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Die Queen Venedigs

Nicht nur eine Monarchie wie Gross­britannien, auch eine Republik braucht Mythen, um zu überleben. Das zeigt in Venedig ein besonderes Werk Tizians.

Von Kia Vahland, 20.09.2022

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Die britische Königin ist tot; jetzt geht es darum, wie sie weiterleben wird in der kollektiven Fantasie. Und nicht nur die Queen: Untrennbar verbunden ist ihr Körper dort im Sarg mit der Idee der Monarchie in einem demokratischen Gefüge. Sie zu retten, sah Elisabeth II. als eine ihrer wichtigsten Aufgaben an, und sie wusste wohl, wie wenig selbst­verständlich es ist, dass nach siebzig Jahren Regentschaft ein anderer die Krone tragen soll, und sei es ihr altbekannter Sohn Charles.

Die Monarchie hat in Europa heute wenig praktischen Nutzen; sie kann nur fortleben, wenn die Leute etwas Grösseres in ihr erkennen. Sie braucht einen Mythos, der sich feiern lässt. Oder mindestens ein vages Gefühl, auf das sich viele einigen können. So etwas wie: Gross­britannien mit seiner imperialen Geschichte und seinen scheinbar aus der Zeit gefallenen Ritualen ist eben anders als andere Staaten. Etwas Besonderes. Was freilich nur diejenigen als positiv betrachten können, die nicht selbst unter der kolonialen Geschichte des Empire leiden.

Diese britische Besonderheit zelebrieren dieser Tage nun die so ausdauernden Feierlichkeiten, die Gottes­dienste und militärischen Ehren, das grosse Abschied­nehmen mit Bärenfell­mützen, Banner­trägern und starken Gefühlen. Dabei wohnt einer solch aufwendigen Zeremonie zugleich immer ihr Gegenteil inne: die Ahnung, dass es auch ohne das ginge, was da gerade gepriesen wird. Zu hören ist dies nur in Zwischen­tönen, etwa als der Sprecher des Unter­hauses, Lindsay Hoyle, vor Charles III. im Parlament sprach: Er erinnerte daran, wie die Glorious Revolution von 1688 die Rechte der englischen Monarchen auf immer beschränkt hatte. Was der Redner zu sagen sich wohl gerade noch verkniff: Dem voraus­gegangen war im Jahr 1649 die Enthauptung von Charles I., einem Namens­vetter des aktuellen Königs.

Auch scheinbar ewige Institutionen können prekär sein und bedürfen schon deshalb staats­tragender Pracht­entfaltung. In der Vormoderne war es allen voran eine Republik, die sich an Bildern der eigenen Herrlichkeit berauschte: die Serenissima in Venedig, die erst von Napoleon erobert werden sollte.

Gerade weil das alte Venedig nicht in Erbfolge regiert wurde, benötigte es einen starken staats­tragenden Mythos, der in unzähligen Zeremonien bekräftigt wurde. Demnach war Venedig am Verkündigungs­tag des Jahres 421 gegründet worden, und Maria soll fortan über die Stadt gewacht und sie vor allen anderen privilegiert haben. In der Renaissance hingen in den allermeisten venezianischen Häusern Madonnen­bilder, und in den Amts­stuben der Republik verband sich die Figur der Maria mit jener der Venetia sowie jener der Justitia. Man fühlte sich nicht mehr nur auserwählt durch Maria, sondern identifizierte den ganzen Staats­apparat mit ihr. Prediger betonten gerne, die Stadt, die keine Mauern habe und doch nie eingenommen wurde, sei wie eine siegreiche Jungfrau.

Die Königin, der die Republik Venedig sich verschrieb, war also die Himmels­königin. Die Mutter Jesu aber war auch eine Sterbliche und als solche dann doch ebenso verletzlich wie die Stadt im Meer – deren Einwohnerinnen nie wussten, wie lange sie noch unabhängig bleiben konnten.

Tizians «Mariä Himmelfahrt» in der Kirche Santa Maria Gloriosa dei Frari in Venedig. Keystone/aka-images/Cameraphoto

Im frühen 16. Jahrhundert stand die venezianische Autonomie tatsächlich auf der Kippe. Acht Jahre lang führte die Serenissima Krieg. Zeitweise hatten sich der Papst, der römisch-deutsche Kaiser, Frankreich und Spanien gegen die Republik verbündet, die wichtigsten Gross­mächte also. Es waren Jahre der Isolation, aber auch des selbst­bewussten Trotzes.

Schliesslich konnten die Venezianer den Krieg beilegen. Sie feierten das mit einem Altar­gemälde des jungen Tizian in der Frari-Kirche. Es zeigt die Himmel­fahrt der Gottes­mutter, jenen Moment also, in dem der Mensch Maria zu Höherem strebt.

Als das fast sieben Meter hohe Werk am 19. Mai 1518 enthüllt wurde, staunten Bürgerinnen und Offizielle: Zu sehen ist eine junge, so gar nicht demütige Frau zwischen Himmel und Erde. Wie ein grosser roter Vogel fliegt sie durch die gotische Kirche nach oben. Ihr blauer Mantel weht im Wind. Mit offenen Armen schwebt sie Gottvater entgegen. Und die Engel neben ihr trommeln, rufen und winken.

Alles auf dem Gemälde ist laut und in Bewegung. Auch die Apostel, die Maria von der Erde aus verabschieden, sind bunte, wild gestikulierende Männer mit langen Füssen. Ihre Bewunderung, aber auch ihr Schmerz ist ihnen in die Körper gefahren: Sie verabschieden eine grosse Frau. Einige von ihnen tragen dasselbe strahlende Rot wie die Himmel­fahrende. Ihre Verbindung wird bleiben, über den Tod hinaus.

Gemalt hat Tizian das Werk im Winter im Kloster­saal der Franziskaner nahe der Frari-Kirche, und er hatte währenddessen viel damit zu tun, dem Prior dessen Ängste vor so viel weiblicher Energie zu nehmen: Ja, Maria darf gross und dynamisch sein, sie muss es sogar, will sie in der weitläufigen gotischen Kirche nicht untergehen. Und die Farben dürfen leuchten, sie müssen es schliesslich mit der Sonne aufnehmen, die morgens durch die hohen Fenster­gläser einfällt.

Mit diesem freudig hoffnungs­vollen Gemälde gelang es Tizian, dem schon in die Jahre gekommenen Mythos seiner Wahl­heimat Venedig nach Kriegsende neues Leben einzuhauchen. Aus dem Tod und der Verletzlichkeit erwächst in dem Bild eine Kraft. Der christliche Glaube stirbt nicht mit Maria, im Gegenteil, ihre Energie und ihr Stolz übertragen sich auf ihre wahren Freunde – hier, in dieser Kirche, im Viertel San Polo in Venedig. In dieser Stadt, die etwas Besonderes ist, weil Maria hier zu Hause ist.

Auf die Himmelskönigin als Beschützerin und eine Art Wahl­venezianerin konnten sich damals in der Republik alle verständigen. Im Vereinigten Königreich dürfte mancher die enge Verbindung von Kirche und Krone, die in den Feierlichkeiten gerade wieder zu erleben ist, nicht ganz so geheuer sein. Einfacher ist es da schon, Elisabeth II. als Mutter der Nation und Ersatz­heilige zu ehren, eine Frau, die angeblich nur eins wollte: ihrem Volk dienen.

Einen Dienst erweist die Monarchie dem Land dieser Tage gewiss: Das Feuerwerk aus Bildern rund um das Begräbnis der Queen verbindet die Nation wieder mit der Welt. Für einmal bestimmen keine Skandale aus einer um sich selbst kreisenden Regierung, keine brutalen sozialen und ökonomischen Spannungen und auch nicht der Brexit die Nachrichten. Stattdessen beschwören die royalen Bilder den vermeintlichen Glanz der alten, scheinbar so selbst­gewissen Zeit. Der Mythos könnte noch einmal überleben.

Zur Literatur

David Rosand: «Myths of Venice. The Figuration of a State». Chapel Hill / London 2001.

Paul Joannides: «Titian to 1518. The Assumption of Genius». New Haven / London 2001.

Ernst H. Kantorowicz: «Die zwei Körper des Königs: Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters». München 1990.

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