Das Miteinander hilft: In der Gemeinde Guet Ndar im Norden Senegals werden Zementbrocken gesammelt, um einen Wall gegen die hohe Flut zu errichten.

Wir haben kein Recht, vor der Klima­krise zu kapitulieren

Menschen, die gegen Flut und Feuer kämpfen, können es sich nicht leisten, die Hoffnung zu verlieren. Warum also sollten wir das tun?

Von Rebecca Solnit (Text), Tobias Haberkorn (Übersetzung) und Greta Rybus (Bilder), 16.01.2023

Vorgelesen von Dominique Barth
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Wer Hoffnung schöpfen will, muss es auch mit ihren Gegen­spielern und Gegen­bildern aufnehmen: mit der Verzweiflung, dem Defätismus, dem Zynismus und dem Pessimismus. Ja, sogar mit dem Optimismus, würde ich sagen, denn der hat mit den Feinden der Hoffnung eines gemein: den Glauben, dass man vorher schon weiss, was passieren wird.

Diese falsche Gewissheit entschuldigt das Nichtstun. Wer sich sicher ist, dass wir alle zur Hölle fahren, oder wer im Gegenteil überzeugt ist, dass am Ende alles gut ausgehen wird, der spricht sich selbst von jedem Zwang zum Handeln frei. In gewöhnlichen Zeiten hält diese Einstellung die Menschen davon ab, am politischen Leben teilzunehmen. In unseren ungewöhnlichen Zeiten hält sie sie davon ab, an der Klima­bewegung teilzunehmen. Beide Einstellungen führen gewöhnlich zu analytischen Fehlern und schädlichen Schluss­folgerungen.

Nichts zu tun, ist ein Luxus, über den diejenigen, die sich in unmittelbarer Gefahr befinden, gar nicht erst nachdenken können. Sie können sich Verzweiflung nicht leisten. Aber die Verzweiflung ist überall. Sie sagt uns, dass die Probleme nicht zu lösen sind, dass alle unsere Mühen vergebens und unsere Kräfte nicht ausreichend sind. Dass niemand sich wirklich kümmert. Dass die menschliche Natur von Grund auf verdorben ist. Manche tragen diese Ansicht wie ein Evangelium vor sich her und fügen sich nicht nur in die Niederlage, sondern werben energisch für sie. Seit ich vor fast zwanzig Jahren begann, über Hoffnung zu sprechen, bin ich vielen von ihnen begegnet.

Zu den Bildern

Die Bilder zu diesem Beitrag stammen aus dem Projekt «Senegal» der US-amerikanischen Fotografin Greta Rybus. Sie war im Norden des Landes unterwegs, nahe der Fischerei­gemeinde Guet Ndar, wie Saint-Louis von den Einheimischen genannt wird. Guet Ndar wurde von der Uno als die Stadt bezeichnet, die in Afrika am stärksten vom Klimawandel betroffen ist. Im Westen steigt das Meer an der Küste von Guet Ndar unaufhaltsam an, im Osten wird die Dürre immer schlimmer.

2003 schrieb ich einen Aufsatz mit dem Titel «Hoffnung in der Dunkelheit». Ein Jahr später machte ich ein gleichnamiges Buch daraus (im Original «Hope in the Dark», noch erhältlich). Der Aufsatz war eine Reaktion auf die unmittelbare Krise des Augenblicks, auf den von der Bush-Regierung befohlenen Einmarsch in den Irak, der – wie auch Wladimir Putins Invasion der Ukraine 2022 – aufzeigte, wie fossile Brenn­stoffe Despotismus, Gewalt und Korruption befördern.

Um mich herum, bei Freunden und Verbündeten und in der US-amerikanischen Antikriegs­bewegung, sah ich damals viele voreilige Schluss­folgerungen. Es begann damit, dass man sagte: «Wir haben den Krieg nicht verhindert», was ja noch stimmte, auch wenn die Opposition ihn verzögert und seine Form verändert hatte. Dann folgte eine Kaskade von Fehl­einschätzungen: «Wir haben gar nichts gemacht.» – «Wir sind machtlos.» – «Wir haben keine Chance.» – «Wir können nicht gewinnen.»

Ich schrieb meinen Text nicht nur, weil ich die Trauer und das Ohnmachts­gefühl lindern wollte, die mit Kriegs­beginn entstanden waren. Ich war auch von einem Sinn für Geschichte und historischen Wandel beflügelt, den ich mir als Studentin vergangener Epochen und als Zeitzeugin erarbeitet hatte, manchmal auch als marginale Teilnehmerin der jüngeren Geschichte. Wer nie über den eigenen Teller­rand hinaus­schaut, der erfährt nicht, wie Kampagnen entstehen, wie Überzeugungen sich wandeln, wie das, was einmal unmöglich oder abwegig schien, sich zum neuen Status quo entwickelt. Das vergangene halbe Jahrhundert war eine ausser­gewöhnliche Zeit des gesellschaftlichen Wandels, der Veränderung von Über­zeugungen und Werten.

Heute mag alles so aussehen wie gestern. Aber das jetzige Jahrzehnt unterscheidet sich vom vorherigen fundamental.

In den zwölf Jahren vor 2003 hatte ich erlebt, wie sich die indigenen Völker Amerikas erhoben, wie sie die Macht an sich rissen, wie sie die Geschichte neu schrieben. Sie forderten ihre Rechte, ihre Sprache, ihren Stolz und ihre Zeremonien zurück. Ich ahnte, dass diese Völker, die in die Vergangenheit verbannt worden waren – wie oft hatte man ihnen gesagt, dass ihre Lebens­weisen archaisch und sie selbst dem Untergang geweiht seien –, für eine Zukunft, wie wir sie brauchen, eine entscheidende Rolle spielen würden. Das hat sich auf wichtige Weisen bewahrheitet, sowohl auf philosophischer Ebene als auch ganz praktisch.

Die Vorstellungen der Ureinwohner über unsere Untrennbarkeit von der natürlichen Welt und über unsere Verantwortung ihr gegenüber haben das moralische Empfinden vieler Menschen neu ausgerichtet. Indigene Völker sind weltweit führend im Klima­schutz und bewahren ihr Land. Eine Studie des Indigenous Environmental Network und Oil Change International (dessen Aufsichtsrat ich angehöre) aus dem Jahr 2021 belegt, dass in Nordamerika durch indigene Bemühungen in den vergangenen zehn Jahren mindestens ein Viertel der jährlichen Treibhausgas­emissionen der USA und Kanadas gestoppt oder verzögert wurden.

Wir sprechen über die Nachkommen von Menschen, die, wie mein Freund und Klima­aktivist Yotam Marom kürzlich schrieb, mit dem Ende ihrer Welt konfrontiert waren und auf wichtige Art und Weise nicht aufgegeben haben. Wie Julian Aguon, ein Menschen­rechts­anwalt aus Guam, es kürzlich formulierte: Die indigenen Völker sind diejenigen, die über die «einzigartige Fähigkeit verfügen, der Verzweiflung durch die Verbindung mit ihrem kollektiven Gedächtnis zu widerstehen, und die unsere beste Hoffnung sein könnten, eine neue Welt aufzubauen, die auf Gegenseitigkeit und gegenseitigem Respekt beruht – für die Erde und füreinander. Die Welt, die wir brauchen. Die Welt unserer Träume.»

Aguons Betonung des kollektiven Gedächtnisses verweist auf etwas, das der amerikanische Theologe Walter Brueggemann in anderen Worten beschrieben hat: «Das Gedächtnis erzeugt Hoffnung auf die gleiche Weise, wie die Amnesie Verzweiflung erzeugt.» Die Vergangenheit rüstet uns für die Zukunft, die Kontinuität des Gedächtnisses sagt uns, dass wir sowohl Nachkommen als auch Vorfahren sind. Vielleicht können die erstaunlichen Veränderungen der Vergangenheit uns dabei helfen, uns eine andere Zukunft vorzustellen. Damit wir die Unfähigkeit, uns eine Zukunft vorzustellen, nicht mit der Unmöglichkeit verwechseln, überhaupt eine Zukunft zu haben.

Bevor ich im Jahr 2003 meinen Aufsatz schrieb, hatten andere Ereignisse begonnen, mein Hoffnungs­gefühl zu nähren. Dazu gehörte der unvorhergesehene Zusammen­bruch der sowjetischen Satelliten­staaten Osteuropas im Jahr 1989 durch gewaltfreie direkte Aktionen nach langen Jahren der Organisierung; dann der Zerfall der Sowjetunion im Jahr 1991, der den Kalten Krieg beendete.

Niemand hatte diese Dinge kommen sehen. Sie lehrten mich, dass die Geschichte voller Brüche und Überraschungen ist. Darüber hinaus habe ich gesehen, wie sich der Status von Frauen, People of Color, queeren Menschen und solchen mit Behinderungen dank verschiedener Bewegungen und unzähliger mutiger und widerständiger Handlungen einzelner Menschen aus diesen Communitys enorm veränderte.

Ich habe gesehen, wie neue Ideen oft von den Rändern aus und aus dem Schatten in die Mitte und ins Rampenlicht gelangen, an die Orte, wo Menschen Entscheidungen treffen – an Gerichte, in Präsidial­paläste und Staats­kanzleien, in internationale Gremien.

Wenn man die Abfolge der Ereignisse nicht über Jahre oder Jahrzehnte verfolgt, könnte man glauben, dass es die Mächtigen sind, die den Wandel herbei­führen. Aber es ist die Strasse, die den Wandel nährt, er kommt von unten und wächst so lange, bis die Mächtigen gezwungen sind, ihn zu ratifizieren.

Immer wieder sah ich, wie Menschen, die zumeist als machtlos dargestellt werden – Schriftsteller und Wissenschaft­lerinnen, Basis­organisatoren und -bewegungen, Visionäre, die Verachteten und Übersehenen –, die Welt veränderten. Einiges davon erfuhr ich aus erster Hand als Anti-Atomkraft-Aktivistin und von 1992 bis etwa 1995 als Mitglied des Western Shoshone Defense Project. Dies ist eine Landrechts­kampagne, die von den beiden Schwestern und matriarchalischen Ranchern Mary und Carrie Dann von ihrem angestammten Land im Osten Nevadas aus voran­getrieben wurde.

Und so ging ich in der Bush-Ära auf die Strasse, um zu tun, was der Bürgerrechts­aktivist Jesse Jackson in seiner Präsidentschafts­kampagne 1988 gefordert hatte: «Die Hoffnung am Leben halten.» Ich stiess auf Reaktionen aller Art: Erleichterung, Freude, gute Fragen, beeindruckende Geschichten und manchmal auch auf Wut.

Die Wut kam zu meiner Überraschung hauptsächlich von weissen Menschen aus der Mittel­schicht. Sie schienen Verzweiflung als eine Form der Solidarität und Hoffnung als eine Art Verrat zu betrachten. Dahinter steckte, soweit ich das beurteilen konnte, die Annahme, dass die Sache, um die es geht, dem Untergang geweiht ist und wir deshalb sofort mit der Trauer­arbeit beginnen sollten.

Doch die, die nicht gestorben sind, soll man nicht betrauern. Sonst steckt man sie lebendig in einen Sarg, zumindest geistig tut man das. In Kunst­werken, in bürokratischen Verordnungen, durch Darstellungen in Museen, National­parks und Geschichts­büchern wurde den nordamerikanischen Ureinwohnern vom 19. Jahrhundert bis in die 1990er-Jahre immer wieder gesagt, dass ihre Kultur, dass sie selbst dem Untergang geweiht seien. Nicht indigene Menschen glaubten dies weitgehend. Ich habe Indigene getroffen, denen man ins Gesicht gesagt hat, sie seien ausgestorben. Oft sehen die, die so etwas sagen, sich selbst als Sympathisanten dieser «Opfer der Geschichte». Aber sie erzählten die Geschichte auf eine Weise, die diese «Opferschaft» noch verstärkt.

Dieselbe schädliche Geschichte wird Gemeinschaften erzählt, die an der Front des Klima­wandels kämpfen, wenn man ihnen suggeriert, dass der Kampf verloren und ihre Zukunft zerstört ist. Sie selbst aber, das betont Aguon, sind voller Hoffnung. Prophezeiungen sind immer teilweise selbst­erfüllend: Indem sie das prophezeite Ergebnis befördern, machen sie es wahrscheinlicher. Darin unterscheiden sie sich von Warnungen, die vor dem Horizont eines offenen Ausgangs ausgesprochen werden und deren Zweck es ist, das Schlimmste noch abzuwenden. «Du könntest vernichtet werden» ist eine ganz andere Aussage als «Du wirst vernichtet werden». Die eine lässt einen Handlungs­spielraum, die andere nicht.

Erodierende Küste, verschwundene Häuser: Immer mehr Land wird bei Guet Ndar vom Meer weggenommen.
Ibrahima Diop ist Landwirt wie sein Grossvater, sein Vater. Aber Ibrahima muss auch in Städten als Taxifahrer arbeiten, damit er genug Geld verdient, um seine Familie zu ernähren.

Für diejenigen, die schon jetzt ein einfaches Leben haben, bedeutet aufgeben, sich das Leben noch leichter zu machen, zumindest, was die eigenen Anstrengungen angeht. Für Direkt­betroffene aber bedeutet es, dass man vor der Zerstörung kapituliert. So wird das Aufgeben zum Gegenteil von Solidarität.

Es ist unwahrscheinlich, dass jemand, der sich aus einer verzweifelten Lage befreien will, jemals Trost darin findet, dass irgendwo, wo es viel sicherer ist, Menschen in seinem Namen verbittert oder verzweifelt sind.

Die Notleidenden sind manchmal selbst verbittert und erschöpft, aber oft hartnäckig hoffnungsvoll. Selbst wenn sie sagen würden, dass sie die Hoffnung verloren haben, ist ihre Beharrlichkeit doch eine Art Hoffnung, eine Verweigerung der Kapitulation. Verzweiflung kann als Gefühl wahr, als Analyse aber falsch sein. Selbst wenn die Bestands­aufnahme keinen Raum für Hoffnung lässt, stehen viele auf und leisten Widerstand – aus Prinzip. Ich habe diesen Geist des Trotzes in Gemeinschaften an der Klimafront gesehen. Deshalb sagen die Pacific Climate Warriors, die sich in fünfzehn vom Meeres­spiegel­anstieg bedrohten Insel­nationen im Pazifik engagieren: «Wir ertrinken nicht. Wir kämpfen.»

Als ich «Hoffnung in der Dunkelheit» schrieb, war ich von den Zapatisten inspiriert, jenen indigenen Visionären, die sich 1994 gegen den jahrhunderte­langen Völker­mord der mexikanischen Regierung und der Land­besitzer in Chiapas erhoben. Als die Zapatisten 2019, fünfundzwanzig Jahre nach ihrer Revolution, elf neue Gebiete für sich beanspruchten, waren sie voller Hoffnung – was sich in den Namen widerspiegelt, die sie zweien dieser Gebiete gaben: «Esperanza de la Humanidad» (Hoffnung der Menschlichkeit) und «Floreciendo la semilla rebelde» (Die rebellische Saat blüht).

So war es auch bei der Coalition of Immokalee Workers, einer Gruppe von eingewanderten Landarbeitern in Florida, oft ohne gültige Papiere, die einen Kampf nach dem anderen gegen grosse Mächte führten und gewannen. Sie setzten bessere Löhne durch, indem sie Kampagnen gegen die grössten Fast-Food- und Supermarkt­ketten der USA gewannen, sie bekämpften die moderne Sklaverei auf den Feldern und schickten die versklavenden Farm­besitzer ins Gefängnis, sie gaben niemals auf.

In einem Wettbüro hätten die meisten Leute wohl ihr Geld auf McDonald’s und nicht auf eine Gruppe von Land­arbeiterinnen ohne geregelten Aufenthalts­status gesetzt. Sie hätten es verloren.

In den Jahren nach 2003 habe ich vor vielen Zuhörer­gruppen über Hoffnung gesprochen. Eine der denkwürdigsten war eine Gruppe von Menschen aus der Arbeiter­klasse, Abend­studenten an einem Community College in Tacoma im Bundes­staat Washington. Ich fragte sie nach ihrer Meinung und notierte daraufhin: «Einige erinnerten sich an die Bürgerrechts­bewegung, andere identifizierten sich mit ihren mexikanischen Landsleuten, die sich als Zapatisten erhoben hatten. Und eine kleine, elegante Frau in meinem Alter sagte mit glocken­heller Stimme: ‹Ich glaube, das ist richtig. Hätte ich nicht gehofft, dann hätte ich nicht gekämpft. Und hätte ich nicht gekämpft, dann hätte ich Pol Pot nicht überlebt.› Es war eine verblüffende Aussage von einer kambodschanischen Einwanderin, deren Hoffnung, überhaupt zu überleben, damals klein und schwach gewesen sein muss.» Aber Hoffnung war es doch.

Die Niederlage von jemandem oder etwas zu verkünden, trägt zu dieser Niederlage bei. Es ist ein Akt der Sabotage. Das gilt für die Klima­bewegung genauso wie für alles andere – tatsächlich ist diese Bewegung von Defätisten und Schwarz­malerinnen bevölkert.

Wir würden die Keystone XL Pipeline (KXL) niemals aufhalten können, darauf hatten die Sessel-Experten sich festgelegt. Mit ihrer Verweigerungs­haltung warben sie im Grunde für dieses Ergebnis. KXL haben wir Anfang 2021 den Todes­stoss versetzt. Wie so viele Kampagnen, und wie die Klima­bewegung insgesamt, hätte diese Bewegung auf die anfänglichen Verunglimpfungen gut verzichten können. Sie haben gebremst, wo Beschleunigung angesagt gewesen wäre.

Ich treffe regelmässig auf Menschen, die weniger engagiert als Klima­aktivistinnen und weniger informiert als Klima­wissenschaftler sind – die aber auch selbstbewusst behaupten, dass sich niemand wirklich kümmert, dass niemand etwas tut, dass die Probleme nicht lösbar und die Lösungen nicht tragfähig sind. Oft vertreten sie eine Variante von «Das Leben auf der Erde wird bald enden» oder «Wir werden alle sterben». Manchmal sind es ängstliche und mutlose Menschen, die so etwas sagen, und ich fühle mit ihnen, besonders wenn sie jung sind.

Aber manchmal scheinen auch mächtige Leute solche Sachen wie in einem Triumph zu sagen; so, als ginge es ihnen eher darum, recht zu behalten, als ihre eigenen Annahmen zu hinter­fragen oder auf die Wissenschaft zu hören. Nicht wenige Menschen (vor allem weisse Männer, wie es scheint), die von ihrer eigenen Kompetenz überzeugt sind, errichten Beton­wälle aus Defätismus und Niedergang. Wie die Klima­journalistin Emily Atkin 2020 erklärte: «Ich habe es satt, stundenlang chaotische, aber bahnbrechende Klima­berichterstattung von Typen zu konsumieren und richtig­zustellen, die scheinbar erst ein paar Tage zuvor beschlossen haben, von nun an Klima­journalist zu sein.» Solche «first-time climate dudes», wie Atkin sie nennt, interpretieren die Wissenschaft, die Bewegungen und den Willen der Bevölkerung oft falsch.

Andere wiederum scheinen darauf erpicht zu sein, alarmierende Nachrichten zu verbreiten, sind dabei aber nicht in der Lage, komplexe Daten zu interpretieren oder auf ihre Glaub­würdigkeit zu prüfen. Ich denke zum Beispiel an eine schottische Zeitung, die im Sommer 2022 auf der Titelseite eine ohnehin schon zweifelhafte Quelle falsch interpretierte und verkündete, dass der Atlantik so gut wie tot sei. Die Geschichte löste Verzweiflung bei Menschen aus, die nur allzu bereit waren, sich auf die vermeintliche Autorität einer Zeitung zu verlassen.

Ich bin nach wie vor fassungslos darüber, dass manche Leute so etwas zur öffentlichen Diskussion beitragen wollen. Für mich ist das, als würde man Gift zum Picknick mitbringen. Ein Kolumnist hat neulich einen Artikel darüber geschrieben, wie man der Tatsache begegnen kann, dass «die Amerikaner sich nicht für den Klima­wandel interessieren». Er hat uns mit Links zu Beweisen bombardiert, dass ein solches Interesse früher einmal bestand, viele neuere Studien nun aber das Gegenteil beweisen. Die meisten US-Amerikaner unterschätzen die Unter­stützung für Klimaschutz­massnahmen innerhalb der Gesellschaft. Das ist eine zusätzliche Schwierigkeit, die es zu überwinden gilt und die dieser Kolumnist noch verstärkte. In diesem Fall schien der Autor einfach nicht über die öffentliche Meinung informiert zu sein. Andere wiederum sehen Verzweiflung als eine Identität, einen Stil, eine Rüstung, die man anlegt, bevor man sich in die Welt hinausbegibt.

Wer den Untergang prophezeit, behauptet, er habe orakelhafte Fähigkeiten. Solch ein Zyniker hält sich selbst oft für weltklug, für jemanden, der sich nicht täuschen lässt. Dabei beruht der Zynismus oft selbst auf einer Täuschung darüber, was möglich ist und wie der Lauf der Welt funktioniert.

Ich habe selten erlebt, dass Menschen dafür geächtet wurden, dass sie mit ihrer Vorhersage von Niederlage und Zerstörung falsch­lagen. Diejenigen, die etwas Positives ankündigen, werden dagegen verspottet und verhöhnt, sobald sie den Mund aufmachen. Vielleicht verwechseln die Zyniker die Offenheit für Möglichkeiten mit Naivität. Vielleicht lieben sie die Gewissheit mehr als die Möglichkeit. Die Ungewissheit bringt ihre eigenen Ängste mit sich, aber wir müssen uns mit ihnen abfinden, denn sie sind das Wesen der Zukunft.

Die Cheerleader der Verzweiflung verkünden die gleiche Botschaft wie die Institutionen um uns herum: dass die Macht bei den wenigen an der Spitze konzentriert sei. Ein Teil des Widerstands muss darin liegen, dass wir ihnen den Glauben verweigern. Wir können dies auch dadurch erreichen, dass wir bessere und genauere Geschichten und Theorien des Wandels erzählen.

Eine Theorie besagt, dass wir unter dem Terror der Mächtigen leben. Doch eigentlich sind es die normalen Menschen, welche die Macht ausüben. Dies zeigte sich in der Anti-Globalisierungs-Bewegung Ende der 1990er-Jahre, bei Occupy Wall Street, im Arabischen Frühling 2011 und bei den George-Floyd-Protesten im Jahr 2020. Es zeigt sich aber auch in der Art, wie die Mächtigen selbst auf die Klima­bewegung reagieren.

Aufschlussreich ist, dass grosse, erfolgreiche Aktionen in der Regel klein anfangen. Als Frauen in Neuengland in den 1840er-Jahren Schürzen für die Spenden­sammlung gegen die Sklaverei verkauften, konnten sie nicht davon ausgehen, dass ihre Aktion zur Bildung einer Abolitionismus­bewegung in den Vereinigten Staaten beitragen würde. Eine isolierte schwedische Teenagerin, die wegen der Untätigkeit beim Klimaschutz in den Streik trat, konnte niemals damit rechnen, eine solche Wirkung zu entfalten.

Was uns zum Handeln motiviert, ist das Gefühl der Möglichkeit in der Ungewissheit – dass das Ergebnis noch nicht feststeht und dass unser Handeln dazu beitragen kann, es zu gestalten. Das ist es, was Hoffnung ausmacht, und wir alle sind von ihr erfüllt, ständig, auf kleine Weise. Wir pflanzen ein Samenkorn in der Erwartung, dass es wächst und dass wir es wachsen sehen, die Blüte bewundern oder die Frucht essen können. Wir kaufen fünf Pfund Mehl in der Erwartung, dass wir lange genug leben werden, um es vollständig zu verbacken; wir kaufen ein Ticket für eine Reise, die wir erst Wochen oder Monate später antreten wollen. Wir könnten beim Kaffee­holen von einem Bus überfahren werden, aber wir hoffen, dass wir noch da sein werden, um den Becher auszutrinken und unseren Tag fortzusetzen.

Ich habe Depressionen oft als eine Hoffnungs­losigkeit darüber empfunden, dass sich die trostlose Gegenwart jemals ändern wird. Als einen Gemüts­zustand, in dem nichts erstrebens­wert erscheint und die Hindernisse auf dem Weg zu etwas Besserem unüberwindbar wirken. Disziplin und Routine waren zwei Weisen, solche Düsternis in Schach zu halten. Aber ich habe auch gelernt, dass das Gefühl, dass sich nichts verändere, nur eine mentale Wetter­lage ist, die vergeht. Alle Erfahrungen aus der Geschichte sprechen für die Veränderung. Auch das hat mir geholfen, und deshalb versuche ich, zwischen Verzweiflung als Gefühl und als Prognose zu unterscheiden.

Aufgeben ist keine Option: Das eigene Heim gegen das unberechenbare Wetter so gut wie möglich wappnen.

Wenn wir anerkennen, dass wir nicht wissen, was geschehen wird, dass die Zukunft noch offen ist und in der Gegenwart geschrieben wird, dann kann uns das dazu anstiften, an der Gestaltung dieser Zukunft mitzuwirken. Wir können geschickt genug sein, um gezielt zu agieren, und dabei doch so weise bleiben, dass wir um die Unvorherseh­barkeit der Ergebnisse wissen.

Viele Handlungen hatten eine enorme positive Wirkung, aber keine unmittelbare und direkte. Erst wenn wir die Langsamkeit und die Indirektheit des Wandels kennen und schätzen lernen, haben wir begriffen, wie Wandel funktioniert.

Uninformierte und fehlgeleitete Hoffnung führt zu fruchtlosen Bemühungen und zu Enttäuschung. Eine der Komplexitäten des Klima­aktivismus besteht darin, dass es viel zu hoffen gibt, aber immer im Rahmen des Möglichen. Die Wissenschaft sagt uns, dass wir mit schnellen und heroischen Anstrengungen die globale Temperatur stabilisieren können. Doch das würde das Schmelzen der Eis­schilde und den Anstieg der Meere in den kommenden Jahr­hunderten nicht verhindern (es würde aber Tempo und Ausmass der Schmelze beeinflussen).

Wir können uns für bewährte Lösungen und ehrliche Innovationen einsetzen und nicht auf die Ablenkungen, Verzögerungs­taktiken und falschen Lösungen herein­fallen, die jetzt von denselben Interessen voran­getrieben werden, die uns einst die Klimawandel­leugnung beschert haben.

Wer hofft, geht ins Risiko. Man riskiert zu verlieren. Hoffen bedeutet aber auch, den Sieg zu riskieren. Und siegen kann nur, wer sich versucht. (Andererseits ist es möglich, dass das Unterfangen ohne Ihren Beitrag zum Erfolg gelangt.) Wir, die wir ein materiell sicheres und bequemes Leben führen und zu Gesellschaften gehören, die den Löwen­anteil der Treibhaus­gase verursachen, haben nicht das Recht, im Namen anderer zu kapitulieren. Wir haben die Pflicht, solidarisch mit ihnen zu handeln.

Das beginnt damit, zu erkennen, dass die Zukunft noch nicht entschieden ist, weil wir sie jetzt entscheiden.

Zur Autorin und zum Text

Trent Davis Bailey

Rebecca Solnit ist Autorin, Historikerin und Co-Gründerin des Klima-Bildungs­projekts Not Too Late. Ihr Beitrag erschien am 19. Oktober 2022 unter dem Titel «Why Climate Despair Is a Luxury» bei «The New Statesman».

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