Alles in Scherben – und nun? Die Bruchstücke neu glasiert, von Goodlife Ceramics für das Zürcher Restaurant Maison Manesse. Stefan Burger/Aio Frei

Der Ausweg

Eine Ausstellung ruft die «Repair Revolution» aus. Das funktioniert blendend – solange sich der Gedanke auf Dinge beschränkt. Was aber, wenn es um Menschen oder ganze Ökosysteme geht?

Von Antje Stahl, 04.04.2023

Vorgelesen von Egon Fässler
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Das «Ende der Illusionen» ist da. Zumindest diagnostizieren das einige schlaue Gesellschafts­kritiker.

Neben dem hier jüngst erschienenen Essay über das Aufbegehren von Klima­aktivistinnen, die sich Extinction Rebellion oder Letzte Generation nennen und vor dem bevorstehenden doomsday warnen, sei auf das gleichnamige Buch von Andreas Reckwitz verwiesen, in dem es ebenfalls um die «Stimmung der tief empfundenen Ausweg­losigkeit» geht. Die globalen Wirtschafts­kreisläufe und die CO2-Emissionen werden jedenfalls vorderhand nicht gestoppt, die Ausbeutung der Natur und das Arten­sterben schreiten scheinbar unaufhaltsam voran. Kein Wunder, wird das öffentliche Feld heute stark «vom Genre der Dystopie» geprägt, wie der Soziologe Reckwitz meint.

Da dürfte es wahrscheinlich jeden beruhigen, dass vermehrt unerschrockene Utopisten auf die öffentliche Bühne treten: «Unsere kaputte Welt lässt sich reparieren», lautet jedenfalls ein optimistisches Plädoyer, das sich zurzeit vielerorts durch­zusetzen scheint. Eine aktuelle Ausstellung im Museum für Gestaltung im Zürcher Toni-Areal trägt sogar den grossen Titel «Repair Revolution!». Reparatur wird zum alles neu ordnenden Handlungs­prinzip erklärt.

Absprachen gegen die Langlebigkeit

Während eines Rundgangs am vergangenen Donnerstag zeigte die Kuratorin Sara Zeller auf ein paar defekte Geräte am Boden. Die liegen dort stellvertretend für die 23 Kilogramm Elektro­schrott, die pro Person und Jahr in der Schweiz so entstehen – und das Land gegenwärtig immerhin zur «drittgrössten Elektroschrott­produzentin» der Welt küren. Wer hat in seinem Leben nicht schon mal eine Computer­tastatur oder einen Rührstab auf den Müll geschmissen? Welcome to the Wegwerf­gesellschaft, die selbst­verständlich viele komplizierte Ursachen hat.

Im Museum für Gestaltung werden zum Beispiel einige Unternehmen an den Pranger gestellt, die sich der sogenannten «geplanten Obsoleszenz» verschrieben haben, also ihre Produkte so konzipieren, dass sie ganz automatisch nach einer Weile nicht mehr zu gebrauchen sind.

Diese Praxis soll bis ins Jahr 1925 zurück­reichen, als die weltweit grössten Glühbirnen­hersteller in Genf das Phoebus­kartell gründeten, das für die Absprache berühmt wurde, eine Glühbirne solle nicht länger als 1000 Stunden brennen können. Anklang hat die Praxis bei Techkonzernen wie Apple bis ins neue Jahrtausend gefunden: Die Brüder Casey und Van Neistat machten sich sogar die Mühe, im Jahr 2003 Werbe­plakate für den iPod in ganz New York mit Graffitis zu brandmarken, weil der Akku nicht länger als 18 Monate hielt. Das zu dieser Protest­aktion gehörende Youtube-Video, in dem ein Apple-Service-Hotline-Mensch erklärt, dass es sich nach der abgelaufenen Garantie mehr lohne, einen neuen iPod zu kaufen, als den alten zu reparieren, ging viral.

Eine Handy-Reparateurin in ihrem Laden in Lausanne, aus dem Projekt «Mobile Repair Cultures». Anaïs Bloch/Nicolas Nova (HEAD-Geneva)

Es hat sich eine berechtigte Empörung breit­gemacht, die bis heute sowohl juristisch als auch politisch ausgehandelt wird. In den vergangenen Jahren wurden in einigen europäischen Ländern erfolgreich Gerichts­prozesse gegen Apple und Co. geführt, um den nachhaltigen Gebrauch von technischen Geräten zu gewähr­leisten, sowie Gesetze erlassen, die Produkt­hersteller etwa dazu verpflichten, wenigstens für sieben Jahre Ersatz­teile zur Verfügung zu stellen.

Als Grundlage für diesen neuen Umgang mit Gebrauchs­artikeln wurde im Europa­parlament sogar über das sogenannte «Recht auf Reparatur» debattiert, um die Konsumentin, aber eben auch die Umwelt zu schützen: Reparatur fördere die Entwicklung einer Kreislauf­wirtschaft, heisst es im entsprechenden Briefing von 2022. Im April desselben Jahres überreichte Greenpeace dem Schweizer Parlament eine Petition, in der ebenfalls argumentiert wird, Reparieren stelle den Weg aus der Wegwerf­gesellschaft dar.

Die heiklere Frage ist allerdings, wie man uns, die Konsumenten, dazu bewegt, von diesem Recht auf Reparatur Gebrauch zu machen. In einer Umfrage der Europäischen Kommission, die das konkrete Engagement im Umgang mit reparierbaren oder recycelbaren Produkten und Materialien bereits 2018 untersuchte, tauchen viele erwartbare Gründe auf, warum die Leute es ignorieren: zu teuer, zu aufwendig, zu kompliziert. Ein Viertel der Befragten gab allerdings auch an, auf Reparatur zu verzichten, weil sie schlicht und einfach ein neues Produkt bevorzugen: Das alte Teil sei «out of fashion».

Lernen Sie Motten­löcher lieben – oder stopfen!

Im Museum für Gestaltung hängen Altkleider an einer Wand (in Europa werden jährlich pro Kopf immerhin 15 Kilogramm verbraucht), und tatsächlich eignet sich die Mode­industrie wie kaum eine andere, um die Werte zu hinter­fragen, die der Kapitalismus unter die Konsumentinnen brachte. Neben der sogenannten Fast Fashion, die auf kosten­günstige, ständig zu ersetzende Massen­ware setzt, beteiligen sich auch Luxus­marken wie Burberry oder Richemont an dem gewaltigen Ressourcen­verschleiss auf dem Planeten Erde.

Kleidung und Accessoires von Luxuslabels im Wert von Millionen von Franken werden jede Saison verbrannt, um den exklusiven Marken­wert zu erhalten. So paradox das erscheinen mag: Wenn es ein Über­angebot gibt, sinkt nach derzeitigen Wirtschafts­regeln eben auch der Preis, und Schleuder­preise zerstören im Luxus­segment das Geschäft. Und damit sind wir bei einem der ersten konkreten Reparatur­vorschläge der Revolution angekommen: Pfeifen Sie bitte auf die Kostüme des Pseudo-Zeitgeistes und fangen Sie an, alte Kleider mit Flicken und gestopften Motten­löchern zu lieben! (Das soll nicht zynisch klingen.)

Die Kuratorin Sara Zeller hat eine ganze Reihe von hübschen Flicken­socken aus dem Museum Appenzell ausgeliehen, die wie Kron­leuchter von der Decke hängen und das alte Handwerk preisen, das Mädchen über Jahrhunderte entweder von ihrer Mutter oder später in der vierten, fünften Klasse in der Volks­schule erlernten. Ein alter, meisterhaft mit Garn und Faden ausgebesserter Norweger­pulli der Textil­künstlerin und selbst ernannten damage detective Celia Pym hängt sogar hinter Schutzglas.

Hinter Schutzglas: Der Norweger­pulli der Textilkünstlerin Celia Pym. Michele Panzeri
Mit Schutzglas: Die Sitzfläche «Réanim» des Designkollektivs 5.5 Designers. 5.5 Designers

Der Ästhetik der Reparatur wird damit so etwas wie der Stellenwert einer Ikone verliehen. Man könnte dies sogar als einen Versuch der ästhetischen Umerziehung des Menschen verstehen. Im Mode­bereich der «Repair Revolution!» werden auch Exponate gezeigt, die das politische Bewusstsein wecken können.

Ein Werbespot des britischen Ministry of Information aus dem Jahr 1943 erinnert beispiels­weise daran, dass Familien in Kriegs- und Krisen­zeiten dazu gezwungen waren, Textilien wieder- und weiter­zuverarbeiten. Die Industrie entdeckte in den Nachkriegs­wirtschafts­wunder­jahren die Frau ja nicht zuletzt deshalb als Dauer­kundin, weil der Kauf eines neuen Kleids und einer Wasch­maschine das Versprechen einlöste, die lästige Haus­arbeit abzulegen. Der Kampf für ein Recht auf Reparatur wurde historisch gesehen jedenfalls nicht von der Mehrheit der Frauen geführt.

Umso glorreicher ist die Entdeckung einer feministischen Initiative: In den USA erkannten in den 1970er-Jahren offenbar die selbst ernannten diesel dykes, dass für und von Frauen ein Women’s Car Repair Collective nötig ist, um sich von Autohändler- und Automechaniker-Männern nicht für dumm verkaufen – und damit das Geld aus der Tasche ziehen zu lassen.

Im Museum für Gestaltung liegt ein Ausschnitt aus ihrer Broschüre aus, in der vom «Mythos der Maschine» die Rede ist, der Frauen zu unmündigen und abhängigen Kundinnen verdamme. Fünfzig Jahre später kann sich im Zweifel jeder (also auch Männer and everyone beyond) mit diesem Status identifizieren: Kaputte Telefone oder Tablets lassen sich nicht leichter ohne fremde Hilfe reparieren als Fahrzeuge – und wandern deshalb unter Umständen auf den Müll ausser Sichtweite.

Ein Teil des Elektro­schrotts aus Europa wird bis heute nach Agbogbloshie, einem Stadtteil von Accra in Ghana, verfrachtet. Im Jahr 2011 zeichnete Unicef eine Fotoreportage aus, die das Leben auf der Giftmüll­halde, von Einheimischen «Sodom und Gomorrha» genannt, einfängt: «Um Geld zu verdienen, zertrümmern dort Kinder und Jugendliche auf Müllbergen Computer, Handys, Fernseh­apparate und andere Geräte und weiden sie aus. Dann legen sie Feuer, in denen alles ausser den wertvollen Metallen schmilzt. Heisse Dämpfe wabern; Blei, Kadmium, Zink, Chrom, Nickel und andere Chemikalien werden freigesetzt und haben gesund­heitliche Folgen für die Müllarbeiter: Kopf­schmerzen, Schwindel­anfälle, Haut­ausschläge, Schädigungen des Nerven­systems. Von den hochgiftigen Ablagerungen im Boden ganz zu schweigen.»

Auch auf der Giftmüll­halde wachsen Möglichkeiten

Seitdem wird Agbogbloshie gerne als medialer Sünden­schauplatz vorgeführt, auf dem sich die dramatischen Auswirkungen der «geplanten Obsoleszenz» sowie des westlichen Konsum­verhaltens auf Mensch und Umwelt manifestieren. Dass auch hier partizipative Projekte wie die Agbogbloshie Makerspace Platform (AMP) laufen, im Rahmen derer Materialien und Bestand­teile aus entsorgten Geräten gewonnen und für neue Herstellungs­prozesse weiter­verarbeitet werden, ist vielen nicht bekannt.

Auf dem Rundgang durch das Museum für Gestaltung sieht man einen Dokumentar­film über die informellen Werkstätten. Berufs­einsteiger aus den Bereichen Natur- und Ingenieurs­wissenschaften, Technologie, Kunst und Mathematik arbeiten gemeinsam mit Locals an «crafting spaces». Dieser Ausdruck wird bewusst gewählt, um die Reparatur- als Gestaltungs­praxis zu definieren: Aus alten Geräten werden neue gebaut und dabei neue Formen des Zusammen­lebens erschaffen. In einer Projekt­beschreibung werden die Teilnehmerinnen deshalb auch als «Afronauten» bezeichnet (vermutlich in Anlehnung an die Astronauten der Raumfahrt und den Afrofuturismus, der ein beliebtes Schlagwort für künstlerische Zukunfts­visionen ist).

Die Afronauten von Agbogbloshie erkunden «die generativen Möglichkeiten von Verschwendung, indem sie Bastel­arbeit mit Einfalls­reichtum kombinieren, Materie in Medien verwandeln und im Verlauf dessen die Menschheit durch ein neues Verständnis von Gerechtigkeit und Handlungs­fähigkeit bereichern». Der Praxis der Reparatur wird mit anderen Worten gerade hier ein utopisches Potenzial zugesprochen: Mitten in dem von Reckwitz eingangs erwähnten «Genre der Dystopie» – auf einem vom Westen als Sündenfall abgestempelten Flecken Erde – wird das Kaputte und Zerstörte transformiert.

Hier entsteht Neues: Die Agbogbloshie Makerspace Platform in der Hauptstadt von Ghana. ZKM, Agbogbloshie Müllhalde – Accra, Ghana, 2018 _Agbogbloshie Makerspace Platform

Nun werden prekäre Arbeits- und Lebens­bedingungen im Globalen Süden gerne vom Westen romantisiert. In der Ausstellung im Museum für Gestaltung Zürich kann es jedenfalls etwas merkwürdig wirken, wenn diesel dykes und Afronauten in direkter Nachbarschaft stehen, als ob es sich um ein und dieselbe Emanzipations­bestrebung handle.

Es bedarf daher eines weitaus pluralistischeren Ansatzes. Sonst sieht die geplante Revolution hin zu einer globalen Reparatur­gesellschaft am Ende aus wie eine Tarnung für die Fortsetzung bestehender Macht­verhältnisse.

Reparatur oder Reinwaschen?

Um die diversen «Politiken» des «behutsamen Konzepts der Reparatur» zu verstehen, lohnt sich die Lektüre der Ausgabe «The Great Repair» des Architektur­magazins «Arch+». Zunächst einmal kommt hier der Denkmalpflege-Theoretiker Wilfried Lipp zu Wort, der den Begriff «Reparatur­gesellschaft» Anfang der 1990er-Jahre prägte.

Für das Fach der Denkmal­pflege, in der sich alles um den Erhalt von Gebäuden (oder auch von Reiter­denkmälern) dreht, ist das Prinzip der Reparatur massgeblich, auch die Baumeisterinnen der Gegenwart, die Architekten, Ingenieurinnen, Handwerker und so weiter könnten davon lernen. Man bedenke nur die Abrissmentalität der Schweizer Baubranche, die geleitet vom liberalen Fortschritts­glauben Tag für Tag Häuser dem Erdboden gleichmacht und damit massgeblich zum Abfall und zu den weltweiten CO2-Emissionen beiträgt.

Aber Lipp forderte schon vor dreissig Jahren, den Blick nicht ausschliesslich auf das Objekt zu richten, nicht nur die Architektur (oder eben Kleider wie alte Socken und Norweger­pullis) zu reparieren: «Es läuft letztlich auf eine ‹Reparatur› am System einer volks­wirtschaftlich vorwiegend an Produktion und Absatz festgemachten Arbeit hinaus, die sich – in unserer Logik – als endlose Kette von Fülle – Stau – Abfall definiert.»

«Reparatur» könnte sogar, schreibt Lipp, «eine Art neuer Gesellschafts­vertrag sein, in dem die ‹Vergewisserung der Vergangenheit›, das ‹Erkennen der Grenzen von Ressourcen› und die ‹Einigung über einen Begriff von Gerechtigkeit› leitende Prinzipien wären.»

In weiteren Beiträgen des Magazins wird ausserdem das Unrecht problematisiert, ohne das eine Reparatur­arbeit wie in Agbogbloshie in Ghana niemals hätte in Angriff genommen werden müssen.

In einem Interview erklärt der französisch-algerische Künstler Kader Attia, dass Reparatur nicht bedeuten dürfe, dass «alle Risse, Defekte, Unfälle» getilgt werden. «In Wirklichkeit kehren wir nie zu einem Original­zustand zurück», «die Spuren der Zeit» müssen «in unserer Umwelt sichtbar» bleiben. Attia fordert also mehr als eine kosmetische Behandlung von Objekten. Er spricht von einer «von Wunden gezeichneten Welt», die «auf dem Fundament der in der Moderne begangenen Menschheits­verbrechen» steht, «die vom Sklaven­handel bis zum Kolonialismus reichen». Würden «diese Wunden nicht geheilt, nicht repariert, werden sie unsere Gesellschaften für immer heimsuchen».

Vor der Reparatur kommt die Zerstörung

Für eine ernst zu nehmende repair revolution müssen demnach auch dekoloniale Strategien verwirklicht werden, die eher etwas mit langfristigen Reparations­leistungen zu tun haben (als mit der alleinigen Forderung, Schweizer Konsumentinnen mögen in Zukunft ihr Telefon oder Tablet doch in die Werkstatt ihres Vertrauens schleppen, anstatt sie im Globalen Süden entsorgen zu lassen).

In der Kultur werden solche Reparations­leistungen gerne als Restitution verstanden, etwa wenn es um die Rückführung der Benin-Skulpturen oder der Mumie Schepenese geht. Leider werden koloniale Denkmuster dabei oft nur symbolisch überwunden. Als eine Form der Reparatur kann Restitution jedenfalls nur funktionieren, wenn diese eine Dekolonialisierung des Diskurses und des Wissens nach sich zieht.

Einer Reparatur geht immer ein Begriff von Zerstörung voraus – kaputt, defekt, beschädigt, brüchig, unnatürlich, unnormal, all dies sind Synonyme für den Zustand, der verändert werden soll. Solange es um Sach­gegenstände und technische Geräte, um Kleider oder Stühle geht, mag diese Einordnung noch ohne normative Kriterien und damit ohne grössere ethische Fehltritte zu bewerkstelligen sein. Sobald es aber um Menschen, andere Lebewesen oder ganze Ökosysteme geht, wird die Bewertung – und damit auch die Frage der Reparatur – komplizierter: Auf die Zerstörung folgt eine Ausbesserung, Fehler­behebung, Heilung.

Roland Roos repariert Dinge im öffentlichen Raum. Etwa das Schild eines Supermarkts in Zürich … Roland Roos
… oder ein Parkfeld in Warschau. Roland Roos

Der Autor und Aktivist Eli Clare reflektiert Reparatur als «eine Politik der Heilung», die in der Regel auf tradierten Auffassungen von Gesundheit oder Natur basiert. Wenn jemand wie er oder eine andere Person mit Behinderung geboren worden sei, könne der Heilungs­prozess nicht darin bestehen, ihre Körper auf irgendeinen vermeintlich normalen Urzustand zurück­zuführen. Er beschreibt eine ihm aus einem Netzwerk von queeren behinderten Aktivisten bekannte Person, deren Mutter in der Schwangerschaft vom Militär verschmutztem Grundwasser ausgesetzt war – die Toxine haben ihre Neuronen und Muskeln geformt.

Eli Clare muss an all die Fälle denken, «in denen behinderte Körper als abschreckendes Beispiel benutzt werden: gegen Trunkenheit am Steuer, Drogen­konsum, Luft­verschmutzung, bleihaltige Farben, Asbest, Impf­stoffe und so weiter». Wie aber, fragt Clare, lässt sich der «Hass auf die unsachgemässe Entsorgung von Giftstoffen zum Ausdruck bringen, ohne die Annahme zu bestärken, dein Körper sei schlecht, falsch oder unnatürlich»?

Die Antwort finden Eli Clare und die ihm bekannte Person gemeinsam: «Ich hasse das Militär und ich liebe meinen Körper.» Eli Clare will diese Gleichzeitigkeit von zwei Emotionen auch im Umgang mit dem Planeten Erde zulassen: Wir sollten «uns um die nicht reparierbaren Orte und Ökosysteme kümmern», schreibt er, die «hässlich, herunter­gekommen und voller Giftstoffe sind, anstatt sie aufzugeben».

Im Anthropozän gibt es keinen natürlichen Zustand, den man wieder­herstellen und zu dem man zurück­kehren könnte. Aber das sollte niemanden davon abhalten, sich liebevoll um die kaputte Erde und ihre Bewohnerinnen zu kümmern.

Zur Ausstellung und zum Projekt

«Repair Revolution!». Im Museum für Gestaltung, Zürich. Noch bis 15. Oktober 2023.

Das Projekt «The Great Repair» wird in Deutschland von der Kultur­stiftung des Bundes gefördert und wird eine weitere «Arch+»-Ausgabe zum Thema sowie eine grosse Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste im Herbst umfassen.

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