Binswanger

Schlachtschiffe der Umweltzerstörung

Was erzählen Superjachten über unsere Zeit? Ein spektakulärer Essay geht dieser Frage nach.

Von Daniel Binswanger, 19.11.2022

Vorgelesen von Egon Fässler
0:00 / 10:02
Kampagnen-Logo

Unabhängiger Journalismus lebt vom Einsatz vieler

Unterstützen auch Sie die Republik mit einem Abo: Einstiegsangebot nur bis 31. März 2024.

Wählen Sie Ihren Einstiegspreis
Ab CHF 120 für ein Jahr

Jede Zivilisation bringt ihre Meister­werke hervor, Monumente der Kunst, der Macht, der Opulenz, erschaffen, um die Zeit zu überdauern. Ägypten war das Land der Pyramiden, und als Napoleon 1798 seine Expeditions­armee gegen die Mamluken führte, soll er vor der grossen Schlacht, die in der Nähe von Gizeh statt­fand, seine Truppen ermahnt haben: «Denkt daran, dass von diesen Monumenten 40 Jahr­hunderte auf euch herab­blicken.»

Das mittel­alterliche Europa war die Zeit der Kathedralen. Die Kirchen­häuser wurden in generationen­langer Arbeit errichtet, und alles, was die Zeit an Pomp und Kunst­fertigkeit zur Verfügung hatte, wurde zum höheren Ruhme Gottes in diese Bauten investiert.

Doch was sind die Monumente der heutigen Epoche? Es ist in den letzten Monaten sehr eindeutig geworden, hat plötzlich eine überraschende Evidenz, führt penetrant vor Augen, worin unsere Zivilisation sich nun am sinn­fälligsten zu verkörpern scheint: Super­jachten.

Zugegeben: Man muss Super­jachten nicht zwingend als die grössten Leistungen unserer Zeit bezeichnen. Schliesslich gibt es Quanten­computer, mRNA-Impfstoffe und Hoch­geschwindigkeits­züge. Aber eine Gesellschaft wird nicht durch ihre technologischen Spitzen­leistungen verkörpert. Sondern durch ihre Repräsentations­bauten, ihre Luxus­güter, ihre Symbole für Glanz und Macht. Unter den Bedingungen des globalisierten Spät­kapitalismus sind das die Super­jachten. Es ist inzwischen auch normiert, was man darunter verstehen soll: eine Privat­jacht, die länger ist als 30 Meter. Sie erzählen viel, aber nicht viel Gutes über unsere Zeit.

Plötzlich sind die Super­jachten überall: fast täglich in den News, weil der Westen daran­gegangen ist, die Boote der sanktionierten russischen Oligarchen zu beschlag­nahmen. Die «Dilbar», deren eigentlicher Besitzer Alischer Usmanow sein soll, wurde von den deutschen Behörden in Hamburg festgesetzt. Sie gilt als eine der teuersten Jachten der Welt, ihr Preis wird auf weit über 500 Millionen Euro geschätzt, und sie ist 156 Meter lang.

Die italienische Guardia di Finanza beschlagnahmte derweil die Segel­jacht «A», die von Philippe Starck designte grösste Segel­jacht der Welt, die es auf 143 Meter Länge und einen vergleichbaren Schätz­wert bringt. Sie gehört Andrei Melnitschenko, der auch ein Anwesen auf dem Suvretta-Hügel in St. Moritz sein Eigen nennt und den Haupt­wohnsitz in der Schweiz hat.

Schon 2008 erwarb Melnitschenko die Super­motor­jacht «A», die ebenfalls von Philippe Starck designt ist, aber lediglich 119 Meter misst. Dieses Boot allerdings konnte nicht beschlag­nahmt werden. Auf hoher See in der Nähe der Malediven wurde der Trans­ponder der «A» plötzlich ausgeschaltet, und dann verlor sich jede Spur. Jetzt ist das Schiff in den Vereinigten Arabischen Emiraten am Golf wieder aufgetaucht. Die Emirate beteiligen sich nicht an den Sanktionen gegen Russ­land. Sie bieten Oligarchen und ihren Jachten ein sehr gesuchtes Asyl.

Dass westliche Behörden die Boote russischer Plutokraten beschlag­nahmen, ist ein neues Phänomen. Aber der Aufstieg der Super­jachten geht weit zurück. Er hat sich seit Mitte der 80er-Jahre mit verblüffender Konstanz bis heute ständig fortgesetzt. 2020 waren sechsmal so viele Super­jachten auf den Ozeanen unterwegs wie noch vor zwei Generationen, inzwischen wohl weit über 6000.

Keine Krise, keine Wirtschafts­flaute konnte der Steigerung der Absatz­zahlen etwas anhaben. Laut Branchen-Insidern sollen momentan so viele Super­jachten verkauft werden wie noch nie zuvor. Die Auftrags­bücher quellen über. Zum einen zeugen sie von einer Reichtums­konzentration, die immer wilder Blüten treibt. Zum anderen hat die Pandemie der privacy noch einmal einen anderen Stellen­wert gegeben.

Die Beschlag­nahmung der Oligarchen-Jachten ist nicht nur deshalb eine vertrackte Angelegenheit, weil die wirklichen Besitzer dieser Boote häufig nicht bekannt sind und über Stroh­männer und Briefkasten­firmen ein kompliziertes Versteck­spiel betreiben. Es stellen sich auch ein paar unangenehme Fragen. Was ist der Unter­schied zwischen einer Oligarchen-Super­jacht und, sagen wir mal, dem Monster­schiff, das Jeff Bezos gerade für über 400 Millionen Euro in Rotterdam bauen liess?

Es ist schon klar, dass Gross­kapital auf sehr unterschiedliche Weise verdient werden kann und dass man Bezos nicht umstandslos den Putin-nahen Oligarchen gleich­setzen sollte. Aber ist die groteske Übersteigertheit ihres Reichtums nicht dieselbe? Wenn man die einen Boote plötzlich festsetzt – könnte man dann nicht auch die anderen aus dem Verkehr ziehen? Umso mehr als diese Objekte doch eigentlich keinen Zweck erfüllen?

Super­jachten sind Ausdruck der immer absurder werdenden Reichtums­konzentration. Und der Tatsache, dass man irgend­wann mit seinem Geld gar nichts mehr Sinnvolles anfangen kann.

Das ist allerdings auch der Grund dafür, weshalb Milliardäre so grossen Wert darauf legen, diese Pötte zu besitzen. Es gibt auf der Welt sonst einfach nichts vergleichbar Teures, das zu erwerben wäre. Die teuerste Immobilie, die in New York je verkauft wurde, kostete etwas über 200 Millionen Dollar. Mehr kann man für eine Behausung beim besten Willen gar nicht ausgeben. Auf dem Markt der Giga­jachten hingegen sind 200 Millionen eigentlich schon ein Schnäppchen. Nur mit 150-Meter-Ungetümen können Milliardäre deshalb den Punkt machen, dass sie in einer völlig eigenen Liga spielen – umso mehr als der Betrieb und Unterhalt einer Jacht noch einmal wahn­witzige Kosten mit sich bringt. Als Faust­regel müssen dafür jährlich zehn Prozent der Kauf­summe veranschlagt werden.

Es ist gewiss kein Zufall: Der Gewinner des Haupt­preises des Film­festivals von Cannes war dieses Jahr «Triangle of Sadness» von Ruben Östlund, eine furiose Kapitalismus­kritik, die auf einem Luxus-Charter­schiff spielt und in der während 15 Minuten einfach nur gekotzt wird (einen Republik-Essay zu dem Film finden sie hier).

Jetzt erscheint ein lesens­wertes Buch über die Super­jacht-Industrie sowie über die Rolle der Boote als Status­symbole und Steuer­vermeidungs­vehikel: «Superyachten. Luxus und Stille im Kapitalozän» von Grégory Salle. Das Buch ist vor allem deshalb lesens­wert, weil es besonders auf die Öko­bilanz der Super­jachten abzielt. Auch hier scheint die Absurdität keine Grenzen zu kennen.

Eine durch­schnittliche Super­jacht emittiert nach einer von Salle zitierten amerikanischen Studie 7020 Tonnen CO2 pro Jahr, während der durch­schnittliche Pro-Kopf-Ausstoss der Erden­bürger sonst bei 5 Tonnen liegt. Ein einziges dieser Ungetüme hat also einen grösseren Fuss­abdruck als 1400 Menschen. Hinzu kommen Umwelt­schäden aller Art: die Beschädigung von Korallen­riffen in der Karibik und – ein Thema, das Salle sehr kenntnis­reich darlegt – die Zerstörung der Seegras­bestände im Mittel­meer durch die Schiffs­anker.

Super­jachten sind nicht nur der Ausdruck von massiver Ungleichheit und absurder Kapital­akkumulation. Sie sind eigentliche Schlacht­schiffe der Umwelt­zerstörung – obschon, auch dem widmet Salle interessante Ausführungen, inzwischen natürlich emsig Green­washing betrieben wird.

Wird das die Hinterlassen­schaft unserer Epoche sein? Die 150-Meter-Stahl­gerippe der schwimmenden Paläste? Luxus­jachten altern schlecht. Im Gegen­satz zu den Pyramiden werden sie keinen Bestand haben und kaum auf kommende Generationen herunter­sehen. Ganz unabhängig von der Frage, wer in dreitausend Jahren noch da sein wird, um sich mit ihren Überresten auseinander­zusetzen.

Illustration: Alex Solman

Kampagnen-Logo

Unabhängiger Journalismus lebt vom Einsatz vieler

Artikel wie diesen gibt es nur, wenn genügend Menschen die Republik mit einem Abo unterstützen. Kommen Sie bis zum 31. März an Bord!

Wählen Sie Ihren Einstiegspreis
Ab CHF 120 für ein Jahr