Schlachtschiffe der Umweltzerstörung
Was erzählen Superjachten über unsere Zeit? Ein spektakulärer Essay geht dieser Frage nach.
Von Daniel Binswanger, 19.11.2022
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Jede Zivilisation bringt ihre Meisterwerke hervor, Monumente der Kunst, der Macht, der Opulenz, erschaffen, um die Zeit zu überdauern. Ägypten war das Land der Pyramiden, und als Napoleon 1798 seine Expeditionsarmee gegen die Mamluken führte, soll er vor der grossen Schlacht, die in der Nähe von Gizeh stattfand, seine Truppen ermahnt haben: «Denkt daran, dass von diesen Monumenten 40 Jahrhunderte auf euch herabblicken.»
Das mittelalterliche Europa war die Zeit der Kathedralen. Die Kirchenhäuser wurden in generationenlanger Arbeit errichtet, und alles, was die Zeit an Pomp und Kunstfertigkeit zur Verfügung hatte, wurde zum höheren Ruhme Gottes in diese Bauten investiert.
Doch was sind die Monumente der heutigen Epoche? Es ist in den letzten Monaten sehr eindeutig geworden, hat plötzlich eine überraschende Evidenz, führt penetrant vor Augen, worin unsere Zivilisation sich nun am sinnfälligsten zu verkörpern scheint: Superjachten.
Zugegeben: Man muss Superjachten nicht zwingend als die grössten Leistungen unserer Zeit bezeichnen. Schliesslich gibt es Quantencomputer, mRNA-Impfstoffe und Hochgeschwindigkeitszüge. Aber eine Gesellschaft wird nicht durch ihre technologischen Spitzenleistungen verkörpert. Sondern durch ihre Repräsentationsbauten, ihre Luxusgüter, ihre Symbole für Glanz und Macht. Unter den Bedingungen des globalisierten Spätkapitalismus sind das die Superjachten. Es ist inzwischen auch normiert, was man darunter verstehen soll: eine Privatjacht, die länger ist als 30 Meter. Sie erzählen viel, aber nicht viel Gutes über unsere Zeit.
Plötzlich sind die Superjachten überall: fast täglich in den News, weil der Westen darangegangen ist, die Boote der sanktionierten russischen Oligarchen zu beschlagnahmen. Die «Dilbar», deren eigentlicher Besitzer Alischer Usmanow sein soll, wurde von den deutschen Behörden in Hamburg festgesetzt. Sie gilt als eine der teuersten Jachten der Welt, ihr Preis wird auf weit über 500 Millionen Euro geschätzt, und sie ist 156 Meter lang.
Die italienische Guardia di Finanza beschlagnahmte derweil die Segeljacht «A», die von Philippe Starck designte grösste Segeljacht der Welt, die es auf 143 Meter Länge und einen vergleichbaren Schätzwert bringt. Sie gehört Andrei Melnitschenko, der auch ein Anwesen auf dem Suvretta-Hügel in St. Moritz sein Eigen nennt und den Hauptwohnsitz in der Schweiz hat.
Schon 2008 erwarb Melnitschenko die Supermotorjacht «A», die ebenfalls von Philippe Starck designt ist, aber lediglich 119 Meter misst. Dieses Boot allerdings konnte nicht beschlagnahmt werden. Auf hoher See in der Nähe der Malediven wurde der Transponder der «A» plötzlich ausgeschaltet, und dann verlor sich jede Spur. Jetzt ist das Schiff in den Vereinigten Arabischen Emiraten am Golf wieder aufgetaucht. Die Emirate beteiligen sich nicht an den Sanktionen gegen Russland. Sie bieten Oligarchen und ihren Jachten ein sehr gesuchtes Asyl.
Dass westliche Behörden die Boote russischer Plutokraten beschlagnahmen, ist ein neues Phänomen. Aber der Aufstieg der Superjachten geht weit zurück. Er hat sich seit Mitte der 80er-Jahre mit verblüffender Konstanz bis heute ständig fortgesetzt. 2020 waren sechsmal so viele Superjachten auf den Ozeanen unterwegs wie noch vor zwei Generationen, inzwischen wohl weit über 6000.
Keine Krise, keine Wirtschaftsflaute konnte der Steigerung der Absatzzahlen etwas anhaben. Laut Branchen-Insidern sollen momentan so viele Superjachten verkauft werden wie noch nie zuvor. Die Auftragsbücher quellen über. Zum einen zeugen sie von einer Reichtumskonzentration, die immer wilder Blüten treibt. Zum anderen hat die Pandemie der privacy noch einmal einen anderen Stellenwert gegeben.
Die Beschlagnahmung der Oligarchen-Jachten ist nicht nur deshalb eine vertrackte Angelegenheit, weil die wirklichen Besitzer dieser Boote häufig nicht bekannt sind und über Strohmänner und Briefkastenfirmen ein kompliziertes Versteckspiel betreiben. Es stellen sich auch ein paar unangenehme Fragen. Was ist der Unterschied zwischen einer Oligarchen-Superjacht und, sagen wir mal, dem Monsterschiff, das Jeff Bezos gerade für über 400 Millionen Euro in Rotterdam bauen liess?
Es ist schon klar, dass Grosskapital auf sehr unterschiedliche Weise verdient werden kann und dass man Bezos nicht umstandslos den Putin-nahen Oligarchen gleichsetzen sollte. Aber ist die groteske Übersteigertheit ihres Reichtums nicht dieselbe? Wenn man die einen Boote plötzlich festsetzt – könnte man dann nicht auch die anderen aus dem Verkehr ziehen? Umso mehr als diese Objekte doch eigentlich keinen Zweck erfüllen?
Superjachten sind Ausdruck der immer absurder werdenden Reichtumskonzentration. Und der Tatsache, dass man irgendwann mit seinem Geld gar nichts mehr Sinnvolles anfangen kann.
Das ist allerdings auch der Grund dafür, weshalb Milliardäre so grossen Wert darauf legen, diese Pötte zu besitzen. Es gibt auf der Welt sonst einfach nichts vergleichbar Teures, das zu erwerben wäre. Die teuerste Immobilie, die in New York je verkauft wurde, kostete etwas über 200 Millionen Dollar. Mehr kann man für eine Behausung beim besten Willen gar nicht ausgeben. Auf dem Markt der Gigajachten hingegen sind 200 Millionen eigentlich schon ein Schnäppchen. Nur mit 150-Meter-Ungetümen können Milliardäre deshalb den Punkt machen, dass sie in einer völlig eigenen Liga spielen – umso mehr als der Betrieb und Unterhalt einer Jacht noch einmal wahnwitzige Kosten mit sich bringt. Als Faustregel müssen dafür jährlich zehn Prozent der Kaufsumme veranschlagt werden.
Es ist gewiss kein Zufall: Der Gewinner des Hauptpreises des Filmfestivals von Cannes war dieses Jahr «Triangle of Sadness» von Ruben Östlund, eine furiose Kapitalismuskritik, die auf einem Luxus-Charterschiff spielt und in der während 15 Minuten einfach nur gekotzt wird (einen Republik-Essay zu dem Film finden sie hier).
Jetzt erscheint ein lesenswertes Buch über die Superjacht-Industrie sowie über die Rolle der Boote als Statussymbole und Steuervermeidungsvehikel: «Superyachten. Luxus und Stille im Kapitalozän» von Grégory Salle. Das Buch ist vor allem deshalb lesenswert, weil es besonders auf die Ökobilanz der Superjachten abzielt. Auch hier scheint die Absurdität keine Grenzen zu kennen.
Eine durchschnittliche Superjacht emittiert nach einer von Salle zitierten amerikanischen Studie 7020 Tonnen CO2 pro Jahr, während der durchschnittliche Pro-Kopf-Ausstoss der Erdenbürger sonst bei 5 Tonnen liegt. Ein einziges dieser Ungetüme hat also einen grösseren Fussabdruck als 1400 Menschen. Hinzu kommen Umweltschäden aller Art: die Beschädigung von Korallenriffen in der Karibik und – ein Thema, das Salle sehr kenntnisreich darlegt – die Zerstörung der Seegrasbestände im Mittelmeer durch die Schiffsanker.
Superjachten sind nicht nur der Ausdruck von massiver Ungleichheit und absurder Kapitalakkumulation. Sie sind eigentliche Schlachtschiffe der Umweltzerstörung – obschon, auch dem widmet Salle interessante Ausführungen, inzwischen natürlich emsig Greenwashing betrieben wird.
Wird das die Hinterlassenschaft unserer Epoche sein? Die 150-Meter-Stahlgerippe der schwimmenden Paläste? Luxusjachten altern schlecht. Im Gegensatz zu den Pyramiden werden sie keinen Bestand haben und kaum auf kommende Generationen heruntersehen. Ganz unabhängig von der Frage, wer in dreitausend Jahren noch da sein wird, um sich mit ihren Überresten auseinanderzusetzen.
Illustration: Alex Solman