First Lady

Mit 19 zertrümmerte sich Nicole Niquille mit dem Motorrad ihr Bein. Mit 30 wurde sie die erste Berg­führerin der Schweiz. Dann beendete ein Kiesel­stein ihren Traum. Über eine Frau, die die Berge liebt und dabei feministische Geschichte schrieb.

Von Jana Schmid (Text) und Ephraim Bieri (Bilder), 25.02.2023

Vorgelesen von Magdalena Neuhaus
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Nicole Niquille war auf der ganzen Welt unterwegs, auf den höchsten Bergen …
… aber am wohlsten fühlt sie sich immer noch in Charmey, im Greyerzbezirk des Kantons Freiburg.

Über die Berge heisst es: Jahrhundertelang gehörten sie den Göttern und den Dämonen. Dann traten die Männer an deren Stelle.

Kein Wunder fanden sie, dass auf den Gipfeln nicht auch noch Platz für die Frauen sei.

Die frühen Alpinistinnen wurden als «Zottelhexen» bezeichnet, von Ärzten wurde vor der «Vermännlichung» ihrer Körper gewarnt und ihre absolvierten Touren wurden als «Damen­touren» degradiert. Der Schweizer Alpen-Club liess über hundert Jahre lang keine Frauen als Mitglieder zu. Als der Verein 1879 erstmals darüber debattierte, dass er laut Statuten doch allen «Bewohnern der Schweiz» offenstehe, fand man: Die männliche Form war nicht als generisches Maskulinum gemeint. 1907 schloss der Club dann Frauen als Mitglieder sogar explizit aus.

Das änderte sich erst 1980: Da fusionierte der Verein mit dem Schweizer Frauen-Alpen-Club, der 1918 aus Protest gegründet worden war. Ausserdem hatte das Bundes­gericht einen weitreichenden Entscheid gefällt. Bis dahin hatte nur Berg­führer werden können, wer militärdienst­tauglich war. Das Gericht zwang den Schweizer Bergführer­verband, das zu ändern. Und öffnete damit zwei neuen Gruppen das Tor zum prestige­trächtigen Beruf: Wehrdienst­verweigerern und Frauen.

Die erste Frau, die dann versuchte, Berg­führerin zu werden, schrieb sich ein als Mann. So geht die Geschichte, die man sich über Nicole Niquille erzählt. Wie ein Disney­film.

Die Hotellobby in St. Moritz

«Das ist eine Legende», sagt die heute 66-Jährige.

In Wahrheit war es so: Als Nicole Niquille zum Appell antrat, an diesem ersten Kurs­tag im Februar 1984 in einer Hotel­lobby in St. Moritz, zusammen mit 84 Männern, da sagte manch ein Mitstreiter höflich zu ihr: «Sehr erfreut, wessen Begleitung sind Sie denn? Hat sich Ihr Freund angemeldet? Oder der Bruder?»

Dann las der Ausbildungs­verantwortliche die Liste der Kandidaten herunter. Nicole Niquille hatte sich ganz gewöhnlich eingeschrieben. Entsprechend müssten die Experten eigentlich gewusst haben, dass zum ersten Mal eine Frau dabei war. Bei «N» angelangt, rief der Ausbildner aber in die wartende Menge: «Herr Nicole Niquille!»

Als sich die einzige weibliche Hand im Raum erhob, drehten sich 84 Köpfe nach ihr um. Und für Nicole Niquille begann ein zweijähriges Abenteuer mit dem Sonder­status der Pionierin.

Heute ist vieles anders als damals. Aber sie erinnert sich gut. Niquille bereitet Tee zu, Minze mit Honig, stellt den Krug und die Tassen auf ein Tablett auf ihrem Schoss und lenkt ihren Roll­stuhl geschickt an den Tisch. Die linke Hand beugt sie einwandfrei, die rechte sei un peu rebelle, sagt sie, widerspenstig. Früher war sie Rechts­händerin, «aber man gewöhnt sich an so manches».

Das alte Bauern­haus im freiburgischen Charmey ist sanft renoviert, über dem Eingang hängen tibetische Gebets­flaggen und drinnen lässt ein zentraler Holzofen die Dezember­nässe vergessen. Das Haus steht einsam am Dorfausgang, aber die Geschwister wohnten ganz in der Nähe, sagt Niquille, auch die Gross­eltern hätten hier im Dorf gelebt. Und die Gastlosen, diese malerische Voralpen­kette, wo Niquille früher jeden Felsen, jeden Riss und jede Leiste kannte, thronen über dem Dörfchen – unsichtbar von hier aus zwar, aber trotzdem immer da.

Der 105-Kilo-Mann in der Gletscher­spalte

«Ich wurde in der Ausbildung härter getestet als alle anderen», sagt Niquille. Und es ist nicht so, dass die Bergführer­ausbildung jemals leicht gewesen wäre. Schon die Aufnahme als Kandidatin erfordert ein hohes technisches Niveau in den verschiedenen Bergsport­disziplinen: Bergsteigen, Klettern, Skitouren, Eisklettern. Von den 84 Kandidaten, die zusammen mit Nicole Niquille den Kurs begannen, bestanden nur 35 die zweijährige Ausbildung.

In einem der Kurse musste ihre Gruppe draussen ein Iglu bauen und darin übernachten, während die anderen in der Hütte schliefen.

Bei einer Prüfung musste sie, die damals 45 Kilo wog, übungshalber einen 105-Kilo-Mann aus einer Gletscher­spalte bergen.

Und einmal kamen Experten aus Deutschland, um auf Fels­vorsprüngen kauernd zu beobachten, wie man jetzt hier in der Schweiz mit so einer weiblichen Kandidatin umging.

«Ich musste klar besser sein als der Durch­schnitt. Ich durfte mir kaum Fehler erlauben», sagt Niquille. Unfair fand sie das nicht.

Nicole Niquille ist eine, die unter Druck zu Höchst­leistungen aufläuft. Die dann brilliert, wenn andere zerbrechen oder ganz einfach nicht mehr mitmachen. «Als erste Frau musst du beweisen: Wir können das auch», sagt sie. «Das geht nicht, wenn du nur knapp das Niveau hast.»

Und trotzdem sagt sie: «Es waren die schönsten Jahre meines Lebens. Ich liebte die Berge, und ich liebte die Heraus­forderung. Der zusätzliche Druck hat mich motiviert.»

Bon voilà, sagt Niquille. «Ich fand das normal und interessant.»

Sanfter Sport am K2

Nicole Niquille wuchs in Freiburg als eines von vier Kindern auf, die Mutter fürsorglich, der Vater ein Lebens­künstler, sie liebte beide sehr. Er rauchte viel und starb früh. Statt eines Rosen­kranzes steckten sie ihm im Sarg eine Zigarette zwischen die gefalteten Hände.

Nicole Niquille war 19, als sie das erste Mal die eigene Endlichkeit spürte: Im März 1975 rauschte sie nachts über die Haupt­strasse Richtung Bulle, die Taille des Freundes eng umklammernd, als er die Kontrolle über das Motorrad verlor.

Sie überlebte, aber ihr Bein war zertrümmert.

Die Ärzte sagten, sie würde nie wieder laufen können. Sie tat es trotzdem – doch der Fuss blieb steif. Um beweglicher zu werden, empfahl man ihr «sanften Sport». Nicole Niquille begann zu klettern.

Das wurde bald zur Passion. Und die Gastlosen mit ihren steilen Kalk­wänden zum zweiten Zuhause. Der Himalaya sei überwältigend und faszinierend, sagte sie einmal, aber seine Masse seien unmenschlich. Die Greyerzer Berge jedoch seien ganz einfach schön.

In diesen Bergen lernte sie Erhard Loretan kennen, später ein Spitzen­bergsteiger und Berg­führer. Sie wurden ein Paar und verbrachten jede freie Minute in den Bergen.

Die Touren wurden schwieriger, länger, höher, riskanter, bis sich Nicole Niquille 1985 zusammen mit Erhard Loretan am K2 wiederfand, dem zweit­höchsten Berg und schwierigsten Acht­tausender der Welt. Ohne Sauerstoff, denn das hätte gegen die Ethik ihrer Gruppe verstossen.

Von ihren Freunden, die den Gipfel erreichten, verloren zwei vorüber­gehend das Augen­licht. Einer alle Zehen. Und einer sein Leben.

Sie selbst musste auf dem Weg nach oben umkehren. Im steifen Bein entzündete sich eine Vene, das Bein schwoll an, die Hose spannte. Wäre sie weiter gestiegen, schreibt sie in ihrer Biografie, wäre sie nicht mehr lebendig herunter­gekommen. Da sie in der Nacht kletterten, sie und Loretan nur eine Stirnlampe dabei­hatten, überliess sie diese Loretan und stieg alleine ab. In der Dunkel­heit fiel sie mehrere Meter tief in ein Loch – «oder war es eine Spalte? Ich werde es nie wissen» –, pickelte sich frei und kam irgendwie im Basecamp an.

Hätte Nicole Niquille es auf den Gipfel geschafft, wäre sie die erste Frau gewesen, der das gelang.

Erhard Loretan blieb unversehrt, und die beiden versuchten sich später auch am Everest. Das Wetter verhielt sich stur, das Warten zog sich hin. Sie musste abreisen, er blieb. Er stand auf dem Gipfel, sie nicht.

Hier kennt Nicole Niquille jeden Felsen, jeden Riss: Die Gastlosen an der Grenze der Kantone Freiburg und Waadt.

Loretan und Niquille, das war eine Beziehung im ständigen Wett­streit.

Sie fragte ihn: «Was meinst du, soll ich die Bergführer­ausbildung machen? Könnte ich das schaffen?» Er antwortete: «Du? Wie du kletterst? Jamais! Niemals.»

Niquille lacht. «In diesem Moment dachte ich: Gut, dann mache ich das.» Was ihr Freund zu ihr gesagt hatte, das habe sie angespornt.

Und nicht verletzt?

Sie schüttelt den Kopf. «So haben wir gelebt: immer in Rivalität, und trotzdem in Liebe. Am Berg hat uns das weiter­gebracht. Am Schluss hat es uns getrennt.»

«Weder Mannsweib noch Emanze»

Am 27. September 1986 war es so weit: Die 30-jährige Nicole Niquille hielt als erste Frau das Schweizer Bergführer­diplom in der Hand. «Von da an war ich jemand», sagt sie. «Mein Name bedeutete etwas in der Bergsport­welt. Vorher war ich immer nur ‹die Freundin von Erhard Loretan› gewesen.»

Zwei Monate nach der Diplom­übergabe trennte sich das Paar – jetzt, wo sie ihm ebenbürtig war, nahm die Rivalität zu sehr überhand.

Auch ausserhalb der Bergsport­welt wurde Niquilles Diplomierung wahrgenommen. «Eine weitere Männer­bastion ist gefallen», schrieb eine Schweizer Wochen­zeitung. Und der «Blick für die Frau», den es damals gab, konnte nicht so recht eine Schublade finden für die Protagonistin der Geschichte. Offensichtlich erstaunt hiess es da über die erste Schweizer Berg­führerin: «Blond ist sie – und zierlich dazu. Weder Manns­weib noch Emanze. Viel eher ein warmherziges Wesen mit ureigenem Charme.»

Sind Sie Feministin, Frau Niquille?

Ja, sagt sie. Das schon. Aber als feministischen Akt will sie ihre Diplomierung nicht sehen.

«Ich wollte einfach in und von den Bergen leben», sagt sie. Da oben, wo der Berg seine Regeln setzt und der Mensch ohnehin unendlich klein ist, da sei ihr auch nie Sexismus begegnet. Viel eher im Tal oder in der Hütte, wenn die Männer Sprüche klopften oder «gut gemeinte» Ratschläge gaben zu Routen- und Wetter­verhältnissen.

Und einmal in den späten Achtziger­jahren sollte sie mit der Britin Brede Arkless zusammen eine Gruppe auf den Mont Blanc führen. Arkless war die weltweit erste Berg­führerin und die einzige Frau, mit der Niquille jemals zusammen Touren führte. Arkless hatte acht Kinder und keinen Mann. Niquille wollte sein wie sie. Als die Britin am Vorabend der Tour den Gästen eröffnete, dass sie schwanger sei, wollte plötzlich niemand mehr mitkommen. «Wie eine ansteckende Krank­heit haben sie das behandelt!», sagt Niquille. Sie findet das sehr lustig.

Feminismus als Kampf, das Patriarchat als etwas Schweres und Hinderliches für ihre Tätigkeit – so hat sie das nie wahrgenommen. Aber eines macht sie stolz: «J’ai ouvert une brèche pour les femmes.» Sie habe eine Bresche geschlagen für die Frauen, die nach ihr kamen.

«Für die nächsten war es zwar nicht einfacher, aber wenigstens war die Tür offen. Ich konnte ihnen ein Vorbild sein. Das ist schön und darauf bin ich stolz, denn ich glaube, wir alle brauchen Heldinnen, um voran­zukommen», sagt sie.

Hauptsache hart

Heute gibt es in der Schweiz 1493 Bergführer und 42 Bergführerinnen. Zum ersten Mal hat der Schweizer Bergführer­verband ausserdem eine Präsidentin. Wie viel hat sich sonst noch verändert seit 1984?

In der Ausbildung zu wenig, findet Ariane Stäubli. Sie ist seit 2018 Bergführerin und liebt den Beruf – kritisiert aber die Strukturen in den Kurs­modulen.

Die körperlichen Anforderungen sind sehr hoch, bei Übungen am Berg wird viel Druck aufgebaut. Das hat mit dem Traditions­bewusstsein der Experten zu tun: «Viele von ihnen sind stolz auf die Härte der Ausbildung», sagt Stäubli. Auf Empathie oder kommunikative Fähigkeiten werde wenig Wert gelegt. Obwohl die für den Beruf genauso wichtig wären wie das technische Handwerk.

Bis heute gibt es in den selektiven Kurs­modulen nur männliche Experten, die alle ähnliche Werte vermitteln. Ariane Stäubli findet das unerklärlich. Ein vielfältigerer Kurs­kader, findet sie, würde die Ausbildung stark aufwerten.

Sie ist Teil einer von Frauen geführten Bergschule, wo sie mit anderen Berg­führerinnen zusammen etwa Lehrmittel für Lawinen­kurse neu gestaltet. «Pionierinnen wie Nicole Niquille mussten beweisen, dass sie auch können, was die Männer können», sagt sie. «Dabei mussten sie nach den Spiel­regeln der Männer reüssieren. Heute können wir daran anknüpfen: Die Forderung unserer Generation ist es, die Spiel­regeln anzupassen.»

Der Tod und der Kieselstein

Die Pionierin lebte acht Jahre lang ihren Traum: Von 1986 bis 1994 arbeitete Nicole Niquille als Berg­führerin. Oft schrammte sie am Tod vorbei.

Und oft begegnete sie ihm viel zu nahe. Nicole Niquilles Schwager liess in einer Lawine sein Leben. Ein enger Freund stürzte beim Berg­steigen ab. Eine Freundin beim Klettern. Ein dritter Freund beim Delta­segeln. Ein anderer kam vom Gipfel des K2 nie wieder zurück. Und wieder ein anderer erlag auf über achttausend Metern einem Lungen­ödem.

«Die Berge waren meine Schule. Alles, was ich dort gelernt habe, ist jetzt nützlich»: Nicole Niquille.

«Als Berg­steigerin ist der Tod ein Begleiter», sagt sie. Vivre à côté de la mort, das sei zwar nicht schön – aber vielleicht mache diese Nähe es erträglicher, wenn der Tod die eigenen Freunde hole.

Unzählige Male hätte ein Miss­tritt, ein technischer Fehler oder ein Stein­schlag das Ende bedeuten können. Aber am Ende war es kein Fels­brocken, sondern ein Kieselstein so klein wie eine Nuss, der Nicole Niquille beinahe tötete.

Es war Mutter­tag im Mai 1994, ein Freund war zu Besuch und Nicole Niquille sammelte Pilze hinter ihrem Haus in Charmey. Sie hat das Bild noch im Kopf von diesem Frühlings­sonntag, «Nicole im Regen, glücklich, mit einer Tüte Morcheln in der Hand». Da trat eine Gämse am Hang weiter oben einen Kiesel­stein los. Er traf Nicole Niquilles Kopf.

Der Stein schlug durch ihre Schädel­decke. Sie erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma, lag drei Tage im künstlichen Koma, nach drei weiteren Tagen sprach sie ein erstes Wort: Eau, Wasser. Nicole Niquille überlebte. Und blieb querschnitt­gelähmt.

Seit bald 29 Jahren sitzt sie nun im Roll­stuhl. «Ich glaube, es musste bei etwas ganz Alltäglichem passieren», sagt sie. Sie hadert kaum. Will nicht alles bis in den letzten Winkel analysieren. Das sei nicht ihr Ding: «Ich lebe einfach.»

Die erste Schweizer Berg­führerin erwarb, nach fast zwei Jahren im Rehabilitations­zentrum, das Wirtinnen­patent und führte 15 Jahre lang einen Berg­gasthof im Wallis. Und mit dem Geld der Invaliden­versicherung gründete sie ein Spital in Nepal.

«Die Berge waren meine Schule. Alles, was ich dort gelernt habe, ist jetzt nützlich. Sie haben mir den Kampf ums Weiter­leben beigebracht», sagt sie.

In der Nacht, wenn sie nicht schlafen kann wegen der Spasmen, die ihren Körper plagen, dann erzählt sie sich selbst Geschichten. Sie erzählt sich, dass sie in einem sehr schwierigen Biwak ist, irgendwo in einer Wand, dass sie sich nicht bewegen darf, schlafen muss, um morgen fit fürs Klettern zu sein, dass es kalt ist und schmerzt. «Voilà. Das hilft mir.»

Schnee in Charmey

An einem Mittwoch im Januar stehen um Punkt neun Uhr morgens fünf Frauen vor Nicole Niquilles Haus in Charmey bereit: ihre beiden Nichten, deren zwei Freundinnen und ich. Es schneit stark.

Eigentlich wollen wir in die Gastlosen, aber das Wetter hält uns unten im Tal. Für eine «kleine Expedition» reicht es allemal. So war Niquille schon früher: Sie hat fast nie eine Tour wegen schlechten Wetters abgesagt.

Die kleine Expedition führt uns auf die Langlauf­loipe im Dorf. Auf Tourenski ziehen wir einen mass­gefertigten Schlitten durchs Schnee­gestöber. Drei vorne, zwei hinten. Nicole Niquille sitzt dick eingepackt im Schlitten. Ihre beiden Nichten sind ein geübtes Team: Sie haben das Konzept mit dem Schlitten und den Tourenski – oder alternativ Steig­eisen – mitentwickelt. Letzten Sommer zogen und stiessen sie Niquille gemeinsam mit weiteren 14 Frauen auf das Breithorn. Eine Hommage an die Pionierin. «Früher hätte ich gelacht, wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich auf einem solch einfachen Viertausender einmal so eine Freude verspüren würde», sagt Nicole Niquille. Es war ihre erste Rückkehr auf einen Alpen­gipfel seit dem Unfall. «Énormément de plaisir.»

Seither ist sie regelmässig mit dem Schlitten unterwegs.

«Wir probieren immer wieder Neues aus», sagt eine der Nichten, während wir uns langsam Richtung Jaun bewegen. «Nächste Woche wollen wir zwanzig Kilometer schaffen.»

Die Spur vor uns ist leer. Kaum einen Lang­läufer zieht es bei diesem Wetter auf die Loipe. Es schneit so stark, dass Niquilles ganzer Körper bald mit Schnee überzogen ist. Einmal geht es steil abwärts und wir verlieren die Kontrolle über den Schlitten. Er kippt. «Macht überhaupt nichts», sagt Nicole Niquille unter der verrutschten Mütze. Wir stellen sie wieder auf und ziehen weiter.

Zum Abschied noch mal ein Blick auf die Gastlosen.

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