Am Gericht

Ryanair gegen alle – alle gegen Ryanair

«Mallorca ab 24,99 Euro» steht derzeit auf der Homepage des irischen Billigfliegers. Verlockend. Doch sein gesamtes Geschäftsmodell ist in vielerlei Hinsicht illegal.

Von Yvonne Kunz, 01.03.2023

Vorgelesen von Jonas Gygax
0:00 / 23:11

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Oder, im Wording der BBC: Zu einer «Fall­studie von disruptivem Geschäfts­gebaren, aggressivem Pricing – und strato­sphärischem Wachstum». Was 2017 stimmte, aus dem Jahr stammt das Zitat, ist heute so wahr wie damals: Die Corona-Flaute hat Ryanair hinter sich gelassen, seit letztem Jahr fliegt die nach Beförderungs­zahlen viert­grösste Airline der Welt wieder von Rekord zu Rekord. Und das mit Tickets, die oft weniger kosten als die Bahn­fahrt zum Flughafen.

Wie machen die das? Diese Frage schwingt immer mit, wenn es um den Billig­flieger geht. Klar, Kosten senken, das ist das Konzept einer Low-Cost-Flug­gesellschaft. Und ja, für zwei, drei Stunden geht es auch ohne Gratis-Bord­verpflegung oder verstell­baren Sitz.

Aber Ryanair knausert sogar beim Kaffee für die Piloten. Den müssen sie an Bord selbst bezahlen, 3 Euro den Becher, wie die Passagiere. Oder beim Sprit: Maschinen des Billig­fliegers mussten nach Umleitungen auch schon notlanden, weil sie keine Reserve getankt hatten.

Nur für Anwältinnen scheint Ryanair grenzenlos Mittel zu haben. Offenbar rechnet es sich, jahrzehnte­lange Rechts­streitigkeiten um Arbeits­rechte, Flug­gastrecht­verordnungen, Sozial­abgaben, Flugrechts­portale oder staatliche Corona-Hilfen auszufechten. Anders ist nicht zu erklären, weshalb das Unter­nehmen nicht einfach seine Geschäfts­praxis gemäss geltendem Recht gestaltet.

Lauter und legal ist das Business­modell von Ryanair nämlich nicht. Ein Blick in den reich­haltigen Prozess­fundus der Airline offenbart das Bild eines Players, der vorsätzlich in Grau­bereichen operiert; dort, wo Recht nach der Liberalisierung des europäischen Flug­marktes 1997 erst entwickelt werden musste.

Seit Jahrzehnten pfeifen Gerichte die Airline zurück – und immer wird trotzdem durch alle Instanzen prozessiert. Doch die Luft wird dünn für den Billig­flieger. In den vergangenen Jahren hat Ryanair wiederholt empfindliche juristische Schlappen erlitten, die das Geschäfts­modell als Ganzes ins Wanken bringen. Und voilà: Nun verkündet CEO Michael O’Leary: Die Ära des 10-Euro-Flugs ist vorbei.

Ein paar Müsterchen gefällig?

1. Mallorca hat genug

Ort: Dirección General de Consumo in Palma, Tribunal Superior de Justícia Illes Balears, Palma
Zeit: 2019 bis 2022
Thema: Fluggastrechte

Administration? Check-in-Schalter? Brauchts nicht. Das erledigen die Passagiere bei Ryanair selbst. Geht in Ordnung, billig fliegen soll verdient sein.

Doch unterläuft der Kundschaft ein Fehler, wie einem Fluggast letztes Jahr in Mallorca, der bei der Online-Buchung seinen Namen falsch schrieb, muss sie teuer büssen: 180 Euro verlangte Ryanair für die Korrektur der Bordkarte. Und es kam noch bunter: Der zuständige Mitarbeiter der Airline vertippte sich bei der Namens­änderung ebenfalls – weshalb der Passagier seinen Flug letztlich mit der ersten falschen Version seines Namens antrat. Das Geld für die gar nicht erfolgte Korrektur wollte ihm die Airline trotzdem nicht erstatten.

Das liess der Passagier nicht auf sich sitzen und schaltete die Dirección General de Consumo in Palma ein. Die Konsumenten­schutz­behörde gibt ihm recht – und verhängt eine Busse von 24’000 Euro.

Dies wiederum wollte Ryanair nicht schlucken und gelangte an den Tribunal Superior de Justicia Illes Balears. Das Gericht befand die Gebühr für die Namenskorrektur für völlig unverhältnismässig. Es sei erstens für Ryanair kein Problem, den Namen zu ändern, zweitens habe die Airline nicht darlegen können, wie hoch die firmen­internen Kosten für den Aufwand einer simplen Namens­korrektur sind.

Auch die hohe Busse bestätigte das Gericht: Straf­verschärfung im Wieder­holungs­fall. Ständig missachte Ryanair Passagier­rechte – 2021 brummte dasselbe Gericht der Airline eine Busse in derselben Höhe auf, weil sie sich weigerte, eine flug­untaugliche Schwerst­kranke umzubuchen. Von diesem Treiben haben die Mallorquinerinnen schon länger genug – die Behörden ermutigen Passagiere seit 2019 aktiv, juristisch gegen den Billig­flieger vorzugehen.

2. Wien zeigt das System der Abzocke

Ort: Handelsgericht Wien, Oberlandes­gericht Wien
Zeit: 23. Juli 2020 und 30. November 2021
Fall-Nrn.: 17 Cg 32/19 und 1 R 131/20
Thema: Allgemeine Beförderungs­bestimmungen (ABB)

Ryanair-CEO Michael O’Leary behauptet von sich gerne, die Fliegerei demokratisiert zu haben. Entgegen der hehren Worte zockt die selbst ernannte Arme-Leute-Airline ihre Kundschaft aber ziemlich unverfroren ab.

Nicht, dass Ryanair das einzige Unternehmen mit zweifel­haften allgemeinen Geschäfts- oder Beförderungs­bedingungen wäre, die den gesetzlichen Grund­satz verletzen, dass Konsumentinnen verlässliche Auskunft über ihre Rechte erhalten sollen. Doch das Ausmass der Tricksereien bei Ryanair ist haar­sträubend, wie Urteile von zwei Gerichten in Wien zeigen.

Das dortige Handels­gericht und das zweit­instanzlich zuständige Oberlandes­gericht hiessen eine Klage der Arbeiter­kammer grössten­teils gut. Die Konsumenten­schutz­organisation hatte 35 Klauseln wegen ihrer Kunden­feindlichkeit beanstandet – und in 32 Fällen recht erhalten.

So erklärten die Gerichte verschiedene Gebühren für unrecht­mässig: Der Preis für einen Check-in am Flug­hafen in der Höhe von 55 Euro etwa, bei dem der Hinweis auf die happige Gebühr moniert wurde, der erst während des Buchungs­vorgangs erfolgt. Oder die 20 Euro für das Ausdrucken einer Bordkarte am Flug­hafen, wenn man sie zu Hause vergisst.

Auch das komplizierte, lang­wierige Prozedere von Ryanair, wenn Fluggäste Ansprüche wegen krass verspäteter oder gestrichener Flüge geltend machen wollen, stuften die Wiener Gerichte als rechts­widrig ein.

Gleich dutzend­weise kippten die Wiener Gerichte Klauseln, weil sie für Rechts­unkundige schlicht unverständlich sind. Mit unklaren Formulierungen und kaskaden­artigen Verweisen schaffe das Unternehmen gezielt Intransparenz.

Zum Beispiel: Beim unbestimmten Hinweis auf «das Übereinkommen» könne eine Konsumentin zwar anhand der in den AGB enthaltenen Begriffs­bestimmungen noch eruieren, dass es sich um das Montrealer Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im inter­nationalen Luft­verkehr handeln muss. Welches aber die ebenfalls erwähnten «einschlägigen Gesetze» sein sollen, werde nirgends definiert.

Wenn Ryanair weiter schreibe, dies oder jenes treffe zu, «sofern das Übereinkommen oder einschlägige Gesetze nichts anderes vorsehen», müssten die meist juristisch ungebildeten Fluggäste von Ryanair beurteilen können, ob nun irisches Recht anzuwenden ist oder ein anderes Recht und allenfalls welches. Danach müssten sie auch noch wissen, ob bestimmte Gesetze eines Landes einschlägig sind oder nicht. Das sei schon für Juristinnen äusserst aufwendig.

3. Belgien via Luxemburg: Der Arbeitskampf

Ort: Europäischer Gerichtshof (EuGH), Luxemburg
Zeit: 14. September 2017
Fall-Nrn.: C-168/16 und C-169/16
Thema: Gerichtsstands­klausel

Ryanair ist berüchtigt für schlechte Arbeits­bedingungen – und für unverhohlene Drohungen gegen Mitarbeitende, die sich wehren: Wer streikt, fliegt. Oder eben nicht mehr.

Eher würde die Hölle zufrieren, als dass er sich mit Gewerk­schaften einige, sagte CEO O’Leary.

Das überrascht nicht – ist doch das Personal die grösste unternehmerische Stell­schraube für Kosten­effizienz. Und seit Ryanair 1997 europa­weit aktiv wurde, gilt die Airline als zentraler Treiber bei der Bildung eines neuen Prekariats der Lüfte.

Bei den Löhnen: ein race to the bottom. 16’000 bis 19’000 Euro verdiente das Kabinen­personal 2017 im Durchschnitt – ein Drittel weniger als beim Erzrivalen Easyjet. Dazu kommt eine schamlose Miss­achtung grund­legender Arbeits­rechte: kein garantiertes Mindest­pensum, keine Lohn­fortzahlungen im Krankheits­fall, dafür Zwang zum unbezahlten Urlaub bei Buchungs­flaute.

Möglich machten dies atypische Job­verhältnisse. Ryanair hat über Jahr­zehnte ein ausgefeiltes System aufgezogen, mit dem nationale Arbeitsrechts­normen an den Einsatz­orten ausgehebelt wurden. Piloten heuern als Selbst­ständige über Agenturen an – jederzeit verfügbar und jederzeit kündbar. Beim Kabinen­personal ist mindestens die Hälfte nicht direkt bei Ryanair unter Vertrag, sondern bei irischen Personal­verleiherinnen wie Crewlink und Workforce International.

Funktioniert hat das auch, weil während der Eurokrise Tausende – vorab sehr junge – Mitarbeiter aus Italien, Spanien und Portugal und später aus Ost- und Südost­europa bereit waren, das repressive Betriebs­klima, die hohe Arbeits­belastung und die prekäre Arbeits- und Lebens­situation zu Dumping­löhnen hinzunehmen.

Wobei: Anstrengungen, gegen die ausbeuterischen Praktiken vorzugehen, gab es früh – schon 1997 streikte das Boden­personal in Dublin. Doch insgesamt blieben die Versuche von Gewerk­schaften, Ryanair-Mitarbeitende zu organisieren, erfolglos.

Die Wende kam mit einem Fall aus Belgien. 2005 hatten sechs am Flughafen Charleroi stationierte Flug­begleiterinnen bei einem Arbeits­gericht Klage eingereicht, um die Auszahlung von Sozial­leistungen zu erwirken. Ryanair hatte sich wie immer stur auf den Stand­punkt gestellt, die Sache müsse in Irland verhandelt werden. Auch wenn vertraglich die «Homebase» der Mitarbeitenden in Belgien liege.

Zwölf Jahre dauerte der Gang durch die Instanzen für die Flug­begleiterinnen, unterstützt von der belgischen Gewerk­schaft Centrale nationale des employés (CNE).

Im September 2017 fällte der Gerichts­hof der Europäischen Union einen Grundsatz­entscheid, der das bisherige Beschäftigungs­modell von Ryanair infrage stellt: Die Airline dürfe nicht durch Gerichtsstands­klauseln verhindern, dass Angestellte ihre Rechte ausüben. Auch trans­nationale Arbeit­geber müssten zulassen, dass ihre Angestellten an einem für sie gut erreichbaren Gericht klagen dürfen; am Ort, wo sie gewöhnlich ihre Arbeit verrichten.

Bei Luftfahrt­gesellschaften ist das eben an der Homebase. Dort, wo die Flugzeuge stationiert sind, auf denen die Crew arbeitet, wo der Arbeitstag beginnt – und wo er endet. Schliesslich würden sie von ihrem Arbeitgeber auch verpflichtet, in der Nähe zu wohnen.

Damit war die hohe Hürde gefallen, die Ryanair bewusst gesetzt hatte, um Klagen zu erschweren. Nun kann die Airline ihre Mitarbeitenden nicht mehr für arbeits­rechtliche Prozesse nach Irland zwingen – was für sie kompliziert und mit hohen Kosten verbunden war.

Seither hatten die Ryanair-Beschäftigten und die Gewerk­schaften mehr Wind in den Segeln: Der Arbeits­kampf begann.

4. Frankfurt via Luxemburg: Streik!

Ort: Landgericht Frankfurt am Main; Europäischer Gerichtshof, Luxemburg
Zeit: 30. Januar 2020 und 23. März 2021
Fall-Nrn.: 2-24 O 117/18 und C-28/20
Thema: EU-Fluggastrechte­verordnung

Seit dem Homebase-Entscheid des EuGH 2017 wird Ryanair in ganz Europa regelmässig bestreikt – wogegen die Airline sich immer wehrt, indem sie beispiels­weise in Holland eine einst­weilige Verfügung beantragte, die den Angestellten während der Sommer­monate das Streiken verbietet. Ohne Erfolg: 2018 wird zum Streikjahr. Zu Hunderten blieben die Maschinen am Boden, zu Tausenden strandeten die Passagiere.

Zwar zahlte die Airline den Gestrandeten das Geld fürs Ticket zurück oder buchte sie um. Doch eine Entschädigung gemäss EU-Fluggastrechte­verordnung verweigerte sie. Nach dem Personal organisierten sich nun auch die Passagiere. Mithilfe von Flugrechts­portalen wie Flight­right oder Aviclaim rückten sie Ryanair auf die Pelle. Auch dagegen ging Ryanair juristisch vor – die Airline versuchte unverzüglich, das Vorgehen über solche Portale zu unterbinden.

Sie erraten es: Vergeblich.

Zum Glück – denn bis heute hat die Airline in keinem einzigen Fall eine Entschädigung bezahlt, ohne von einem Gericht dazu gezwungen worden zu sein.

Seither schlagen sich Gerichte auf dem ganzen Kontinent mit den Forderungen von Flug­gästen herum, die aufgrund von Streiks nicht oder Stunden verspätet ans Ziel gelangen. Wie andere Airlines auch behauptet Ryanair stur, nicht zahlen zu müssen, weil es sich bei einem Streik um «ausser­gewöhnliche Umstände» wie ein Unwetter handle. In solchen Fällen sind Flug­gesellschaften nach EU-Recht von einer Entschädigungs­pflicht ausgenommen.

Stimmt so nicht, wider­sprechen die Gerichte einhellig, zum Beispiel das Land­gericht in Frankfurt.

Wenn Flüge im Streikfall ausfallen, müsse die Flug­linie erstens nachweisbar alles Zumutbare unter­nehmen, um die Streichung des Flugs zu verhindern. Im vorliegenden Fall habe Ryanair gar nicht erst versucht, Flugzeuge anderer Anbieter (inklusive Crew) zu chartern, um den ursprünglichen Flugplan einzuhalten. Deshalb stehe den Passagieren die Entschädigung zu. Bei einem Streik seien zweitens ohnehin nicht automatisch «besondere Umstände» anzunehmen.

Auch in dieser Sache hat der Europäische Gerichtshof inzwischen einen Grundsatz­entscheid gefällt: 2021 hielt er fest, dass Streiks keine Unwetter sind, sondern zum normalen, internen Betriebs­geschehen gehören – insbesondere dann, wenn Gewerk­schaften höhere Gehälter oder bessere Arbeits­zeiten durchsetzen wollen.

Man war sich einig: Ryanair hat durch jahre­langes Lohn­dumping und Salami­taktik in Gewerkschafts­verhandlungen die Streik­aktionen selbst herauf­beschworen.

Sie dauern bis heute an.

5. Luxemburg: Kampf gegen «Zombie-Airlines»

Ort: Europäischer Gerichtshof, Luxemburg
Zeit: 2020
Fall-Nrn.: T-238/20, T-465/20 und T-628/20, T-379/20, T-388/20
Thema: Staatliche Corona-Hilfszahlungen

Was genau Ryanair mit den nach eigenen Angaben insgesamt 16 Klagen gegen die EU-Kommission im Zusammen­hang mit den Corona-Beihilfen für staatliche Airlines bezweckt, ist nicht ganz klar. CEO O’Leary ist stolz, dass sein privates Unter­nehmen ohne Rettungs­pakete durch die Krise flog; mit den Hilfs­zahlungen hielten verschiedene europäische Länder ihre sogenannten Flagcarrier künstlich am Leben. Das sei nicht rechtens, weil wettbewerbs­verzerrend.

Geht es also ums Ausschalten der Konkurrenz? Um noch mehr Marktanteile?

Vielleicht dienen die Klagen vor allem als PR-Plattform, als Laut­sprecher für Michael O’Learys heiligen Kampf für die freie Markt­wirtschaft.

Die Beihilfen, unter anderem für Lufthansa, Air France-KLM, Austrian Airlines oder Finnair, mussten vorab durch die EU-Kommission genehmigt werden. Deshalb richtet sich der Zorn von Ryanair vor allem gegen das «rückgratlose» Vorgehen der Kommission, die anlässlich der Pandemie Mitgliedstaaten erlaubt habe, «zur Wahrung ihres National­prestiges ihren ineffizienten Zombie-Airlines einen Blankoscheck auszustellen».

Ryanair stützt sich bei den Klagen auf verschiedene Argumente: Bezüglich der Staats­hilfen in Portugal, Deutschland und Holland monieren die Iren mangel­hafte Begründungen der Anträge. Betreffend Österreich wittert der Billig­flieger Markt­diskriminierung.

Im Grundsatz stellen sich die Rechts­vertreterinnen der Airline aber bei allen Klagen durchwegs auf den gleichen Stand­punkt: Die Staats­gelder, nach Berechnungen des Billig­fliegers insgesamt rund 30 Milliarden Euro, verletzen das Binnenmarkt-Prinzip der EU. Solche «illegalen Subventionen» laufen der Liberalisierung des Luft­verkehrs zuwider.

Zum Teil durften die Iren in diesen Fällen nun Teil­erfolge feiern. Die Luxemburger Richterinnen verfügten zum Beispiel, dass die EU-Kommission ihre Zustimmung zur staatlichen Beihilfe Deutschlands an Condor (550 Millionen Euro) besser begründen muss. Dasselbe entschied der EuGH bezüglich der Staats­hilfen an KLM und an die portugiesische TAP.

Mit den anderen Klagen ist Ryanair bislang gescheitert. Der Europäische Gerichtshof sah nichts Unrechtes in den gewährten Hilfen für die SAS und für Finnair – gerade bei Letzterer habe tatsächlich eine Zahlungs­unfähigkeit gedroht, die weit­reichende Folgen für die Volks­wirtschaft gehabt hätte. Auch die Hilfs­zahlungen, die Frankreich ausschüttete, hiess das Gericht gut.

Klein beigeben wird Ryanair nicht – selbstverständlich werden auch diese Streitigkeiten weitergezogen. Im Interesse des Wettbewerbs und der Kunden, wie ein Ryanair-Sprecher sagte.

6. Irland: Die millionste Passagierin

Ort: High Court of Ireland
Zeit: 19. Juni 2002
Fall-Nr.: [2002] IEHC 154
Thema: Vertragsbruch

Ja, die Kunden, die gehen der Airline über alles.

Als Jane O’Keeffe 1988 nach der Beerdigung ihrer Gross­mutter von Dublin zurück nach London fliegen wollte, wartete Ryanair mit einer Überraschung auf: Gratulation! Sie sind die millionste Passagierin! Wenn Sie ein bisschen Promo machen für uns, schenken wir Ihnen Freiflüge auf Lebzeiten.

Deal?

Die 21-jährige O’Keeffe ging darauf ein. Und schon liefen die Kameras der vorab informierten Medien, im Duty-free-Bereich gab es ein Glas Champagner mit dem damaligen CEO P. J. McGoldrick, eine Band spielte auf, dann ein hübsches Foto auf dem Rollfeld. Ein paar Wochen später war die Sache auch vertraglich unter Dach und Fach.

Lange gings gut. Manche Jahre flog die millionste Passagierin fünf- oder sechsmal, andere Jahre bloss einmal. Bis ihr 1997 mitgeteilt wurde, sie habe nur noch einen Freiflug pro Jahr zugute – und dann wurden ihr die Freiflüge ganz verweigert.

Schliesslich hatte sie CEO Michael O’Leary persönlich am Telefon: Sie solle sich zum Teufel scheren.

O’Keeffe verklagte Ryanair wegen Vertragsbruchs.

Das zuständige Gericht in Dublin stellte fest: Alles sowieso nur ein PR-Stunt, O’Keeffe sei auch gar nicht die millionste Passagierin. Vielmehr habe die Airline gewusst, dass sie an jenem Wochen­ende den millionsten Passagier befördern würde – doch es war pässlicher, die Sache an einem ruhigen Wochentag zu inszenieren.

Ryanair verteidigte sich mit dem Hinweis, der Preis sei ausgelost worden. Man habe sich deshalb der Durch­führung einer illegalen Lotterie schuldig gemacht. Der Gewinn sei rechts­widrig – und die einst strahlende Gewinnerin könne keinen Anspruch gegen Ryanair geltend machen.

Von dieser gedanklichen Akrobatik liess sich der High Court in Dublin nicht ablenken. Er verdonnerte die Airline dazu, den Vertrag einzuhalten – und zu einer Entschädigungs­zahlung von 67’500 Euro an Jane O’Keeffe.

Illustration: Till Lauer

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