ort auf Erkundungsmission, um die geschäftlichen Möglichkeiten zu prüfen. Hirzel war ein Schweizer Pionier des Handels mit Indien und China und ab 1851 persönlicher Berater von Alfred Escher, dem Gründer der Kreditanstalt. Gemeinsam sassen sie im ersten Verwaltungsrat der Bank. Zusammen mit vielen Unternehmern und Industriellen, die man als «Baumwollene» bezeichnet hat.
Baumwollene?
Leute, die in der Baumwollindustrie tätig waren.
Das Pflücken von Baumwolle war im 19. Jahrhundert ein Synonym für die Arbeit versklavter Menschen.
«Ohne Sklaverei keine Baumwolle, ohne Baumwolle keine moderne Industrie.» Dieses Zitat von Karl Marx ist wahrscheinlich für die Schweiz noch wahrer als für den Rest Europas, weil die Industrialisierung der Schweiz im 19. Jahrhundert auf der Textilindustrie beruhte. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ging man von der Baumwolle aus dem östlichen Mittelmeerraum zur amerikanischen Baumwolle über: von Ägypten, der Türkei, Griechenland, Mazedonien weg hin zur Karibik, Brasilien, Nordamerika. Im 19. Jahrhundert stammte die Schweizer Baumwolle fast ausschliesslich aus den Südstaaten der USA. Schliesslich entwickelte sich in der Schweiz aus der Textilindustrie die Maschinenindustrie. Auf der Baumwolle beruhte die Industrialisierung der Schweiz.
Die Baumwollenen und die Bank: Was hat das mit der Gründung der heutigen Credit Suisse zu tun, der Schweizerischen Kreditanstalt?
Kreditanstalt-Gründer Alfred Escher steckt wegen seiner Familiengeschichte mitten im schwarzen Atlantik. Wenn ich schwarzer Atlantik sage, meine ich jenen transatlantischen Wirtschaftsraum, der seit dem 17. Jahrhundert geprägt war durch den Dreieckshandel zwischen Europa, Afrika, Amerika. Die Verwicklung in diese Kolonialgeschichte lässt sich bis zu Alfred Eschers Grossvater dokumentieren.
Welche Rolle spielte die Familie?
Der Grossvater Hans Caspar Escher war Bankier und Offizier in russischen Diensten. Über eine Firma in Marseille und Cádiz finanzierte er ein Sklavenschiff mit. Dieses Schiff, die Olympe, stach von Bordeaux aus in See, entführte 264 Männer und Frauen in Westafrika. Die Menschen, Sklavinnen und Sklaven, wurden nach Cap Français in Saint-Domingue deportiert, dem heutigen Haiti. Der Historiker und Sklavereiforscher Michael Zeuske stellte die Faustregel auf, dass ein einziger Sklave damals so viel wert gewesen sei wie heute ein Mittelklassewagen. Ein versklavter Mensch war ein respektabler Besitz mit respektablem Wert. Die Mutter von Alfred Escher, Lydia Zollikofer, stammte aus einer reichen St. Galler Familie. Wie die Eschers waren die Zollikofers stark in die Kolonialgeschichte verstrickt, in Nordamerika, in Ostindien. In der holländischen Kolonie Berbice in Südamerika trug eine Plantage den Namen Altenklingen.
Wie das Schloss im Thurgau?
Ja, die Sklavenplantage in Berbice wurde nach dem Stammschloss der Zollikofers benannt. Das Schloss befindet sich noch immer in Familienbesitz, ein sehr schönes Schloss – wenn man Schlösser schön finden kann, die aus Geld finanziert wurden, das gestohlen wurde.
Sie haben jetzt vom Grossvater und von der Mutter gesprochen. Was war mit dem Vater von Alfred Escher?
Heinrich Escher hat zuerst für eine Pariser Bank gearbeitet, die auch Zürcher Wurzeln hatte: Hottinguer & Co. Diese Bank half der französischen Regierung, die Expedition von 1802 nach Saint-Domingue zu finanzieren, um den Sklavenaufstand, der 1791 begonnen hatte, die Revolution auf Haiti, niederzuschlagen. Das war eine der grössten Expeditionen von Seestreitkräften der damaligen Zeit. Aber Frankreich verlor diesen Krieg.
Und danach?
Heinrich Escher wurde Agent von Hottinguer in den USA, spekulierte mit Grundstücken, mit Kolonialwaren, wurde unglaublich reich, besass einen Anteil an einer der besten Tabakplantagen in Virginia. In seiner Briefkorrespondenz sieht man, dass er mit Politikern vom Kaliber eines Kriegsministers John Armstrong, mit George Washington und Thomas Jefferson Kontakt hatte. Und da muss man den französischen Soziologen Pierre Bourdieu ins Spiel bringen, der sagte, man muss nicht nur das Finanzkapital betrachten, sondern auch das soziale und kulturelle Kapital. Denn diese drei Sorten Kapital sind konvertierbar. Wenn man die richtigen Verbindungen hat, kann man damit auch Finanzkapital generieren. Das hat mit Bildung zu tun, mit Wissen, mit Bibliotheken und Atlanten, die man besitzt. Im Fall Eschers beispielsweise das Wissen, wie man im schwarzen Atlantik geschäftet.
Man könnte entgegnen, dass man sich im Fall von Alfred Escher auch ohne koloniale Bezüge das kapitalistische Handwerk aneignen kann.
Alfred Escher schaffte es mit unglaublichem Tatendrang, Politiker zu sein in Zürich und auf nationaler Ebene eine Bank zu gründen, eine Versicherungsgesellschaft, Eisenbahnlinien, die ETH und den Gotthardtunnel zu initiieren. Escher war eine Zeit lang unangreifbar, weil er auf sämtlichen Ebenen tätig war und relativ undemokratisch handeln konnte. Das kam nicht aus dem Nichts. Sondern weil er aus einer extrem vernetzten, extrem reichen Geschäftsfamilie stammte, die mit allen atlantischen Wassern gewaschen war.
Sie erwähnten den deutschen Sklavereiforscher Michael Zeuske. 2017 publizierte «Das Magazin» einen Text über Zeuskes Forschung und belegte, was der Escher-Biograf und Credit-Suisse-Firmenhistoriker Joseph Jung ein paar Jahre zuvor als «Schlammschlacht» abgetan hatte: dass Alfred Eschers Erbe auf Sklavenarbeit gründete.
Der Kölner Sklavereiforscher Zeuske fand im Nationalarchiv von Havanna ein Dokument, eine Steuerliste von 1822, die belegte, wovon man lange ausgehen musste, nämlich den Sklavenbesitz der Familie Escher auf Kuba.
Worin bestand dieser Besitz?
Es geht um die Sklavenplantage Buen Retiro. Diese Plantage war lange bekannt. Schon im 19. Jahrhundert wusste man, dass sie in den Händen der Familie Escher war, zuerst von Alfreds Onkel Friedrich Ludwig Escher. Es war sehr wahrscheinlich, dass auf einer Kaffeeplantage auf Kuba zu jener Zeit Sklaven arbeiteten. Aber es gelang bis 2017 nicht, diesen Nachweis zu erbringen.
Was weiss man heute?
Alfred Eschers Onkel und danach Alfreds Vater Heinrich besassen auf Kuba eine Plantage mit 87 versklavten Menschen. 82 Feldsklavinnen und 5 Haussklaven. Als der Onkel 1845 starb, ging die Plantage, die einen beträchtlichen Wert von 40’000 Silberpesos hatte, an Heinrich, Alfreds Vater. Die Plantage lag in Cuba Grande, in der Nähe von Matanzas, und das war Mitte des 19. Jahrhunderts eine der modernsten, am weitesten entwickelten Sklaverei-Plantagen-Landschaften der Welt. Eine Plantage an so einem Ort hatte einen immensen Wert. Schliesslich verkaufte Heinrich die Sklavenplantage mit Alfreds Hilfe. Welche beträchtliche Summe dadurch in Alfreds Taschen landete, weiss man nicht. Die betreffenden Dokumente wurden bis heute noch nicht gefunden.
Historiker Joseph Jung verteidigt Alfred Escher bis heute: «Wir müssen klarstellen, dass Alfred Escher nie auf Kuba war und auch keine Sklaven hatte», sagte er 2020.
Als ob Profite aus dem Kolonialismus nur dann gemacht werden könnten, wenn man im entsprechenden Land lebt und selbst Sklaven besitzt … Das ist ein seltsames Argument. Es erinnert mich an den bayerischen Kabarettisten Gerhard Polt, der in einer seiner Nummern einen rechtsextremen Bayern auftreten lässt, der sagt: «Jo, dieses Auschwitz, das waren ja gar nicht mir. Das war ja gar nicht in Deutschland. Das lag in Polen.»
Wie lautete denn Alfred Eschers Position bezüglich der Sklaverei?
Alfred Escher vertrat während des Bürgerkriegs in den USA, der ja ein Krieg um die Abschaffung der Sklaverei war, also eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit, die Position, in einem solchen Konflikt müsse man «rückhaltlose Neutralität» bewahren. Eine solche Position konnte nur den Südstaaten helfen. Alfred hatte übrigens eine Cousine, deren Mutter eine Sklavin der Eschers war.
Wie bitte?
Friedrich Ludwig Escher, Alfreds Onkel, der Plantagenbesitzer auf Kuba, zeugte mit seiner Haussklavin und Waschfrau Serafina eine Tochter. Nach allem, was ich durch meine Beschäftigung mit der Sklaverei weiss, war sexualisierte Gewalt von weissen Plantagenbesitzern gegenüber afrikanischstämmigen Sklavinnen eher der Normalfall als die Ausnahme. Vielleicht gab es damals auch das, was man im weitesten Sinne als Liebesbeziehung bezeichnet, das will ich nicht ausschliessen. Die Norm aber war: Gewalt. Man weiss nicht, wie Alfreds Cousine gezeugt wurde. Man weiss aber, dass Serafina, die Sklavin, 300 Pesos wert war, und die Tochter, die afro-kubanische Cousine von Alfred, dann nur noch 100 Pesos.
Joseph Jung ist nicht der einzige Historiker, der Alfred Escher vehement verteidigt. Ein anderer ist Markus Somm, der im Buch «Warum die Schweiz so reich wurde» die These aufstellt, der Reichtum der Schweiz habe nichts mit Bankgeheimnis oder Sklaverei zu tun.
Ich zweifle nicht daran, dass die Schweiz eine leistungsfähige Volkswirtschaft war, weil hier auch sehr viel und sehr hart gearbeitet wurde. Man muss ja nur mal schauen, wie wenig Ferien wir haben, wie lange wir arbeiten. Und die Dinge sind immer kompliziert. Ich würde Markus Somm zum Beispiel recht geben, dass die Reformation für unseren Reichtum eine gewisse Rolle spielte, die Kleinräumigkeit, die Unterschiede zwischen den Kantonen, die hugenottische Immigration. Aber daraus zu schliessen, Bankgeheimnis und Sklaverei hätten deshalb keine Rolle gespielt, ist eine ideologisch verblendete Verkennung historischer Tatsachen.
Eine extreme Minderheitenposition?
Es ist wichtig, zu betonen: Was ich beschreibe, anerkennt die überwiegende Mehrheit der historisch Forschenden. Aber es gibt natürlich, ähnlich wie beim Klimawandel, einzelne laute Exponenten der rechtskonservativen Schweiz, denen das gegen den Strich geht. Sobald man nicht mehr sagen kann, dass wir alles selbst geschaffen haben, öffnet das neue Diskurse und – aus ihrer Perspektive – gewisse Gefahren. Man müsste sich fragen: Wer hat es eingefädelt? Wer hat profitiert und auf Kosten von wem? Mit welchen Verbrechen hängt unser Reichtum zusammen? Sind wir haftbar?
Mit welchen Verbrechen hängt unser Reichtum zusammen?
Das Konto des korrupten nigerianischen Diktators Sani Abacha beispielsweise, betrügerische Kreditgeschäfte mit Mosambik, die das arme Land an den Abgrund brachten und Millionen Menschen in die Armut stiessen oder die nachrichtenlosen Vermögen jüdischer Personen, die von den Nazis geraubt und in der Schweiz parkiert worden waren: Die Liste von Skandalen ist lang. Gerade bei Apartheid, Sklaverei oder Holocaust geht es ja nicht um Kleinigkeiten. Es geht um schlimmste Massaker, um Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Die Geschichte der Credit Suisse ist auch eine Geschichte der Kooperation mit schlimmsten Verbrechern?
Ja, das würde ich so sagen. Und man könnte über vieles sprechen, aber ich würde gerne über die Apartheid sprechen. Die Apartheid Südafrikas ist in meinen Augen eine ganz zentrale Epoche im üblen Geschäften der Schweizerischen Kreditanstalt. Hier spielt auch die Sklavereigeschichte hinein, denn Südafrika war eine Sklavenhaltergesellschaft. Die Apartheid war ein staatlich etabliertes rassistisches System nach dem Zweiten Weltkrieg, nach den Schrecken des Holocaust, dem Antisemitismus. Und in diesem Verbrechen gegen die Menschlichkeit mischte die Kreditanstalt mit. Sie war wichtig für das Fortbestehen des Apartheidsystems.
Wie das?
1968 gründeten Bankverein, Bankgesellschaft und Kreditanstalt den sogenannten Goldpool. Über dieses Einkaufskartell wurde zeitweise mehr als die Hälfte der südafrikanischen Goldproduktion abgewickelt. Der Geschäftsmann Pio Eggstein war langjähriger Leiter des Schweizer Komitees der South Africa Foundation. Er bot 1977 an, für die Schweizer Handelsförderung diskrete, heimliche Geschäftsbeziehungen einzufädeln. Eggstein war der Meinung, ohne weisse Führung gebe es in Südafrika keine Entwicklung. Und sein Kollege, der Kreditanstalt-Generaldirektor Robert H. Lutz – die NZZ nannte ihn einen «Bankier alter Schule» – schrieb derart begeistert über seine Südafrika-Eindrücke, dass die südafrikanische Regierungspresse, das Apartheidregime, seine Artikel in Südafrika verbreitete. Die Kreditanstalt betrieb regelrechte Propaganda für das Apartheidregime. Und die geheime Anti-Terror-Einheit «Vlakplaas», die Apartheidgegner umbrachte, gab später an, sie habe ihre Operationen aus einem geheimen Fonds finanziert. Das Konto hatte sie bei der Kreditanstalt. Aber das Wichtigste habe ich noch nicht erwähnt.
Das wäre?
Dass in den 1980er-Jahren, als das Apartheidregime weltweit unter Druck kam, die Schweizer Banken die Umschuldung des Regimes organisierten und ihm somit das wirtschaftliche Überleben sicherten. Der Soziologe Jean Ziegler sagte einmal: «Südafrika würde nicht vierzehn Tage überleben ohne die Schweizerische Bankgesellschaft, den Schweizerischen Bankverein, die Schweizerische Kreditanstalt und wie die philanthropischen Gesellschaften auch alle heissen.»
Ein anderer, der das Apartheidregime unterstützte, war Christoph Blocher.
Blocher war mit seiner «Arbeitsgruppe südliches Afrika» tatsächlich einer der zentralen Unterstützer des rassistischen Apartheidregimes. Wenn Blocher heute erzählt, er habe immer vor den bösen USA-Geschäften gewarnt und dass die Bank ohne diese Geschäfte sauber geblieben wäre, dann heisst das doch: Für Blocher war die Unterstützung der Apartheid kein Problem.
Wir wissen heute, dass die damalige Kreditanstalt im Zweiten Weltkrieg aus Hitlers Judenverfolgung Profit schlug. Und trotzdem gewann man in den letzten Wochen den Eindruck: Alle in diesem Land liebten diese Bank.
Offenbar haben all diese Skandale nie dazu geführt, dass das Vertrauen in diese Bank verlustig gegangen ist. Diese Gleichgültigkeit in einer breiten Bevölkerung in der Schweiz ist mir ein Rätsel.
Haben Sie keine Erklärung?
Die Kreditanstalt beziehungsweise die Credit Suisse haben ihr Image mit Sportsponsoring, Kultursponsoring immer wieder geschickt aufpoliert. Mit Roger Federer, mit der Fussballnationalmannschaft. Die Credit Suisse sponserte im Kanton Ausserrhoden, wo ich viele Jahre als Lehrer arbeitete, jedes Jahr einen Fussballanlass für die Jugend, den CS-Cup. Ich stellte an einer grossen Lehrerkonferenz den Antrag, dass die Schulen an dem CS-Cup nicht mehr mitmachen sollten, weil es nicht angehe, dass wir mit den Kindern das Image einer kriminellen Skandalbank immer wieder aufpolierten. Ich bin mit dem Antrag gnadenlos gescheitert. Die Gegenseite schob sogar noch zwanzig, dreissig Kinder auf die Bühne, um zu zeigen, wem der böse alte Mann hier den Spass verderben wolle.
Am Ende scheiterte die Credit Suisse aber nicht an den sportbegeisterten Schweizerinnen.
Aus meiner Perspektive als Historiker ist das ein interessanter Punkt: dass eine Schweizer Bank, die mit Mitteln aus der Sklaverei entstanden war, sich so entwickelte, dass eine Aussage, ein Gerücht aus der nicht europäischen Welt, der Peripherie, wie man früher gesagt hätte, diese Bank zum Einsturz bringen kann. Eine koloniale Umkehr sozusagen, eine Umkehr der Verhältnisse. Ein Vertreter eines Petro-Staats hat mit der Aussage an einer Tagung, dass man kein Geld mehr einschiessen werde, das Ende der Credit Suisse besiegelt. Ein Satz, und die Schweiz erzitterte.