Klimaerhitzung? Bloss keine Panik! Golfspass auf dem Beacon Rock Golf Course in North Bonneville, Washington, USA (2017). Kristi McCluer/Reuters

Braucht es die Klima­konferenz noch oder kann sie weg?

WWF-Klimaschutz­experte Patrick Hofstetter verhandelt in Sharm al-Sheikh einmal mehr für die Schweiz. Ein Gespräch über rote Linien, unaufhaltbare Verrücktheiten und fehlende Vorstellungskraft.

Von Elia Blülle, 18.11.2022

Vorgelesen von Regula Imboden
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Patrick Hofstetter kam, sah und blieb. 2002 kehrte er aus den USA zurück, wo er an der Harvard University als Wissenschaftler zu industrieller Ökologie gearbeitet hatte. In der Schweiz fragte ihn der WWF dann, ob er das Klima- und Energie­dossier übernehmen wolle; Hofstetter willigte ein, aber nur, um befristet für 6 Monate auszuhelfen. Heute ist er immer noch da.

Normalerweise ist Patrick Hofstetter als Umwelt­lobbyist in der Wandel­halle des Bundes­hauses aktiv und gilt da bei fast allen Parteien und Journalistinnen als Kompetenz­zentrum für Energie- und Klimapolitik.

Einmal im Jahr wechselt Hofstetter die Seiten. Seit 19 Jahren ist der WWF-Klimaschutz­experte auch Teil der Delegation, die an der alljährlich stattfindenden Uno-Klima­konferenz für die Schweiz verhandelt – mandatiert vom Bundesrat, der auch die Verhandlungs­position für Hofstetter vorgibt.

In diesen Tagen geht die 27. Klima­konferenz in der ägyptischen Touristen­destination Sharm al-Sheikh in die Schlussphase.

Patrick Hofstetter, Stand heute: Mit welchem Gefühl werden Sie nach Hause reisen?
Was die Verhandlungen betrifft, liegt noch alles drin. Aber die Entwürfe für die Abschluss­erklärung, die am Donnerstag präsentiert wurden, lassen Schlimmes vermuten: eine 20-seitige Sammlung, von der man sich wünschen würde, sie wäre ein üppig geschmückter Weihnachts­baum. Ich sehe aber im Moment eher einen dürren Reisig­besen, der nicht geeignet ist, unsere Probleme wegzuwischen. Die Konferenz könnte aber dieses Jahr noch lange dauern. Hoffentlich gibt es noch etwas Klärung.

Gegenwärtig können sich die Länder nicht einmal auf einen Text einigen, mit dem sie beschlössen, aus «allen fossilen Energien auszusteigen».
Die Menschen können sich nicht vorstellen, ohne fossile Energie zu leben. Nehmen wir die Schweiz: Da findet der Bundesrat auch, eine Zukunft ohne fossile Energien sei nicht zumutbar. Deshalb hat er die Gletscher­initiative zur Ablehnung empfohlen. Und wenn wir in der Schweiz nicht daran glauben, ist es schwierig, von anderen Ländern zu verlangen, sie müssten aussteigen – vor allem auch dann, wenn sie damit sehr viel Geld verdienen.

Niemand glaubt mehr ernsthaft daran, dass wir die Erderhitzung auf 1,5 Grad begrenzen können. Wäre es nicht an der Zeit für mehr Realismus?
Wir wissen, dass es eine riesige Heraus­forderung ist, dieses Ziel zu erreichen. Aber was ist die Alternative? Akzeptieren, dass Ökosysteme auf der ganzen Welt zerstört werden? Dass Eiskappen schmelzen? Dass Inseln und Küsten­regionen untergehen und Millionen Menschen ihr Zuhause verlieren? Unser einziger Realismus ist, dass wir dies verhindern müssen. Und wir folgen dem Weltklimarat in seiner Bewertung, dass das 1,5-Grad-Ziel mit schnellen, tiefgreifenden und globalen Transformationen noch erreichbar ist.

Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass das gelingen wird. Das globale CO-Budget für dieses Ziel dürfte beim heutigen Emissions­trend mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit in 9 Jahren aufgebraucht sein.
Und deshalb braucht es schnelles Handeln. Einen Stopp fossiler Emissionen, die für etwa 70 Prozent aller Treibhaus­gase verantwortlich sind. Eine Transformation hin zu grünen Technologien. Während wir um jeden Zehntel­grad ringen, investieren die Produzenten fossiler Energie­träger jährlich Hunderte Milliarden Dollar in die Förderung fossiler Brenn­stoffe. Und sie verdienen allein im Jahr 2022 – nach Steuern – ungefähr 250 Milliarden Dollar. Dieses Geld anders zu investieren, ist der Schlüssel. Es mangelt nicht an technischen Lösungen, an Innovationen oder an Geld. Es mangelt einzig am politischen Willen, dieses Ziel zu erreichen.

Die Delegierten an der Klima­konferenz sollten durch das Scheitern und nicht durch falsche Hoffnungen angetrieben werden. Sie müssten pragmatischer sein und sich mit den harten Wahrheiten der Realität auseinander­setzen, schrieb der «Economist» jüngst in einem Leitartikel.
An der Konferenz geben wir der globalen Klima­politik einen gemeinsamen Rahmen, an dem sich die Länder orientieren können. Das ist notwendig, weil sich dann auch die Wirtschaft daran ausrichtet. Dieser Mechanismus stimmt immer noch. Wenn es aber darum geht, zu fragen: Reicht das, was wir hier machen? Dann muss ich antworten: Nein, natürlich nicht. Wir benötigen zusätzliche globale Kooperation; neben der Klima­konferenz müssen sich auch Gefässe wie die G-7 und die G-20 mit neuen Klima­lösungen befassen. Und es braucht Koalitionen von Ländern, die in Teilbereichen – zum Beispiel beim Kohleausstieg – weiter gehen wollen als die restliche Welt.

Sieben Jahre sind seit dem Pariser Klima­abkommen vergangen. Letztes Jahr hat man das Regel­buch dazu verabschiedet. Und jetzt spricht man von einer Umsetzungs­konferenz. Wieso dauert das so lange?
Die Erzählung, das Klima­abkommen würde erst jetzt umgesetzt, stimmt nicht. Bereits ab 2016 hätte man das Abkommen umsetzen können, weil es den jeweiligen Ländern schon damals extrem viele Kompetenzen abgab. Ein Land muss sich bei der Wahl klima­politischer Instrumente nicht an Regeln orientieren, die zuerst noch international besprochen werden müssen – mit Ausnahmen von einzelnen Bereichen wie den neuen CO-Märkten, die letztes Jahr in Glasgow beschlossen wurden. Das Problem ist ein anderes.

Welches?
Nehmen wir die Schweiz: Sie hat gegenwärtig eine Klima­politik, die im Wesentlichen auf den Diskussionen von 2008 bis 2010 im Parlament beruht – also dem CO-Gesetz, das damals ausgehandelt wurde. Die Schweiz verfolgt keine konforme Umsetzung des Pariser Klima­abkommens – und daran wird sich auch nichts ändern, sollte das Stimmvolk im nächsten Juni den Gegen­vorschlag zur Gletscher­initiative annehmen. Das heisst, selbst die Schweiz scheint nicht imstande, das Pariser Abkommen umzusetzen. Das Scheitern ist also kein inter­nationales, sondern ein nationales.

Der Schweizer Klima-Chefdiplomat Franz Perrez hat letztes Jahr nach der Ablehnung des CO-Gesetzes gesagt, die Abstimmung würde die Schweizer Position an der Klima­konferenz schwächen.
Ich hatte mich letztes Jahr in Glasgow auf eine viel schwierigere Konferenz eingestellt. Ein einziges Mal kam die Abstimmung zur Sprache. Ein relevanter ägyptischer Verhandler sagte, ich könne schon ambitioniertere Massnahmen fordern, aber zu Hause kämen wir auch nicht vorwärts. Wobei Ägypten sicherlich kein glaub­würdiger Absender für diese Kritik ist.

Im Jahr 2022 gab es auf der ganzen Welt verheerende Dürren, Wald­brände und Über­schwemmungen, bei denen die Klima­erhitzung eine wesentliche Rolle gespielt hat. Hat dies die Klima­konferenz in Ägypten beeinflusst?
Das schüttelt den Apparat viel zu wenig durch. Die Ereignisse hindern den pakistanischen Verhandler, der aktuell für rund 140 Nicht-Industrie­länder spricht, nicht daran, ambitioniertere Verhandlungs­themen zu blockieren. So schlugen die EU und auch die Schweiz vor, über das Umlenken der Finanz­ströme konkret zu verhandeln, damit die Klima­wende so finanziert werden kann. Man erwartete, Pakistan würde nach den Flut­katastrophen im eigenen Land sagen, wir müssen die Verrückt­heiten sofort stoppen. Aber stattdessen übernehmen sie die Position von China, Brasilien, Indien und Saudi­arabien, die sich seit Jahren gegen eine progressive globale Klima­politik stellen.

Die Spannungen sind immens. Auf die Frage, welches Minimal­ziel sie bei der Konferenz verfolge, antwortete die deutsche Aussen­ministerin Annalena Baerbock: «Dass sie stattfindet. Das weiss man in dieser Weltlage nie.»
Am Verhandlungs­tisch merke ich kaum, welchen Einfluss geopolitische Spannungen spielen. Auf meinem Level ist der russische Krieg in der Ukraine kein Thema. Russland ergreift das Mikrofon kaum. Ich stelle aber fest: Einige Staaten lassen sich gerade kaum von ihren starren Positionen abbringen.

Woran liegt das?
Die ägyptische Präsidentschaft war im Vorfeld sehr passiv und hat es nicht geschafft, ein gutes Momentum zu schaffen. Stattdessen organisiert sie Anlässe, an denen die Gasindustrie auf der Bühne sitzt und darüber spricht, wie der afrikanische Kontinent künftig mehr Erdgas verbrennen und verkaufen kann – also das Gegenteil von dem, was die Konferenz eigentlich will. Bis heute sollen bereits 12 Erdgas-Deals im Vorfeld und während der Klima­konferenz abgeschlossen worden sein. Der Umstand, dass die Konferenz in Ägypten stattfindet und seine Regierung eine Anti-Klima­schutz-Position eingenommen hat, wirft einen viel grösseren Schatten auf die Verhandlungen als alle anderen Faktoren.

Über 600 Vertreter der fossilen Energie­wirtschaft lobbyieren an der Konferenz. So viele wie schon lange nicht mehr.
Seit 30 Jahren sind die fossilen Interessen sehr breit und gut an der Konferenz vertreten. Demokratie­politisch ist es nicht völlig falsch, dass alle mit am Tisch sitzen und angehört werden. Aber ihre massive Über­vertretung an dieser Konferenz ist frustrierend.

Dieses Jahr in Ägypten, nächstes Jahr in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten – beides Länder, die nicht für Demokratie und die Einhaltung von Menschen­rechten bekannt sind.
Ägypten war lange der Verhandlungs­gruppenchef der afrikanischen Länder, und deshalb wäre es schwierig gewesen, diese Konferenz zu verhindern. Aber jetzt, wo wir hier sind, bin ich überzeugt, kann man sagen: Es ist ein Fehler, eine solche Konferenz in einem solchen Land auszutragen, das nicht nur ägyptischen, sondern auch eingereisten Aktivisten und gar Delegations­mitgliedern droht, dass sie sich bewusst sein müssten, dass nach der Konferenz wieder ihre bisherigen Regeln der Militär­diktatur gelten würden. In den Emiraten ist die Situation womöglich eine andere. Das Land diversifiziert seine Wirtschaft und hatte an den Klima­konferenzen schon immer eine eigene Position, die sich von anderen Erdöl­staaten unterschied. Schafft es die Konferenz nächstes Jahr, die wirtschaftlichen Opportunitäten einer Energie­wende auch für die Erdöl exportierenden Länder zu vermitteln, wäre das sogar eine Chance. Das ist aktuell aber mein Wunsch­denken.

Wir haben unsere Leserschaft gefragt, was sie von Ihnen wissen will. Am meisten interessieren sie sich dafür, wie überhaupt verhandelt wird. Da die Konferenz im Konsens entscheidet, fällt es Ländern wie Saudi­arabien und China einfach, zu blockieren. Was braucht es in den Verhandlungen, um solche Staaten von einer Position zu überzeugen?
Das ist sehr abhängig vom Land. Die Chinesen stimmen nur jenen Verpflichtungen zu, bei denen sie überzeugt sind, dass sie sie umsetzen und einhalten können. Sie haben diesbezüglich ein sehr hohes Ethos. Darum war es immer wichtig, den Chinesen aufzuzeigen, wie Lösungen aussehen könnten. Erst seit sie Pioniere in der Elektro­mobilität sind, haben sie zum Beispiel eine Vision, wie sie den Strassen­verkehr dekarbonisieren könnten. Vorher war es unmöglich, in diesem Punkt mit den Chinesen ins Gespräch zu kommen, weil das Auto bei ihrer vermögenden Bevölkerung einen hohen Status geniesst.

Und Saudiarabien?
Da ist die Situation eine andere. Saudiarabien gilt als wenig vertrauens­würdiger Verhandlungs­partner, weil er als Erdölstaat klare Partikular­interessen verfolgt. Das Land hat aber neben Brasilien die weltbesten Verhandler. Wenn wir von ihnen etwas wollen, müssen wir im Gegenzug etwas anbieten – und sei es nur, um ihnen zu ermöglichen, dass sie ihr Gesicht wahren können. Zum Beispiel kann der Dialog über mögliche Entschädigungen für Erdöl, das sie im Boden belassen, so lange blockiert werden, bis sie bereit sind, auch über neue Emissions­verminderungen – also auch den gesamthaften Minder­verbrauch von Öl und Gas – zu sprechen.

An der Klima­konferenz wird also wie auf einem Viehmarkt verhandelt.
Der einzige Unterschied ist, dass an einem Viehmarkt transparent ist, wer wie viel bietet. An der Klima­konferenz weiss man oft bis zur Schluss­abstimmung nicht, wie die Interessen liegen. Wann ist die angekündigte rote Linie ein Bluff? Wo wird das Land ein Veto einlegen? Was ist Verhandlungs­taktik? Das macht alles anspruchsvoll und zermürbend.

Wie viel wird bereits im Vorfeld einer Konferenz entschieden?
Die Vorbereitungen sind wichtig – und in diesem Jahr waren sie in vielen Bereichen ungenügend, weil die ägyptische Präsidentschaft zu passiv war. Beim Mitigation Work Programme, das ich verhandle, konnten wir uns am Vorbereitungs­treffen nicht auf Entwürfe einigen. Auch andere Punkte, für die sich die Schweiz stark eingesetzt hat, waren nach den Treffen ungenügend vorbereitet und haben es deshalb gar nicht erst auf die Agenda geschafft. Wenn die Vorbereitungen stimmen, kann sich an den Konferenzen – vor allem tief in der Nacht – noch sehr viel bewegen. In der Nacht ist alles möglich.

Ist das eine bewusste Verhandlungs­strategie? Man verhandelt so lange, bis die Teilnehmerinnen so übermüdet sind, dass sie allem zustimmen würden?
Das wäre eine gefährliche Strategie. Beim Abschluss­plenum würde, wenn auch nur ein Land ein Veto einlegt, die Verhandlung scheitern. Aber in der Nacht sind nur noch jene da, die es auch wirklich interessiert. Mit 10 Leuten ist die Lösungs­findung einfacher als mit 100.

Eine solche Nachtschicht gab es an der diesjährigen Konferenz gleich zu Beginn. Nach 30 Jahren Diskussionen haben die Delegationen erstmals in der Geschichte Klima­schäden auf die Verhandlungs­agenda genommen.
Neben der Emissions­verminderung und der Anpassung an die Klima­erwärmung benötigt es auch eine finanzielle Kompensation von Klima­schäden. Denn die Schäden werden nicht erst 2100 auftreten, sie sind bereits heute sichtbar – zum Beispiel bei den verheerenden Über­schwemmungen in Pakistan. Müssten die Verursacher von Emissionen für solche Schäden aufkommen, hätten sie auch selbst ein sehr grosses Eigen­interesse, ihren Treibhausgas­ausstoss rasch zu reduzieren. Aber um ehrlich zu sein: Gejubelt habe ich nicht, als wir die Agenda beschlossen.

Wieso nicht?
Die USA haben eine Fussnote reingedrückt, die eine Debatte über direkte Haftung für Klima­schäden ausschliesst. Eine Haftung würde vorsehen, dass jene Länder bezahlen müssten, die haupt­verantwortlich sind für die Krise. Jetzt wird man wohl einen neuen Fonds schaffen, in den willige Geber­staaten freiwillig Geld einzahlen können. Die Summen, die aber maximal gesprochen würden, sind weit von dem entfernt, was zum Beispiel Pakistan jetzt bräuchte. Egal, was die Konferenz dieses Jahr beschliesst, das Geld wird niemals reichen.

Industrienationen – darunter auch die Schweiz – scheuen rechtlich einklagbare Reparations­zahlungen wie der Teufel das Weih­wasser. Sie müssten die Last letztlich allein tragen, weil sie historisch am meisten CO-Emissionen verursacht haben.
Ich halte diese Position für bereits überholt. Denn die Entwicklungs- und Schwellen­länder holen mit ihren Emissionen gerade mächtig auf. Gäbe es einen solchen Haftungs­mechanismus, müsste zum Beispiel China bald kräftig mitzahlen. Darum glaube ich, die Zeit würde für Länder wie die Schweiz spielen – wobei das wieder zum Problem werden könnte.

Wieso?
Sobald die Entwicklungs­länder Schäden mitbezahlen müssten, dürften sie einen Haftungs­mechanismus nicht mehr unterstützen.

Letztes Jahr feilschte der US-Klima-Sonder­beauftragte John Kerry mit China und Indien bis zur letzten Minute um den Kohle­ausstieg. Am Ende war dann in der Mantel­erklärung anstatt vom schritt­weisen Ausstieg («phase-out») aus der Kohle nur vom schritt­weisen Abbau («phase-down») die Rede. Das ist Wort­klauberei, die in der Realität keinen Unter­schied machen wird.
Dieser Aussage würde ich widersprechen. Kaum hatte die Klima­konferenz den Mantel­entscheid getroffen, trat der damalige australische Premier­minister vor die Medien und sagte, die Uno habe gerade bestätigt, dass ihre auf Kohle­exporten basierende Wirtschaft eine gute Sache sei. Ein anderes Beispiel: Angenommen, die Konferenz würde sagen, man müsse der Atmosphäre dringend direkt CO entnehmen. Das wäre ein Boost für Unter­nehmen wie Climeworks, die solche Carbon-capture-Anlagen herstellen. Investoren würden noch stärker investieren, obwohl es keinerlei Regeln oder finanzielle Anreize dafür gäbe. Fällen 200 Staaten unisono einen Entscheid, wirkt sich das auf den Markt aus und eröffnet neue Geschäfts­felder.

Gibt es Ideen für Mechanismen, damit die beschlossenen Texte eines Tages für alle verbindlicher werden?
Wir haben 2009 in Kopenhagen versucht, eine Architektur zu bauen, die dazu hätte führen sollen, dass die Beschlüsse verbindlicher werden. Das scheiterte aber an den grossen Emittenten wie China, die nicht wollten, dass die Uno entscheiden kann, wie viel Kohle, Öl und Gas sie noch verbrennen dürfen. So hätte der Mechanismus letztlich funktioniert. Auf globaler Ebene erachte ich heute Anreiz­systeme aber als viel erfolg­versprechender.

Wie könnte ein solches Anreiz­system genau aussehen?
Der Wirtschaft ist es letztlich egal, welche Spielregeln gelten, solange sich alle an dieselben Spielregeln halten müssen. Deshalb ist die Idee der Klimaklubs entstanden. Darin würden Länder zusammen­kommen, die gemeinsame Regeln verabschieden – also zum Beispiel eine CO-Abgabe oder strenge Emissions­vorschriften. Der Handel unter den jeweiligen Klub­mitgliedern wäre zollfrei, während Importe von Gütern, die mit zu billigem Öl oder zu billiger Kohle hergestellt wurden, aus allen anderen Staaten mit Gebühren belastet würden. Es gäbe also für jene Handels­partner einen Anreiz, die Regeln zu übernehmen, damit sie keinen Wettbewerbs­nachteil in Kauf nehmen müssten. Auf der Ebene der Klima­konferenz mit 200 Mitgliedern wäre ein solches Konstrukt schwierig umzusetzen, aber der deutsche Bundes­kanzler Olaf Scholz hat einen Vorschlag für einen Klimaklub bei den G-7 eingereicht. Mit weniger Akteuren könnte es funktionieren – am besten wäre eine Koalition zukunfts­orientierter Länder, die zusammen eine relevante Wirtschafts­kraft haben.

Die Klima­konferenz wird von allen Seiten immer wieder angegriffen, aber auch überhöht. Bei welchen Aussagen verdrehen Sie die Augen?
Ich staune, wie viele Menschen noch glauben, man könne die Welt retten, indem in Sharm al-Sheikh oder New York ganz viele Leute zusammen­kommen und sich zunicken. Dass diese Hoffnung noch da ist, scheint mir nach den bisherigen Erfahrungen erstaunlich naiv. Wir dürfen die Hoffnung nie verlieren, aber nur das, was wir zu Hause in Angriff nehmen, hat überhaupt eine Chance international.

Zweitens?
Dass man meint, die Delegation könnte an der Konferenz frei über die Position der Schweiz entscheiden und dann letztlich fürs Resultat verantwortlich gemacht werden. Der Bundesrat legt in seinem Verhandlungs­mandat fest, was wir hier erreichen wollen und wie weit ein Resultat gerade noch akzeptabel wäre. Wo sich das Schluss­resultat dann einpendelt, entscheidet – leider – nicht die Schweiz allein.

Drittens?
Bei der Kritik, dass eine solche Konferenz extrem viele Flug­emissionen verursache.

Der Klassiker.
Die Kritik missachtet, dass hier ganz viele Akteure zusammen­kommen, die Klima­lösungen massiv voran­treiben und skalieren. Nur etwa 10 Prozent der anwesenden Menschen beteiligen sich an den Verhandlungen. Die restlichen 90 Prozent kommen aus der Wirtschaft oder der Zivil­gesellschaft, tauschen Lösungen und Projekte aus. Eine sehr effiziente Art, Klima­schutz zu betreiben. Gestern traf ich einen früheren Kollegen aus der Schweiz, der nur für wenige Tage hier war. Ich fragte ihn, was das soll. Er antwortete, mit der Konferenz hätte er neun andere Reisen substituiert, weil er Entscheidungen, Gelder und Unter­schriften von Ministerinnen und Financiers einholen konnte, die er ansonsten extra hätte besuchen müssen. Die Wirtschaft, die letztlich Klima­lösungen umsetzt, profitiert stark von der grossen Nähe der Akteure.

Eine Republik-Leserin schreibt, ihre Erwartungen an dieses Format der Welt­gemeinschaft würden immer bescheidener. Ist eine solche Konferenz im schlimmsten Fall nicht sogar kontra­produktiv, weil damit das Gefühl gestärkt wird, dass es ja ein zuständiges Organ gäbe und darum andere politische und zivil­gesellschaftliche Initiativen wenig beitragen müssten?
Im Gegenteil: Die Konferenz stärkt die Zivil­gesellschaft. Allein aus dem Nicht-Wirtschafts-Sektor sind etwa 10’000 Leute an die Konferenz gereist. Sie nehmen eine grosse Kraft in ihr Land zurück; sie sehen, dass wir hier keine Welt­lösung finden werden und uns dann pensionieren lassen können. Sie sehen, dass es allein auf diese Weise nicht funktioniert. Aber sie sehen auch, dass sie nicht allein sind in ihrem Engagement für mehr Klima­schutz und zu Hause umso beherzter zupacken müssen.

Eine andere Leserin schreibt, die Klimakrise mache sie sehr betroffen und gelegentlich würden auch Tränen fliessen. Sie fragt: Verspüren Sie nach all den Jahren auch noch Betroffenheit?
Auf jeden Fall. Nachdem im Juni 2021 klar geworden war, dass es auch in der Schweiz nicht möglich ist, die notwendige Klima­politik zu betreiben, flossen am meisten Tränen. Da konnte man nicht mehr sagen, eine böse Partei sei schuld, denn eine Mehrheit hat so entschieden. Ein kollektives Versagen.

Die Leserin interessiert auch, wie Sie mit dieser Betroffenheit umgehen.
Im Sommer habe ich die Klimautopie «Das Ministerium für die Zukunft» von Kim Stanley Robinson gelesen. Normaler­weise lese ich keine so dicken Bücher, der Roman umfasst über 700 Seiten. Stanley Robinson zeigt einerseits auf, wie sich die Welt weiter­entwickeln könnte, wenn wir jetzt in der Schweiz, aber auch global nicht handeln. Andererseits bietet das Buch aber auch eine Idee, wie Politik aussehen könnte, die sich nicht nur im Schnecken­tempo fortbewegt. Es beschäftigt sich mit Möglichkeiten abseits unserer heutigen realpolitischen Vorstellungs­kraft. Und die fehlende Vorstellungs­kraft hindert uns letztlich, die ganz grossen Schritte zu nehmen.

Die Klimakrise ist in ihrer Monstrosität auch eine Krise für den Journalismus. Die Republik startet darum im Januar ein Klimalabor, um zusammen mit Ihnen herauszufinden, was das ist: Journalismus, der uns in der Klimakrise wirklich weiterbringt.