Dienstag, 22. November 2022
Eines muss man der Fifa lassen: Gründe, ihre Veranstaltung zu boykottieren, liefert sie zuverlässig.
Wer noch immer auf ein Argument wartete, die Fifa-WM in Katar zu verurteilen und zu boykottieren, bekam gestern mit #OneLove einen Steilpass zugespielt. Viel schlimmer geht es nicht: Auf Druck Katars verbietet die Fifa die Kapitänsbinde als Zeichen für Diversität und Inklusion. Die Verbände von sieben europäischen Ländern, inklusive der Schweiz, fügen sich. Jetzt sagt Lionel Souque, Chef des deutschen Handels- und Tourismuskonzerns Rewe mit 380’000 Angestellten: «Die skandalöse Haltung der Fifa ist für mich als CEO eines vielfältigen Unternehmens und als Fussballfan absolut nicht akzeptabel», und beendet die Kooperation mit dem Deutschen Fussballbund. Zwar hatte Rewe schon vor der WM angekündigt, den Vertrag auslaufen zu lassen, dennoch ist die Signalwirkung gross. Und es stellt sich eine Frage, die eigentlich eine rhetorische sein sollte: Folgen weitere Unternehmen dem Vorbild Rewes?
Und falls Sie boykottieren, aber Angst haben, was zu verpassen:
Sie werden es mitbekommen haben: Die viel besprochene Fussballweltmeisterschaft im Emirat Katar hat begonnen. Die boykottieren selbstverständlich auch Sie, klar. Aber wüssten Sie nicht hie und da gerne, was Sie da genau boykottieren? Der längst weit über Bern hinaus reputierte Fussballfachblog «Zum Runden Leder» schafft Abhilfe: Täglich wird dort in einem fein kuratierten «Boykott-Bulletin» sichergestellt, dass Sie bestens darüber im Bild sind, was Sie gestern verpasst haben (diesmal: schweigende Iraner), was Sie heute boykottieren (sechs Stunden Fussball) und was Sie mit der so freigespielten Zeit tun könnten (Krimi schauen auf SRF 1, «Jenseits der Spree»).
Damit vom Boykottieren zum Sanktionieren. Das gelingt nicht jeder Behörde gleich gut.
Eigentlich ist alles einfach. Der Bundesrat beschloss bereits am 28. Februar 2022, dass die Schweiz die EU-Sanktionen gegen Russland übernimmt. Seither ist die Liste der Sanktionierten unaufhaltsam gewachsen und umfasst mittlerweile 349 Seiten. Interessant ist allerdings nicht nur, wen das zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) auf der Liste aufführt – sondern auch, wen nicht. Da wäre das russische Dünger-Unternehmen Eurochem. Es ist ein weiteres Beispiel dafür, dass das Seco es mit der Umsetzung der Sanktionen nicht ganz so genau nimmt. Eurochem hat seinen Firmensitz in Zug und gehört faktisch dem russischen Oligarchen Andrei Melnitschenko. Warum die Schweiz ihn, nicht aber sein Unternehmen sanktioniert, begründet das Seco im «Tages-Anzeiger» unter anderem mit einem bemerkenswerten Hinweis: Die Schweiz sei «weder rechtlich noch politisch» dazu verpflichtet, sich EU-Sanktionen respektive deren Umsetzung durch einzelne Mitgliedsstaaten anzuschliessen. Das stimmt. Aber trotzdem hat die Schweiz, sollte man es vergessen haben, die Sanktionen längst übernommen. Eigentlich ist alles einfach.
Und gleich noch eine Behörde: Bundesamt für Statistik! Die haben heute News verkündet – wobei …
Der Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern hat sich bei der letzten Lohnstrukturerhebung verringert. Das die News vom Bundesamt für Statistik. Wer sich die Zahlen aber über die Zeit anschaut, muss schreiben: minim verringert. Damit sind das keine News mehr, sondern gefestigtes Wissen: Frauen verdienen im Mittel rund 18 Prozent weniger als Männer. Knapp die Hälfte dieses Lohnunterschieds kann die Statistik nicht erklären – er rührt nicht vom Alter der Arbeitnehmenden her, nicht vom Bildungsniveau, er hat nichts mit Dienstjahren oder Führungspositionen zu tun. Mehrheitlich entsteht er dann, wenn Paare Kinder bekommen, wie wir bereits 2018 im Datenbriefing analysiert haben.
Mit der Geburt eines Kindes öffnet sich eine Lohnschere, die sich oft ein Berufsleben lang nicht mehr schliesst.
Falls Sie eher der visuelle Typ sind, grafisch sieht das so aus:
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Fliegender Wechsel ans Zürcher Obergericht. Dieses hat dem medialen Druck nachgegeben und die beiden Beschlüsse zugänglich gemacht, die erläutern …
Angefangen hat ja alles mit einem Beitrag in der Republik. Dieser ist der Staatsanwaltschaft sauer aufgestossen. Sie hat ein Ausstandsgesuch gegen jenen Richter eingereicht, der im Gerichtssaal kundgetan hatte, friedlich demonstrierende Klimaaktivistinnen nicht mehr schuldig zu sprechen. Halt so, wie es der Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) beziehungsweise die Europäische Menschenrechtskonvention vorgeben. Das wird ihm nun zum Verhängnis.
Das Obergericht hält fest: Diese Äusserung, kombiniert mit seiner spontanen Bemerkung an die im einen der beiden Prozesse anwesenden Kinder («Jungs, ihr könnt stolz sein auf eure Mutter»), erweckte den Anschein der Befangenheit. Der Richter sei womöglich nicht bereit, an künftigen Klimaprotest-Prozessen die rechtlichen Argumente aller Parteien zu prüfen. Sprich: auch jene der Staatsanwaltschaft. Oder seine Auffassung zur EGMR-Rechtsprechung «jeweils aufs Neue zu hinterfragen». Ob damit das letzte Wort gesprochen ist? Das Bezirksgericht Zürich und Richter Harris können die zwei Ausstandsbeschlüsse noch vor Bundesgericht ziehen.
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