Johanna Hullár und Daniel Valance

Höllenwoche

Viele Frauen leiden vor ihrer Menstruation und bekommen keine Hilfe. Das hat auch damit zu tun, dass längst nicht alle anerkennen, dass die Beschwerden überhaupt existieren. Ein Appell für mehr Forschung und besseres Zuhören.

Von Ronja Beck, 21.04.2023

Vorgelesen von Regula Imboden
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Alle vier Wochen wünsche ich mir, ich hätte ein Messer im Bauch. Dann wäre immerhin klar, warum mein Körper Alarm schlägt und wie sich das beheben liesse: Spital, heraus­ziehen, zunähen, fertig.

Was ich habe, ist gemeiner als ein Messer. Es ist ungreifbar. Mal vorhersehbar und dann wieder nicht. Es ist eine monatliche Runde Roulette, bei der ein Spiel­süchtiger mein Geld setzt und mal mehr, mal weniger, aber immer verliert.

Es geht um PMS, kurz für prämenstruelles Syndrom. Schwer Betroffene nennen die Zeit vor der Monats­blutung auch hell week, Höllen­woche.

Ich kann in dieser Zeit oft kaum schlafen, mir ist übel, ich schwitze, friere, schwitze wieder. Von einem Tag auf den anderen werde ich ängstlich, panisch, traurig, depressiv. Um die Symptome zu zählen, bräuchte ich acht Hände. In unter­schiedlicher Intensität und Kombination lehren sie mich jeden Monat aufs Neue das Fürchten vor mir selbst.

Ursache: unklar. Kein Messer, das sich rausziehen liesse.

Über 90 Prozent der Frauen erleben mindestens eines von mehr als 150 physischen oder psychischen PMS-Symptomen. Ungefähr jede dritte Frau leidet unter einem milden bis mittel­schweren PMS, das ihren Alltag beeinträchtigt. Und zwischen 5 und 8 Prozent der Frauen leiden unter einer besonders schweren Form von PMS, der prämenstruellen dysphorischen Störung (PMDS – oder eben: Höllen­woche).

Den Betroffenen wird üblicher­weise eines der folgenden Mittel zur Therapie vorgeschlagen:

  • Die Pille

  • Kräuter

  • Diäten

Manchen Betroffenen hilft Mönchs­pfeffer wirklich, oder die Hormone in der Pille. Wieder anderen geht es besser, wenn sie auf Weissmehl und Zucker verzichten. Doch bei wem welche Behandlung anschlägt, ist im Vornherein nicht zu wissen – und die Neben­wirkungen bei der Pille können heftig sein.

Wer an PMS leidet, hängt gleich in zwei Glücks­spielen fest: Sie weiss nicht, was ihr Körper nächsten Monat für sie bereit­hält; und sie weiss nicht, was dagegen hilft.

Ihr bleibt nur, zu hoffen und zu kämpfen. Dass das Leiden rund um die Menstruation endlich anerkannt wird.

Wie konnte das passieren?

Wenn vor allem eines zählt: Der Mann

Im alten Griechenland hätte man – abgeguckt bei den Ägyptern – bei PMS-Betroffenen wahrscheinlich einen wandernden Uterus diagnostiziert. Und den Frauen geraten, diesen zu «beschweren», also schwanger zu werden.

Funfact: Die alten Griechen erklärten sehr viele Erkrankungen bei Frauen damit, dass die Gebär­mutter im Körper herum­wandere, wenn sie nicht zur Reproduktion genutzt werde.

Wir wissen glücklicherweise seit geraumer Zeit, dass da nichts wandert. Viel mehr wissen wir über das prämenstruelle Syndrom aber auch heute nicht.

Bekannt ist, dass PMS mit dem weiblichen Zyklus zusammen­hängt. Wer nicht menstruiert, leidet auch nicht an PMS. Das Augenmerk von Forscherinnen liegt besonders auf den beiden Sexual­hormonen Östrogen und Progesteron, die den Zyklus­verlauf prägen. Östrogen erreicht vor dem Eisprung seinen Höhepunkt, Progesteron danach und stürzt dann in die Tiefe. Schliesslich tritt die Blutung ein.

Heute gehen viele Wissenschaftlerinnen davon aus, dass Betroffene empfindlicher auf diese Hormon­schwankung reagieren und deshalb an PMS oder PMDS leiden.

Warum das so ist? Unklar. Aber es gibt Hinweise. Die Sexual­hormone wirken sich auch auf unser Gehirn aus. Konkret auf die Neuro­transmitter Serotonin und Gaba, die unsere Stimmung beeinflussen. Eine neurowissenschaftliche Studie der Uni Leipzig zeigte kürzlich, wie bei Frauen mit PMDS der Serotonin-Transport gestört war. Helfen könnten dagegen Anti­depressiva.

Solche Erkenntnisse sind dünn gesät. Bis heute lässt sich nicht genau sagen, was all die geistigen und körperlichen Symptome des prämenstruellen Syndroms verursacht. Dabei gab es schon immer menstruierende Menschen. Und heute menstruieren sie, Verhütung und verbesserter Lebens­standard sei Dank, so häufig und so lange wie nie.

Die Frage ist aber nicht nur, was wir wissen oder nicht wissen. Sondern auch, was wir wissen wollen.

Im wissenschaftlichen Publikations­portal Researchgate finden sich fünf­mal so viele Studien zu erektiler Dysfunktion wie zu PMS – obwohl es wohl mehr Frauen mit PMS gibt als Männer mit einer erektilen Dysfunktion.

Das kann daran liegen, dass bis heute kein Konsens darüber besteht, welche Symptome zu PMS und PMDS zählen und ab wann das Syndrom diagnostiziert werden soll. Das macht es schwierig, Studien zu vergleichen und grundlegende Schlüsse zu ziehen, die wiederum zu mehr Forschung führen könnten. Es liegt aber auch an der Giftwolke, die seit Jahrhunderten über der medizinischen Forschung schwebt: Der prototypische Mensch ist der Mann. Studiert, erforscht, untersucht wird er, nicht die Frau.

Das hat Folgen:

Frauen haben deutlich weniger Herz- und Kreislauf­erkrankungen, sterben aber häufiger daran.

Frauen kriegen bei Schmerzen seltener Schmerz­mittel und häufiger Beruhigungs­mittel als Männer.

Gelehrte diffamierten kranke Frauen lange Jahre als «hysterisch» – also als Opfer eines wandernden Uterus, eines psychischen Leidens oder des Teufels – und verwehrten ihnen damit die Behandlung, die sie gebraucht hätten.

Die Medizin hat Frauen lange nicht ernst genommen und ihnen damit Schaden zugefügt. Und sie nimmt sie auch heute zu oft nicht ernst.

In den US-amerikanischen National Institutes of Health, der wichtigsten Behörde für biomedizinische Forschung, existiert für jedes Organ­system ein eigenes Institut. Ausser für den weiblichen Reproduktionstrakt.

Wir wissen also zu wenig.

Spätestens seit der Covid-Pandemie ist offensichtlich, was es braucht, um einem stockenden Forschungs­gebiet frisches Leben einzuhauchen. Es sind im Grundsatz zwei Dinge: Geld und ein Gefühl von Dringlichkeit. Wenn beides vorhanden ist, kann offenbar selbst ein vernachlässigtes Gebiet wie die Impf­forschung in kürzester Zeit einen medizinischen Durchbruch erreichen.

Bei PMS fehlt beides. Die weiblichen Reproduktions­organe sind vieles, aber offenbar keine Geldmagnete. Und der Dringlichkeit schlägt allzu oft ein anderes Gefühl entgegen: Zweifel.

Vor einigen Jahren berichtete die Psychologin Kathleen Lustyk, dass ihr Forschungs­gelder verwehrt wurden, weil PMS nicht existiere. Es sei bloss ein «gesellschaftliches oder kulturelles Produkt, das einen natürlichen Prozess in ein negatives Licht gerückt hat und aufgrund der monatlichen Vorhersehbarkeit zu Leiden durch Vorweg­nahme führt».

Ein grosser Teil der Fachleute ist sich aber einig, dass PMS kein sozio­kultureller Auswuchs ist, sondern biologische Ursachen hat. Dennoch kleben Zweifel an PMS wie Ameisen am Honig­glas. Und als wäre das nicht schon genug vertrackt: Häufig verstecken sich hinter diesen Zweifeln gut gemeinte Absichten.

Bin ich eine schlechte Feministin, wenn ich meine Menstruation hasse?

Die schwache Frau, die Opfer ist ihrer Reproduktions­organe und dem Mann immer untergeordnet – dieses Bild ist so alt wie falsch. Aber es hält sich hartnäckig und ist eng verwoben mit der Frage, warum auch in feministischen Kreisen PMS so kritisch beäugt wird.

Es lässt sich nicht so einfach abschütteln, dass Frauen seit Jahrtausenden Inferiorität angedichtet wird. Und deshalb ist verständlich, dass viele Frauen jeden Zentimeter verteidigen, der von Vorurteil und Unter­drückung befreit wurde: Ein mässig erforschtes Syndrom, das vielen Frauen wegen ihrer Reproduktions­organe allerlei Beschwerden attestiert – das macht Angst.

Zum Beispiel davor, dass das Syndrom einen neuen Vorwand liefern könnte, unsere Körper als von Natur aus fehlerhaft zu bezeichnen.

Oder davor, dass man uns zu Spinnerinnen erklärt. Zu Opfern unserer Hormone, die man in einer von vier Wochen nicht ernst nehmen kann.

Angst davor, dass man an uns Geld verdienen will, mit Medikamenten, Kräutern und Diäten.

Und Angst, dass wir beim nächsten Bewerbungs­gespräch schlechtere Karten haben, weil wir ein paar Tage im Monat leistungs­schwächer sein könnten.

Diese Ängste führen manchmal dazu, dass PMS als leidige Legende kleingemacht wird. Dass Frauen in die Schranken gewiesen werden: Man kann sie nicht ernst nehmen, sie hat PMS.

So argumentiert zum Beispiel die US-amerikanische Psychologin Robyn Stein DeLuca in einem viel beachteten Tedtalk zu PMS. DeLuca fokussiert darin auf die Unsicherheiten rund um PMS. Sie spricht von der Prävalenz, die in Studien stark variiert; erwähnt Untersuchungen, in denen sich einzelne Symptome nicht bestätigten, und betont die unklare Ursache für das Syndrom. Sie sagt, weil es so viele Symptome gebe, würde das Label PMS «bedeutungslos».

DeLuca: «Ich könnte PMS haben. Sie könnten PMS haben. Der Typ in der dritten Reihe könnte PMS haben. Mein Hund könnte PMS haben.»

Ihr Hund.

DeLuca ruft in ihren 15 Minuten nicht beispiels­weise zu mehr Forschung auf oder dazu, Betroffenen zuzuhören. Sie will den Zuschauerinnen stattdessen ein für alle Mal klar­machen, dass es PMS nicht gebe, es sei ein «Mythos».

Vermutlich meint es Robyn Stein DeLuca im Grunde gut. Sie will uns Frauen schützen. Gäbe es, wie sie argumentiert, kein PMS, gäbe es auch weniger Zweifel an der Fähigkeit von Frauen, zu urteilen, zu leisten, zu funktionieren. Es wäre vermutlich besser für uns alle.

Nur redet sie dabei nicht nur epidemiologische Untersuchungen klein. Sie spricht vor allem Betroffenen ihre Erfahrungen ab. Und genau das sollte man, in Anbetracht der älteren wie jüngeren Geschichte, nicht tun.

Die Argumentation von DeLuca und anderen PMS-Kritikern (die zum Glück nicht unwidersprochen bleiben) lässt sich fast lückenlos auf Long Covid übertragen. Die Studien­lage ist dünn und manchmal widersprüchlich, die Symptom­liste ist lang und die genaue Ursache unklar. Deswegen ist Long Covid aber kein Mythos. Es ist nur zu wenig erforscht.

Die PMS-Symptome von Arbeits­kolleginnen, Freundinnen, Familien­angehörigen und mir sind real. Dasselbe gilt für das Engagement vieler seriöser Forscherinnen und Mediziner, die um Gelder kämpfen.

Gelder, die Forscherinnen wie Kathleen Lustyk verwehrt werden, weil PMS angeblich nicht existiere.

Die meisten Menschen mit PMS leisten während ihrer Symptome wahrscheinlich nicht weniger, sondern mehr. Weil Frauen gelernt haben, sich nichts anmerken zu lassen von dem, was ihre Reproduktions­organe so anstellen können – sei es PMS, Menstruation oder Schwangerschaft.

Und wenn sie es tun, hört man ihnen zu oft nicht richtig zu.

Nach mehreren schlimmen PMS-Phasen ging ich diesen Winter zur Gynäkologin. Ich sagte ihr, dass ich eine von vier Wochen depressiv sei und die gängigen Mittel nicht halfen. Sie hörte mir aufmerksam zu, stellte mir viele Fragen, tippte unaufhörlich in ihren Computer. Am Ende verschrieb sie mir vier anthroposophische Kräuter­präparate.

Dann liess sie mich aus der Tür und sagte: «Vielleicht schreiben Sie lieber über entspannende Themen.»

In einer früheren Version haben wir im Text, der bei einem Link hinterlegt ist, von einer Magenspiegelung geschrieben, richtig ist Bauchspiegelung. Die Stelle ist korrigiert, wir bedanken uns für den Hinweis aus der Verlegerschaft.

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