Mehr Geld für den Klimaschutz, der Kauf der Kampfjets ist besiegelt – und das Dilemma zwischen Strombedarf und Biodiversität
Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (204).
Von Dennis Bühler, Bettina Hamilton-Irvine und Priscilla Imboden, 22.09.2022
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Ein stilles Drama mit ewigen Folgen – so kann man den fortschreitenden Artenschwund in der Schweiz und auf der Welt beschreiben. «Silent Spring» – der stumme Frühling – betitelte die US-Biologin Rachel Carson schon in den Sechzigerjahren ihr Buch, das auf das Artensterben aufmerksam machte und die Öffentlichkeit aufrüttelte.
Seither hat die Biodiversität weiter gelitten, auch in der Schweiz. Gemäss Bundesamt für Umwelt sind die Hälfte der Lebensräume gefährdet und ein Drittel der Tier- und Pflanzenarten bedroht oder ausgestorben.
Dieses stille Drama sorgt diese Woche im Parlament für eine laute Debatte. Von Montag bis Mittwoch beriet der Nationalrat die Biodiversitätsinitiative, die mehr Schutzgebiete fordert, um die Artenvielfalt zu bewahren. Eine Mehrheit im Parlament, bestehend aus SVP, FDP, Mitte und einem Teil der Grünliberalen, unterstützte zwar einen Gegenvorschlag des Bundesrats, lehnte die Initiative aber ab, mit dem Argument, sie schränke die Kantone und die Landwirtschaft zu stark ein.
Derweil beschloss der Ständerat letzte Woche, für den Bau von grossen Fotovoltaikanlagen in den Bergen den Naturschutz auszusetzen. Heute Donnerstag berät er darüber, ob Umweltgesetze grundsätzlich der Produktion von erneuerbarer Energie unterzuordnen sind – auch in Biotopen nationaler Bedeutung. Falls er diese Frage bejaht, würde es möglich, die Rheinschlucht, das Gasterntal oder die Greina-Ebene zu fluten.
In diesen selten gewordenen Lebensräumen leben auf rund 2 Prozent der Schweizer Landesfläche über 30 Prozent der bedrohten Arten, erklärt WWF-Wasserschutzspezialistin Julia Brändle gegenüber der Republik: «Das wäre ein Freipass, um die letzten noch wertvollen Gebiete, das Herz der Biodiversität und der ökologischen Infrastruktur zu zerstören. Für Strommengen, die schlicht zu klein sind, um einen nennenswerten Beitrag zu einer sicheren Stromversorgung zu leisten.»
Auch die Restwasserbestimmungen für die Wasserkraft sollen ausgesetzt werden. Brändle warnt: «Ohne diese Überlebenswassermengen könnten viele Lebensgemeinschaften der Gewässer, etwa gefährdete Fischarten wie die Seeforelle, langfristig nicht überleben.»
Die Vorschläge, die der Ständerat diskutiert, stammen von Ruedi Noser (FDP) und Beat Rieder (Mitte), der sagt: «Es hat natürlich negative Folgen für die Ökologie. Aber wir müssen uns entscheiden: Wollen wir Fische auf dem Grill oder eine warme Stube und Strom für die Wirtschaft.»
Einspruch kam diese Woche von unerwarteter Seite. Das Bundesamt für Justiz publizierte eine Einschätzung, wonach es verfassungswidrig wäre, die Realisierung von grossen Fotovoltaikanlagen über alle anderen Interessen zu stellen. Dies, weil die Bundesverfassung fünf gleichrangige Ziele der Energieversorgung nennt, nämlich «eine ausreichende, breit gefächerte, sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung». Demnach bräuchte es eine Volksabstimmung, um eine neue Rangordnung der Interessen festzulegen.
Wie der Ständerat mit diesem Widerspruch umgeht, zeigt sich heute. Klar ist: Das Drama ist noch lange nicht zu Ende – weder in der Natur noch in der Politik.
Und damit zum Briefing aus Bern.
Gletscherinitiative: Gegenvorschlag setzt sich durch
Worum es geht: Am Dienstag haben National- und Ständerat die letzten Differenzen ausgeräumt und einen indirekten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative beschlossen. Das Gesetz definiert verbindliche Etappenziele auf dem Weg zum Fernziel: Bis 2050 sollen alle Treibhausgasemissionen unter dem Strich bei null liegen. Zudem sieht das Gesetz Finanzhilfen von insgesamt 3,2 Milliarden Franken vor, mit denen fossile Heizungen ersetzt, energetische Sanierungen durchgeführt und neue Technologien gefördert werden sollen.
Warum Sie das wissen müssen: Die von einer breiten Bewegung getragene Gletscherinitiative will fossile Energieträger spätestens ab 2050 verbieten. So weit dürfte es nun nicht kommen, da die Initianten angekündigt haben, ihr Begehren zurückzuziehen, falls der indirekte Gegenvorschlag tatsächlich in Kraft tritt. Dazu wird unter Umständen auch die Stimmbevölkerung ihren Segen geben müssen. Denn die SVP will das Referendum gegen den Gegenvorschlag ergreifen.
Wie es weitergeht: Kommt das Referendum zustande, könnte das Gesetz im Juni 2023 zur Abstimmung kommen – in der heissen Phase des Wahlkampfs für die Parlamentswahlen.
CO2-Gesetz: Neuer Vorschlag setzt auf Anreize statt Abgaben
Worum es geht: Nachdem die Stimmbevölkerung die letzte Revision des geltenden CO2-Gesetzes im Juni 2021 knapp abgelehnt hat, nimmt der Bundesrat nun einen neuen Anlauf. Am Freitag hat Bundesrätin Simonetta Sommaruga die Botschaft für das neue Gesetz vorgestellt. Es soll Regeln für den Zeitraum von 2025 bis 2030 definieren.
Warum Sie das wissen müssen: Mit dem neuen CO2-Gesetz will der Bundesrat den CO2-Ausstoss bis 2030 gegenüber 1990 halbieren, um so seine Klimaziele zu erreichen. Allerdings ist es fraglich, ob dies mit den vorliegenden Massnahmen gelingen wird. Denn als Folge der zuletzt verlorenen Abstimmung verzichtet die Regierung auf neue oder höhere Abgaben und setzt stattdessen auf Anreize durch Förderung und Investitionen von rund 4 Milliarden Franken. Niemand könne zu einem Leben ohne fossile Energien gezwungen werden, sagte Sommaruga. Wer aber klimaschonend leben wolle, solle das tun können. Die Mittel sollen wie bisher in das Gebäudeprogramm fliessen, den Technologiefonds und die Förderung von Geothermie, neu auch in Biogasanlagen und die Unterstützung von Gemeinden bei ihrer Energieplanung. Zudem will der Bundesrat ein Drittel der Emissionen im Ausland reduzieren, was einige Risiken birgt.
Wie es weitergeht: Das Parlament hat das aktuell geltende CO₂-Gesetz bis Ende 2024 verlängert. Das neue Gesetz, das daran anschliessen würde, geht nun in die zuständigen Kommissionen und beide Räte, bevor der definitive Gesetzestext verabschiedet wird. Die SVP hat bereits Widerstand angekündigt und fordert einen «Stopp des energiepolitischen Blindflugs». Auf der anderen Seite des politischen Spektrums bezeichnen die Grünen die Vorschläge des Bundesrats als «mutlos» und «ungenügend». Die Schweiz könne und müsse mehr tun fürs Klima.
Embargogesetz: Ständerat will keine eigenständigen Sanktionen
Worum es geht: Der Nationalrat wollte den Bundesrat ermächtigen, Personen und Organisationen, die an schwerwiegenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts oder der Menschenrechte beteiligt sind, eigenständig zu sanktionieren. Der Ständerat aber hat sich nun deutlich gegen dieses Anliegen ausgesprochen, womit es chancenlos bleiben dürfte.
Warum Sie das wissen müssen: Über die Revision des Embargogesetzes wird schon seit 2019 beraten. Zunächst waren eigenständige Sanktionen dabei kaum ein Thema, doch änderte sich dies mit dem russischen Krieg in der Ukraine. Nicht zuletzt wegen Recherchen der Republik, die zeigten, dass in der Schweiz Personen unbehelligt blieben, die von der EU sanktioniert wurden – darunter Angehörige einer rechtsextremen Söldnerfirma. Während Einzelpersonen, die sich schwerer Menschenrechtsverbrechen schuldig gemacht haben, in den USA und in vielen anderen Staaten sanktioniert werden können, ist dieses Instrument in der Schweiz nicht vorgesehen. Der Bundesrat kann bloss Sanktionen der Uno, der EU oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) übernehmen. Im Nationalrat machte sich im Juni neben der SP, den Grünen und den Grünliberalen auch die Mitte-Partei für eigenständige Sanktionen stark – angeführt von Präsident Gerhard Pfister. Im Ständerat aber fielen ihm seine Parteikollegen nun in den Rücken: Führte die Schweiz eigenständige Sanktionen ein, wäre sie mit Abstand das kleinste Land mit diesem Mittel, gab Pirmin Bischof zu bedenken. Als «Weltpolizist» aber sei die Schweiz ungeeignet.
Wie es weitergeht: Nun ist noch einmal der Nationalrat am Zug. Angesichts der deutlichen Mehrheitsverhältnisse im Ständerat – 29 zu 12 Stimmen bei 1 Enthaltung – ist allerdings absehbar, dass die Schweiz weiterhin auf eigenständige Sanktionen verzichten wird.
Kampfjet F-35: Kaufverträge mit den USA unterzeichnet
Worum es geht: Das Bundesamt für Rüstung Armasuisse hat die Verträge für den Kauf von 36 Kampfjets des Typs F-35 mit den USA unterzeichnet. Dies nur zwei Arbeitstage nachdem der Nationalrat der Armeebotschaft mit dem Kampfjetkauf zustimmte. Damit wird die Stopp-F-35-Initiative hinfällig, weil sie nicht rückwirkend wirkt. Die Initiantinnen haben die Initiative deshalb zurückgezogen.
Warum Sie das wissen müssen: Der Kauf der neuen Kampfjets ist die teuerste Beschaffung der Geschichte der Schweiz und sorgt seit Monaten für Ärger und Verwirrung. Zurzeit streiten sich Armasuisse und die Eidgenössische Finanzkontrolle darüber, wie verbindlich der Kaufpreis ist. Die zuständige Bundesrätin Viola Amherd sagt, sie habe Fixpreisverträge erhalten. Das wäre jedoch höchst aussergewöhnlich: Die USA haben bisher niemals Preise garantiert. Ausserdem ist es demokratiepolitisch einzigartig, dass das Verteidigungsdepartement die Abstimmung über die Stopp-F-35-Initiative entgegen früheren Versprechungen nicht abgewartet hat.
Wie es weitergeht: Eine erste Anzahlung ist bald fällig, die 36 Flugzeuge werden von 2027 bis 2030 an die Schweiz ausgeliefert. Die Bezahlung erfolgt schrittweise bis 2031. Wie es tatsächlich mit den Kosten aussieht, wird sich also erst in den nächsten Jahren weisen.
Gratiswerbung der Woche
Bis er letztes Jahr aufhörte, war er 25 Jahre lang das Gesicht der SRF-Sendung «Kassensturz». Jetzt will Ueli Schmezer in die Politik: Die SP hat das 61 Jahre alte Neumitglied kürzlich für den Nationalrat nominiert. Das passt nicht allen: Ginge es nach SVP-Nationalrat Lukas Reimann, dürfte keine SRG-Mitarbeiterin, die im Fernsehen oder Radio Publikumskontakt hat, auf nationaler Ebene für ein politisches Amt kandidieren – bis vier Jahre nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Er hat eine Motion eingereicht, mit der die SRG gezwungen werden soll, eine entsprechende Klausel in ihre Verträge aufzunehmen. Reimann stört vor allem, dass sich «TV-Moderatoren über Jahre hinweg auf Kosten der Gebührenzahler nationale Bekanntheit erarbeiten» und diese «Gratiswerbung» dann für ihren Wahlkampf nutzen könnten. Doch Reimanns Anliegen steht auf wackeligen Beinen: Denn gemäss Bundesverfassung kann jede Person gewählt werden, die mindestens 18 Jahre alt und Schweizerin ist sowie nicht unter umfassender Beistandschaft steht. Die SRG könnte Mitarbeitern also höchstens kündigen, wenn sie kandidieren, aber keine Kandidatur verbieten, sagt Staatsrechtsprofessor Markus Schefer. Bisher profitierten übrigens vor allem Bürgerliche von der «Gratiswerbung», die Reimann kritisiert – darunter nebst LdU-Nationalrat Anton Schaller und FDP-Nationalrat Filippo Leutenegger sein Onkel Maximilian Reimann (SVP), der von SRF in den Nationalrat wechselte.