Brrrrr ...!

Was passiert genau in der Wirtschaft, wenn die National­bank die Zinsen erhöht und damit die Zügel anzieht? Ein Erklär­text zur aktuellen Geldpolitik.

Von Simon Schmid (Text) und Adam Higton (Illustration), 04.10.2022

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Transmissions­mechanismus.

Falls Ihnen dieser Begriff nichts sagt, dann sind Sie hier genau richtig.

Falls schon: Haben Sie sich mal gefragt, wie dieser Mechanismus eigentlich läuft – jetzt, da die Ära der Negativ­zinsen vorbei ist und die Geld­politik in der Schweiz (fast) wieder so funktioniert wie in der Zeit davor?

Aufsatteln, bitte!

Am 22. September hat die Schweizerische National­bank (SNB) eine Medien­konferenz abgehalten und dabei verkündet, dass sie den Leitzins vom negativen in den positiven Bereich erhöht: von –0,25 Prozent auf 0,5 Prozent und damit auf einen so hohen Satz wie schon lange nicht mehr.

Ein solcher Schritt setzt in der Wirtschaft einiges in Bewegung.

Was genau?

Eine beliebte Metapher für die Geld­politik ist das Auto. Eine Noten­bank senkt die Zinsen: Sie «gibt Gas». Oder sie hebt die Zinsen an: Sie «bremst».

Dieses Bild ist einigermassen hilfreich, wenn man sich die Wirtschaft als mechanisches Gebilde vorstellt. Eine bestimmte Aktion – «den Fuss vom Gas nehmen und auf die Bremse treten» – zieht dann ganz bestimmte Folgen nach sich. So beinhaltet der Transmissions­mechanismus des Bremsens ...

  1. ... den Motor: Er dreht weniger schnell.

  2. ... die Bremsscheiben: Hier entsteht Reibung.

  3. ... das ganze Auto: Es wird langsamer.

Doch die Wirtschaft ist kein Auto. Sondern, wenn überhaupt, dann eher eine Herde von wilden Pferden: ein Kollektiv, das da und dort vielleicht schon auf Kommandos hört («Hüa!», «Brrrrr!»), aber dessen Verhalten doch schwer vorhersehbar ist. Vielleicht galoppieren die Pferde los, vielleicht nicht.

Und damit sind wir schon mitten im Thema.

1. Die Nationalbank hebt den Leitzins

Die National­bank hat also den Leitzins angehoben: um 0,75 Prozent­punkte. Das ist eine geldpolitische Straffung. Um im Bild zu bleiben (und eine weitere beliebte Floskel zu gebrauchen): Die SNB hat die Zügel angezogen.

Indirekt betrifft das in der Volks­wirtschaft wie gesagt sehr viele Akteure.

Doch effektiv merkt in einem ersten Schritt nur eine spezielle Gruppe etwas davon: die Teilnehmerinnen am sogenannten Geld­markt. Das ist der Markt für kurzfristige Kredite mit einer Rückzahl­frist von Tagen oder Monaten, an dem neben der National­bank primär Banken und grosse Unternehmen handeln.

Die Nationalbank dominiert diesen Markt beziehungsweise den Teil davon, der in Schweizer Franken abgewickelt wird. Dies, indem sie den sogenannten Leitzins festsetzt: den Zins, den Banken erhalten, wenn sie Geld auf einem SNB-Konto deponieren (bis vor kurzem mussten sie einen Zins bezahlen).

Es geht wieder über null

SNB-Leitzins

200020052010201520200,5 %−2024 %

Bis Mai 2019: Mittelpunkt des Ziel­bands beim 3-Monats-Libor. Danach: SNB-Leitzins. Quelle: SNB

Setzt die National­bank einen Leitzins von 0,5 Prozent fest, so gilt dieser Zins vereinfacht gesagt auch für alle anderen Trans­aktionen am Geld­markt. Jede Teilnehmerin – sei es eine Bank oder eine Firma – die einen kurzfristigen Kredit erhalten will, muss bereit sein, mindestens 0,5 Prozent dafür zu bezahlen. Andern­falls wäre es aus Sicht der Kredit­geberin lukrativer, das Geld nicht zu verleihen, sondern einfach bei der SNB zu deponieren.

Wie gesagt: Ganz direkt betrifft eine Leitzins­änderung nicht viele Akteure. Doch indirekt setzt sie eine ganze Kette von Ereignissen in Bewegung.

2. Der Finanzmarkt reagiert

Ein Schau­platz, an dem sich diese Ereignisse abspielen, ist der Finanz­markt.

Leitzins­anpassungen haben typischerweise zur Folge, dass sich auch die langfristigen Zinsen verändern. Also zum Beispiel die Zinsen, zu denen sich Staaten verschulden können. Sie werden auch Anleihen­renditen genannt.

Allgemein gilt: Steigt der Leit­zins, so steigen auch die langfristigen Zinsen. Das ergibt Sinn, denn ein lang­fristiger Kredit entspricht in gewisser Weise einem kurzfristigen Kredit, der immer und immer wieder erneuert wird.

Als die National­bank vergangene Woche aber den Leitzins anhob, passierte mit den langfristigen Zinsen – gar nichts. Eidgenössische Anleihen mit zehn­jähriger Laufzeit bewegten sich an jenem Tag fast nicht von der Stelle.

Warum?

Wegen der Erwartungen.

Das Nerven­zentrum der Wirtschaft – der Finanz­markt – hat bereits seit einiger Zeit damit gerechnet, dass die National­bank früher oder später so etwas wie «Brrrrr!» rufen würde: ein Kommando, um die Wirt­schaft zu verlangsamen. Und er hat deshalb vorsorglich bereits reagiert: Die Kosten, sich langfristig zu verschulden, sind schon Anfang 2022 gestiegen.

Geld aufnehmen ist nicht mehr gratis

Rendite auf 10-jährige eidgenössische Anleihen

201820192020202120221,3 %−1012 %

Quelle: investing.com

Als die SNB am 22. September dann tatsächlich «Brrrrr!» rief, entsprach dies etwa dem, was Finanzmarkt­teilnehmer weltweit antizipiert hatten.

3. Die Währung wird stärker

Aber nicht ganz. Denn an jenem Tag veränderte sich noch etwas anderes: Der Franken wurde schwächer. Das ist zwar etwas unlogisch, da Währungen normaler­weise stärker werden, wenn eine Noten­bank die Zinsen erhöht.

Doch an diesem spezifischen Tag hatten die Finanz­märkte eben eine noch deutlichere Zins­erhöhung erwartet: +1 statt nur +0,75 Prozent­punkte. Sie hatten gedacht, die SNB würde am 22. September nicht «Brrrrr!», sondern «BRRRRR!» rufen. Diese falsche Erwartung wurde in der Folge korrigiert.

Sieht man von dieser Kuriosität ab und blickt statt­dessen auf den Kurs­verlauf der letzten sechs Monate, so erkennt man einen deutlichen Trend. Und dieser Trend steht auch ganz im Einklang mit der Theorie: Der Franken ist stärker geworden. Seit Juni hat er etwa zum Euro rund 7 Prozent zugelegt.

Die Schweizer Währung ist stärker geworden

Eurokurs in Franken

Achse gekürztJanMrzMaiJulSep0,950,940,971,001,031,06 Franken

Quelle: Yahoo Finance

Darin wider­spiegelt sich einerseits die Tatsache, dass die Geld­politik in der Schweiz restriktiver geworden ist. Anderer­seits kommt zum Ausdruck, dass der Euro zurzeit (und nicht zum ersten Mal) eine Schwäche­phase durch­läuft.

So oder so sind solche Währungs­bewegungen für Noten­banken wie die SNB sehr wichtig. So wichtig sogar, dass sie in den Wirtschafts­wissenschaften eine eigene Bezeichnung haben: Wechselkurs­kanal.

Kanäle, über welche die Geld­politik wirkt, gibt es übrigens mehrere. Aber dazu später. Der Wechselkurs­kanal funktioniert aktuell so:

  • Wird die Währung stärker, so werden importierte Waren günstiger. Das dämpft in der Folge die Inflation, und zwar verhältnis­mässig rasch. Und das wiederum hilft einer Noten­bank in Situationen wie jetzt – mit weltweit hohen Energie- und Nahrungsmittel­preisen –, ihr Hauptziel zu erreichen: Preis­stabilität. Gerade für kleine, offene Volks­wirtschaften wie die Schweiz ist der Wechsel­kurs bei der Transmission der Geld­politik absolut zentral.

  • Exportierte Waren werden im Gegen­zug teurer. Dieser Aspekt ist ebenfalls wichtig, aber es dauert etwas länger, bis es sich in den Inflations­zahlen niederschlägt. Wird der Franken stärker, so erhalten Export­firmen in der Regel weniger Aufträge oder müssen eine tiefere Marge in Kauf nehmen. Beides ist schlecht fürs Geschäft. Es werden weniger Arbeits­kräfte angestellt, die Löhne in den betroffenen Branchen steigen weniger rasch.

3. Die Binnen­konjunktur kühlt sich ab

Export­firmen sind ein wichtiger Teil der Schweizer Wirtschaft. Aber es sind nicht die einzigen Firmen, die von der Geld­politik beeinflusst werden.

Denn steigende Zinsen bedeuten auch höhere Finanzierungs­kosten. Sei es ein Pharma­multi, der Kapital über eine Anleihe aufnehmen will, oder sei es ein Tante-Emma-Laden, der bei der Bank einen Kredit beantragt: Wer sich in Schweizer Franken verschulden will, wird höhere Zins­kosten tragen müssen.

Diese Kosten sind eine ökonomische Hürde. Je höher sie ist, desto mehr Projekte werden gar nicht erst in Angriff genommen. Und das wiederum setzt eine ähnliche Dynamik in Gang, wie wir sie eben beschrieben haben: Es wird weniger investiert, es gibt weniger Umsatz für Lieferanten, weniger Ausgaben für Güter und Dienst­leistungen, weniger Lohn­erhöhungen, weniger Inflation.

Man nennt diesen Teil des Transmissions­mechanismus: Zins­kanal.

Dieser Kanal wirkt auch nachfrage­seitig. Höhere Zinsen sind ein Anreiz, mehr Geld zu sparen, statt es auszugeben. Und das wiederum bedeutet weniger Konsum. Und das wiederum weniger Umsatz für Unternehmen, weniger Lohn­erhöhungen ... Sie wissen inzwischen, worauf das hinaus­läuft.

Wenn Sie ein Lehr­buch über Geld­politik lesen, dann nimmt der Zins­kanal dort viel Platz ein. Doch zur­zeit spielt er in der Schweiz keine grosse Rolle.

Denn erstens sind die Zinsen noch immer recht tief, besonders wenn man sie real betrachtet: Eine Firma, die ihre Preise im Gleichschritt mit der allgemeinen Inflation, die momentan herrscht, um 3 Prozent anheben kann, wird mit dem jüngsten Anstieg der Finanzierungs­kosten kaum ein Problem haben.

Die Teuerung hilft Kreditnehmern

Rechenbeispiel: Einfluss der Inflation auf den Zins

Nomineller Zins05 % Realer (inflationsbereinigter) Zins02 %

Bei einer Inflation von 3 Prozent: 5 % – 3 % = 2 %. Quelle: eigene Berechnungen

Und zweitens wird kaum jemand seine Ausgaben drastisch kürzen, nur weil die Hausbank bald 0,5 Prozent statt wie bisher 0 Prozent Spar­zinsen zahlt.

Für grosse Teile der Binnen­wirtschaft sind die Zins­erhöhungen der National­bank in ihrem bisherigen Ausmass deshalb nicht so einschneidend.

Doch es gibt eine Branche, in der das nicht so ist.

4. Der Immobilien­markt wird gezähmt

Seit die Zinsen tief sind – also seit über zehn Jahren – sind Immobilien unablässig teurer geworden. Der Fall war klar: Kaufen ist günstiger als mieten.

Das hat viele Leute dazu animiert, ein Haus oder eine Wohnung zu kaufen, selbst wenn sie dazu eine ziemlich grosse Hypothek aufnehmen mussten. Und auch Pensions­kassen sahen Immobilien als gute Anlage­möglichkeit.

Inzwischen ist das anders.

  • Grossinvestoren haben wieder Alternativen. Statt in Immobilien können sie – wegen der gestiegenen Zinsen – ihr Geld mit besseren Aussichten auch wieder anders anlegen, beispielsweise in Obligationen.

  • Fixhypotheken sind teurer geworden. Private Käufer können sich nicht mehr auf 10 oder 15 Jahre hinaus zu extrem günstigen Konditionen verschulden. Das ist schon seit Ende letzten Jahres so.

  • Und auch sogenannte Saron-Hypotheken, die an den Leitzins gekoppelt und zuletzt sehr beliebt geworden sind, werden jetzt teurer. Das trifft jene, die bereits eine solche Hypothek haben – und jene, die es sich überlegen.

Die eiserne Regel, dass Kaufen günstiger ist als Mieten, gerät damit ins Wanken. Dies zeigt ein simples Rechen­beispiel anhand einer fiktiven Wohnung, die preislich ungefähr dem Schweizer Durchschnitt entspricht.

  • Beim jetzigen Leitzins von 0,5 Prozent lohnt es sich, die Wohnung zu kaufen: Monatlicher Zins und Unterhalt sind günstiger als die Miete einer gleich grossen Wohnung.

  • Bereits nach dem nächsten SNB-Zinsschritt könnte der Kosten­vergleich jedoch schon ausgeglichen ausfallen.

  • Und falls die SNB dereinst beschliessen sollte, den Leitzins auf 2 Prozent anzuheben, dann würde der Wohnungs­kauf bereits merklich höhere laufende Kosten verursachen als die Miete.

Bei höheren Zinsen wird Mieten günstiger

Vergleich der monatlichen Kosten

Kostenvorteil beim Kaufen
Kostenvorteil beim Mieten
0 %1 %2 %3 %SNB-Leitzins−60+0+60 % VorteilBei Leitzins von 0,5 %+25 %Bei Leitzins von 2 %−20 %

Lesebeispiel: Beim Leitzins von 0,5 Prozent beträgt der Kostenvorteil beim Kaufen 25 Prozent. Annahmen: Kauf einer durchschnittlichen Eigentums­wohnung in der Schweiz (ca. 110 Quadrat­meter im Wert von 825’000 Franken), finanziert mit 20 Prozent Eigen­kapital. Die monatlichen Kosten setzen sich aus dem Saron-Zins­satz zuzüglich 1 Prozent Marge und 1 Prozent Unterhalt zusammen. Die Wert­entwicklung wird als konstant angenommen. Die Monats­miete einer solchen Wohnung beträgt zurzeit 1833 Franken. Quelle: Wüest Partner, eigene Berechnungen

Unter anderem aus diesem Grund dürften sich die Immobilien­preise nach Einschätzung vieler Experten jetzt stabilisieren. Und auch die Bau­konjunktur dürfte sich abschwächen (was allerdings nicht nur an den Zinsen liegt, sondern auch an den Bau­kosten, die in letzter Zeit stark gestiegen sind).

Beides dämpft die Inflation und beides ist somit im Sinne der SNB.

Auch wenn man die Brems­effekte, die vom Immobilien­markt ausgehen, nicht überschätzen sollte – für einen Immobilien­crash bräuchte es noch viel höhere Zinsen als jetzt – so illustriert dieser Markt doch gut, welche subtilen Mechanismen bei der Transmission der Geld­politik ineinander­greifen.

5. Vermögen ist weniger wert

Wenn Immobilien teuer sind, dann sind Immobilien­besitzer reich. Und damit in der Regel auch ausgaben­freudig. Dasselbe gilt für Aktien, für Gold und sogar für Krypto­währungen: Gewinnen diese Dinge an Wert, so nimmt auch die Bereitschaft ihrer Besitzerinnen zu, Geld auszugeben.

Diesen sogenannten Vermögens­kanal hat sich die Geld­politik in den USA, aber auch in Europa seit der Finanz­krise zunutze gemacht. Mit tiefen Zinsen hat sie dafür gesorgt, dass die Vermögens­preise nicht gefallen, sondern gestiegen sind, was wiederum der Konjunktur geholfen hat.

Auch in der Schweiz dürfte dieser Effekt in den vergangenen Jahren mitgespielt haben – wenn auch in geringerem Ausmass, da der hiesige Konsum ohnehin weniger schwankungs­anfällig ist und auch die Schweizer Börse weniger krasse Ausschläge erfuhr als etwa die amerikanische.

Doch auch in der Schweiz sind die Kurse seit Ende vergangenen Jahres gefallen. Die Ersparnisse all jener, die in Schweizer Aktien investiert haben, sind damit wieder auf ihren Wert von vor zwei Jahren gefallen.

Der Börsenboom ist zu Ende

Swiss-Market-Index

Achse gekürzt201620182020202210’138600010’00014’000 Punkte

Quelle: Investing.com

Ob das nun eine Normalisierung ist oder bereits ein Crash, sei dahin­gestellt. In der Tendenz wirkt der Vermögens­kanal jedenfalls inflations­dämpfend.

Machen wir hier kurz einen Punkt.

Sie sehen: Die transmissions­technische Diskussion ist bereits jetzt ziemlich kompliziert. Und es ist nicht ganz einfach, korrekt vorherzusehen, wie die einzelnen Pferde auf einen Zuruf wie «Brrrrr!» genau reagieren.

Doch es wird noch komplizierter.

6. Die Rolle externer Schocks

Denn die aktuelle Geld­politik wird in einem Umfeld extremer Unsicherheit geführt. Man weiss nicht genau, wie fit die Wirtschaft nach der Pandemie eigentlich wieder ist. Und man weiss noch viel weniger, wie sich die globale Gross­wetter­lage in den kommenden Monaten und Jahren präsentieren wird.

Die Haupt­frage lautet: Geht die Inflation von selbst wieder zurück?

Diese Frage ist deshalb so wichtig, weil die jeweilige Antwort für eine Noten­bank völlig unterschiedliche Konsequenzen haben kann:

  • Die beste Antwort auf einen temporären Schock ist, gar nichts zu tun (eine geldpolitische Straffung hätte nur unnötige negative Neben­wirkungen).

  • Die beste Antwort auf einen permanenten Schock ist, die Geld­politik aggressiv zu straffen (damit verhindert man zwar den wirtschaftlichen Schaden nicht, aber immerhin wahrt man die Preis­stabilität).

Was tun? Beide Szenarien sind einigermassen plausibel:

  • Der Schock ist permanent: Der Ukraine­krieg könnte noch lange dauern, das Corona­virus bleibt ein Problem, die Dekarbonisierung kostet viel Geld, eine Ära der Deglobalisierung bricht an. All das könnte bedeuten, dass die Inflation nicht mehr zurück auf das vorherige Niveau sinkt.

Wo die Wahrheit liegt, wissen die Noten­banken natürlich auch nicht. Das Beste, was sie in dieser Situation tun können, ist, Daten zu analysieren.

Daten zur Inflation beispiels­weise. Sie zeigen, dass die Teuerung inzwischen nicht nur den Nahrungs­mittel- und Energie­sektor betrifft, in denen starke Preis­schwankungen nichts Ausser­gewöhnliches sind, sondern zu einem gewissen Grad auch die restliche Wirtschaft erfasst hat.

Auch die Kerninflation ist gestiegen

Beitrag zur Inflation

Kerninflation
Nahrungsmittel und Energie
201820202022−2024 %

Veränderung der Konsumenten­preise gegenüber dem Vorjahres­monat. Quelle: BFS

Das Inflations­zielband der National­bank reicht von 0 bis 2 Prozent. Wenn nun selbst die Kern­inflation – also die Teuerung ausserhalb der Energie und Nahrungsmittel – sich der oberen Grenze annähert, ist das ein Alarm­zeichen.

Und zwar aus einem Grund, dem wir bereits begegnet sind: den Erwartungen.

7. Der geld­politische Zyklus

Es gibt in der Geld­politik ungefähr nichts Schlimmeres, als wenn die Akteure in der Wirtschaft – Unternehmen, Konsumentinnen, Arbeitnehmer, Sparerinnen – hohe Inflations­erwartungen haben. Denn diese Erwartungen funktionieren, zumindest in der Theorie, wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Steigen die Inflations­erwartungen, so steigt auch die Inflation.

Aus diesem Grund ersticken Noten­banken eine aufkeimende Inflation am liebsten gleich im Keim. Für die jüngsten Zins­erhöhungen der National­bank ist das ist eine wichtige Motivation.

Gleichzeitig sind Noten­banken darauf bedacht, nicht allzu erratisch zu handeln. Eine Noten­bank, die viermal im Jahr abwechselnd «Hüa!» und dann wieder «Brrrrr!» ruft, verliert rasch an Glaub­würdigkeit.

Deswegen heben und senken Noten­banken ihre Leit­zinsen in der Regel schritt­weise: Sie machen erstmal einen kleineren Schritt und warten ab. Dann machen sie einen weiteren Schritt und warten wieder ab – und signalisieren dabei vielleicht, dass noch weitere Schritte folgen werden.

Die Federal Reserve hat einen Zins­erhöhungs­zyklus dieser Art bereits im Frühling gestartet – gemäss den eigenen Prognosen der amerikanischen Noten­bank hält er bis 2023 an. Die Schweizerische National­bank hat im Sommer nachgezogen, ebenso die Europäische Zentral­bank. Offen ist, wann dieser Zyklus zu Ende geht und wie hoch der Leitzins dann liegt.

Die nächsten Schritte im Zyklus

Prognosen für den SNB-Leitzins, in Prozent

Aktuell
Dezember 2022
März 2023
Credit Suisse 0,5 +0,25 +0,25UBS 0,5 +0,5 +0,25Zürcher Kantonalbank 0,5 +0,75 +0,5

Quelle: CS, UBS, ZKB

Mit ziemlicher Sicherheit aber wird sich die Wirtschaft bis dahin etwas abkühlen. Die allgemeine Stimmung wird pessimistischer, die Zahlungs­bereitschaft geht zurück, die Umsatz-, Lohn- und Preis­entwicklung verläuft weniger dynamisch, als man dies vor einigen Monaten noch annahm.

Kurz: Die Pferde laufen langsamer.

Zum Gross­teil liegt das an externen Einfluss­faktoren wie etwa an den hohen Energie­preisen. Aber ein bisschen liegt es auch am Kommando der SNB.

Brrrrr ...!

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