Mittwoch, 29. März 2023

Guten Abend,
schön, sind Sie da!

Die neue Schweizer Megabank hat bald einen Altbekannten an der Spitze: Der Tessiner Sergio Ermotti wird wieder CEO der UBS. Und unser Wirtschafts­redaktor erinnert sich an ein Nicht-Interview mit peinlichen Folgen.

Ermotti am Apparat

«Pronto?» Es war die Stimme des Mannes, der tags zuvor als neuer UBS-Chef vorgestellt wurde. Kein Mensch kannte damals Sergio Ermotti. Es war September 2011 und ich hatte Sonntags­dienst beim «Blick», wo ich seit ein paar Monaten im Wirtschafts­ressort arbeitete und keinen Schimmer von Banken hatte.

Der Blattmacher nahm sich vor, den Leserinnen den Investment­banker aus dem Tessin näher­zubringen. Neben mir waren fünf weitere Journalisten auf den Fall angesetzt. Ich fasste schliesslich den Auftrag, mit ihm am Telefon ein Interview zu führen. Ich hatte keine Ahnung, was ich ihn fragen sollte und wählte einfach die Nummer. Die Zeit drängte.

Am Tag darauf steht im «Blick»: «Um 11.30 Uhr nimmt Ermotti das Handy ab. Er ist ausser Atem. Kein Wunder. Der Topmanager ist beim Joggen. ‹Ich würde gerne ein Interview geben, muss das aber erst noch mit dem Kommunikations­chef der UBS absprechen›, erklärt Ermotti. Aber eigentlich sei alles Wichtige schon gesagt. ‹Jetzt gehts an die Arbeit›, stapelt der Familien­vater tief.»

Natürlich gabs dann kein Interview. Dafür ein Bild: Nach dem kurzen Telefon­gespräch meldete ich dem Fotografen, der vor Ermottis Villa in Montagnola lauerte, dass dieser bald vom Joggen heimkehren würde.

Als ich am nächsten Tag die Zeitung aufschlug, packte mich die Scham. Der «Blick» hatte am Ende ein Foto vom neuen Gross­banken­chef im Jogging­dress mit Bauch­ansatz unter dem Shirt und damit eine Steilvorlage für einen Banken-CEO-Body­shaming-Titel: «Wie stark muss die UBS jetzt abspecken, Herr Ermotti?» Ich war froh, dass ich Ermotti nie begegnen musste und dass sich fortan andere Kollegen um die UBS kümmern wollten.

Wir werden wieder ernst. In den USA hat gestern Abend nämlich ein weltweit bekannter Gerichtsfall eine dramatische Wendung genommen.

Eine Gefängnis­odyssee geht weiter

Im Januar 1999 in Baltimore verschwindet die 18-jährige Schülerin Hae Min Lee plötzlich. Vier Wochen später wird sie tot in einem Park aufgefunden. Für die Behörden wird ihr Exfreund Adnan Syed, ebenfalls ein Teenager, schnell zum Haupt­verdächtigen. Syed beteuerte stets seine Unschuld. Ein Jahr nach Lees Tod verurteilt ihn das Gericht wegen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe.

Mehr als 20 Jahre später ereignet sich in dem Fall eine spektakuläre Wendung: Die Staats­anwaltschaft von Baltimore lässt die Mordanklage fallen. Weitere DNA-Tests hätten ergeben, dass Syed fälschlicher­weise verurteilt worden war. Der inzwischen 41-Jährige darf das Gefängnis im Herbst 2022 wieder verlassen.

In 60 Tagen nun soll Syeds Freiheit bereits wieder enden. Gestern setzte ein Berufungs­gericht in Maryland das Mordurteil wieder in Kraft. Das Recht von Hae Min Lees Bruder, an der Anhörung teilzunehmen, sei verletzt worden. Dass Syed dauerhaft wieder ins Gefängnis muss, ist aber eher unwahrscheinlich.

Dennoch ist der gestrige Entscheid eine weitere Kerbe in einem komplexen, hoch beachteten Gerichtsfall. Ein drängender Anlass, sich die erste Staffel des preisgekrönten Podcasts «Serial» anzuhören.

2014 leuchtete das Podcast-Team, darunter die Journalistin und Moderatorin Sarah Koenig, den Fall en détail aus: von der Beziehung zwischen Adnan Syed und Hae Min Lee bis zur Wankel­mütigkeit von Kronzeugen. Der Podcast, er ist unter anderem hier zu hören, wurde zum inter­nationalen Grosserfolg und dürfte dazu beigetragen haben, dass der Fall wieder aufgerollt wurde.

Zurück in die Schweiz, genauer nach Bundes­bern, wo zumindest in einem der beiden Räte eine grandiose Erfindung Einzug gefunden hat: die Stoppuhr.

Frage an bern

Wie lange dauern die Voten in den Parlaments­debatten?

Zu dieser Frage führen die Parlaments­dienste keine Statistik. Grundsätzlich gilt: Im Nationalrat ist die Redezeit klar geregelt und beschränkt, im Ständerat nicht. In der grossen Kammer dürfen Bericht­erstatter aus den Kommissionen und Bundesrätinnen je maximal 20 Minuten sprechen. Fraktionssprecher erhalten 10, alle anderen Nationalrätinnen maximal 5 Minuten Zeit für ihre Voten. Wenn sich die Ratsmitglieder nicht an die Regeln halten, kann der Ratspräsident einschreiten und in schweren Fällen sogar das Rederecht entziehen. «Zum Glück musste ich noch nie zu dieser Massnahme greifen», sagt Nationalrats­präsident Martin Candinas. In der Regel reiche es völlig, die Parlamentarier zu bitten, ein Ende zu finden. «Das mache ich regelmässig», so der Bündner Mitte-Politiker.

An der Redezeit rüttelte Candinas als oberster Ordnungshüter im Nationalrat nicht einmal, als die Stoppuhr ausstieg: In der Frühjahrssession bat er die Nationalrätinnen, die Zeit selbst mit dem Smartphone zu stoppen – er selbst stoppte ebenfalls. Im Ständerat braucht es weder Stoppuhren noch Handys, da die Redezeit nicht beschränkt ist. Ein Freipass für stundenlange Reden? Nicht ganz: Als der Neuenburger FDP-Ständerat Philippe Bauer im Juni 2021 als Kommissions­sprecher 55 Minuten am Stück sprach, bat ihn der damalige Ratspräsident Alex Kuprecht, «langsam zum Schluss zu kommen».

Welcher Nationalrat in den ersten drei Jahren der vergangenen Legislatur mehr als zehn Stunden am Rednerpult verbracht hat, zeigt eine Auswertung des «Beobachters» von 2019. Genauso, dass Frauen durchschnittlich weniger lang reden als Männer.

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