Mittwoch, 15. März 2023

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Man nennt sie «weniger tödliche Waffen». Die Betonung dabei müsste auf «weniger» liegen, denn die Folgen dieser Waffen – zu denen zum Beispiel Gummischrot-Werfer gehören – sind verheerend: Sie führen zu Knochen­brüchen, zu Schädel­brüchen, zum Verlust des Augen­lichts. Trotzdem setzt die Polizei in der Schweiz solche Waffen regelmässig ein, etwa vor einer Woche in Basel an einer Demonstration zum feministischen Kampftag.

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«Kinetische Aufprall­waffen sollen grundsätzlich nur gegen gewalttätige Individuen benutzt werden, und nur, um eine unmittelbare Verletzungs­gefahr für Sicherheits­kräfte oder Mitglieder der Öffentlichkeit abzuwenden.»

Das sagt das Uno-Hochkommissariat für Menschen­rechte in seinen Richtlinien zum Einsatz sogenannt «weniger tödlicher Waffen» durch Polizei­behörden. Dazu zählen auch die in der Schweiz oft eingesetzten Gummigeschosse.

Weiter heisst es in den Richtlinien: «Munition, die mehrere Projektile auf einmal abfeuert, ist ungenau und kann den Prinzipien von Notwendigkeit und Verhältnis­mässigkeit grundsätzlich nicht entsprechen.»

An diese Vorgaben der Uno hält sich in der Schweiz keine grössere Polizei. Alle setzen Gummischrot ein, also Mehrfach­munition, mit der sich kaum zielen lässt. Und immer wieder richten sich diese Geschosse auch gegen Menschen, die nicht gewalttätig sind und keine unmittelbare Bedrohung für andere Personen darstellen.

So etwa am 8. März in Basel. Zum feministischen Kampftag versammelten sich rund 200 Frauen an einer unbewilligten Demonstration. Nach wenigen Metern kesselt die Polizei sie ein. Dann – so zeigen es Videoaufnahmen des Abends – stürmen rund fünfzehn Beamte auf die eingekesselten Menschen zu, entreissen ihnen zwei Transparente und feuern aus unmittelbarer Nähe drei Schüsse auf die Demonstrantinnen ab.

Wie die Kantonspolizei Basel-Stadt gegenüber der Republik sagt, handelte es sich dabei um Schrotmunition aus dem Mehrzweckwerfer GL06. Dieses kugelförmige Gummischrot wird in Ladungen à 28 Geschossen abgefeuert. Die Mindestdistanz beträgt 5 Meter, zielen soll man damit auf die Mitte des Oberschenkels. Vergleicht man auf den Bildern aus Basel die Körper­grösse der beteiligten Personen mit der Distanz, auf welche geschossen wird, kommt man zum Schluss: Die fünf Meter wurden deutlich unterschritten.

Damit konfrontiert sagt die Kantonspolizei Basel-Stadt: «Ob die Distanz von 5 Metern tatsächlich unterschritten wurde, müsste eine detaillierte Untersuchung zuerst zeigen. Generell lässt sich sagen, dass eine Mindest­distanz in einer beweglichen und dynamischen Situation nicht mit dem Metermass abgemessen werden kann.» Zudem habe es beim gesamten Einsatz keine Verletzten gegeben.

Dass es so glimpflich ausging, könnte indes damit zu tun haben, dass sich die Teilnehmerinnen der Demo vor genau solchen Verletzungen schützen wollten. Wie die Polizei schreibt, habe sie «dreifach verstärkte Transparente mit Griffen zum Schutz vor Gummischrot, diverses Vermummungs- und Schutzmaterial» sichergestellt. Sie nennt diese Gegenstände als Beleg dafür, dass die Demonstration gewaltbereit gewesen sei.

Nicht ganz so viel Glück wie die Leute in Basel hatte ein Besucher eines Eishockey­matchs in Biel Ende Februar. Wie «Fribvrgensis», eine Ultra­gruppierung des Hockeyclubs Fribourg-Gottéron, in einer Mitteilung schreibt, schoss ein Polizist der Kantonspolizei Bern einen Fan mit einem Gummigeschoss in den Kopf. Nach Angaben der Fangruppierung erlitt der Getroffene mehrere Brüche im Gesicht und eine schwere Augen­verletzung. Die Kantonspolizei Bern bestätigt auf Anfrage, dass ein Fan an diesem Abend verletzt wurde.

Ob es sich bei dieser Verletzung tatsächlich um Knochenbrüche im Gesicht handelt und ob diese durch ein Gummigeschoss der Polizei verursacht wurden, will die Polizei weder bestätigen noch dementieren. Die Staats­anwaltschaft habe ein Strafverfahren eröffnet, weshalb man keine Auskunft geben wolle. Auch nicht zur Frage, ob sich das Verfahren gegen eine Mitarbeiterin der Kantonspolizei Bern richtet.

Klar ist: Sollte der betroffene Fan tatsächlich Knochenbrüche erlitten haben, dürfte das die schwerste bekannte Verletzung durch ein Polizei-Gummigeschoss der letzten Jahrzehnte sein. Die Untersuchung führt die Kantons­polizei Bern selbst.

Dass Gummigeschosse immer wieder zu schweren Verletzungen führen und im Widerspruch zu den Uno-Richtlinien eingesetzt werden, weiss auch Amnesty International. Die Menschenrechts­organisation veröffentlichte gestern einen ausführlichen Bericht über den Einsatz der «weniger tödlichen Waffen» in über 30 Ländern der Welt.

Schweizer Fälle sind in dem Bericht zwar nicht dokumentiert. Wie Amnesty International gegenüber der Republik bekannt gibt, könnte sich das aber bald ändern: Man recherchiere aktuell zur Situation in Bezug auf das Recht auf Protest in der Schweiz und hinsichtlich der Schritte, die notwendig sind, um den Schutz dieses Rechts zu stärken.

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Vor einer Woche berichteten wir an dieser Stelle über eine Schlägerei im Schweizer Parlament vor 93 Jahren. Noch brutaler gingen Nationalräte einige Jahrzehnte zuvor miteinander um – unmittelbar nach der Gründung des Bundes­staats kreuzten einst sogar zwei Volks­vertreter die Säbel.

frage an bern

Warum trafen sich zwei Nationalräte im Herbst 1848 zum Duell?

An der allerersten Session gerieten sich die Nationalräte Giacomo Luvini und Rudolf Benz in die Haare. Der Tessiner beschuldigte den Zürcher, als Befehls­haber einer Truppe im kurz zuvor ausgefochtenen Sonderbunds­krieg mehrfach die Souveränität des Kantons Tessin verletzt zu haben; der Zürcher wiederum bezeichnete den Tessiner Oberst als feige, weil er nach einer militärischen Niederlage geflüchtet sei. Daraufhin forderte Luvini Benz zum Duell auf – ein damals in oberen Gesellschafts­schichten weitverbreiteter männlicher Lösungsweg, um verletzte Ehre wieder­herzustellen. So schildert es ein Historiker auf dem lesenswerten Blog des Schweizerischen National­museums.

Womöglich war das aber nicht der einzige Grund für die Auseinander­setzung: In einer Rede sagte die damalige Bundesrätin Simonetta Sommaruga vor zehn Jahren, es sei (auch) um unterschiedliche Positionen in der Asylpolitik gegangen.

Was zweifelsfrei feststeht: Am 29. November 1848 kreuzten die beiden Nationalräte auf dem Exerzierboden der Kavallerie­kaserne die Klingen. «Es soll nur auf das erste Blut akkordirt worden sein», berichtete die «Eidgenössische Zeitung» vier Tage später. Die Polizei habe das Aufeinander­treffen aus sicherer Entfernung beobachtet, obwohl Duelle in Bern eigentlich seit 1651 verboten gewesen seien. «Unser Herr Polizeidirektor soll von der Sache zwar Wind bekommen, aber doch es nicht gewagt haben, sie zu verhindern, daher er sich begnügte, den Schauplatz des Kampfes von ferne zu umkreisen und mit Sperberaugen zu bewachen.» Das Duell endete verhältnismässig glimpflich: Benz verletzte sich an der Hand, konnte aber dennoch am gleichen Tag mit der Kutsche nach Hause reisen.

National verboten wurden Duelle erst 1937 durch das erste Schweizerische Strafgesetzbuch.

In verschiedenen Schweizer Städten widmet sich eine neue Wander­ausstellung der «Suche nach der Wahrheit». Respektive: dem Verhältnis von Medien und Demokratie. In Bern treten in dieser Woche auch zwei Republik-Redaktorinnen auf.

Wachhunde im Wildwuchs

Früher war das Leben einfach. Wahr war, was in der Zeitung stand, der Journalismus war der Wachhund der Demokratie. Heute ist das Leben kompliziert. Soziale Medien, das Internet haben die Medien­branche umgepflügt; sie bieten schöne neue Möglichkeiten – und gleichzeitig ein Gewirr aus allerlei Informationen. Die Ausstellung «Auf der Suche nach der Wahrheit» beleuchtet diese Entwicklung. Und will den Besucherinnen Instrumente an die Hand geben, um sich besser zurecht­zufinden «im Wildwuchs von Information und Desinformation».

Heute Mittwoch ab 18.15 Uhr diskutiert Republik-Bundeshaus- und Medienredaktor Dennis Bühler im Polit-Forum in Bern gemeinsam mit Sermîn Faki, Politikchefin der Boulevard­zeitung «Blick», und Ausstellungs­macher Thomas Gull über die Rolle journalistischer Medien für die Demokratie und die Frage, weshalb guter Journalismus in der Krise steckt. Die Debatte kann auch via Livestream auf Youtube verfolgt werden.

Am Freitag um 20 Uhr erzählt dann Republik-Digital­redaktorin Adrienne Fichter im Rahmen der «Museumsnacht» von ihrem Arbeitsalltag. Die Veranstaltung findet im Polit-Forum im Käfigturm statt.

Vielleicht ist Ihnen der Weg nach Bern zu weit, der Livestream unsympathisch und überhaupt … Machen Sie sich lieber selbst ein Bild – bitte sehr:

Aus dem archiv

Willkommen im Wildwuchs

Wir geben uns grösste Mühe, selbst keine Falschmeldungen zu verbreiten. Stellt sich eine Information nach der Veröffentlichung dennoch als unzutreffend heraus, korrigieren wir sie so schnell wie möglich – und machen die Änderung am Ende eines Textes transparent. Wie wir genau vorgehen, haben wir vor bald vier Jahren hier erklärt. Bis heute halten wir an diesen Prinzipien fest.

Über die Macht von Fake News hat die Republik wiederholt berichtet. Falls Sie die folgenden Texte aus unserem Archiv noch nicht kennen – wir empfehlen sie weiterhin zur Lektüre:

  • Ringen um die Wahrheit: Der Online-Chef von RT Deutsch, früher Russia Today, möchte «die Wahrheit aufdecken» – genauso wollen das die «Fake-Jäger» aus Wien, die Lügen auf Facebook enttarnen. Die Frage ist: Was stimmt denn jetzt?

Danke fürs Interesse.

Ihre Crew der Republik