Dienstag, 14. März 2023

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schön, sind Sie da!

Eigentlich war es ein mieter­freundliches Gesetz – bis gewiefte Geschäfts­männer es so drehten, dass sie damit sehr viel Geld verdienen konnten.

zur Aktualität

Wie Genfer Immobilien­verwalter ihre Mieterinnen ausnehmen

Wenn Sie im Kanton Genf einen neuen Mietvertrag unterzeichnen, muss der Vermieter Ihnen mitteilen, wie viel Ihre Vormieterin für die Wohnung bezahlte. Das soll helfen, Mietzins­erhöhungen transparent zu machen und im Rahmen des Erlaubten zu halten.

Einen Weg, solche «Unannehmlichkeiten» zu umgehen, fanden der Immobilien­verwalter und frühere Genfer Grossrat Ronald Zacharias und sein Geschäfts­partner. Wurde eine Wohnung frei, setzten sie kurzerhand einen gefälschten Zwischen­vertrag auf und erhöhten die Miete signifikant (von 886 Franken auf 2000 Franken pro Monat zum Beispiel). Einen tatsächlichen Mieter gab es nicht, die Wohnung stand einige Wochen leer. Bevor die nächste Mieterin den Vertrag unterzeichnete, erhöhten sie nochmals, diesmal aber nur leicht. Die neue Mieterin sah dann bei ihrem Abschluss des Vertrags eine – gegenüber dem Zwischen­vertrag – nur leichte Erhöhung des Mietzinses; de facto bezahlte sie sehr viel mehr als der Vormieter. Diese Praxis hatte unter anderem RTS vor gut zwei Jahren aufgedeckt. Der Fall landete bei der Staats­anwaltschaft, die bereits wegen anderer Hinweise Ermittlungen aufgenommen hatte.

Vorletzte Woche nun wurden Ronald Zacharias und sein Partner zu einer Bewährungs­strafe verurteilt. Damit ist der Fall aber noch nicht zu Ende.

Denn Zacharias war anscheinend nicht der Einzige, der auf die Idee kam, die Mieten künstlich aufzublasen. Asloca, der Mieterinnen- und Mieterverband in der Romandie, schreibt in einer Mail an seine Mitglieder von Hunderten ihm bekannten Fällen mit sieben involvierten grossen Immobilien­agenturen. Asloca will Genfer Mietverträge deshalb nun systematisch auf die Betrugs­masche überprüfen.

PS: Die Zeitschrift «Bilan» bezifferte das Vermögen von Ronald Zacharias 2019 auf 200 bis 300 Millionen Franken.

Gestern veröffentlichte das Bundes­gericht seinen Jahres­bericht. Daraus geht hervor: 2022 hat der Europäische Gerichtshof für Menschen­rechte sieben Urteile zur Schweiz gefällt – und sieben Mal Menschen­rechts­verletzungen festgestellt.

Achtung, Menschen­rechte!

Am 29. März werden die Klima­seniorinnen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschen­rechte (EGMR) in Strassburg darlegen, warum – ihrer Meinung nach – die Schweiz zu wenig für den Klimaschutz tut. Und damit das Recht auf Gesundheit verletzt. Der Vertreter der Schweiz wiederum wird den 17 Richtern der Grossen Kammer die gegenteilige Ansicht erläutern: dass die kleine, reiche Möchtegern-Muster­demokratie (das wird er kaum so sagen, aber stimmen tuts trotzdem) ihren Pflichten sehr wohl nachkomme. Die Menschen­rechte der Klägerinnen achte und schütze, die notwendigen Massnahmen eingeleitet habe.

Strassburg behandelt regelmässig Fälle aus der Schweiz, die Klima­seniorinnen sind kein Einzelfall. Letztes Jahr sind 257 hiesige Beschwerden eingegangen, ein Jahr zuvor waren es sogar 273. Diese Zahlen hat das Bundes­gericht in seinem jüngsten Geschäfts­bericht publiziert. Was von besonderem Interesse ist: 2022 hat der EGMR 7 Urteile gefällt – und sieben Mal Menschen­rechts­verletzungen der Schweiz festgestellt. Es ging, unter anderem, um Folgendes:

  • Meinungsäusserungs­freiheit: Ein Tierschutz­verein darf in seiner Publikation einen Politiker hart anpacken, das stellt keine Persönlichkeits­verletzung dar. Bei Politikern ist die Grenze der zulässigen Kritik weit zu fassen.
  • Recht auf Leben; Verbot von Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung: Ein pakistanischer Flüchtling, der in der Schweiz vom Islam zum Christentum konvertierte, darf nach der Ablehnung seines Asyl­gesuchs nicht weggewiesen werden. Die Schweiz hat die Gefahr, die ihm als Konvertiertem in Pakistan droht, zu wenig gewichtet.
  • Diskriminierung: Ein Witwer erhält nach der Mündigkeit seines jüngsten Kinds keine Witwer­rente mehr, obwohl er sich full time um dessen Erziehung gekümmert hat. Damit ist er schlechter gestellt als eine Witwe, die sich haargenau in der gleichen Situation befindet. Für diese geschlechter­bedingte Ungleich­behandlung gibt es keine «hinreichenden» Gründe.
  • Recht auf ein faires Verfahren: Zwei Väter wehren sich dagegen, dass ihre Kinder zusammen mit den Müttern ins Ausland auswanderten, was die Kindes- und Erwachsenen­schutzbehörde (Kesb) bewilligt hatte. Die Schweizer Gerichte wollten sich mit den Beschwerden der Väter nicht befassen; dafür seien die Behörden am neuen Wohnort der Kinder zuständig. Der EGMR akzeptiert diese Haltung nicht und stellt fest, den Vätern sei der Zugang zum Gericht verweigert worden.

Wer nun ab dem 29. März gespannt auf das Urteil aus Strassburg in Sachen Klima­seniorinnen wartet, wird sich in Geduld üben müssen. Mit einem Entscheid ist frühestens Ende Jahr zu rechnen.

Nicht nur die Klima­seniorinnen setzen sich fürs Klima ein, auch die Anwältin Roda Verheyen kämpft seit Jahren für einen besseren Klimaschutz.

aus der community

Lehrreiches zur Schweizer Justiz

Roda Verheyens Engagement fürs Klima besteht darin, besonders betroffene Einzel­personen und Gruppen vor Gericht zu vertreten. Das geht unter anderem, weil sich in Deutschland jede Bürgerin, die sich durch ein Gesetz in ihren Grund­rechten verletzt sieht, an das Bundes­verfassungs­gericht wenden kann.

Gibt es die Möglichkeit einer Verfassungs­beschwerde auch in der Schweiz? Nur bedingt. Es sei eine «überaus komplexe Frage», schrieb Gerichts­reporterin Brigitte Hürlimann im Dialog zum Gespräch mit Verheyen. Und sie fragte in die Runde: «Vielleicht meldet sich noch eine andere, fachkompetente Verleger:in?»

Gefragt, getan: Es folgte eine hilfreiche Übersicht in Sachen schweizerische Verfassungs­gerichtsbarkeit. Wir bedanken uns für die Zeit der Verlegerin und empfehlen die Lektüre des ganzen Dialog-Beitrags.

Merci fürs Reinschauen.

Ihre Crew der Republik