Mittwoch, 22. März 2023

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Der Fahrdienst Uber behauptete jahrelang, seine Fahrer seien selbst­ständig erwerbend. Das höchste Schweizer Gericht sieht das anders.

aus dem bundesgericht

Uber gehts an den Kragen

«Lieber sterbe ich hier auf der Stelle, als dass ihr mir ein Uber bestellt», sagte neulich ein Anwalt in Zürich, der wegen eines Schwindel­anfalls schleunigst nach Hause befördert werden musste. Eine konsequente Haltung, die längst nicht alle teilen.

Der Fahrdienst war 2009 in San Francisco gegründet worden und hat sich in Zehntausende Städte ausgebreitet, seit 2013 gibt es ihn auch in der Schweiz. Doch dem Fahrdienst, der rund um den Globus als ausbeuterisches Dumping-Unternehmen angeprangert wird und gegen den Taxifahrer und Gewerkschafterinnen auf der Strasse demonstrieren, gehts immer mehr an den Kragen. In vier heute veröffentlichten Urteilen sagt das Bundes­gericht klipp und klar, dass die hierzulande tätigen Uber-Gesellschaften AHV-Beiträge für die angeschlossenen Fahrer zahlen müssen. Der Fahrdienst wird verpflichtet, der Sozial­versicherungs­anstalt mitzuteilen, welche Löhne welchen Fahrerinnen ausbezahlt wurden und welche Unkosten die Angestellten zu tragen hatten.

Diese neuesten Urteile betreffen den Kanton Zürich. Das höchste Gericht hält darin fest, warum die Uber-Fahrer als unselbst­ständig Erwerbs­tätige einzustufen seien: weil ihnen der Arbeit­geber weitreichende Weisungen erteilt und deren Einhaltung über die App auch kontrolliert. Weil in wesentlichen Arbeits­bereichen ein Unterordnungs­verhältnis besteht. Und weil die Fahrerinnen praktisch kein wirtschaftliches Risiko tragen.

Ähnlich hatte das Bundesgericht bereits im Juni 2022 entschieden, damals ging es in zwei Urteilen um den Kanton Genf. Und die Message war unmissverständlich: Die in Genf tätigen Uber-Fahrer sind Angestellte. Das trifft auch auf die Kurierinnen zu, die für «Uber Eats» unterwegs sind. In Genf war es die Wirtschafts­polizei, die darauf pochte, dass sich Uber an die gesetzlichen Pflichten hält, den sozialen Schutz der Fahrerinnen gewährleistet und die «branche­nüblichen Arbeits­bedingungen» respektiert. Er habe geweint vor Freude, sagte der Genfer Taxifahrer Mohammed Gharbi nach Bekannt­werden dieser Entscheide der Gewerkschafts­zeitung «work». Und: Nun habe er wieder «Zeit zum Leben».

Die neuesten Uber-Urteile des Bundes­gerichts betreffend den Kanton Zürich: 9C_70/2022, 9C_71/2022, 9C_75/2022, 9C_76/2022.

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«Shoot all the analysts», schrieb die «Financial Times» im März 2001 nach dem Platzen der Dotcom-Blase. Später fand sie das zwar «a rather dramatic over-reaction», aber gesagt ist gesagt, finden wir.

Die letzte General­versammlung

Friedrich Dürrenmatt schrieb nicht nur Prosa und Theater­stücke, er malte auch. Er selbst sagte zwar, er sei kein Maler. «Ich male technisch wie ein Kind, aber ich denke nicht wie ein Kind. Ich male aus dem gleichen Grund, wie ich schreibe: weil ich denke.»

Am 4. April 2023 findet die nächste General­versammlung der Credit Suisse statt. Falls sie tatsächlich so stattfindet, wird es die letzte sein.

Was Dürrenmatt darüber wohl denken würde?

Friedrich Dürrenmatt, «Letzte General­versammlung der Eidgenössischen Bankanstalt», 1966, Öl auf Leinwand, 72 × 60 cm. Sammlung Centre Dürrenmatt Neuchâtel CDN / Schweizerische Eidgenossenschaft

Wir bleiben bei Krisen und ihren drastischen Konsequenzen.

IPCC-Bericht

Was Sie zum neuen Abschluss­bericht des Weltklima­rates lesen sollten

In Interlaken hat der Weltklimarat IPCC am Montag seinen neusten Abschluss­bericht veröffentlicht. Dieser zeigt, dass die Klimakrise bereits weit fortgeschritten ist und die drastischen Auswirkungen auf das Ökosystem nur noch mit tief­greifenden Massnahmen eingedämmt werden können.

Sie wollen mehr über die Ergebnisse erfahren? Das sind die wichtigsten deutsch­sprachigen Einordnungen zum neuen Bericht:

  • «Die Zeit» präsentiert die wichtigsten zehn Erkenntnisse aus dem Bericht – in einfacher Sprache, übersichtlich und mit verständlichen Grafiken. Die Zeitung betont nicht nur die Gefahren, sondern auch die Chancen: «Der Umbau für den Klimaschutz könnte – wenn er gut geplant ist – die Welt sogar gerechter machen und Energie­abhängigkeiten von totalitären Staaten abbauen.»
  • IPCC-Hauptautor und ETH-Professor Erich Fischer erklärt im Interview mit CH Media, dass man mit dem neuen Bericht nicht mehr nur das globale Phänomen, sondern auch die Auswirkungen zum Beispiel in den Alpen oder Ozeanen besser verstehe: «Messungen zeigen unter anderem 60 Prozent Schwund bei den Gletschern und 300 bis 400 Meter Anstieg der Nullgrad­grenze. Das sind gerade für die Schweiz beeindruckende Zahlen.»
  • In den letzten Jahren hat vor allem der dritte Teil des aktuellen Sachstands­berichtes für Aufregung gesorgt, der sich mit den Lösungen beschäftigt. «Die Zeit» bezeichnete den Bericht als einen «Aufruf zur Revolution», weil die Wissenschaftler darin konstatieren, dass nur ein systemischer Wandel die schlimmsten Klimafolgen abwenden werden. Doch was heisst das genau? Der ETH-Professor und IPCC-Hauptautor Anthony Patt sagte der «Wochen­zeitung» (WOZ), darüber sei man sich uneinig gewesen: «Ein Drittel von uns verstand unter ‹System­wandel›, Systeme wie das Energie- oder das Verkehrs­system so umzustellen, dass sie nicht mehr auf fossile Energie angewiesen sind – aber möglichst ohne dass die Nutzer:innen etwas bemerken. Ein Drittel dachte gross: Industrie­gesellschaft. Kapitalismus. Wirtschafts­wachstum. Ungerechte Verteilung des Wohlstands. Der Rest stand dazwischen: nicht gerade eine Revolution, aber doch Veränderungen der Art und Weise, wie wir uns bewegen, wie wir konsumieren, wie wir wohnen und so weiter. Veränderungen, die die Menschen spüren – und hoffentlich mögen.»

Die ganze Schweiz diskutiert über die Credit Suisse, die Verantwortlichen des Fiaskos und die Rolle der Politik. Im April debattiert das Parlament darüber.

Frage an bern

Generäle, Covid und die Credit Suisse – wann kommt es zu einer ausser­ordentlichen Session?

Für eine ausser­ordentliche Session muss ein Viertel der Mitglieder von National- oder Ständerat zustimmen. Auch der Bundesrat kann eine einberufen. Im Fall der Credit Suisse ist das zwar formell noch nicht passiert. Weil die SP, die Grünen, die Grün­liberalen, die Mitte und die FDP bereits signalisiert haben, dass sie das kurzfristige Zusammen­treffen der Räte verlangen werden, ist klar: National- und Ständerat werden in der Osterwoche debattieren, welche politischen Schlüsse aus dem Untergang der CS zu ziehen sind.

Es wird erst die dritte ausser­ordentliche Session seit 2000 sein, die separat durchgeführt wird – also nicht im Anschluss an eine ordentliche Parlaments­session: 2001 trafen sich die Räte, um über die Swissair-Finanzierung zu diskutieren, 2020 ging es um die Bewältigung der Covid-Krise. Zu ausser­ordentlichen Sessionen fand sich das Parlament auch 1914 und 1939 im Bundeshaus ein, zu Beginn der Weltkriege. Beide Male tat es das aber auf Geheiss des Bundesrats. Die beiden Kammern diskutierten damals über Sonder­vollmachten und wählten einen General. Eine an eine Session angehängte ausser­ordentliche Session gab es zuletzt im vergangenen September, als ein dringlicher Kredit für die Elektrizitäts­wirtschaft zu bewilligen war.

Welche Lehren ziehen die Parteien aus dem CS-Debakel? Eine gute Übersicht bietet der «Blick».

Danke fürs Interesse.

Ihre Crew der Republik