Grosses Saubermachen bei der Credit Suisse: Unser Fotograf suchte Bankfilialen abseits des Paradeplatzes.

Die Tatortreiniger

Die Credit Suisse ist tot, eine neue Monsterbank geboren. Was macht die Politik in diesen historischen Schicksals­tagen? Durch die Woche mit Cédric Wermuth und Thierry Burkart.

Von Elia Blülle, Angelika Hardegger (Text) und Maurice Haas (Bild), 25.03.2023

Vorgelesen von Miriam Japp
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Am Montag steht der FDP-Präsident Thierry Burkart im Bundeshaus wie vor einem Grab.

Er hat die Hände vor der Hüfte gefaltet, den Blick gesenkt. Er hört sich Fragen von Journalisten an. Es ist Tag eins nach der Ankündigung vom Ende der Credit Suisse. Der «Schande», wie Burkarts FDP es am Sonntag­abend formulierte. Er hat an diesem Montag eingeladen, um Forderungen zu präsentieren, aber vor allem will er Anteil­nahme zeigen und Distanz aufbauen zu den Täterinnen. Die FDP ist die erste Partei, die am Tatort gesichtet wurde.

Auf «Inside Paradeplatz» wurde die FDP schon schuldig gesprochen, da war die CS noch gar nicht gestorben. Walter Kielholz, ein Freisinniger alter Prägung, habe den Weg der Grossbank «ins Nichts» gepflastert, schrieb das Online­portal am Samstag. Am Tag darauf, als die Bank gefallen war, verkündete die SVP, die Krise sei eine Folge von «Misswirtschaft und FDP-Filz». Es half nicht, dass die FDP-Finanz­ministerin Karin Keller-Sutter ungefähr zeitgleich auf der Presse­konferenz sagte, sie sei der CS «dankbar». Es war einer jener Sätze, von denen sich Politiker gewöhnlich lange nicht erholen.

Thierry Burkart wollte mit der FDP im Herbst die Wahlen gewinnen, zweitstärkste Partei werden, die SP überholen. Er sagt, er habe am Sonntag­abend gewusst: Das Thema CS wird «sehr heraus­fordernd» für die FDP. Was untertrieben ist. Die CS fiel wie ein grosser dampfender Kuhfladen in Thierry Burkarts Wahljahr.

Am Montag wird er in Bern von Journalistinnen gefragt: Wer ist schuld? «Hoch bezahlte Bank­manager», antwortet Burkart. Er wird gefragt, wie die FDP zu den Boni stehe. «Eine Frage des Anstands, dass man sie nicht auszahlt.» Er sagt an diesem Tag viel «prüfen» und «evaluieren», er legt sich in der Sache, wie die Banken in Zukunft zu regulieren seien, nicht fest. Wie sollte er auch?

Er hat die Forderungen, die die FDP an diesem Nachmittag präsentiert, am Morgen mit dem Partei­ausschuss aus dem Boden gestampft. Er wollte die Journalisten zwingend am Montag vor sich haben: Man lässt die Story nicht einfach drehen, sondern schreibt sie mit. Darum lässt Burkart an diesem Montag andere als Verdächtige vorführen. Namentlich: Ueli Maurer, der bis vor kurzem Finanz­minister war. Die Suche nach den Verdächtigen läuft.

Wermuth grinst

SP-Co-Präsident Cédric Wermuth hält sich im Tram an einer Stange fest, die Haut blass, die Augen wässrig. Es war ein langes Wochenende. Über die Lautsprecher verkündet eine Stimme: Der Parade­platz sei an diesem Montag­abend blockiert. Die Jung­sozialisten demonstrieren. Wermuth blickt vom Handy auf und sagt gerade laut genug, dass es die Passanten hören: «Sorry.» Er grinst.

Als der Bundesrat im Jahr 2008 die UBS mit Steuer­geldern rettete, blockierte der damals 22-jährige Juso-Präsident Wermuth den Eingang zur Bank noch selbst. Jetzt ist die andere Grossbank kollabiert. Und während die Juso am Parade­platz die «Enteignung» des Finanz­sektors fordern, schwört Wermuth wenige Strassen entfernt rund 40 seiner Genossen auf die nationalen Wahlen im Herbst ein.

Er spricht lange über Kaufkraft, Renten, Gleich­stellung, Respekt – dann fragt eine Frau, die nervös auf ihrem Stuhl rumrutscht: «Wötsch doch nochli über d Banke verzelle?»

Wermuth seufzt. Was soll er schon dazu sagen?

«Es ist wie ein Flash­back: das gleiche Risiko­verhalten, die gleiche verdammte Arroganz, Ignoranz. Die Politik ist immer noch gleich erpressbar wie vor 15 Jahren – und das wird sie bleiben. Wir sind jetzt über Generationen abhängig von einer Monsterbank.»

SP-Co-Präsident Cédric Wermuth spricht am 16. März 2023 vor Medien­vertreterinnen über die Credit Suisse. Anthony Anex/Keystone

«Nie wieder!», lautete die Forderung nach der Finanz­krise 2008. Nie wieder sollten Steuer­zahlerinnen für die Verfehlungen der Grossbanken gerade­stehen müssen. Und nun: Schon wieder muss der Staat einspringen, um eine Grossbank aus dem Dreck zu ziehen. Schon wieder scheitert eine liberale Wirtschafts­politik. Man müsste meinen, der Untergang der Credit Suisse sei der Anfang vom Wieder­aufstieg der SP. Ein Geschenk zur richtigen Zeit.

Am Partei­anlass in Zürich herrscht bei Dosenbier und Rotwein wieder diese fiebrige Erregung. Die ausgelegten «Büchlein» zur Kaufkraft seien «schön und gut», sagt ein Genosse. «Aber damit gewinnen wir doch keine Wahlen. Wir müssen den CS-Skandal ausschlachten!»

«Eine Partei wird nicht gewählt, weil sie recht hatte», widerspricht Wermuth. «Vor vier Jahren gewannen die Grünen, obwohl unsere Leute einen grossen Anteil an den Gesetzen für die Energie­wende hatten. Will Sozial­demokratie erfolgreich sein, muss sie Zukunfts­visionen entwickeln, Bilder malen, Hoffnungen anbieten – und sich nicht nur in der Vergangenheit bewegen.»

Wermuth glaubt: Wer die Krise instrumentalisiere, werde abgestraft. Die Menschen prägten sich ein, wer daraus Profit schlagen wolle. Es sei ohnehin ein Irrtum, zu glauben, in einer Finanz- und Bankenkrise gewinne automatisch die Linke. Nach 2008 hätten nicht linke Parteien Zulauf gehabt, sondern rechte. «Krisen lösen Abwehr aus», sagt Wermuth. «Konservative Regierungen.»

Ein wunder Punkt

Thierry Burkart steht im Foyer des Fernseh­studios von SRF. Es ist Mittwoch­abend, er muss eigentlich in die «Rundschau», aber Burkart ist vom «10 vor 10» abgefangen worden. Die Kamera ist noch aus, als der Journalist erklärt, was er von Burkart braucht: ein kurzes Statement. Thema: «Diese Forderung von SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi», das Inland­geschäft der CS sofort wieder abzutrennen. Burkart, zuvor so locker und freundlich, versteift sich. Er weist den Journalisten barsch zurecht: Die FDP hat die Forderung zuerst aufgestellt.

Burkart wird von einer jungen Frau durch das Fernseh­studio gelotst. Man spricht über das Debakel. Die Tragik. Die Frau erzählt, die CS erinnere sie an die Swissair, das Grounding, worauf Burkart den Smalltalk abrupt beendet. Die «Sachlage», erklärt er in Politiker­sprech, sei bei der Swissair natürlich «eine ganz andere» gewesen.

Ein wunder Punkt. Vom Untergang der Swissair hat sich der Freisinn nie ganz erholt.

2001, als die Swissair in Konkurs ging, sassen mehrere Freisinnige im Verwaltungsrat. Die Firma war desaströs geführt worden, das blieb kleben an der Partei. Christoph Blocher hob den Finger damals am höchsten. Er warf dem Management der Swissair «Verfilzung» vor. Der damalige Präsident der FDP sagte später über diese Zeit: «Sie haben uns das einfach angehängt.»

Burkart ist an die Theke der «Rundschau» gekommen, um zu verhindern, dass ihm das passiert.

«Man hat uns den Vorwurf gemacht …», setzt Burkart an.

«Das hören Sie nicht gern», sagt der Moderator.

«Es ist Wahlkampf­geplänkel, es ist ja sachlich falsch …»

Der Moderator insistiert: «Aber es gibt diese Nähe. Leute der Credit Suisse waren nah an der FDP in der Vergangenheit.»

Burkart erwidert, davon wisse er nichts. «Ich habe Herrn Thiam noch nie an einem Anlass der FDP gesehen, auch nicht Herrn Rohner oder andere.»

Er ist weit entfernt vom eingesessenen Zürcher Freisinn aufgewachsen, der nun beschuldigt wird. Vor der Sendung, als er in der Maske sass, plauderte er mit der Visagistin über sein Wander­grüppli, die Badenfahrt, das grösste Volksfest im Kanton Aargau.

Aber Herkunft entscheidet nicht über Gesetze.

Die FDP ist eine Partei, die Anliegen von Banken und Kapital vertritt. Beim «Too big to fail»-Gesetz wehrte sie sich gegen hohe Vorschriften an das Eigenkapital. Als eine Allianz von SVP und Linken die Banken vor Jahren verkleinern wollte, sagte die heutige Bundes­rätin Keller-Sutter im Ständerat, man könne nicht so tun, «als ob wir noch in der Finanzkrise von 2008 wären».

Dass die FDP im Sinn der Banken stimmt, ist kein überholtes Vorurteil, sondern eine Tatsache. Und amtlich protokolliert.

Thierry Burkart spricht für freisinnige Verhältnisse forsch; will Manager «zur Rechenschaft ziehen», Arbeits­plätze retten. Er will die «Monsterbank», die unter einer FDP-Bundesrätin kreiert wurde, sofort wieder zerschlagen und der Schweiz dennoch glaubhaft machen, seine Bundesrätin mache einen «hervor­ragenden» Job.

Als er das Fernseh­studio am späten Mittwoch­abend verlässt, wirkt Burkart zufrieden. Er hat von der «Rundschau» einen Wein geschenkt bekommen, er trägt ihn unter dem Arm aus dem Gebäude und verschwindet in der Tiefgarage von SRF. Wie einer, der an der Tombola zwar keinen Hauptpreis abgeräumt hat, aber immerhin: nicht nichts.

Reden und Schweigen im Thurgau

Am Donnerstag­abend fährt Cédric Wermuth im Zug nach Frauenfeld, entspannt. Er hat weiterhin einen Vorsprung. Die SP hatte schon vergangene Woche zur CS informiert, als die Bank noch gar nicht gestorben war. Am Montag lancierte sie eine Petition, die FDP kam damit erst am Donnerstag. Es ist, als könnte sich Wermuth seit Montag damit begnügen, zuzusehen, was am Tatort so passiert. Die FDP? Thierry Burkart? Eine gescheite Strategie, findet er. «Flucht nach vorn.»

Am vierten Tag nach der Geburt der Monsterbank sind sich fast alle in Bern einig, dass sie das Monster wieder zerschlagen wollen. Cédric Wermuth hat auch die Musse, die Lage druckreif auf den Punkt zu bringen: «Bis letzte Woche waren wir ein kleines Land mit zwei Gross­banken. Jetzt sind wir eine Bank, die auch noch ein Land hat.»

Er ist am Sonntag in eine maximal komfortable Situation gerutscht: Die SP ist die einzige Partei im Bundesrat, die nicht unter Verdacht steht. Wermuth erzählt, er habe in den vergangenen Tagen mit allen Partei­spitzen gesprochen, über eine Art rotes Telefon. Dort hören sich Präsidenten, Fraktions­spitzen und Bundes­rätinnen zu, sind ehrlich zueinander. Man erörtert, wie die Parteien zusammen­arbeiten können, wo es Über­schneidungen gibt, wo die Grenzen liegen. Wermuth glaubt, dass man eine «saubere Aufarbeitung hinbekommen wird», er hofft auf eine parlamentarische Untersuchungs­kommission. «Mehr kann ich derzeit noch nicht versprechen», fügt er hinzu. Da tönt er schon wie der leitende Kommissar.

Während andere noch aufräumen, schmiedet Wermuth Pläne. Er sagt, im Parlament soll über eine grundsätzliche Banken­regulierung geredet werden. Er will eine «zweite Aufklärung in Ökonomie», aber sich zugleich «nicht in komplexen Meta-Diskussionen über Finanzmarkt­regulierungen verlieren». Er will die Lebens­realitäten der Menschen ins Zentrum stellen. Er will zweifeln, will heraus­finden: Wäre eine Verstaatlichung der Credit Suisse wirklich die bessere Lösung gewesen? Am Ende soll er nicht als Krisen­gewinnler dastehen.

Schon am Montag­mittag hätten Journalisten gefragt, ob die SP nun bei den Wahlen zulegen werde. «Wahlprognosen? Das sind jetzt nicht die relevanten Fragen», sagt er, und man glaubt es ihm sogar. Als Wermuth am Donnerstag in Frauenfeld aus dem Zug steigt, wird er von der SP Thurgau erwartet. Sie wird an diesem Abend die Kandidatinnen für den Herbst bestimmen. Wermuth hält vor den Sozial­demokraten die exakt gleiche Rede wie am Montag in Zürich: Gleich­stellung, Kaufkraft, Klima.

Diesmal fragt aus dem Publikum schon niemand mehr nach den Banken.

Und die Freiheit?

Am KMU-Symposium in Baden ist die Schweizer Wirtschaft noch überschaubar. Hier treffen Karton­firmen auf Hörgeräte­akustiker. Thierry Burkart sitzt in der vordersten Reihe. Er hört einem Vortrag zu mit dem Titel «Wie Marken heute Vertrauen schaffen». Es geht auf den Folien um Guetzli und Duschgel, unausgesprochen um die CS. «Was tun, wenn man Vertrauen verloren hat?», fragt die Referentin. Da gebe es nur eins: «Eine Entschuldigung.»

Am Donnerstag hat die Politik die Bonus­zahlungen gestoppt und die Manager öffentlich verurteilt. Eine ausser­ordentliche Session ist einberufen, dort wird das Parlament das Notrecht, das der Bundesrat angewandt hat, nur absegnen können. Die Parteien werden in den kommenden Wochen viele Vorstösse einreichen. Politikerinnen werden wiederholen, die Monster­bank gehöre wieder verkleinert. Aber die Bank gehört ja nicht dem Staat, auf den die Parteien Einfluss haben, sondern der UBS. Und die UBS betrachtet das Inland­geschäft der CS laut der «Financial Times» als «Kronjuwel» des Deals.

Schnell den Tatort absichern: FDP-Präsident Thierry Burkart (Zweiter von rechts) am 20. März 2023, kurz vor Beginn einer Medien­konferenz. Peter Klaunzer/Keystone

Was, wenn die UBS sich weigert, das Inland­geschäft abzuspalten? Thierry Burkart glaubt, dass der Druck der Politik auf die UBS dann steigen wird. Er denkt an mehr Regulierung, an die Forderung nach einem Trennbanken­system. Er stellt sich auf ein Kräfte­messen ein: Bank gegen Politik – wo doch seit Sonntag alle wissen, wer stark ist und wer schwach. Was Thierry Burkart, rein staats­politisch, seltsam wenig beschäftigt.

Spürt er eine Ohnmacht der Politik? «Mindestens eine beschränkte Handlungs­fähigkeit.»

Ist die Schweiz aktuell gefangen? «Ja.»

Wäre die Schweiz denn wirklich frei, wenn die «Monsterbank» erneut getrennt würde? Und eine immer noch sehr grosse UBS bestehen bliebe? «Nein, vermutlich nicht. Aber finanziell wäre eine Rettung so im Notfall stemmbar, anders als mit der Monsterbank.»

Gefangenschaft ist das Gegenteil der Freiheit, zu der sich Thierry Burkart auf Wahl­plakaten bekennt. Es gibt viele Fragen zur Freiheit, die man sich stellen kann in der aktuellen Lage. Was ist die Freiheit wert? Was bedeutet das alles für die Demokratie? Aber Thierry Burkart stellt keine. Er muss auf die Bühne.

Er wird auf der Bühne über Vertrauen reden. Wird nach dem Podium vielen Leuten die Hand schütteln. Wird aufgefordert werden, hier zu sein und da. Er wird Visiten­karten in die Hand gedrückt bekommen, wird abgefangen werden von einem blassen Mann, der glaubt, den Plan für die Banken auf eine A4-Seite gebracht zu haben.

Burkart wird immer freundlich bleiben. Er wird sich verpflichtet fühlen, mit einem Banker, der ihn schon beim Kommen darum bat, ein Bier zu trinken. Er wird sogar die Ausdauer haben, eine Show­einlage von Jenny Fire zu Ende zu schauen, einer Artistin, die auf der Bühne Feuer schluckt. Aber als man Burkart auffordert, mit Jenny Fire ein Foto zu machen, lehnt er für einmal ab.

Das Feuer war ihm die ganze Woche durch schon nah genug.

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