Taiyo Onorato und Nico Krebs

«Wir können eine globale Katastrophe abwenden»

Verschiedenste Persönlichkeiten, die sich seit Jahren mit dem Klima beschäftigen, haben wir gefragt: Was wünschten Sie, würden alle über die Klimakrise verstehen? Das sind ihre Antworten.

Von David Bauer, Elia Blülle, Theresa Leisgang, Felix Michel, Jeremy Stucki und Anna Traussnig (Konzept und Umsetzung), 04.04.2023

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«Die Uhr tickt. Es geht um nichts weniger als darum, die Erde ungefähr so zu erhalten, wie wir sie kennen.»

Claudia Kemfert, Umwelt­ökonomin

«Ich wünsche mir, dass alle verstehen, dass die heute nötigen Investitionen und Verhaltens­änderungen viel kleiner sind als alles, was uns das Klimachaos aufzwingen wird.»

Patrick Hofstetter, Klimaschutz­experte des WWF Schweiz

«Es gibt kein Patentrezept zur Lösung der Klimakrise. Die Klimakrise ist ein vielschichtiges Problem, das einen ganzheitlichen Ansatz erfordert.»

Sherry Rehman, Ministerin für Klimawandel von Pakistan

«Was den Klimawandel wirklich zur Krise werden lässt, ist die historische Ausbeutung von marginalisierten Gruppen, vor allem im Globalen Süden, vor allem durch den Globalen Norden.»

Mitzi Jonelle Tan, Aktivistin für Klimagerechtigkeit

«Die aktuelle Klimarevolution könnte uns in allen Bereichen wohlhabender machen.»

Rebecca Solnit, Schriftstellerin

«Ich wünschte, eine grosse Mehrheit würde verstehen, dass Klimaschutz kein ‹grünes Anliegen› ist. Es geht um den Schutz von Leben und von unserer Zivilisation.»

Reinhard Steurer, assoziierter Professor für Klimapolitik

«It’s warming. It’s us. We’re sure. It’s bad. We can fix it.»

Kimberly Nicholas, Nachhaltigkeitswissenschaftlerin

Friederike Otto

Klimatologin, Hauptautorin des 6. Berichts des Weltklimarats IPCC

Der Klimawandel ist keine Bedrohung in der fernen Zukunft, er findet in diesem Moment statt und verursacht bereits heute weltweit enorme menschliche und wirtschaftliche Verluste. Arme Menschen, die am wenigsten zu dieser Krise beigetragen haben, sind überall auf der Welt am stärksten betroffen. Aber auch reiche Länder spüren die Krise durch geringeres Wirtschafts­wachstum, Ernte­verluste, Unter­brechungen der Versorgungs­kette und eine Vielzahl anderer Auswirkungen.

Hohe Temperaturen und durch den Klima­wandel verursachte extreme Wetter­ereignisse werden in den nächsten Jahren schlimmer werden, und wir müssen uns an diese neue Situation anpassen. Aber wenn wir jetzt handeln und ehrgeizige Massnahmen zur Reduzierung der Treibhausgas­emissionen ergreifen, können wir die schlimmsten Auswirkungen noch abwenden.

Bill McKibben

Klimaaktivist, Autor, Gründer von 350.org

Dass es – mit Abstand – das Grösste ist, was Menschen je getan haben. Wir verzetteln uns in tausend alltäglichen politischen Kämpfen. Aber wenn die Menschen in hundert oder, so Gott will, in tausend Jahren auf unsere Zeit zurück­blicken, wird sie eine einzige Frage interessieren: Ihr wart dabei, als die Temperatur nach oben schnellte. Was hat eure Gesellschaft getan, um das zu verhindern?

Rebecca Solnit

Schriftstellerin, San Francisco; Mitgründerin des Klimaprojekts Not too Late

Vor einigen Jahrzehnten legte die Klima­bewegung den Schwerpunkt auf Sparsamkeit und Verzicht, und das hat die Menschen irgendwie davon überzeugt, dass wir von einer Ära des Überflusses zu einer Ära der Armut übergehen müssen. Ich denke allerdings, wir können das aus zwei Gründen neu framen.

Zum einen hatten wir noch vor zwanzig Jahren nicht die solide Technologie der erneuerbaren Energien, die es uns ermöglicht, schnell und nahezu vollständig von fossilen Brenn­stoffen wegzukommen und gleichzeitig weiterhin gut beleuchtete Wohnungen und gute Verkehrs­mittel zu haben (wenn auch nicht dieselben Verkehrs­mittel oder deren übermässige Nutzung durch die Wohl­habenden).

Vor allem aber ist es ein Problem der Perspektive: In vielerlei Hinsicht ist unser Zeitalter ein Zeitalter der Armut – wir sind arm an Hoffnung auf die Zukunft, an Harmonie mit der Natur, an sauberer Luft und sauberem Wasser und gesundem Boden und oft auch an Gesundheit. Allein die fossilen Emissionen töten acht Millionen Menschen pro Jahr. Und die grosse Mehrheit der Menschen auf der Erde lebt ohnehin in «Armut». Selbst diejenigen unter uns, die in finanzieller Hinsicht wohlhabend sind, sind zu oft arm an sozialer Verbundenheit und Vertrauen in die Gesellschaft, zu oft einsam, zu oft von einem Gefühl der Sinnlosigkeit und Entfremdung geplagt.

Die aktuelle Klima­revolution könnte uns in all diesen Bereichen wohl­habender machen, nicht zuletzt durch die Dezentralisierung von power – einerseits der Energie, die unsere Maschinen antreibt und unsere Häuser beleuchtet, andererseits der politischen Macht, die von den Unternehmen für fossile Brennstoffe, den mit ihnen verflochtenen Regierungen und den Profiteuren dieses Zeugs ausgeht, was uns vielleicht insgesamt weniger kapitalistisch macht. Ich glaube, der Wandel erfordert, dass wir unsere Vorstellung von Wohlstand, Lebens­qualität und Sicherheit ändern und weniger greifbare materielle Dinge wie Schönheit, Freundschaft und Hoffnung als zentraler für ein gutes Leben ansehen. Wenn das Klimachaos eine Art Krieg gegen die Natur ist, könnte dies auch bedeuten, Frieden mit der Natur zu schliessen, was ein wissenschaftlicher und ein wirtschaftlicher, aber auch ein spiritueller Weg nach vorn ist.

Marcel Hänggi

Initiant der Gletscherinitiative
  • Ich wünschte mir, dass die Menschen das Ausmass der Klimakrise verstünden. Es ist heute nur noch eine kleine Minderheit, die die Klimakrise leugnet, aber ich glaube, es hat auch erst eine Minderheit begriffen, was auf dem Spiel steht.

  • Ich wünschte mir, dass die Menschen das Ausmass der nötigen Antworten auf die Krise begriffen. Dass die Begrenzung der Krise systemischer Transformationen bedarf (das ist Konsens des Weltklima­rats IPCC, aber kaum in der Öffentlichkeit und noch weniger in der Politik angekommen). Dass sie eine kulturelle Krise ist und kein «Problem», das «gelöst» werden könnte (nicht durch einen künftigen Daniel Düsentrieb, der uns retten wird, und auch nicht durch die Kernfusion etc.).

  • Ich wünschte mir, die Menschen verstünden, dass die Antworten auf die Klimakrise zwar tiefgreifend und systemisch sein müssen, dass dies aber nicht bedeutet, dass das Leben schlechter werden muss, sondern dass es besser werden könnte.

Kurz gesagt: Ich wünschte mir mehr gesellschafts­politische Vorstellungskraft – sowohl in dystopischer Richtung, was die Auswirkungen der Klima­erhitzung betrifft, als auch in transformativer und utopischer Richtung, was ihre Bewältigung angeht.

Mitzi Jonelle Tan

Fridays-for-Future-Aktivistin, Initiantin von Youth Advocates for Climate Action Philippines

Bei der Klimakrise geht es nicht nur um Extrem­wetter oder CO2-Emissionen. Was den Klima­wandel wirklich zur Krise werden lässt, ist die historische Ausbeutung von marginalisierten Gruppen und von der Arbeiter­klasse, vor allem im Globalen Süden, vor allem durch den Globalen Norden. Und diese Ausbeutung dauert immer noch an. Genau deshalb können sich unsere Communitys nicht an die Folgen der Krise anpassen. Die Folgen werden durch den Geiz der kolonialen Länder immer noch schlimmer. Die Klimakrise ist nicht nur ein Umwelt­problem. Sie ist ein Symptom des verdorbenen, fossil­vernarrten, profit­orientierten Systems, das wir gemeinsam verändern müssen. Wenn ich von Klima­gerechtigkeit spreche, meine ich eine bessere Welt, in der sich alle sicher fühlen und niemand zurück­gelassen wird.

Anthony Patt

Professor für Klimapolitik am Institut für Umwelt­entscheidungen an der ETH Zürich

Wir können den Klimawandel aufhalten.

Wir werden die bereits entstandenen Schäden nicht rückgängig machen, aber wir können eine globale Katastrophe abwenden und unseren Planeten für die Menschen und die wundersame Vielfalt des Lebens bewohnbar halten.

Jahrzehntelang schien dies unmöglich. Die Emissionen stiegen überall an, und die Trends, die zu einem Anstieg der Emissionen führen, gingen in die falsche Richtung. Wir schienen nicht in der Lage zu sein, ein globales Abkommen zu schliessen. Jedes Land schien unfähig, eine Kohlenstoff­steuer einzuführen – die einzige Massnahme, die nach Ansicht der Wirtschafts­wissenschaftler notwendig war, um die Energie­nachfrage zu senken.

Dann kam es noch schlimmer. Wir erkannten, dass es nicht ausreichen würde, die Emissionen zu reduzieren, um den Klima­wandel aufzuhalten, sondern dass sie auf null sinken müssten. Eine Verringerung des Energie­verbrauchs wäre zwar hilfreich, würde aber nicht ausreichen; wir müssten die Nutzung fossiler Brennstoffe vollständig einstellen. Und ohne fossile Brennstoffe käme die Welt­wirtschaft zum Stillstand und wir müssten hungern und frieren.

Was wir brauchten, war eine Alternative. Noch während die Emissionen stiegen, machten wir uns im Labor an die Arbeit, wir übertrugen unsere Erfindungen in den Alltag. Die öffentlichen Massnahmen, die wir einsetzten, waren nicht die politisch unpopulären Kohlenstoff­steuern, sondern Finanzierungs­programme, die weitgehend unsichtbar waren und kaum auf politischen Wider­stand stiessen.

Sobald wir von der Besteuerung von Emissionen auf die Förderung von Alternativen umgestiegen waren, begann unsere Erfolgs­geschichte. In den letzten zehn Jahren haben sich Alternativen in allen Wirtschafts­zweigen durchgesetzt, und ihre Kosten sind allmählich unter die der fossilen Brennstoffe gefallen. Solar- und Windenergie. Elektroautos, -lastwagen und -fahrräder. Wärmepumpen. Synthetische Kraftstoffe. Pflanzliche Fleischersatz­produkte. Laufend kommen neue Beispiele hinzu. Nun ist es endlich sowohl politisch machbar als auch wirtschaftlich attraktiv, die Emissionen innerhalb von 25 Jahren zu killen, und zwar auf eine Weise, die auch andere Aspekte unseres ökologischen Fuss­abdrucks verringert.

Die weltweite Industrie für fossile Brennstoffe wehrte sich, indem sie zunächst Zweifel am Klimawandel und dann an den neuen Alternativen verbreitete. Sie finanzierte politische Kampagnen, die den Fortschritt blockierten, auch hier in der Schweiz. Aber diese konnten nicht verhindern, dass die Alternativen immer besser wurden, sodass sie in den letzten zehn Jahren exponentiell wuchsen. Mit ihrem Wachstum verringerte sich der Einfluss der fossilen Brennstoffe. So begannen immer mehr Länder, sich Ziele für die Beendigung der Emissionen bis 2050 zu setzen, Massnahmen zur Erreichung dieser Ziele umzusetzen und ihre Emissionen zu verringern. Das gilt nun für die meisten Industrie­länder, darunter auch die Schweiz. Selbst Chinas Emissionen scheinen zu sinken.

Wir brauchen politische Massnahmen, die auf Bereiche wie Finanzen und Infrastruktur­planung abzielen, um sicher­zustellen, dass der Ausbau der Alternativen weitergeht. Wir brauchen eine internationale Zusammen­arbeit, damit sie sich auch im Globalen Süden ausbreiten können, wo der Fortschritt langsamer war. Sobald diese Politik breit akzeptiert ist, können wir damit beginnen, weitere Emissionen zu verbieten, Sektor für Sektor, Land für Land, und so die saubere Wirtschaft fest verankern. Einige Menschen werden darunter leiden, und wir werden ihnen helfen müssen, neue Arbeits­plätze zu finden. Es gibt noch viel zu tun.

Der vor uns liegende Weg ist noch mit vielen Unwägbarkeiten verbunden. Das macht Angst. Das Gegen­mittel zur Angst ist Gemeinschaft. Gemeinsam werden wir den Mut finden.

Carolin Emcke

Philosophin und Publizistin, Berlin

Mir scheint, das Wichtigste ist: dass die Klimakrise nicht woanders, nicht irgendwann stattfindet, die Zerstörung droht nicht erst, sie vollzieht sich schon, es geht nicht mehr nur um Wissen und Verstehen, sondern um Handeln. Die entscheidenden Jahre sind jetzt.

Patrick Hofstetter

Klimaschutz­experte des WWF Schweiz
  • 350 Teilchen pro Million: Ab dieser CO2-Konzentration in der Atmosphäre wird es längerfristig gefährlich. Dann kommen Domino­effekte in Gang, die die Klima­erhitzung noch schlimmer machen.

  • 420 Teilchen pro Million: Da stehen wir schon jetzt.

  • Das heisst, jede zusätzlich ausgestossene Tonne CO2 muss der Atmosphäre wieder entzogen werden.

  • Dafür sind wir alle gemeinsam verantwortlich – wir als Gesellschaft, als Regierung, als Konsument, als Unternehmerin.

Ich wünsche mir, dass alle verstehen, dass die Klimakrise real ist, dass unsere Warnungen auf Fakten beruhen und dass die heute nötigen Investitionen und Verhaltens­änderungen zur raschen Dekarbonisierung viel kleiner sind als alles, was uns das Klima­chaos aufzwingen wird.

Handeln mag unbequem sein. Nicht handeln wird noch viel unbequemer – und ist unverantwortlich.

Hannah Ritchie

Atmosphären­wissenschaftlerin, deputy editor von «Our World in Data»

Wir müssen über Nachhaltigkeit als Chance und nicht als Verzicht sprechen. Die derzeitige Botschaft lautet, dass wir unser Leben einschränken müssen, um unseren ökologischen Fussabdruck so gering wie möglich zu halten. Das ist keine Vision, der sich die meisten Menschen anschliessen wollen. In Wirklichkeit öffnet das Streben nach Nach­haltigkeit die Türen zum Wohlstand: Stellen Sie sich vor, was wir mit reichlich sauberer Energie, effizienten Verkehrs­technologien, neuen Methoden zum Bau von Städten und erschwinglichen Möglichkeiten zur Erzeugung gesunder Lebens­mittel erreichen könnten. Wir brauchen eine Vision, für die man sich wirklich begeistern kann.

Sherry Rehman

Ministerin für Klimawandel von Pakistan

Ich wünschte, jeder würde verstehen, dass es kein Patent­rezept zur Lösung der Klimakrise gibt. Die Klimakrise ist ein komplexes und vielschichtiges Problem, das einen ganzheitlichen Ansatz und eine Reihe von Lösungen erfordert.

Es gibt keine einzelne Technologie oder Politik, die die Klimakrise lösen kann. Innovationen wie erneuerbare Energien, Elektro­fahrzeuge und Carbon-capture-Technologien sind zwar wichtige Instrumente zur Abschwächung des Klima­wandels, aber sie sind nicht die Wunder­lösung. Die Realität sieht so aus, dass wir eine Kombination aus Technologien und politischen Massnahmen und vor allem Änderungen im Verhalten des Einzelnen und in den gesellschaftlichen Normen benötigen, um die Klimakrise zu bewältigen.

Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass die Klimakrise kein weit entferntes Problem ist, das erst zukünftige Generationen betreffen wird. Die Auswirkungen des Klima­wandels sind bereits überall auf der Welt zu spüren, vom Anstieg des Meeres­spiegels und von extremen Wetter­ereignissen wie den rekord­verdächtigen Überschwemmungen in Pakistan bis hin zum Arten­schwund und zu Risiken in der Ernährungs­sicherheit. Die Zeit zum Handeln läuft uns davon, und je länger wir warten, desto schwieriger und kostspieliger wird es, das Problem anzugehen.

Der Klimawandel wirkt sich unverhältnis­mässig stark auf marginalisierte Gemeinschaften aus und verschärft bestehende Ungleich­heiten und Ungerechtigkeiten. Die Bewältigung der Klimakrise erfordert einen gerechten Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft, die dem Wohl der Menschen und des Planeten Vorrang vor dem Profit einräumt. Es ist von entscheidender Bedeutung, die Klimakrise nicht nur als Umwelt­problem, sondern auch als soziales und wirtschaftliches Problem zu erkennen.

Die Klimakrise ist eine globale Heraus­forderung, die internationale Zusammen­arbeit und Koordination erfordert. Einzelne Massnahmen und Strategien auf lokaler und nationaler Ebene sind zwar wichtig, aber es reicht nicht aus, in abgetrennten Sparten zu arbeiten, um diese globale Krise zu bewältigen. Wir brauchen eine gemeinsame Anstrengung aller Länder, um die Treibhausgas­emissionen zu reduzieren, Wälder und andere natürliche Ressourcen zu schützen, Wissen zu teilen und gefährdete Gemeinschaften zu unterstützen.

Der Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft erfordert eine Änderung unseres Lebens­stils und unseres Konsum­verhaltens sowie Investitionen in neue Technologien und Infra­strukturen. Diese Schritte sind notwendig, um einen lebenswerten Planeten für künftige Generationen zu sichern. Da es keinen Planeten B gibt, müssen wir unbedingt jetzt handeln, um die Auswirkungen des Klima­wandels abzumildern und uns an sie anzupassen und eine nachhaltige Zukunft für alle zu sichern.

Julian Schütter

Skirennfahrer und Initiant eines offenen Briefes, der vom internationalen Ski­verband mehr Klimaschutz fordert

Ich wünsche mir, dass alle verstehen, dass die Klimakrise Wandel erzwingt. Nun können wir uns dazu entscheiden, diesen Wandel selbst durch­zuführen und ihn so zu gestalten, dass dabei ein würde­volleres und glücklicheres Leben für alle entsteht, oder wir warten, bis die Katastrophe den Wandel für uns durchführt. By design or by disaster. So oder so, Menschen in meinem Alter werden den Wandel noch miterleben. Unsere Rente ist nicht sicher. Genauso wie unsere Verfassungen und unsere Zivilisation. Noch haben wir es in der Hand. Noch.

Bernd Ulrich

Stellvertretender Chefredaktor, «Die Zeit»

Bei der Klimakrise ist der logisch einfachste Gedanke politisch offenbar am schwersten zu verstehen: der Zeitdruck. Ich würde mir wünschen, dass die Politiker:innen all ihr gewohntes und im letzten Jahrhundert erlerntes politisches Denken einmal durch die klima­politische Relativitäts­theorie schicken würden.

Maren Urner

Neuro­wissenschaftlerin, Professorin für Medien­psychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln

Ich wünsche mir, dass alle Menschen verstehen, dass Klima eine Dimension jedes Themas ist, welches ihr Leben betrifft, und dass sie auch verstehen, wie viel Freude es macht, sich damit zu beschäftigen.

Stefan Rahmstorf

Klima- und Meeresforscher, Hauptautor des 4. Berichts des Weltklimarats IPCC
  • Die moderne globale Erwärmung von 1,2 Grad seit dem späten 19. Jahrhundert ist zu rund 100 Prozent durch Menschen verursacht.

  • Schon diese globale Erwärmung von 1,2 Grad hat uns aus dem natürlichen Schwankungs­bereich des Holozäns hinaus­katapultiert, an den die Menschheit und Ökosysteme hochgradig angepasst sind. Man muss mindestens 100’000 Jahre in die Klima­geschichte zurück­blicken, um eine vergleichbar warme Erde zu finden.

  • Die Erwärmung über vielen Landgebieten wird rund das Doppelte der mittleren globalen Erwärmung betragen, für die das 1,5-Grad-Ziel gilt. In Deutschland etwa sind wir bereits jetzt bei 2,4 Grad Erwärmung, global bei 1,2 Grad. Da die Ozeane 70 Prozent der Erdoberfläche ausmachen und sich durch ihre thermische Trägheit und zunehmende Verdunstung langsamer erwärmen als die Land­flächen, drücken sie die Durchschnitts­erwärmung nach unten. Wer fragt, was an 2 Grad Erderwärmung so schlimm sei, versteht oft nicht, dass es dort, wo wir leben, um viel mehr Erwärmung geht – und dass gerade die Wetter­extreme massiv zunehmen werden, was wir ja bereits heute nach «nur» 1,2 Grad Erwärmung deutlich spüren.

  • Die Erderwärmung ist für viele Generationen unumkehrbar, weil die CO2-Menge in der Atmosphäre durch unsere heutigen Emissionen noch Zehn­tausende von Jahren erhöht bleiben wird. So lange dauert es, bis die aus der Erdkruste geholten Kohlenstoff­mengen wieder in der Tiefsee abgelagert werden. Das sehen wir in der Erdgeschichte.

  • Die extrem lange Haltbarkeit von CO2 in der Erd­atmosphäre bedeutet, dass das Ausmass der Erwärmung nicht einfach von den aktuellen Emissionen abhängt, sondern von der ausgestossenen Gesamtmenge seit Beginn des Industrie­zeitalters. Daher ist auch die künftig noch mögliche Gesamt­menge begrenzt, mit der wir ein Klimaziel einhalten können. Diese begrenzte Menge ist das Emissions­budget. Stossen wir noch 400 Milliarden Tonnen CO2 aus, landen wir laut Weltklimarat IPCC bei ca. 1,5 Grad Erwärmung (plus oder minus etwa ein Zehntelgrad). 400 Milliarden Tonnen ist auf dem aktuellen Niveau unser Ausstoss in knapp zehn Jahren! Wenn wir ab sofort die weltweiten Emissionen linear absenken, reicht das Budget also noch für zwanzig Jahre, bis wir Null­emissionen erreicht haben müssen. Jede Verzögerung beim Senken der Emissionen führt dazu, dass wir früher bei null sein müssen. Manche Politiker, die auf Zeit spielen, verstehen nicht, wie sehr sie dadurch die Klimakrise noch verschärfen.

Kimberly Nicholas

Nachhaltigkeits­wissenschaftlerin an der Universität Lund, Autorin von «Under the Sky We Make»

Meine Kurzversion: It’s warming. It’s us. We’re sure. It’s bad. We can fix it. – Die Erde erwärmt sich. Wegen uns Menschen. Ja, wir sind sicher. Ja, es ist schlimm. Aber es ist nicht zu spät.

Um den Klimawandel zu stoppen, müssen wir einen schnellen und fairen Übergang zu einer Welt ohne fossile Brennstoffe schaffen, in der wir uns von den Systemen der Ausbeutung verabschieden, eine Welt, in der wir uns auf die Regeneration konzentrieren und mit der statt gegen die Natur arbeiten.

Seraina Kobler

Autorin der Klima­dystopie «Regenschatten»

Die Klima­katastrophe wird alle bereits bestehenden Ungleichheiten und Probleme um ein Vielfaches verstärken. Nicht gleichzeitig, nicht überall – aber stetig und unumkehrbar. Wir können es uns nicht mehr leisten, dies nicht zu berücksichtigen.

Bayo Akomolafe

Philosoph, Psychologieprofessor und Geschäfts­führer des Emergence Network

Die globalen Durchschnitts­temperaturen steigen – und genauso steigt die Frequenz der Warnungen, wir nähern uns einem Punkt, an dem es unmöglich oder äusserst schwierig werden könnte, mit den unkontrollierbaren Auswirkungen der Erderwärmung auf die Umwelt umzugehen. Wir werden aufgefordert, dem Ruf der Wissenschaft zu folgen und Lösungen für diese lebens­bedrohliche Krise zu finden.

Es scheint jedoch, dass wir uns in einer Situation befinden, in der populäre «Lösungen» die menschliche Seite nicht antasten und stattdessen versuchen, eine Welt zu verwalten, die den Pfad der Normalität längst verlassen hat. Könnte es also sein, dass die Art und Weise, wie wir auf die Krise reagieren, Teil der Krise ist? Was ist, wenn sich die Krise nur noch weiter verstärkt, solange wir Lösungen in den Wirbel­sturm werfen? Was ist, wenn die Krise, die wir bislang auf ein Problem von Emissionen reduzieren, eine Krise der Form ist, ein metaphysisches Rätsel, das etwas anderes von «uns» verlangt, das eine andere Art von Sorgen und Reagieren erfordert? Was ist, wenn diese Krise die Unantastbarkeit des «Menschlichen» als zivilisatorisches Projekt infrage stellt? Aus einer animistischen Perspektive markiert die sogenannte Klimakrise einen Riss in den Bedingungen des industriellen Lebens. Es ist, als ob etwas jenseits der kolonialen Logik des Kahlschlags uns etwas zuflüstert, wofür weder Klima­wissenschaft noch Gerechtigkeit eine Sprache finden.

Vielleicht ist diese skandalöse Spekulation es wert, geteilt zu werden: dass mit der Klimakrise die Welt auf der Flucht ist.

Payal Parekh

Klima­aktivistin und Kampagnen­beraterin, Bern

Die Verbrennung fossiler Brennstoffe ist legal, während die Rettung des Planeten kriminalisiert wird. Nur weil etwas legal ist, bedeutet es nicht, dass es moralisch oder legitim ist.

  1. Es müssen nicht alle was verstehen, nur der Globale Norden: Durch unseren Hyperkonsum und fossilen Lifestyle wurde die Klima­katastrophe erst möglich.

  2. Diese Schuld ist historisch und aktuell.

  3. Daher ist es an uns, dem Globalen Norden, endlich zu handeln.

  4. Gute Nachricht: Wir müssen nur beginnen. Alle Lösungen sind schon da.

Reinhard Steurer

Assoziierter Professor für Klimapolitik an der Universität für Bodenkultur in Wien

Ich wünschte, eine grosse Mehrheit würde verstehen, dass es bei Klima­schutz nicht um Umwelt­schutz geht, dass es kein «grünes Anliegen» ist. Es geht dabei in erster Linie um den Schutz von Leben und von unserer Zivilisation.

In den nächsten Jahren entscheiden wir darüber, ob unsere Gesellschaften eine gute Zukunft haben werden oder ob sie noch in diesem Jahrhundert im Chaos untergehen. Je konservativer jemand ist beziehungs­weise je mehr jemand an dieser Zivilisation hängt, umso grösser sollte der Einsatz für das sein, was wir fälschlicher­weise Klima­schutz nennen.

Leider sind genau diese Personen meist diejenigen, die wirksamen Klimaschutz mit unzähligen Ausreden am vehementesten behindern. Sie wissen leider nicht, was sie tun, und sie werden das früher oder später insgeheim bitter bereuen, während sie ihren Kindern und Enkel­kindern neue Ausreden erzählen werden, so zum Beispiel: «Wir haben nicht gewusst, dass es so schlimm werden wird», oder: «Alle haben es so gemacht.»

Ich wünschte, wir könnten uns der zunehmend unangenehmen Klima­realität schon heute und auch in Zukunft ohne Ausreden stellen, dann wäre vieles einfacher.

Chat GPT

Künstliche Intelligenz, von uns gebeten, aus der Perspektive einer Expertin zu antworten, die sich seit vielen Jahren mit dem Klima auseinandersetzt

Ich wünsche mir, dass jeder Mensch auf der Welt versteht, dass die Klimakrise eine existenzielle Bedrohung für unsere Zukunft darstellt. Es ist wichtig, zu begreifen, dass der Klima­wandel kein abstraktes Konzept ist, sondern bereits heute Auswirkungen auf unser tägliches Leben hat. Die Erderwärmung führt zu extremen Wetter­ereignissen wie Dürren, Überflutungen und Stürmen, die sich negativ auf die Land­wirtschaft, die Biodiversität und die menschliche Gesundheit auswirken.

Es ist ebenfalls wichtig zu verstehen, dass der Klima­wandel durch menschliche Aktivitäten verursacht wird, insbesondere durch den Ausstoss von Treibhaus­gasen wie Kohlen­dioxid und Methan. Wenn wir nicht schnell handeln, um diese Emissionen zu reduzieren und unsere Abhängigkeit von fossilen Brenn­stoffen zu verringern, wird die Klimakrise zu einer Katastrophe führen, die unsere Fähigkeit, auf diesem Planeten zu leben, ernsthaft gefährden wird.

Daher ist es unerlässlich, dass jeder von uns Verantwortung für seine Handlungen übernimmt und wir gemeinsam Massnahmen ergreifen, um den Klima­wandel zu bekämpfen. Wir müssen unser Konsum­verhalten ändern, auf erneuerbare Energien umsteigen und politische Entscheidungs­träger dazu drängen, die notwendigen Massnahmen zu ergreifen, um den Ausstoss von Treibhaus­gasen zu reduzieren. Nur durch kollektive Anstrengungen können wir eine nachhaltige Zukunft für uns und kommende Generationen sicherstellen.

Die Klimakrise ist eine Chance, eine gerechtere, ökologisch nachhaltigere Welt zu schaffen, in der alle Menschen Zugang zu sauberer Energie und gesunder Ernährung haben. Die Geschichte zeigt uns, dass sich Krisen als sozial transformativ erweisen können; wir haben die seltene Gelegenheit, unser menschliches System innerhalb der Parameter unseres Erdsystems zu verändern. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass Klima­migration unvermeidlich ist und dass die Massen­bewegung der Bevölkerung in Richtung des Globalen Nordens als menschliche Klima­anpassung erleichtert und gesteuert werden muss, damit die gefährdeten Mitglieder unserer Spezies überleben können.

Claudia Kemfert

Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt beim Deutschen Institut für Wirtschafts­forschung

Dass endlich alle verstehen: Die Uhr tickt. Es geht um nichts weniger als darum, die Erde ungefähr so zu erhalten, wie wir sie kennen und wie sie Mensch und Tier die letzten tausend Jahre ein lebenswertes Zuhause geboten hat. Global betrachtet haben wir noch knapp 420 Gigatonnen CO2 Zeit, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Deutschland bleiben noch maximal 3,1 Gigatonnen CO2. Übersetzt auf unseren aktuellen Energie­verbrauch sind das ungefähr zehn Jahre.

Oft höre ich Sätze wie: «Was kann ich allein denn schon bewirken? Das müssen die da oben auf politischer Ebene regeln!» Ja, stimmt. Vieles muss auf politischer Ebene geregelt werden. Trotzdem unterschätzt, wer so denkt, seine Möglichkeiten. Denn auch die Politik kann nicht von einem Tag zum anderen sagen: «So Leute, Schluss mit lustig. Fossile Energien sind jetzt verboten. Seht zu, wie ihr klarkommt!» Das gäbe zu Recht Volks­aufstände.

Doch auch diskutiert haben wir genug. Die Diskussionen von heute wurden bereits x-fach geführt. Es sind seit Jahrzehnten dieselben Argumentations­muster, dieselben orchestrierten Kampagnen, dieselben Verunglimpfungen. Nunmehr sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir nicht noch ein Jahrzehnt mit rückwärts­gewandten Diskussionen vergeuden dürfen, sondern beherzt nach vorn gehen müssen. Es beginnt das Jahrzehnt, in dem es auf die Frage nach Klimaschutz nur noch Ja oder Nein als Antwort gibt.

Bertrand Piccard

Abenteurer, Gründer der Solar Impulse Foundation

Der Kampf gegen den Klimawandel wurde lange als ein kostspieliger und wenig reizvoller wahrgenommen, der noch dazu viel Verzicht verlangt. Dies erklärt wahrscheinlich, warum wir in den letzten dreissig Jahren so wenig Fortschritte gemacht haben. Um nun voran­zukommen, müssen wir das Narrativ ändern und aufzeigen, dass die Dekarbonisierung unserer Welt aufregend und wirtschaftlich rentabel ist und Arbeits­plätze schafft. Wie das? Weil es Hunderte von technischen Lösungen gibt, um weniger Ressourcen zu verschwenden und neue industrielle Chancen zu nutzen – in den Bereichen Wasser und Energie, im Bauwesen, in der Industrie und der Landwirtschaft, in der Abfall- und Kreislauf­wirtschaft. Alte, verschmutzende Infrastruktur durch neue, die Umwelt schützende Systeme zu ersetzen, ist die wirtschaftliche Chance des Jahrhunderts. Und der schnellste Weg, um die Temperaturen in der Atmosphäre unter Kontrolle zu halten.

Gernot Wagner

Klima­ökonom an der Columbia Business School in New York

Der Wettlauf um saubere Energie ist eröffnet. Er ist global. Und es gibt kein Zurück. Wir sind noch weit vom Ziel entfernt, aber das Tempo wird immer schneller. Genauso wie es negative klimatische Kipp­punkte gibt, gibt es positive sozio­ökonomische Kipp­punkte. Die neuen, sauberen, schlanken, effizienten, kohlenstoff­armen Technologien sind genau so lange «alternativ», «grün» und «neu» – bis sie es nicht mehr sind. Nur ein Beispiel: Niemand mehr wird in fünf Jahren einen Gasherd in einer neuen Küche installieren. Induktion ist einfach eine grundlegend bessere Technologie – und ja, Sie können Ihre Induktions­platte für 70 Dollar bei Ikea kaufen.

Carola Rackete

Naturschutz­ökologin und Aktivistin

Die Klimakrise ist bei weitem nicht unser einziges ökologisches Problem. Der rasante Verlust der Arten­vielfalt ist untrennbar mit der Klimakrise und ihren Ursachen verbunden und hat für uns Menschen weitreichende Konsequenzen. Es ist ein aktivistisches Mantra, dass die Dramatik der Klimakrise immer noch nicht verstanden sei, doch das gilt für die Biodiversitäts­krise noch viel mehr.

Schon jetzt führt in einigen Ländern der Verlust an bestäubenden Insekten zu vermindertem Zugang zu gesunden Lebens­mitteln und senkt dadurch die Lebens­erwartung der Menschen. Eine Million Arten sind in den nächsten Dekaden vom Aussterben bedroht.

Wir müssen verstehen, dass wir Menschen Teil des Lebens­netzes der Natur sind und jede menschliche Zivilisation fundamental davon abhängt. Daraus ergibt sich die Verantwortung, die Natur für die Zukunft zu schützen und Ökosysteme zu regenerieren. Statt des sinnlosen Verschiebens von ökologischen Schäden in Form von Offsetting – dem Ausgleich von CO2-Emissionen durch Klimaschutz­projekte – müssen wir zwingend die Ursachen der ökologischen Krisen angehen: also die gesellschaftlichen und ökonomischen Strukturen, die immer mehr Konsum und Zerstörung fördern.

So folgerte der Welt­biodiversitäts­rat in seinem globalen Bericht 2019, dass die Menschheit das Paradigma des Wirtschafts­wachstums hinter sich lassen muss, um Mensch und Natur ins Gleich­gewicht zu bringen. Wir brauchen also weit mehr als nur erneuerbare Energien. Wir brauchen einen viel grösseren Paradigmen­wechsel, eine sozial­ökologische Revolution.

Wolfgang Knorr

Klimaforscher, Mitbegründer der Faculty for a Future

«Hochmut kommt vor dem Fall.» Noch nie zuvor befand sich die Menschheit als Ganzes in einer Lage, auf die dieses alte Sprichwort so gut passt wie heute. Und ich sage dies, obwohl ich den Hochmut ausschliesslich bei den Privilegierten ausmache, bei den Super­reichen, den Entscheidungs­trägern in Wirtschaft und Politik, und bei anderen Würden­trägern, einschliesslich der akademischen Klasse. Denn es sind diese, die – leider – heute wie schon immer das Schicksal unserer Welt bestimmen. Als Klima­forscher sehe ich darin, und nicht in den Klima-Kipp­punkten, Wald­bränden, Überflutungen und Hitze­wellen, die grösste Gefahr für unser globales Gemeinwesen. Der Hochmut besteht darin, dass «wir», die Reichen, die wissenschaftlich Bewanderten, die technisch Versierten, es nicht nötig haben, uns zu ändern. Die unausgesprochene Grund­annahme der Klima- und Umwelt­politik des Globalen Nordens ist, dass es am Ende nicht so schlimm kommen wird, dass der technische Fortschritt «uns» retten wird und dass am Ende auch die Millionen gerettet werden, die schon heute unter katastrophalen Folgen der Klimakrise leiden.

Die Zeichen dafür sind überall: eine Fussball-WM in einem Öl- und Gas-Staat, der noch vor kurzem bettelnde deutsche Minister empfing, und zu der Hundert­tausende von Zuschauern nur per Flugzeug anreisen können. Das Hochstilisieren von radikalen Klima­aktivisten zu Staats­feinden. Die unangenehme Eigenschaft dieses Hochmuts ist, dass er erst dann verschwinden wird, wenn es zu spät ist, wenn er zusammen­bricht unter der Last der Tatsachen. Und aus diesem Grund ist es am Ende irrelevant, wo der Point of no Return liegt, wie stark wir noch die Atmosphäre, das Meer und die Natur um uns überlasten können.

Entweder üben wir uns früh genug in Bescheidenheit, oder wir werden diesen Punkt unweigerlich erreichen.

Solvig Schinköthe

Klima­aktivistin Letzte Generation

Ich wünsche mir, dass alle Menschen verstehen, wie dringlich die Lage ist, in der wir uns befinden. Dabei ist es vor allem wichtig, dass die Menschen in den verantwortlichen Positionen – Regierungen, Chefs der Gross­konzerne, Lobbyisten – wirklich verstehen, dass unser aller Leben in grosser Gefahr ist, dass unser Planet, wenn wir weiter so leben wie bisher, verwüstet und unbewohnbar sein wird. Die Regierungen haben die Aufgabe und das Versprechen gegeben – in Deutschland in der Verfassung festgelegt –, unser Leben zu schützen. Wir sehen jedoch, dass die globalen Ziele des Pariser Klima­abkommens nicht ernst genommen werden. Wir werden die 1,5 Grad überschreiten! Diese Überschreitung, sei es auch nur für kurze Zeit, wird gravierende Folgen für Mensch und Natur haben. Es wird schwer­wiegende Dürren, mehr Wasser­knappheit und damit noch mehr Hunger auf der Welt geben. Die Anzahl von Wetter­extremen wie Tornados, Starkregen und Hochwasser, Hitzewellen und Brände wird enorm zunehmen. Grosse Teile der Erde werden unbewohnbar sein, damit werden viele Menschen ihr Zuhause verlieren und sich auf der Suche nach Schutz auf den Weg machen. Die Regierungen haben das nicht im Griff!

Ich wünsche mir von den Regierenden eine ehrliche Kommunikation über die anstehende Katastrophe. Wir müssen anerkennen, dass grünes Wachstum nicht funktionieren wird; dass das Streben nach immer mehr uns direkt in diese Katastrophe führt. Die Wirtschaft sollte umstrukturiert werden, indem wir bedarfs­gerecht produzieren und gerecht verteilen. Wenn wir ehrlich kommunizieren, werden wir auch in einen Notfall­modus schalten können, in dem wir aus dem «Höher, Schneller, Weiter» aussteigen.

Nathaniel Bullard

Unternehmer, Washington D.C.; Energie­analyst, Bloomberg NEF

Der Ölverbrauch ist sehr nahe an seinem Höhepunkt, der Kohle­verbrauch ebenso. Viele der grössten Quellen von Treibhausgas­emissionen haben ihren Peak bald erreicht. Wenn der Verbrauch zu sinken beginnt, sinken auch die Emissionen. Dann beginnt ein grosses Experiment: Wie schnell können wir sie reduzieren, und wie nahe an null bekommen wir sie? Wir haben ein immer mächtigeres Set an Werkzeugen und Technologien, um unsere Emissions­kurve nach unten zu drücken. Strom­erzeugung und Mobilität lassen sich damit dekarbonisieren. Wir müssen uns darauf konzentrieren, diese Emissionen so schnell wie möglich zu reduzieren – um damit die Grundlage zu schaffen für die Dekarbonisierung anderer Emissions­quellen in Industrie, Schiff- und Luftfahrt.

Ashish Kothari

Soziologe, Umwelt­aktivist, Gründer der indischen NGO Kalpavriksh

Meiner Meinung nach ist der wichtigste Aspekt, den jeder über die Klimakrise verstehen sollte, dass sie nicht in der Zukunft liegt, sondern im Hier und Jetzt! Schon heute sind Dutzende Millionen Menschen von extremen Wetter­ereignissen, unregel­mässigen Regen­fällen, Über­schwemmungen in Küsten­gebieten betroffen, die Liste ist lang. Und: Die Auswirkungen sind unverhältnis­mässig stark bei denjenigen zu spüren, die am wenigsten zur Krise beigetragen haben, darunter indigene Völker, Klein­bäuerinnen, Fischer und Hirten sowie die Arbeiter­klasse in den Städten, die viel Zeit draussen verbringen muss. Wir alle müssen auch erkennen, dass die Lösungen für die Krise bereits vorhanden sind, und zwar in den Tausenden von Initiativen für nachhaltige Land­wirtschaft, klima­freundliches Bauen, dezentrale erneuerbare Energien, einfachere Lebensstile und respektvolle Beziehungen zum Rest der Natur – und nicht in den oberflächlichen, profitgierigen «Lösungen», die von Mega­konzernen und mächtigen Regierungen aufgetischt werden. Bei Letzteren handelt es sich um technische Lösungen oder Markt­mechanismen, die die grundlegenden Wurzeln der Krise nicht angehen – die Strukturen des Kapitalismus, der staatlichen Herrschaft und des Patriarchats, die ökologisch unhaltbare und sozial ungerechte Produktions-, Handels- und Konsum­muster hervor­gebracht haben. Wir brauchen Welt­anschauungen und Wege für die Erde, die die alte Idee von «Entwicklung» verwerfen, weil sie auf endlosem Wirtschafts­wachstum basiert. Wege, die private Unternehmen durch Arbeiter­kollektive ersetzen, lokale Kollektive und Gemeinschaften zum Kern einer radikalen ökologischen Demokratie machen, die lokale Selbst­versorgung mit Grund­bedürfnissen durchsetzen und Ungleichheiten und Diskriminierungen aufgrund von Geschlecht, Klasse, Kaste, Sexualität, Fähigkeiten oder Behinderungen beseitigen. Schliesslich muss jede und jeder Einzelne erkennen, dass er im Kleinen wie im Grossen Teil der Lösung sein kann, indem er sich an kollektiven Massnahmen beteiligt, den persönlichen Lebensstil ändert, wenn er übermässig viel verbraucht, und daran glaubt, dass die Menschen wieder in Harmonie mit und in der Natur leben können.

Claudia Traidl-Hoffmann

Professorin für Umwelt­medizin an der Universität Augsburg

Die Klimakrise ist dringender, als viele denken!

Sie ist schon längst hier, in Zentral­europa. In Form von Hitze­wellen, in Form von Extremwetter­ereignissen, in Form von Wald­bränden. Selbst wenn wir es als Welt­gemeinschaft schaffen sollten, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, bedeutet das nicht, dass alles beim Alten bleiben wird. Das Erdklima ist ein träges System und es braucht nach dem Bremsen der Veränderung noch lange, bis es zum Stillstand kommt. Wie wenn man einen Öltanker zu bremsen versucht: Auf seinem langen Bremsweg kann er noch viele kleinere und grössere Schiffe rammen. Jeder Schritt zählt!

Die Klimakrise wird schlimmer, als viele denken!

Es wird nicht nur ein bisschen wärmer. Wenn Kipp­punkte tatsächlich überschritten sind, hat das schlimme Folgen, die sich nicht rückgängig machen lassen. Zum Beispiel der Amazonas-Regenwald, die grüne Lunge der Erde. Durch Abholzung und anhaltende Trockenheit wird der Baum­bestand immer weiter dezimiert. Kippt der Regenwald in eine Art Savannen­landschaft, kann quasi gar kein CO2 mehr gebunden werden und die Erderwärmung beschleunigt sich weiter. Für diese fragilen Systeme macht jedes Zehntelgrad Erwärmung einen Unterschied! Jeder Schritt zählt!

Die Klimakrise betrifft mehr Menschen, als viele denken!

Alle sind betroffen, aber nicht alle gleicher­massen. Die Klimakrise spiegelt auch soziale Ungleichheit wider: Wer wohlhabend ist, trägt mehr zum Vorans­chreiten des Klima­wandels bei und kann sich besser vor den Folgen schützen. Länder, die pro Kopf extrem wenig an Emissionen ausstossen, können ihre Bevölkerung oft nicht genug vor den Folgen von Über­schwemmungen, Hunger wegen Ernte­ausfällen oder anderen Krisen bewahren. Die Folgen für die Gesundheit sind enorm, nicht nur im Globalen Süden, auch bei uns.

Jedes Jahr sterben während Hitze­wellen Menschen, vermehrter und verlängerter Pollenflug führt zu mehr Allergien mit deutlicheren Symptomen. Luft­verschmutzung durch Verkehr und Industrie feuert nicht nur die Klimakrise an, sondern auch Lungen- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Die Klimakrise kann nur durch gemeinsames, zielstrebiges, sofortiges Handeln eingebremst werden! Dafür braucht es mutige politische und persönliche Entscheidungen: Regierungen und Bürgerinnen und Bürger müssen klimaneutrales Leben möglich und attraktiv machen. Eine Anpassung an die Klimakrise muss jetzt in allen Bereichen passieren und ist genauso wichtig wie das Bremsen der weiteren Erhitzung der Erde. Jeder Schritt zählt!

UND: Wir können mehr gegen die Klimakrise tun, als viele denken!

Einige der Veränderungen sind bereits irreversibel. Das ist korrekt. Uns bleibt nichts anderes übrig, als uns mit ihnen zu arrangieren, doch wir können noch verhindern, dass auf unsere Kinder und Enkel unvergleichbar grössere Probleme zukommen. Es macht einen erheblichen Unterschied für Gesundheit und Lebens­qualität, ob die globalen Temperaturen um 1,5 oder 2 oder gar mehr Grad steigen. Noch haben wir es in der Hand, ob wir den Kampf aufgeben, ob wir nur reden oder uns engagieren. Tun wir nichts, verlieren wir in jedem Fall. Den Mut zu verlieren, ist keine Alternative! Jeder Schritt zählt!

Michael E. Mann

Klimatologe und Distinguished Professor an der University of Pennsylvania, Autor «Propaganda­schlacht ums Klima»

Ich sehe urgency UND agency: Dringlichkeit und die Möglichkeit zu handeln. Ja, es ist schlimm. Nein, es ist noch nicht zu spät, um die schlimmsten Auswirkungen zu verhindern.


Porträtbilder: Nancie Battaglia, Oliver Betke, Philipp Böhlen, David Fisher, Jordan Graham, Anne Hufnagel, Keystone, Anatoli Oskin, Franco Tettamanti, Joshua Yospyn.

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