Mit der Vogelgrippe leben lernen

Fast 50 Millionen Tiere mussten in Europa innert eines Jahres gekeult werden, jetzt ist das Virus auch in der Schweiz angekommen. Es aufzuhalten, scheint fast aussichtslos. Zeit für einen Strategiewechsel.

Von Cornelia Eisenach, 07.12.2022

Vorgelesen von Egon Fässler
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Alle Bilder in diesem Beitrag stammen aus der Serie «The Birds» des japanischen Fotografen Yoshinori Mizutani.

Es ist ein sonniger November­morgen, als sich die Tier­ärztin Marjana Prinz auf den Weg macht ins Zürcher Weinland. Hier, am Enten­weiher in Seuzach, ist vor kurzem die Vogel­grippe ausgebrochen. Sie tötete einen Graureiher und einen Pfau.

Nun muss Prinz einen Geflügelhof in der Nähe untersuchen. Das kantonale Veterinär­amt ordnete Kontrollen in über 30 Betrieben der Umgebung an, um sicherzustellen, dass sich das Virus nicht ausbreitet. Das Amt hat Marjana Prinz um Hilfe gebeten, weil so viel Geflügel getestet werden muss. Sie ist spezialisiert auf Geflügel­krankheiten und betreibt eine eigene Praxis. «Wir müssen schnell arbeiten, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern», sagt sie.

Das Virus heisst H5N1 und hatte schon im letzten Jahr eine private Tier­haltung getroffen, ebenfalls im Kanton Zürich. Damals konnte man eine Ausbreitung verhindern. Und das will man auch dieses Jahr.

Im Geflügel­betrieb, den Prinz heute kontrollieren wird, leben 4500 Mastpoulets, 19 Tage alt. In zwei Wochen sollen sie geschlachtet werden. Prinz und ihr Kollege Herbert Odermatt, amtlicher Fach­assistent des Veterinär­amts, testen die Poulets ausserhalb des Stalls, um so wenig Kontakt wie möglich mit potenziell infizierten Tieren zu haben. Den Stall betritt nur die Besitzerin des Geflügel­hofs. Sie wird den beiden Fach­leuten insgesamt 15 Tiere reichen, damit sie Proben entnehmen können. So viele Tiere müssen in einem Betrieb mit mehr als 500 Tieren getestet werden, um sagen zu können, ob er seuchenfrei ist oder nicht.

Odermatt und Prinz krempeln im Eingangs­bereich einen grossen Plastik­sack auf und schütten Desinfektions­mittel hinein. An der Grenze zum Stall entsteht so eine Art Becken, ungefähr so gross wie ein Wäsche­korb. «Das ist unsere Seuchen­barriere, dahinter findet die Beprobung statt», erklärt Prinz. «Es ist extrem wichtig, dass wir keine Keime einschleppen oder raustragen, denn wir fahren ja auch zu anderen Betrieben.»

Auch für die Kleidung gelten die strengen Sicherheits­vorschriften: Die beiden ziehen einen reissfesten und wasser­dichten Schutz­anzug mit Kapuze an, Handschuhe und Überschuhe für die Gummi­stiefel. Die Ärmel umwickeln sie am Hand­gelenk mit Klebeband, um die Öffnung abzudichten. Darüber kommt eine zweite Lage Handschuhe, dazu Schutz­brillen und FFP2-Masken. Nun kann es losgehen.

Prinz und Odermatt steigen in den Plastik­sack und desinfizieren darin ihre Überschuhe. Im Beprobungs­bereich dahinter nimmt Odermatt das Huhn, das ihm die Besitzerin entgegen­streckt, in Empfang. Er achtet darauf, dass dessen Flügel am Körper anliegen, und umfasst den Rumpf mit beiden Händen.

Das Huhn protestiert zwar, lässt Prinz dann aber gewähren, die mit Daumen und Zeige­finger seinen Schnabel öffnet. «Ja Schatzi, ich weiss», sagt sie, «angenehm ist was anderes.» Es sei wichtig, ruhig und gelassen zu arbeiten, sagt die Tier­ärztin, denn die Beprobung bedeute Stress für die Tiere.

Sie nimmt einen Tupfer zur Hand, ähnlich jenem, den man vom Corona-Test kennt. Damit fährt sie in die sogenannte Choanen­spalte am Gaumen des Huhns. Mit demselben Tupfer macht sie nun, da Odermatt ihr das Hinterteil des Tieres hinhält, einen Abstrich von der Schleimhaut der sogenannten Kloake, wo beim Huhn die Ausgänge von Geschlechts­organen, Harnblase und Darm zusammen­laufen. «Wir folgen dem Weg des Virus», sagt Prinz. Denn bei Hühnern befällt es nicht nur die Atemwege, sondern auch den Magen-Darm-Trakt. Die Tiere infizieren sich beim Einatmen, entweder über Tröpfchen aus den Atemwegen von anderen Hühnern oder über Staub, der mit kontaminiertem Kot in Kontakt war.

Den Tupfer steckt Prinz in ein Proben­röhrchen, verschliesst es und legt es in einen beschrifteten Beutel. Nach etwa 20 Minuten ist er voll mit Proben. Sie werden ans Nationale Referenz­zentrum für Geflügel- und Kaninchen­krankheiten an der Universität Zürich geschickt. Und nun beginnt das bange Warten. Zwar rechnen Prinz wie auch die Besitzerin mit einem negativen Befund, da die Tiere im Stall keinen Kontakt zu Wild­vögeln haben: Sie dürfen erst ab ihrem 22. Lebens­tag in den Winter­garten, und auch dieser ist abgesichert. Doch sollte eine oder mehrere Proben im Plastikbeutel positiv sein, müssten alle Vögel getötet und verbrannt werden.

Das ist zurzeit die Antwort der Behörden auf Vogel­grippe-Ausbrüche wie jenen in Seuzach. Dort, am Enten­weiher des örtlichen Natur- und Vogelschutz­vereins, lebten bis vor kurzem noch Mandarin­enten, Kastanien­enten, Bläss­hühner, Brand­gänse und vier Pfauen.

Im Gehege dieser Vögel war Anfang November ein Wild­vogel gelandet, ein Grau­reiher. «Wir sahen, dass der Reiher krank war, und mussten ihn töten», erzählt der Vereins­präsident Karl Steinmann. Kurz darauf sei ein Pfau gestorben. Er hatte sich wahrscheinlich beim Grau­reiher angesteckt. Die Untersuchung der Kadaver ergab: Beide waren mit H5N1 infiziert. Daraufhin mussten die 42 Tiere des Enten­weihers sowie die Wild­enten, die sich zur selben Zeit dort aufhielten, gekeult werden. Die nachträgliche Untersuchung ergab: Zwei Fünftel von ihnen waren infiziert.

Für die Mitarbeiter und die Bevölkerung der Umgebung sei das ein Schock gewesen, erzählt Steinmann. «Besonders die Pfauen waren sehr beliebt. Nach dem schrecklichen Ereignis erhielten wir viele Mitteilungen und Anteilnahme.»

Eine Keulung, bei der auch viele nicht infizierte Tiere getötet werden, klingt grausam. Sie kann aber den Herd einer Seuche effektiv auslöschen. Als Massnahme funktioniert sie gut, wenn es nur sporadisch zu Virus­ausbrüchen kommt. Doch je mehr Ausbrüche, desto mehr Tiere sterben durch Keulung.

In der vergangenen Seuchen­saison, von Oktober 2021 bis September 2022, mussten in Europa wegen Vogelgrippe-Ausbrüchen fast 50 Millionen Tiere gekeult werden.

Die Vogelgrippe nistet sich ein

In Europa grassiert die Vogel­grippe wie nie zuvor. Konkret geht es um die hoch­pathogene Form der sogenannt aviären Influenza (highly pathogenic avian influenza, HPAI). Diese Präzisierung ist wichtig, denn es gibt zwei Sorten des Virus H5N1. Eine macht Hühner krank, die andere nicht. Letztere bezeichnet man als niedrig­pathogen (low pathogenic avian influenza, LPAI). Sie kann nur bestimmte Zellen im Verdauungs­trakt von Vögeln befallen. Allerdings mutiert sie sehr häufig. Diese Mutation führt dazu, dass das Virus in viele verschiedene Zell­typen eindringen und sich so im ganzen Körper verbreiten kann, und sie macht aus der niedrig­pathogenen die hoch­pathogene, die krank machende Form HPAI-H5N1.

In der Saison 2021/22 hat man in Europa die hoch­pathogene Form des Virus mehr als 6000-mal in Vögeln, einschliesslich Wild­vögeln, entdeckt. Das ist etwa doppelt so häufig wie beim letzten grossen Ausbruch 2016/17. Kaum ein Land blieb verschont, Berichte über Ausbrüche kamen aus 37 Ländern, von Norwegen bis Südportugal. Am schlimmsten betroffen waren die französische Enten- und die ungarische Gänse­produktion. In England traf es viele Hühner, einer der Gründe, warum dort momentan die Eier knapp sind.

Vor allem in Wasser­vögeln wie Enten zirkuliert das Virus. Sie werden kaum krank, können es aber übertragen. Als Zug­vögel verbreiten sie es über weite Strecken. Solche Wasser­vögel, zum Beispiel Reiher­enten, kommen aus Nord­europa und Sibirien in die Schweiz, um an den Seen im Mittel­land zu überwintern. Hier können sie heimische Wasser­vögel infizieren.

Bisher fanden Ausbrüche unter den Wild­vögeln in der Schweiz und im übrigen Europa während der Zugsaison statt, von Herbst bis Frühling. «Früher kam und ging die Vogel­grippe mit dem Vogelzug», fasst es Prinz zusammen.

Doch Experten gehen mittlerweile davon aus, dass das Virus in der europäischen Wildvogel­population endemisch geworden ist. Betroffen sind vor allem See­schwalben, Bass­tölpel und Möwen in den Küsten­regionen. Zwei Dinge sprächen dafür, dass es dort dauerhaft zirkuliere, sagt die Epidemiologin Gertraud Schüpbach. Sie leitet das Veterinary Public Health Institute der Universität Bern. Erstens sei das Virus auch im Sommer, ausserhalb der Vogelzug­saison, aufgetreten. Zweitens seien verschiedene genetische Varianten im Umlauf, was darauf hinweise, dass auch das Virus bereits länger in der Vogel­population zirkuliere. «Wenn das Virus einmal endemisch geworden ist, bekommt man es fast nicht mehr weg», so Schüpbach.

Momentan sei das Risiko für die Schweiz, die nicht an einer Küste liegt, vergleichbar mit dem der letzten Jahre. Seit Januar 2021 gab es fünf Vogelgrippe-Ausbrüche bei Wildvögeln und vier in Geflügel- oder Vogel­haltungen. Davor war jahrelang nichts geschehen. Doch es könne passieren, so Schüpbach, dass sich das Virus in Zukunft auch hierzulande dauerhaft einnistet.

«Wir sind bisher mit vielen blauen Augen davon­gekommen», sagt die Tierärztin Prinz. Aber es sei illusorisch zu glauben, ein Vogel mache vor der Grenze halt. Der jüngste Fall zeige, dass auch hierzulande eine Übertragung auf Nutz­geflügel stattfinde. «Wir müssen wahrscheinlich mit der Vogel­grippe leben lernen.»

Zweigleisig gegen das Virus

Doch wenn die Seuche dableibt – ist dann unser bisheriger Umgang mit ihr noch sinnvoll? Wenn es vermehrt zu Ausbrüchen kommt, werden Massen­tötungen von Geflügel auch vermehrt problematisch, aus tier­ethischer Sicht, aber auch aus wirtschaftlicher.

Das zeigte sich besonders in Frankreich, auf das etwa ein Drittel der H5N1-Ausbrüche entfiel. Die Keulung von Geflügel verursachte hier einen Schaden von über 150 Millionen Euro. Weil es so viele Ausbrüche gab, kamen die Veterinäre nicht damit nach, die Vögel tierschutz­gerecht mit CO2 zu betäuben und zu töten. Stattdessen mussten Hof­besitzerinnen die Lüftung in ihren Ställen abschalten, sodass die Tiere an einem Hitz­schlag verendeten.

Um Ausbrüche so schnell wie möglich zu entdecken und einzudämmen, fahren sowohl die EU als auch die Schweiz bisher ein zweigleisiges Überwachungs­programm:

Zum einen werden tot oder krank aufgefundene Wild­vögel auf H5N1 untersucht. Hier muss die Bevölkerung mithelfen und diese Tiere melden.

Zum anderen sucht man im Blut von Nutz­geflügel wie Lege­hennen und Truten regelmässig nach Anti­körpern gegen LPAI, also gegen die nicht krank machende Form des Virus. Weil die so gern und häufig mutiert, geht man davon aus: Ist sie vorhanden, ist das Auftauchen der gefährlichen Form HPAI nur eine Frage der Zeit. Deshalb muss man alle Tiere einer Herde vorsorglich töten.

Dieses Überwachungs­programm eignet sich, wenn ein Land grundsätzlich seuchenfrei ist und es nur sporadisch zu Ausbrüchen kommt. Was aber, wenn das Virus endemisch würde, so wie es in Ägypten, Indonesien, Bangladesh, Vietnam und China bereits der Fall ist?

In diesem Fall gäbe es die Lösung, gegen die Vogel­grippe zu impfen. Impfungen von Geflügel gegen andere Krankheiten werden immer wieder vorgenommen. So impfen Geflügel­halter in der EU zum Beispiel gegen die Newcastle-Krankheit.

Eine Vogelgrippe-Impfung ist in der EU und der Schweiz bisher allerdings verboten. Ein Grund: Länder, die gegen die Vogel­grippe impfen, gelten nicht als seuchenfrei, und das hat Handels­hindernisse zur Folge. Die USA oder Gross­britannien zum Beispiel importieren keine Geflügel­erzeugnisse aus Ländern, in denen geimpft wird.

Warum das so ist? Bisher kommen – ausserhalb der EU – Impfstoffe zum Einsatz, die auf inaktivierten Viren beruhen. Untersucht man das Blut eines damit geimpften Huhns, so wie es routinemässig zur Überwachung vorgeschrieben ist, wird es darin von Anti­körpern nur so wimmeln. Nur weiss man nicht, ob diese Anti­körper da sind, weil das Huhn geimpft wurde oder weil es sich mit dem Virus infiziert hat. Das Land, das impft, kann sich nicht mehr als eindeutig seuchenfrei deklarieren. Wer impft, handelt sich damit wirtschaftliche Nachteile ein.

Impfen statt Keulen?

Europa will angesichts der bereits endemischen Lage nun sein Vorgehen ändern. Bereits im Dezember 2021 hat die europäische Lebensmittel­behörde die Mitglieds­staaten in einem Bericht dazu aufgerufen, ihre mittel- und langfristigen Strategien zum Eindämmen der Vogel­grippe anzupassen. Sie empfahl unter anderem, die Impfung in Betracht zu ziehen.

Im Mai 2022 berieten dann die EU-Kommission und die EU-Agrar­minister über einen «strategischen Ansatz zur Entwicklung einer Impfstrategie». Als Konsequenz aus dieser Beratung fordert der EU-Rat die Mitglieds­staaten auf, sich stärker um die Entwicklung einer Impf­strategie zu bemühen, und fordert die Weiter­entwicklung und Zulassung von Impfstoffen.

In der Schweiz sind derzeit keine Anpassungen der Strategie vorgesehen. Die Schweiz beteilige sich aktiv an internationalen Diskussionen zur Impfung und werde «die Anpassung der Strategie in gegebenem Fall prüfen», schreibt Doris Schneeberger von der Kommunikations­abteilung des Bundesamts für Lebensmittel­sicherheit und Veterinär­wesen. Bisher stünde kein Impfstoff zur Verfügung, der sicher, wirksam und kostengünstig sei.

Insbesondere: keiner, der es erlaube, zwischen geimpften und infizierten Tieren zu unterscheiden.

So einer wäre aber nötig, damit es beim Export keine Probleme gibt. Zwar haben Wissenschaftler einen solchen Impfstoff längst entwickelt. «Doch weil die Impfung bisher nicht erlaubt war, haben sich Impfstoff­hersteller nicht um Zulassungen bemüht», sagt Gert Zimmer, Virologe am Institut für Virologie und Immunologie und an der Universität Bern.

Doch auch das ändert sich nun. Frankreich ist an eine Firma herangetreten und testet derzeit zwei Vakzin­kandidaten an Enten. In den Niederlanden läuft ein Versuch mit Lege­hennen, Ergebnisse werden im Dezember 2022 erwartet. Doch Testung und Zulassung dauern. «Die Impfstoffe könnten frühestens 2023/24 eingesetzt werden», so Zimmer.

Pandemiegefahr

Die Impfung löst aber nicht alle Probleme und könnte sogar neue hervorrufen.

«Die geimpften Tiere werden zwar nicht mehr krank», so Virologe Zimmer, «doch es könnte sein, dass sie das Virus noch ausscheiden.» Das wäre zwar keine Gefahr für die anderen Vögel im Stall, denn die wären ja geimpft. Doch das Virus könnte sich unbemerkt auf ungeimpfte Tiere in anderen Ställen oder gar auf Wildvögel ausbreiten. Und ein Virus, das sich unbemerkt ausbreitet, kann zur Gefahr für uns Menschen werden. Denn ein Virus, das zirkuliert, mutiert. Es kann sich zu einem neuen Virus entwickeln, das eine Pandemie auszulösen vermag.

Generell ist H5N1, das Vogelgrippe­virus, nicht an den Menschen angepasst. Es springt nicht so leicht auf ihn über, und es überträgt sich nicht von Mensch zu Mensch. Aber wenn es überspringt, kann es tödlich sein. Seit 2003 haben sich weltweit 865 Menschen mit der Vogel­grippe angesteckt – mehr als die Hälfte von ihnen starben. Der derzeit zirkulierende H5N1-Subtyp forderte bisher glücklicher­weise keine Opfer: In Europa infizierten sich seit 2021 drei Menschen mit keinen oder milden Symptomen.

Allerdings fallen dem Virus immer wieder Säugetiere zum Opfer. Füchse, Otter und Marder, sogar Wale und Seehunde sind verendet. Das zeige, dass das Virus die Artgrenze überwinden und auf andere Tiere überspringen könne, sagt Gert Zimmer. «Allerdings bleibt es meist bei einzelnen Ereignissen, das Virus scheint sich innerhalb einer Säugetier­art bisher nicht ausbreiten zu können.»

Das H5N1-Virus, das der wilde Grau­reiher im Enten­weiher Seuzach auf den Pfau und die Wasservögel übertrug, springt also leicht von Vogel zu Vogel. Es springt ab und zu von einem Vogel zu einem anderen Tier. Aber hier endet die Übertragungs­kette meistens: Die Variante ist nicht optimiert, um sich von, sagen wir, einem Fuchs auf andere Füchse zu übertragen.

Dennoch ist die Übertragung auf Säuge­tiere ein Problem. In Schweinen beispiels­weise können neue Viren entstehen, die das Potenzial haben, eine Pandemie auszulösen. Denn nicht nur Vogelgrippe­viren, auch menschliche Grippe­viren können Schweine befallen. Wird in einem Schwein eine Zelle gleichzeitig von einem menschlichen und einem Vogelgrippe­virus infiziert, dann kann sich das genetische Material mischen und neu zusammensetzen. Heraus käme ein Virus, das einerseits gut an den Menschen angepasst ist und andererseits die tödliche Kraft einer Vogel­grippe hat.

Das Risiko für dieses Szenario besteht dort, wo domestizierte Tiere mit wild lebenden in Kontakt kommen – wie im Enten­weiher, auf Wildtier­märkten oder durch das Vordringen des Menschen in Lebens­räume von Wild­tieren. «Ein weiteres Risiko birgt die klein­bäuerliche Haltung, wo Mensch, Vögel und andere Tiere eng zusammenleben», sagt die Epidemiologin Schüpbach. Diese Konstellationen begünstigen, dass Viren sich an verschiedene Wirte anpassen und sich schnell verbreiten. So können neue Varianten entstehen, die gefährlicher sind: ansteckender, tödlicher.

Es gibt also genügend Gründe, die Vogel­grippe ernst zu nehmen. Aus Gründen der Tier­ethik, der Wirtschaft und der Gesundheit von uns Menschen.

Die eine Lösung gibt es nicht: Der Keulung folgt ein «Aber», der Impfung folgt ein «Aber». Dennoch sind wir der Vogelgrippe nicht ausgeliefert, sie ist kein Schicksal. Es gibt viele Stell­schrauben, an denen wir drehen können: Impfstoff entwickeln und beschaffen, die Überwachung verbessern. Kapazitäten aufstocken, um im Seuchen­fall schnell reagieren zu können. Geflügel von Wild­vögeln fernhalten. Die Hygiene in den Ställen verbessern.

«Auf Seuchen, die von bekannten Erregern ausgehen, kann man sich vorbereiten», sagt Tier­ärztin Marjana Prinz. Möglicherweise müsse die Hühner­haltung in Zukunft grundsätzlich professioneller werden, sodass der Kontakt zu Wild­vögeln rigoros unterbunden sei.

Vorerst sind wir wieder einmal mit einem blauen Auge davon­gekommen. Keine weiteren Ausbrüche im Kanton Zürich. Zwei Tage nach dem Besuch vom Veterinär­amt hält die Besitzerin des Wein­länder Geflügel­betriebs den Befund in den Händen: Keines der getesteten Tiere war H5N1-positiv. Alle Hühner sind gesund.

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