Geheimsache Doping: Berner Arzt verurteilt

Erstmals ist in der Schweiz ein Arzt wegen Doping­delikten verurteilt worden. Seine Verbindungen zum russischen Staats­doping waren nach Recherchen der Republik bekannt geworden.

Von Carlos Hanimann, 04.11.2022

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Vorgelesen von Egon Fässler
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Er wollte frische Luft schnappen. Oder sich die Beine vertreten. Jedenfalls trug er nur einen dünnen Pulli über dem aufgeknöpften Hemd. Die Ärmel hatte er hoch­gekrempelt. Er sah gelassen aus, als der Fotograf der Republik aus sicherer Distanz auf den Auslöser drückte. Der Berner Sportarzt ahnte offensichtlich nicht im Geringsten, dass er an diesem Morgen im Januar 2018 ganz genau beobachtet wurde. Und zwar nicht nur von Journalisten.

Der Arzt, der so unbeschwert wirkte, war kein gewöhnlicher Sportarzt. Ein Teil seiner Patientinnen suchte ihn aus einem ganz bestimmten Grund auf.

Schon lange gab es Gerüchte über den Arzt, der selbst ein ambitionierter Sportler war und an einem international bekannten Wettkampf einen Spitzen­platz belegt hatte. Die Strafverfolgungs­behörden hatten ihn deswegen seit Jahren auf dem Schirm: Seit den späten Nuller­jahren verdächtigten sie ihn, im grossen Stil Doping­mittel zu verkaufen und zu spritzen. Radfahrer, Boxerinnen, Triathletinnen, Langläufer aus der Schweiz und aus dem Ausland sollen zu seinen Kundinnen gezählt haben. So vermuteten es jedenfalls Doping­jäger aus der Sportwelt und bei den Straf­verfolgern.

Mindestens einmal waren die Ermittler dem Arzt dicht auf den Fersen gewesen. Aber der grosse Ermittlungs­erfolg blieb aus. Bis zum Januar 2018.

Die Festnahme

An diesem Morgen Ende Januar gingen vor der Arzt­praxis in Bern mehrere Polizisten in Zivil auf und ab, sie trugen kleine Video­kameras in den Händen und filmten, wer den Sportarzt in seiner Praxis besuchte. Die Observation war Teil einer grösseren Untersuchung der Berner Straf­verfolgungs­behörden gegen den Sportarzt.

Dann, nur wenige Tage bevor in Südkorea die Olympischen Winter­spiele begannen, schlugen die Ermittler zu: Sie nahmen den Sportarzt fest, durchsuchten mehrere Häuser, darunter auch die Arzt­praxis in der Berner Innenstadt, beschlagnahmten Unter­lagen und elektronische Daten­träger.

Matthias Kamber, der damalige Direktor von Antidoping Schweiz (heute: Swiss Sport Integrity), gab sich kurz darauf in einem Interview mit der Republik überrascht über die Ereignisse. Auf die Frage, wie viele Doping­ärzte es in der Schweiz gebe, sagte er: «Es gilt die Unschulds­vermutung. Aber wenn sich der aktuelle Fall bestätigen sollte, wäre das der erste.»

Danach herrschte lange Schweigen. Bis jetzt.

Fast fünf Jahre später ist der Fall des Berner Doping­arztes abgeschlossen: Erstmals überhaupt ist in der Schweiz ein Arzt wegen Abgabe von Doping­mitteln verurteilt worden. Ende Oktober hat der fragliche Sportarzt den Straf­befehl der Staats­anwaltschaft Bern akzeptiert, das Urteil gegen ihn ist damit rechtskräftig.

Der Berner Doping­arzt ist schuldig der mehrfachen Wider­handlungen gegen das Sport­förderungs­gesetz und wird zu einer bedingten Geldstrafe von 123 Tages­sätzen à 170 Franken verurteilt (20’910 Franken) – dies bei einer Probezeit von zwei Jahren. Der Berner Arzt hat gemäss Straf­befehl in den Jahren 2015 bis 2018 Doping­mittel im Wert von rund 20’000 Franken an Freunde, Kolleginnen und Patienten verkauft, die als Hobby- und Freizeit­sportlerinnen ihre Fitness-, Muskel- und Gewichts­werte verbessern wollten. Zusätzlich muss der Arzt die Verfahrens­kosten in der Höhe von rund 34’000 Franken tragen.

Der Straf­befehl ist ein Erfolg für die Ermittler, weil es ihnen erstmals gelungen ist, ein Doping­vergehen nachzuweisen. Allerdings konnten sie dem Berner Arzt nur die Abgabe von Doping­mitteln an Hobby­sportler zur Last legen, nicht aber im Profi­bereich.

Viele Vorwürfe gegen den Arzt sind mittlerweile verjährt oder wurden zwar von der Staats­anwaltschaft untersucht, aber fanden letztlich nicht Eingang in den Straf­befehl. Das gilt auch für die Vorwürfe, die den Arzt und seine Praktiken 2018 in die Schlag­zeilen brachten.

Die Akte Bern

Im Februar 2018 veröffentlichte die Republik gemeinsam mit der ARD-Doping­redaktion und anderen Medien­partnern eine mehrteilige Recherche­serie zum Thema Doping: Was der russische Präsident Wladimir Putin vom staatlichen Doping­programm wusste, was der Berner Arzt damit zu tun hatte und wie der Antidoping­kampf manipuliert werden konnte.

Die Republik konnte unter anderem belegen, dass der Berner Arzt verbotene Doping­mittel verschreibt. Dafür hatte sie einen Spitzen­sportler mit versteckter Kamera in seine Praxis geschickt. Der Arzt plauderte schon beim ersten Treffen freimütig darüber, dass er früher Rad­sportlern beim Dopen geholfen hatte, beriet dann den Spitzen­sportler dabei, wie auch er mithilfe verbotener Doping­mittel seine Leistung steigern könne, und bot ihm diese Mittel gleich selbst an.

Ausserdem zeigten vertrauliche E-Mails, dass der Berner Arzt zwischen 2013 und 2017 einen engen Austausch mit Sergei Portugalow pflegte, dem einstigen Chef­mediziner der russischen Leicht­athleten. Dieser war Ende 2014 nach einer Recherche des Investigativ­journalisten Hajo Seppelt als einer der führenden Köpfe des russischen Staats­dopings aufgeflogen.

Sergei Portugalow galt als Antidoping­experte, gleichzeitig verschrieb er den russischen Topathletinnen EPO, Somatropin oder Testosteron, manipulierte Doping­tests und verlangte von den erfolgreichen Athleten eine Art Doping­gebühr von 5 Prozent der Sieger­prämie. 2017 hat ihn der Internationale Sport­gerichtshof CAS lebens­länglich gesperrt.

Just in dieser Zeit tauschte sich der Berner Sportarzt, der nebenamtlich auch als Arzt auf Ausschaffungs­flügen für das Staats­sekretariat für Migration tätig war, regelmässig per E-Mail mit Portugalow aus. Er sollte für Portugalow nicht näher bekannte Präparate testen und traf ihn auch persönlich in Mailand und Moskau. Das ergibt sich aus E-Mails, die der Republik vorliegen.

Fast zur gleichen Zeit, als diese Vorwürfe publik wurden, ermittelten die Berner Straf­verfolger gegen den Sportarzt. Nicht zum ersten Mal.

Bereits 2009 waren die Ermittler vom Präsidenten des internationalen Radsport­verbands auf den Berner Arzt aufmerksam gemacht worden: Er stelle falsche Atteste aus, verabreiche Sportlern Doping oder zeige ihnen, wie es gehe. Ausserdem biete er Eigenblut­doping an, hiess es. Die dafür notwendigen Blut­konserven lagere er in einer eigens dafür gemieteten Wohnung.

Die Angaben kamen damals von einem Informanten aus dem Profi­radsport. Der Kron­zeuge war einiges Risiko eingegangen und hatte eigenhändig Doping­utensilien des Arztes eingesammelt und dem Radsport­verband geschickt. Aber als die Berner Straf­verfolger den Informanten im Frühling 2010 zur Einvernahme luden, bekam er kalte Füsse. Er fürchtete, seine Identität könnte öffentlich bekannt werden und sein Ruf darunter leiden, dass ein naher Verwandter sich vom Arzt hatte dopen lassen. Die Ermittlungen gerieten ins Stocken.

Das Interesse fehlt

Die Staats­anwaltschaft Bern verfolgte mehrere Spuren, bei denen es um die Abgabe von Doping­mitteln im Profisport­bereich ging. Aber sie verliefen alle im Sand. Der Fall des Rad­sportlers etwa ist mittlerweile verjährt und ist auch nicht mehr Gegenstand des Ende Juli ausgestellten Straf­befehls. Die von der Republik und ihren Medien­partnern verdeckt aufgenommenen Beratungs­gespräche waren offenbar Teil der Straf­untersuchung, genügten allerdings nicht als Beweise in einem strafrechtlichen Sinne – unter anderem deshalb, weil der Arzt vor laufender Kamera zwar über Doping­mittel informierte und sie dem Sportler auch anbot, aber sie letztlich nicht übergab.

Grundsätzlich gilt es in der Schweiz als schwierig, nicht bloss gedopte Sportlerinnen zu überführen, sondern auch die Hinter­leute, die Doping­mittel vermitteln, verkaufen und spritzen. Bislang ist in der Schweiz nie ein grösseres Doping­netzwerk aufgeflogen. Fach­personen kritisieren, dass es am Interesse fehle, Doping schärfer zu verfolgen.

Die Antidoping­agentur Swiss Sport Integrity begrüsst auf Anfrage «die Nachverfolgung und Verurteilung von Verstössen gegen das Sportförderungs­gesetz explizit», äussert sich jedoch nicht konkret zum Fall des Berner Arztes: «Was die Prüfung eines Disziplinar­verfahrens anbetrifft, können wir zum jetzigen Zeitpunkt leider keine Informationen kommunizieren.» Man äussere sich grundsätzlich erst, wenn ein allfälliges Disziplinar­verfahren abgeschlossen sei.

Das Staats­sekretariat für Migration lässt ausrichten, dass der Berner Arzt seit Ende 2017 nicht mehr auf Ausschaffungs­flügen eingesetzt worden sei – «und wird es bis auf weiteres auch nicht sein».

Der Berner Arzt lässt über seinen Anwalt ausrichten, dass er «Medikamente, die auf der Doping­liste stehen», bloss an den «erweiterten Freundes-, Kollegen- und Patienten­kreis» abgegeben habe, nicht aber an Spitzen­sportler. Nur weil in diesem Fall der Arzt auch Sportler sei, bedeute dies nicht, dass die Swiss Sport Integrity (vormals Antidoping Schweiz) «einem Doping­arzt auf der Spur war».

Kontakte «zur Russen-Doping­mafia oder ganz grundsätzlich zu Spitzen­sportlern» seien durch die Staats­anwaltschaft «trotz intensiver Ermittlungen» keine festgestellt worden. «Dies aus dem einfachen Grund, da solche (entgegen den medial verbreiteten Behauptungen) auch nie existiert haben.»

Der Arzt hält weiter fest, dass er in «delikts­relevanten Fällen Personen in Lebens­krisen beraten und Empfehlungen betreffend Anti-Aging-Methoden abgegeben» habe. «Dies erwies sich nach dem Sport­förderungs­gesetz als tatbestands­mässig, hatte aber gleichwohl keinen Bezug zu wettbewerbs­verzerrenden Machen­schaften im Sport und schon gar keinen Bezug zum Profi- oder Spitzen­sport. Ich gefährdete in keinem der Fälle Personen hinsichtlich ihrer Gesundheit.»

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