Binswanger

Die Machtlosigkeit wird sich rächen

Das Schweizer Parlament hätte über die Notkredite zur Grossbanken­rettung befinden sollen. Geschehen ist etwas anderes: Es hat sich ad absurdum geführt.

Von Daniel Binswanger, 15.04.2023

Vorgelesen von Magdalena Neuhaus
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Am Ende dieser denkwürdigen CS-Sondersessions­woche kann eine Frage nicht mehr abgewiesen werden: Wie irreversibel ist der Schaden, den die Schweizer Demokratie jetzt nehmen wird?

Natürlich kann man beschwichtigen, darin haben wir inzwischen Übung. Die Mega-UBS wird sich stabilisieren, die Kosten für die öffentliche Hand werden mit viel Glück vielleicht gar nicht hoch werden, der Reputations­schaden für den Finanz­platz Schweiz wird sich vielleicht trotz allem in Grenzen halten. Das könnte alles sogar zutreffen. Dennoch demonstrierte die ausser­ordentliche Session des Parlaments auf dramatische Weise, wie machtlos, hilflos und eigentlich schon beinahe überflüssig geworden unsere sogenannten Volks­vertreterinnen den Gross­institutionen des globalen Finanz­kapitals inzwischen ausgeliefert sind. Dieser Eindruck wird nachwirken.

Im Prinzip hätte die ausser­ordentliche Session zum Moment der Aufarbeitung, des In-die-Pflicht-Nehmens der Verantwortungs­träger, des Aufgleisens gesetzlicher Gegen­massnahmen werden sollen. Stattdessen wurde sie zu einem Schau­laufen der Abnickerinnen, einem Festival der Absichts­erklärungen, einer Tribüne für vollkommen irrelevante Moral- beziehungsweise Buss­predigten. Zu glauben, das werde nicht massive politische Folgen haben, wäre von sträflicher Naivität.

In historisch einmaligem Mass hat das Parlament der Schweizer Bevölkerung seine Macht­losigkeit vor Augen geführt. Zu guter Letzt konnte weder die Forderung nach einem Trennbanken­system noch eine Regulierung der Boni für die Kader von system­relevanten Banken noch eine weitere Verschärfung der Eigenkapital­quote beschlossen oder wenigstens voran­gebracht werden. Das Einzige, was schliesslich gelang, war die Ablehnung der Notfall­kredite von 109 Milliarden durch den Nationalrat.

Es handelt sich um eine spektakuläre Widerstands­geste, die allerdings nicht mehr ist als genau das: Spektakel. Und die die politische Impotenz der Schweizer Legislative eigentlich erst so richtig ins Scheinwerfer­licht rückt. De facto sind die Notkredite schliesslich bereits rechts­gültig gesprochen. Die Ablehnung bleibt rein symbolisch.

Natürlich hatte die unheilige Allianz aus Grünen, Sozial­demokraten und SVP vollkommen recht damit, die Notfall­kredite nur unter der Bedingung absegnen zu wollen, dass mit stark verschärfter Regulierung Massnahmen getroffen werden, um weitere Bail-outs – oder staatlich gesponserte «privat­wirtschaftliche» Übernahmen – zu verhindern. Aber letztlich, auch dieser Tatsache sollte man ins Auge sehen, hat nicht nur die doch eigentlich sehr bankennahe SVP, sondern auch die SP in diesem Politik­feld keine Glaubwürdigkeit. Gemeinsam hätten die SVP- und SP-Bundesräte den Notkredit verhindern können. Sie haben es nicht getan, aus völlig nach­vollziehbaren Gründen: Der volks­wirtschaftliche Schaden für die Schweiz wäre zu gross gewesen.

Der Realismus der Schweizer Regierung ist lobenswert. Allerdings verbannt er die Ablehnung der Kredite durch linke und rechte Parlamentarierinnen in den Bereich der reinen Symbol­politik: Man hat nicht abgelehnt, obschon, sondern weil man wusste, dass es keinerlei Folgen haben würde.

Natürlich ist es dennoch albern, die Polparteien für ihren Widerstand zu geisseln, sie zu beschuldigen, blossen Wahl­kampf zu betreiben und es an staats­tragendem Pflicht­bewusstsein fehlen zu lassen. Diese Vorwürfe, die nun unisono von FDP, Mitte und GLP erhoben werden, sind ihrerseits nichts als Wahl­kampf: Angriff ist die beste Verteidigung. Es wäre falsch gewesen, die Notkredite anstandslos durch­zuwinken, und symbolischer Widerstand ist vielleicht ein bisschen besser als gar nichts.

Die Botschaft, die das Schweizer Parlament dem Publikum partei­übergreifend vermittelt hat, ist dennoch eine andere: dass der Finanz­platz weiterhin machen wird, was ihm passt. Dass der Schweizer Staat weiterhin gerade­stehen wird für die Verlust­risiken der system­relevanten Banken. Dass die Politik weiterhin davor zurück­schrecken wird, die «Sozialisierung» der Verluste ein für alle Mal zu beenden.

Unter den zahlreichen Erklärungs­ansätzen, wie es kommen konnte, dass sich Mitte der Zehner­jahre des 21. Jahrhunderts vielerorts ein aggressiver Rechts­populismus durch­setzen konnte (ausser in Südeuropa, wo auch der Links­populismus gewisse Erfolge feierte), spielt die Finanzkrise von 2008 zu Recht eine entscheidende Rolle. Diese zerstörte die Glaubwürdigkeit der wirtschafts­liberalen Gesellschafts­ordnung, in der sich Leistung lohnen sollte und in der die märchen­haften Einkommen der Wirtschafts­elite auf realer Wert­schöpfung und nicht auf staatlichen Bail-out-Garantien beruhen müssten.

Dass die moralischen Grundlagen dieser Gesellschafts­ordnung durch die Finanzkrise als blosse Illusion ausgewiesen wurden, hat in den Jahren 2008 bis 2016 ein scheinbar unerschöpfliches Reservoir an Ressentiment geschaffen und einem aggressiven Rechts­populismus wie etwa der Maga-Bewegung von Donald Trump zum Durchbruch verholfen. Auch in der Schweiz erreichte die SVP 2015 den bisherigen Gipfelpunkt ihrer Wähler­anteile. Heute wiederholt sich die Banken­krise. Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass die Populismus-Dynamik, die kaum je wirklich abgeflaut ist, nicht ebenfalls eine mächtige Renaissance erleben wird.

In der Schweiz dürften die politischen Verwerfungen mittel­fristig sogar noch viel stärker sein als nach der Finanzkrise. Damals handelte es sich um eine globale System­krise – weshalb auch das helvetische Politik­versagen weniger dramatisch erschien als heute. Jetzt ist das Politik­versagen haus­gemacht. Der Vertrauens­verlust gegenüber der politischen Schweiz dürfte entsprechend grösser sein.

Es ist in der Geschichte der Eidgenossenschaft noch nicht so häufig vorgekommen, dass das Parlament separat statt­findende ausser­ordentliche Sessionen einberufen hat. Seit dem Jahr 2000 gab es lediglich deren drei, eine nach dem Swissair-Grounding, eine zu Beschlüssen über Covid-Notmassnahmen – und jetzt die ausser­ordentliche Session zur CS-Rettung.

Bei der Covid-Session befand sich das ganze Land in einer offen­sichtlichen Notlage, und es wurden auch echte parlamentarische Entscheidungen getroffen. Bei der Swissair-Rettung ging es um aus heutiger Perspektive vollkommen lächerliche Beträge – schlappe 2 Milliarden –, und auch wenn das Parlament unter Druck stand, die nationale Airline zu erhalten: Es hätte ablehnen können, ohne eine sofortige, schwere Wirtschafts­krise zu provozieren. Dennoch waren die politischen Nachwirkungen des Swissair-Entscheides historisch: Er besiegelte definitiv den Abstieg der FDP und die neue Führungs­rolle der SVP. Welche Folgen wird die jetzige ausser­ordentliche Session haben, in der sich das Schweizer Parlament nur noch selber ad absurdum führte?

Kurzfristig dürften die linken Parteien aus dem Zorn gegen die Banken elektoralen Nutzen ziehen. Mit viel Geschick werden sie gewonnene Sympathien vielleicht verstetigen können. Mittel­fristig würde es aber überraschen, wenn das CS-Desaster nicht zu einer rechts­populistischen Dynamik führte. Sie könnte über alles hinaus­gehen, was dieses Land je gesehen hat.

Die CS-Führung war der Inbegriff der Schweizer Elite, und Ressentiment gegen die Elite ist der Brenn­stoff des Populismus. Die Schweizer Bevölkerung wird drei Lehren aus der CS-Pleite mitnehmen. Erstens: Die Top-Manager der Grossbanken verdienen Milliarden an Boni, die letztlich mit Staats­garantien und somit von der Normal­bürgerin finanziert werden. Zweitens: Sie richten mit ihrem Risiko­appetit ihre eigenen Institutionen zugrunde und gefährden die Schweizer Volks­wirtschaft. Drittens: Sie sind so mächtig und unantastbar, dass die Schweizer Regierung auch nach Garantie­leistungen von 109 Milliarden Franken – deutlich mehr als der gesamte Bundes­haushalt – weder beim Eigen­kapital noch bei künftigen Bonus­regelungen noch bei der definitiven Fest­schreibung des Sitz­landes noch sonst in irgendeiner Hinsicht einschneidende regulatorische Vorgaben macht.

Natürlich hätte rein theoretisch für das Parlament auch die Möglichkeit bestanden, aus seiner Impotenz auszubrechen und strikte Regulierungen durch­zusetzen. Dass dies aber tatsächlich geschehen wird, scheint äusserst unwahrscheinlich.

Höhere Eigenmittel­forderungen? Man weiss schon seit langen Jahren, dass die Leverage Ratio von rund 5 Prozent, die im Rahmen der internationalen Basel-III-Vorschriften für system­relevante Banken empfohlen wird, nicht ausreichend ist. Momentan werden die Arbeiten der Stanforder Banken­expertin Anat Admati und des Ökonomie­professors Martin Hellwig, die eine Leverage Ratio von 20 bis 30 Prozent als eigentlich zwingend ausweisen, in der Schweizer Presse breit diskutiert, nachdem die «Wochenzeitung» dazu den dankens­werten Anstoss gegeben hat.

Die Debatte hat allerdings auch etwas völlig Surreales: Hellwig und Admati haben ihren internationalen Bestseller «Des Bankers neue Kleider» 2013, im Nachgang zur Finanzkrise, veröffentlicht. Die «Financial Times» nannte das Werk damals «das wichtigste Buch, das aus der Krise hervor­gegangen ist». Dass man die dort präsentierten Thesen heute in der Schweiz zu entdecken scheint, wirft ein ernüchterndes Licht auf die allgemeine Informiertheit. Hinter welchen sieben Monden lebt unser politisches Personal?

Die Aussichten, heute durch­zusetzen, was im Nachgang zur Finanz­krise nicht durchgesetzt werden konnte, dürften jedoch aus einem viel einfacheren Grund gleich null sein: Die CS-Krise ist primär eine Schweizer Krise. Bei uns offenbart sich nun Regulierungs­bedarf, aber man wird ausschliessen dürfen, dass die Eidgenossenschaft mit ihren Vorschriften über die internationalen Standards – also über Basel III – signifikant hinaus­gehen wird. So weit werden wir es nicht treiben mit dem «Swiss Finish».

Dies geht schon aus Karin Keller-Sutters Manövern hervor, mit denen sie der SP-Forderung nach höheren Eigenmittel­quoten für Gross­banken scheinbar entgegen­kommt, de facto aber lediglich eine Anpassung an den neuen Basel-III-Standard anvisiert. Was im Nachgang zu 2008 nicht möglich war, wird 2023 ganz gewiss nicht umgesetzt werden. Nicht in einem helvetischen Alleingang.

Alles wird also beim Alten bleiben, auch wenn die neue UBS-CS einzelne Geschäfts­einheiten vermutlich abstossen dürfte. Die Standort­konkurrenz lässt der Schweizer Regierung bei der Regulierung nur sehr begrenzten Spielraum – es sei denn, sie wäre bereit, einen Bedeutungs­verlust des Finanz­platzes in Kauf zu nehmen. Dagegen wird sie sich weiterhin mit allen Mitteln wehren.

Der Schock über den CS-Ruin und der Zorn über die Abzocker werden dennoch verarbeitet werden müssen. Ein Parlament, das nicht handlungs­fähig ist, wird zur blossen Echo­kammer des Ressentiments. Das sind keine guten Nachrichten für die Schweizer Demokratie. Aber es ist leider, wo wir heute stehen.

Illustration: Alex Solman

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