Aurelia Frick: «Dass ich als Frau geboren wurde, kann man mir wohl nicht vorwerfen.»

Weg mit der Frau

Sie war Aussen­ministerin von Liechtenstein. Dann wurde sie abgesetzt. Dann angeklagt. Und dieser Tage freigesprochen. Wie Aurelia Frick von Männern aus dem Amt gejagt wurde.

Von Lukas Häuptli, Jana Schmid (Text) und Maurice Haas (Bilder), 07.01.2023

Vorgelesen von Miriam Japp
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Am Anfang wars wie immer: Liechtenstein erhielt eine neue Regierung, und die neue unterschied sich von der alten in fast nichts. Vier Minister, zwei der Fortschrittlichen Bürger­partei (FBP), zwei der Vater­ländischen Union (VU), dazu ein Regierungs­chef, diesmal einer aus der Union.

So geht Politik in Liechtenstein. Zwei Parteien teilen sich die wichtigsten Ämter des Landes. Beide sind konservativ, katholisch und stehen dem Fürst nahe. Wer in welcher Partei Mitglied ist, entscheidet oft die Tradition der eigenen Familie.

Es war also wie immer, als das Land am 25. März 2009 eine neue Regierung erhielt. Es gebe «naturgemäss» nicht viel Neues zu berichten, schrieb das Liechtensteiner «Volksblatt» am nächsten Tag.

Doch dann kam es ganz anders. Am 25. März 2009 nahm eine Geschichte ihren Anfang, die Liechtenstein während Jahren in Beschlag nehmen sollte.

Sie geht so:

Eine Frau wird aus dem Nichts Ministerin, eckt an und endet, wie sie sagt, auf dem «Scheiter­haufen».

Die Frau wird Protagonistin eines politischen Dramas, und wie immer bei politischen Dramen spielen auch hier die ganz grossen Themen eine Rolle: Macht und Ohnmacht, Gunst und Missgunst, Grossmut und Neid zum Beispiel.

Eine Frau als Hauptfigur – das ist entscheidend in diesem Drama. Es hätte wahrscheinlich einen anderen Verlauf genommen, wäre ein Mann im Mittel­punkt gestanden. Jetzt aber eine Ministerin, und nur so ist die Schärfe zu erklären, mit der das konservative Liechten­stein auf ihre Politik reagierte. Und nur so das Ausmass der sexistischen Ausfälle gegen sie. Darum geht es in dieser Geschichte.

Es ist die Geschichte von Aurelia Frick.


Frau Frick, wie wird man in Liechtenstein als 33-jährige Frau Ministerin?
2008 fragte mich der damalige FBP-Präsident, ob ich Interesse am Amt hätte. Die Anfrage kam aus heiterem Himmel. Ich war zwar Partei­mitglied, wohnte aber in Zürich, arbeitete als Anwältin und hatte eine eigene Beratungs­firma. Fast schien es, als wäre ich eine Quoten­frau.

Sie traten Ihr Amt als Aussen-, Justiz- und Kultur­ministerin an. Alles schien wie immer.
Für mich nicht. Ich war eine Quer­einsteigerin, und ich arbeitete Tag und Nacht. Aber ich war motiviert und ich brachte neue Ideen in die Regierung. Eine davon war im Jahr 2010 das Gesetz, das die eingetragene Partnerschaft für Gleich­geschlechtliche erlaubt.

Eingetragene Partnerschaften im konservativen Liechtenstein?
Ja, es war ein politischer Hochseil­akt. Doch das Parlament hiess das Gesetz gut. Und das Schloss legte kein Veto ein.


Das Schloss, das ist das Fürsten­haus. Liechtenstein ist eine, wie es in der Verfassung heisst, «konstitutionelle Erbmonarchie auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage». «Seine Durchlaucht Fürst Hans-Adam II.» (77) amtet als Staats­oberhaupt; sein Sohn Erbprinz Alois führt die Geschäfte des Hauses. Daneben gibt es den Regierungsrat (Exekutive) und den Landtag (Legislative); sie machen die «Alltags­politik». Das Fürsten­haus kann aber die Gesetze, die das Parlament beschliesst, per Veto verhindern.


Ihre «neuen Ideen» stiessen in Liechtenstein nicht nur auf Anklang.
Nein. Es war kurz vor den Wahlen im Jahr 2013, als ich am Gesetz für ein neues Namens­recht arbeitete. Künftig sollten verheiratete Frauen ihren ledigen Namen behalten können. Da spürte ich erstmals Gegenwind, richtig starken. Die Spitze meiner Partei gab mir zu verstehen, dass ein neues Namens­recht nicht im Interesse der Partei sei. Und nicht im Interesse des Landes. Sie fand, ein einheitlicher Familien­name sei für die gesellschaftliche Kohäsion Liechten­steins entscheidend.


Die Partei­spitze, das war vor allem der damalige FBP-Präsident Alexander Batliner. Er ist heute 55 und leitet seine eigene Kommunikations­agentur. Vor allem aber ist er Sohn von Herbert Batliner.

Herbert Batliner, der 2019 starb, war eine Instanz des Liechten­steiner Establishments.

Er war der Treuhänder im Land und galt als Miterfinder all der Anlage­vehikel, mit denen die Reichen der Welt ihr Geld vor Steuer- und Straf­verfolgungs­behörden versteckten. Vom Volk wurde er wegen seiner beiden Doktor­titel «DDR» genannt, zum Fürsten­haus und zur katholischen Kirche hatte er enge Beziehungen.

Sohn Alexander Batliner, der ehemalige FBP-Präsident, will sich zum Fall von Aurelia Frick nicht äussern. Er sei politisch nicht mehr tätig, schreibt er auf Anfrage.


Frau Frick, man warf Ihnen vor, es gehe Ihnen mit dem neuen Namens­recht nur darum, dass Sie, die 2011 geheiratet hatten, Ihren Ledig­namen behalten können.
Ja, der Vorwurf kam immer wieder. Wann immer ich mich für frauen­politische Anliegen einsetzte, hiess es: Es geht ihr nur um sich als Frau.

Auch, als Sie sich 2015 für eine Frauen­quote starkmachten?
Ja. Damals sagte ich in einem Zeitungs­interview, man müsse über eine Quote reden. Die Reaktionen waren verheerend.

Nämlich?
Ich wurde persönlich angegriffen. In meiner eigenen Partei, aber auch in der Vaterländischen Union kam es zu erbittertem Widerstand. Mir wurde sogar mit einem Partei­ausschluss gedroht. Da wurde mir bewusst, welch konservatives Frauen­bild viele Liechten­steiner hatten. Das zeigte sich auch in der Art, wie viele über Frauen sprachen. Selbst in der Regierung war manchmal von «Kampf­lesben» die Rede.

Sie erfuhren das auch, als Sie Mutter wurden.
Als ich schwanger war, legte man mir in der Regierung nahe, nicht mehr im Ausland aufzutreten. Eine Aussen­ministerin mit einem so dicken Bauch sei eine Zumutung. Dann kam mein erstes Kind zur Welt, worauf mich der FBP-Präsident und ein anderes Partei­mitglied im Spital besuchten. Sie sagten, ich solle 2013 nicht als Regierungs­chefin kandidieren, sondern mich um meine Familie kümmern. Liechtenstein sei nicht bereit für eine junge Mutter an der Spitze.


Eine schwangere Frau als Aussen­ministerin? Eine junge Mutter als Regierungs­chefin? Und das in Liechtenstein?

Nein, das nicht. Das um Gottes willen nicht.

Es war Kritik wie diese, die das konservative Liechtenstein im Verlauf von Fricks politischer Karriere immer wieder äusserte. Mal offen, mal versteckt. Oft aber war es Kritik, die direkt auf die Frau zielte und mit sexistischen Spitzen durchsetzt war.

Wenn Aurelia Frick ihre Geschichte erzählt, wird man den Eindruck nicht los, dass sie eine unglaubliche Energie hat. Aber auch, dass sie von einer Rast- und Ruhe­losigkeit getrieben ist. Sie selbst sagt: «Ich bin ehrgeizig. Und ich bin häufig angeeckt, mit meiner Politik, vielleicht aber auch mit meiner Art. Ich polarisiere.»

Das war auch im Winter 2018 so. Damals löste ein Pelz­mantel, den die Ministerin von ihrer Grossmutter geerbt hatte und den sie bei einem öffentlichen Auftritt trug, über Liechten­stein hinaus Diskussionen aus. Im Sommer darauf sorgte für Schlag­zeilen, dass sie sich von einem Chauffeur aufs Schloss fahren liess. Und dass sie für ihre Reisespesen den Landtag um einen Nachtrags­kredit von 80’000 Franken bitten musste.

Das Jahr 2019 wurde für Frick ein eigentliches Schreckens­jahr.

In diesem Jahr untersuchte die Geschäfts­prüfungs­kommission des Landtags die Ausgaben der Ministerin. Das Ergebnis der Unter­suchung endete für Frick mit einer Katastrophe: ihrer Absetzung.

Dabei sollte ein Tag «in die politische Geschichte eingehen», wie die Zeitung «Vaterland» schrieb: der 14. Juni 2019.

Es war der Tag des Frauen­streiks, an dem Menschen überall in der Schweiz für die Gleich­stellung auf die Strasse gingen.

Und es war der Tag, an dem Liechtenstein eine Ikone des konservativen Establishments in der Vaduzer Kathedrale zu Grabe trug: Herbert Batliner.

Nur hundert Meter davon entfernt, vor dem Regierungs­gebäude, stand Aurelia Frick praktisch gleichzeitig auf einem hölzernen Podest. Ihre Mitarbeiterin hatte eine Rede zum Frauen­streik vorbereitet. Doch Aurelia Frick liess diese in ihrer Hand­tasche und improvisierte. Das Wasser stand ihr bis zum Hals.

Schliesslich hatte kurz zuvor eine Klein­partei den Rücktritt von Aurelia Frick gefordert.

«Jetzt wird es garstig», kommentierte das «Vaterland».

«Ein Rücktritt kommt für mich nicht infrage», sprach Frick am Frauen­streik­tag mit Nachdruck ins Mikrofon, um ihren Hals flatterte ein Foulard mit der Streik­farbe Violett.

«Wäre das alles auch passiert, wenn mein Name Herr Aurelio Frick wäre?», fragte sie und antwortete gleich selbst: «Es wäre nicht passiert, wenn ich ein Mann wäre.»

Gleichentags sagte sie in einem Radio­interview, jetzt habe sie «erst recht» Lust, Liechten­steiner Regierungs­chefin zu werden.

All das wäre bei ihrer Partei, der FBP, ohnehin nicht gut angekommen. Dass es aber ausgerechnet geschah, während die Partei­kollegen dem «DDR» Batliner die letzte Ehre erwiesen, liess ihnen den Kragen platzen. Das Partei­präsidium schrieb in einer Mitteilung: «Wir verstehen das als reine Provokation.»

Noch am gleichen Tag zitierte der Erbprinz die Aussen­ministerin aufs Schloss. Er legte ihr den Rücktritt nahe.

Zwei Wochen später, am 2. Juli 2019, entzog ihr der Landtag das Vertrauen. Auch der Fürst liess sich zum Geschäft vernehmen (wie von der Verfassung vorgeschrieben) und unterstützte die Absetzung.

Damit war die politische Karriere von Aurelia Frick zu Ende.

Die Vorwürfe gegen sie hatte die Geschäfts­prüfungs­kommission in einem 248-seitigen Bericht ausformuliert. Frick habe übermässig Dienste einer Beraterin in Anspruch genommen. Habe auf Dienst­reisen in zu teuren Hotels genächtigt. Sei zu oft Business­class geflogen. Habe ihr Büro neu streichen lassen. Habe sich für ein Foto­shooting von einer Visagistin schminken lassen. Und habe «unwahre Aussagen» gemacht im Zusammen­hang mit einem Konflikt um die Herausgabe von detaillierten Original­listen zu Berater­rechnungen.


Frau Frick, ganz unterschiedliche Vorwürfe haben zu Ihrer Absetzung geführt. Was sagen Sie dazu?
Ich kann alle Vorwürfe gegen mich entkräften. Aber damals spielte das gar keine Rolle mehr. Es kam nicht auf einzelne Anschuldigungen an. Der Grund­tenor war: Wir möchten nicht mehr mit der Aurelia. Dadurch entstand eine Situation, in der niemand mehr zurückkonnte. Und in der niemand im falschen Lager sitzen wollte.

Bei fast allen Vorwürfen ging es ums Geld. Waren Sie verschwenderisch?
Generell gab es in der Regierung wahrscheinlich niemanden, der Spesen so penibel abgerechnet hat wie ich – weil ich wusste, dass man bei mir am meisten darauf achtet. Ich hatte höhere Ausgaben als andere, weil ich als Aussen­ministerin sehr aktiv war. Aber verschwenderisch war ich definitiv nicht. Ja, vorder­gründig ging es ums Geld. Aber man suchte einfach nach Gründen, um sagen zu können: Aurelia muss weg. Ich glaube, es wäre nicht so weit gekommen, wäre ich ein Mann.

Das sagten Sie damals auch in Ihrer Frauenstreik­rede. Ihnen wurde danach vorgeworfen, Sie würden das Frauen­thema für Ihre Zwecke instrumentalisieren.
Die Tatsache, dass ich als Frau geboren wurde, kann man mir wohl nicht vorwerfen. Ausserdem: Vor dem Frauen­streik wurden verschiedene Regierungs­mitglieder gefragt, ob sie eine Rede zum Frauen­streik halten würden. Alle sagten ab – selbst der Minister, der für die Gleich­stellung von Mann und Frau zuständig war. Ich war die Einzige, die sich bereit erklärte.

Aurelia Frick vor dem Landtagsgebäude in Vaduz.

Sie sagen, Sie wurden Opfer einer Kampagne gegen Ihre Person?
Ja, so nahm ich es wahr. Der Wunsch, dass ich mich dem Druck beuge und freiwillig zurücktrete, war von meinen politischen Gegnern schon lange da. Daraus wurde eine Schlamm­schlacht. Ich finde, die Visagisten­rechnung ist ein bezeichnendes Beispiel dafür.

Können Sie das ausführen?
Mir wurde vorgeworfen, ich hätte mich von einer Visagistin für 600 Franken für ein Foto­shooting stylen lassen. Die Rechnung wurde im «Vaterland» abgedruckt. Da stand, so eine Rechnung gebe es in keinem anderen Ministerium. Doch das war falsch. Andere Regierungs­mitglieder nahmen die Visagistin im genau gleichen Umfang in Anspruch wie ich. Der Vorwurf wurde aber nur mir gemacht.


Was war der Grund für die Anschuldigungen? Womöglich wurde Aurelia Frick mit ihrer (frauen-)politischen Agenda dem konservativen Liechtenstein zu gefährlich. Womöglich fehlte ihr die Volksnähe, um in einem Land zu bestehen, wo so viele miteinander verbandelt sind. Womöglich war sie zu ehrgeizig. Oder zu unvorsichtig im Umgang mit Steuer­geldern.

Wahrscheinlich liegt die Wahrheit dazwischen.

Fest steht aber: Die Absetzung als Ministerin war nicht das Ende dessen, was Frick als Schlamm­schlacht gegen sich umschreibt.

Wenige Monate später leiteten Polizei und Staats­anwaltschaft Ermittlungen gegen sie ein – angestossen von der Regierung.

Im Sommer 2020 folgte die Anklage gegen Frick und ihren ehemaligen General­sekretär. Der Vorwurf: Amts­missbrauch. Der Grund: Die beiden hätten Leistungen der Beraterin Maria Pinardi über eine andere Person abrechnen lassen. Damit hätten sie verbergen wollen, dass die Limite von 100’000 Franken überzogen wurde und deshalb die Gesamt­regierung über die Ausgaben hätte befinden müssen.

Das Verfahren sollte langwierig werden und die Liechten­steiner Gerichte gleich mehrere Male beschäftigen. Der Fall dauerte mehr als zwei Jahre: Kriminal­gericht (Schuldspruch) – Ober­gericht (Kassation) – Kriminal­gericht (Freispruch) – Ober­gericht.

Am 30. November 2022 musste sich das Liechten­steiner Ober­gericht also zum zweiten Mal mit dem Fall von Aurelia Frick beschäftigen.

Für die abgesetzte Aussen­ministerin von Liechtenstein ging es jetzt um Existenzielles: um das mögliche Ende der «Schlamm­schlacht» gegen sie. Bestätigte das Ober­gericht den Freispruch des Kriminal­gerichts, würde dieser rechtskräftig.

Freispruch?

Freispruch!

Das Verfahren findet an einem Mittwoch­nachmittag im Unter­geschoss des Vaduzer Gerichts­gebäudes statt. Dass es keine Fenster gibt, wird durch Glühbirnen aufgewogen, die auch den letzten Winkel grell erleuchten. Wie um zu betonen, dass man hier den Dingen auf den Grund geht.

Im Kunst­licht vor dem Gerichts­saal kennt man sich. Das erste Verfahren ist es ja weiss Gott nicht. Und alle Anwesenden haben, so scheint es, die «Causa Frick» längst zur Genüge durchgekaut. Ein Journalist des «Volksblatts» fragt den Straf­verteidiger von Aurelia Frick, ob heute überhaupt noch irgendetwas Überraschendes passieren könne. Der Straf­verteidiger sagt schulter­zuckend: «Irgendwenn isch alles gseet.»

Es gibt tatsächlich nicht mehr viel zu sagen. Das Verfahren ist kurz. Die Angeklagten erscheinen nicht. «D Aurelia» sei im Ausland, weiss der vorsitzende Richter. Dass der Richter und die Angeklagte per Du sind, mag eine Aussen­stehende aufhorchen lassen. Aber eigentlich erstaunt es nicht – in einem Land, das anderswo als höchstens mittel­grosse Stadt durchgehen würde. Im Übrigen werden die Formalitäten gewahrt: Bei der Urteils­verkündung steht man auf im Vaduzer Gerichts­saal. Freispruch.

Damit findet die Geschichte von Aurelia Frick ein vorläufiges Ende. Vorläufig, weil sehr wahrscheinlich weitere Ermittlungen wegen einer angeblich geplanten Frauen­partei und deren Finanzierung laufen. Aber das erste Straf­verfahren ist jetzt, nach mehr als zwei Jahren, vom Tisch.


Aurelia Frick, warum folgte auf Ihre Absetzung ein Straf­verfahren?
Es war ein Versuch, meine Absetzung zu rechtfertigen. Misstrauens­anträge des Parlaments gehören zum politischen Leben. Aber dass man Menschen so auf den Scheiter­haufen stellt wie mich und sagt: Bitte verbrennen – das geht nicht. Und das wollten meine politischen Gegner – vor allem jene aus der eigenen Partei – rechtfertigen. Ich glaube auch, sie wollten sicherstellen, dass ich nicht nur weg bin, sondern auch nie mehr auftauche.

Was bedeutet der Freispruch für Sie?
In beruflicher Hinsicht ist er ein Neustart: Ich werde wieder als Anwältin arbeiten und gründe derzeit eine Kanzlei. Ich muss Ihnen aber auch erklären, was die Zeit davor mit mir gemacht hat. Von über 1000 Tagen verstrich kein einziger, an dem ich nicht an dieses Verfahren dachte. Das ist eine extrem lange Zeit. Die Situation löste Unsicherheit, Angst und Ohnmacht aus. Diese Gefühle drangen in jede Zelle meines Körpers ein. Und die werden nie mehr weggehen. Es kann sich niemand, auch kein einziger Journalist, der über die zwei­einhalb Jahre berichtet hat, im Entferntesten vorstellen, was es mit einem Menschen macht, wenn man verurteilt wird und nie gefragt wird, ob man etwas dazu sagen will.

Wie nahmen Sie die Bericht­erstattung im Zusammen­hang mit Ihrer Absetzung und dem Straf­verfahren wahr?
Sie war total einseitig. Jeder Journalist, der über die Geschichte berichtet hat, hatte meine Handy­nummer. Angerufen wurde ich nur ein einziges Mal. Und an den Prozess­tagen sprach mich keiner der anwesenden Journalisten an. Niemand hatte Interesse daran, meine Sicht der Dinge zu hören. Als Folge davon war im Volk irgendwann die Meinung da, dass ich strafrechtliche Verfehlungen begangen hätte.


Wühlt man sich durch die unzähligen Berichte der beiden Liechtensteiner Tageszeitungen «Volksblatt» (FBP-nah) und «Vaterland» (VU-parteinah) zur «Causa Frick», dann ist die Stoss­richtung klar: Spätestens 2019 fiel Aurelia Frick in Ungnade. Das zeigt sich etwa in Analysen und Kommentaren. Beide Zeitungen bestreiten jedoch den Vorwurf der einseitigen Bericht­erstattung. Sie hätten Aurelia Frick immer die Möglichkeit geboten, bei Vorwürfen gegen ihre Person Stellung zu nehmen. Das «Volksblatt» habe im Übrigen seit der Anklage­erhebung mehrmals mit Aurelia Frick gesprochen – sie habe aber darauf beharrt, dass ihre Aussagen nicht in Berichten wieder­gegeben werden.

Im Oktober 2021 unterlief dem «Volksblatt» ein «äusserst bedauerlicher Tipp­fehler», ein «Lapsus», wie die Zeitung am Tag darauf in einem Korrigendum erklärte. Der Tipp­fehler war in einer Schlag­zeile und betraf Aurelia Fricks Nachnamen: Die Redaktion vergass ein R.

Der zuständige Redaktor habe sich am Morgen des Erscheinens sofort persönlich bei Aurelia Frick gemeldet und sich in aller Form dafür entschuldigt, so das «Volksblatt». Die öffentliche Entschuldigung in der Zeitung sei mit ihr abgesprochen worden.


Was war diese Schlagzeile aus Ihrer Sicht? Ein Versehen? Absicht?
Dazu äussere ich mich nicht. Da soll sich jeder Leser selbst eine Meinung dazu bilden, aber man kann ja den Kontext rundherum betrachten.

Zurück zu Ihrer Vermutung, dass Ihre Absetzung auch mit Ihrem Geschlecht zu tun hatte. Äusserte sich das auch in der öffentlichen Wahrnehmung Ihrer Person?
Mein Frausein spielte immer wieder eine Rolle. Es wurde während meiner ganzen Amtszeit über meine Kleider diskutiert oder darüber, wer meine Haare schneidet. Einem Mann würde man die Frage nie stellen, ob er auf Staats­kosten zum Coiffeur gehe oder Kleider einkaufe. Dasselbe mit der Mutterschaft. Ich weiss von keinem Minister, den man je gefragt hat, ob er während seiner Amtszeit Kinder bekommen habe. Bei mir war das ständig Thema. Symptomatisch war auch die Aussage von Regierungs­chef Adrian Hasler, ich müsse die «Hosen runterlassen». Eigentlich darf unsere Gesellschaft nicht zulassen, dass ein Mitglied der Landes­regierung öffentlich so spricht.


Im Vorfeld ihrer Absetzung hatte Regierungs­chef Adrian Hasler in einem Interview gefordert: «Aurelia muss die Hosen runterlassen!»

Im «St. Galler Tagblatt» schrieb ein Journalist dazu: «Wir sind sicher, dass Aurelia auch ohne Hemd und Höschen eine gute Figur macht.»

Und manches schaffte es nicht in die Zeitungen, wohl aber in die sozialen Medien, an die Stamm­tische und in die Verwaltung, wie Aurelia Frick sagt. Glaube man den Gerüchten, dann habe sie schon mehr Liebes­affären gehabt, als das Jahr Tage hat.

Dass Aussagen wie die von Adrian Hasler sexistisch sind, ist das eine. Damit verbunden ist aber auch die Breiten­wirkung, die bestimmte Themen überhaupt entfalten können.

Wäre es ein Skandal, wenn man die Visagisten­rechnung eines männlichen Regierungs­mitglieds leakte? Seine teuren Kleider hinterfragte? Seine Frisur? Lässt sich der Lifestyle eines Ministers im gleichen Masse skandalisieren wie der einer Ministerin?

Unterstellt man einem Mann, er habe persönliche Interessen an einer Namensrechts­revision? Spricht man ihm seine Regierungs­kompetenz ab, weil er ein kleines Kind hat? Oder weil er eines erwartet?

Hätte ein Mann mit denselben Mitteln aus dem Amt gedrängt werden können, wie Aurelia Frick aus dem Amt gedrängt wurde?

Die Geschichte von Aurelia Frick legt den Schluss nahe: wohl kaum.

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