Aus der Redaktion

Die Ersten und die Letzten

Die Republik hat das Produktionsteam aufgestockt. Warum ist das wichtig? Und was tut eine Produzentin überhaupt?

Von Pascal Müller, 29.08.2022

Synthetische Stimme
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Um wach zu werden, braucht Christian Andiel weniger lang als ein Kleinkind. Kaum geht der Wecker, hat er bereits sein Handy in der Hand und checkt seine E-Mails – wobei es ihm dabei vor allem um eine Sache geht:

Ist der morgendliche Newsletter der Republik angekommen?

Und: Funktionieren die Links darin?

Tun die Links, wie sie sollen, geht Christian Andiel in die Küche, setzt Wasser auf, stellt die Bialetti auf den Herd, streicht mit dem Daumen über den Touch­screen seines Handys und scrollt sich durch die Republik-Beiträge des noch jungen Tages.

Auch hier: Stimmt alles? Funktionieren die Links?

Er kontrolliert, wie die Frontseite aussieht und wie der Feed. Und während auf der Herdplatte der Kaffee Blasen wirft, öffnet er auf Slack den Redaktions­chat der Republik und schaut nach, ob jemand von der Crew einen Fehler gemeldet hat. Manchmal ist das Profil einer Autorin nicht richtig verlinkt, manchmal wird ein grafisches Element nicht angezeigt, manchmal fehlt ein Absatz. Dann wird korrigiert, frühmorgens.

Im besten Fall aber ist alles korrekt. Die Links, all die vielen Links, sie funktionieren. Dann bringt Andiel seiner Freundin Kaffee ans Bett und brüht für sich einen Liter Grüntee auf. Ein Kabusecha aus Japan, exakt 70 Grad heiss muss das Wasser sein.

Christian Andiel, weisses Haar, freundliches Gesicht, ist Produzent. Seit viereinhalb Jahren bei der Republik. Er macht einen Job, von dem auch manche Journalistinnen nicht so genau wissen, was er wirklich beinhaltet.

Damals und heute

Seinen ersten Arbeitstag hatte Andiel am 1. Februar 2018, kurz nach dem Start der Republik. Am Vorabend war er, der bis heute Bayerisch-Schwäbisch spricht, von Wien nach Zürich geflogen. Eigentlich hatte er eine Auszeit geplant, zwei Monate Nichtstun. Doch sein Chef beim Magazin «Bergwelten», sein damaliger Arbeit­geber, bat ihn, einen Monat länger zu bleiben. Und die Chefin vom Dienst der Republik bat ihn, einen Monat früher anzufangen – das Mini-Sabbatical war futsch, und Andiel stand morgens um neun im Rothaus.

Sein erster Arbeitstag dauerte zwanzig Stunden.

Am frühen Morgen des 2. Februar stieg er an der Ecke Langstrasse-Sihlhallen­strasse in ein Taxi und fuhr nach Hause in seine Zürcher Wohnung. Zwei Dinge hatte er gelernt: wie das Redaktions­system der Republik funktioniert und dass der Arbeits­prozess so nicht funktioniert.

Am zweiten Arbeitstag, etwa um die Mittagszeit, berief Christian Andiel eine Krisen­sitzung ein.

Viereinhalb Jahre danach, am 2. August 2022, starteten Silvana Iannetta und Boas Ruh in der Produktion. Kafi und Gipfeli zur Begrüssung, einen Strauss Sonnen­blumen am neuen Arbeits­platz, Willkommens­karte.

Feierabend um 17.30 Uhr.

Boas Ruh, Silvana Iannetta und Routinier Christian Andiel bilden heute zusammen das neue Produktions­team der Republik. Geleitet wird es von Reto Aschwanden, vorher Chef vom Dienst.

Auf ihnen vier lastet jetzt untertags die Verantwortung, unsere schlimmsten Träume der Nacht nicht eintreten zu lassen. Sie handeln von a) schimpfenden Verlegerinnen, die uns mit ausgezeichneten Gründen mit der Kündigung ihrer Mitgliedschaft drohen, von b) Verlegern, die tatsächlich empört kündigen, und c) davon, dass wir vor Gericht landen, weil wir nicht auf die Reihe bringen, wofür Sie uns bezahlen.

Immerhin, und deshalb schlafen wir nachts ruhig: Zu überprüfen, ob der Produktions­motor läuft, ist denkbar einfach. Liefert die Produktion nicht, haben wir am nächsten Tag nichts im Blatt. Respektive in der App. Oder da wäre was – aber Sie wissen schon: die Links.

Damit ist bereits ein Grund genannt, warum der Ausbau unserer Produktion nicht nur für uns, sondern vor allem für Sie, geschätzte Verlegerinnen, von grösster Bedeutung ist.

Aber es gibt noch mehr Gründe.

Was macht die Produktion?

Ein Produzent hat das Privileg, sämtliche Republik-Texte als Erster lesen zu dürfen. (Oder manchmal keine Ausrede, es nicht zu tun.) Jedenfalls hat er oder sie die Pflicht, die Beiträge bis zum Ende durchzulesen. Diese Erstleser-Funktion ist wichtig, weil unsere Autorinnen Profis sind. Sie kennen sich mit den Themen, die sie ausleuchten, über­durchschnittlich gut aus – und haben sich womöglich wochenlang in einen bestimmten Aspekt vertieft. Das bringt den Vorteil, dass sie oft auch bis ins letzte Detail Bescheid wissen. Und die Gefahr, dass unser Publikum den Inhalt ihres Beitrags nicht versteht, weil er zu komplex ist.

Hier kommt der Produzent ins Spiel. Als Meister des Spagats. Er muss die Komplexität so weit reduzieren, dass ein Mensch, der noch nie mit dem Thema in Berührung kam, auf Anhieb versteht, worum es geht. Gleichzeitig soll der Beitrag auch Expertinnen neue Erkenntnisse oder Fakten bringen. Schafft er das nicht, ringen Produzentin und Autor um einen Kompromiss. Produktion ist also zur einen Hälfte Handwerk, die andere ist Beziehungs­arbeit.

Auf die Frage, warum er ein besonders guter Erstleser sei, sagt Christian Andiel: «Dafür bin ich möglicher­weise nicht schlecht geeignet, weil ich von vielen Dingen eine Ahnung habe, aber in keinem Bereich Fachmann bin.» Er spielte Gitarre, schaffte es im Fussball in die Schul­auswahl und ebenso im Volleyball – aber nicht darüber hinaus. Sobald es darum gegangen sei, die nächste Stufe zu erklimmen, «dann war ich zu bequem», sagt Andiel.

Ergo füllt Andiel heute keine Stadien, innerhalb der Republik-Crew hat er aber durchaus seine Fans.

Doch Beiträge als Erstleserin zu begutachten, ist längst nicht alles, was eine Produzentin tut. Grundsätzlich dreht sich ihr Alltag der Produktion darum, das Publikum mit der Aufmache eines Beitrags zu verführen und – so das gelingt – ihm eine Show zu bieten, bei der keiner frühzeitig den Saal verlässt. (Und im besten Fall einige sitzen bleiben und mit der Sitz­nachbarin diskutieren.)

Produzentinnen hüllen Beiträge in ihre besten Kleider. Sie bügeln die Falten und richten die Frisur. Das bedeutet:

  • Die Produktion setzt letztlich Titel, Lead, Bild­legenden und Zwischen­titel. Wobei ein Republik-Beitrag bis zu vier unterschiedliche Titel haben kann.

  • Sie überprüft den Beitrag sprachlich, Wort für Wort: Sind die Sätze präzise? Die Metaphern korrekt? Funktioniert der Übergang zum neuen Absatz?

  • Sie macht einen ersten Faktencheck (dazu gehört, jeden Link zu kontrollieren).

  • Sie setzt Dauerleerzeichen und weiche Trennzeichen.

Ich will es genauer wissen: Warum ein Republik-Beitrag bis zu vier verschiedene Titel haben kann – und was sind Dauerleerzeichen?

Titel und Lead können je nach Kanal, auf dem ein Beitrag ausgespielt wird, unterschiedlich sein. Die Republik nutzt im Wesentlichen vier Kanäle: die Magazin-Front und den Feed auf Republik.ch, zudem Twitter und Facebook. Während wir auf der hauseigenen Magazin-Front mehr Gestaltungs­spielraum haben, folgen Beiträge, die auf Social Media geteilt werden, den jeweiligen Spiel­regeln der Plattform­betreiber. Das bedeutet in erster Linie: wenig Platz.

Wenn Sie auf Twitter einen Republik-Beitrag posten, wird eine sogenannte «Sharetafel» generiert. Diese enthält einen Aufmacher (ein Bild, eine Illustration, eine Grafik oder Text), den Titel des geteilten Beitrags und den Lead. Der Lead darf dabei maximal zwei Zeilen lang sein. Die Produktion verkürzt ihn deshalb. Gleiches gilt für Facebook (wobei dort der Platz noch knapper ist). Und nach dem gleichen Prinzip optimiert die Produzentin Titel und Lead für die Anzeige in der Google-Suche.

Basierend auf diesen vier Kanälen und ihren unterschiedlichen Möglichkeiten kann es dementsprechend vorkommen, dass – je nach Plattform – verschiedene Titel den gleichen Beitrag zieren. In der Praxis sind vier verschiedene Titel selten, der Lead hingegen wird für Twitter und Co. regelmässig gekürzt.

Dauerleerzeichen (auch geschütztes Leerzeichen, no-break space etc.) verhindern an der Stelle des Zeichens einen Zeilen­umbruch, der den Lesefluss beeinträchtigen könnte, so setzt man zum Beispiel bei einer Datums­angabe ein Dauer­leerzeichen zwischen dem Punkt und dem Monat. Ähnlich verhält es sich mit weichen Trennzeichen: Sie sorgen dafür, dass lange Wörter wie «Sommer­frage­bogen» an jenen Stellen umbrochen werden, die den Lesefluss am wenigsten stören. Dauer­leerzeichen wie auch weiche Trenn­zeichen setzt die Produktion manuell.

Manche der weiter oben genannten Aufgaben können ziemlich aufwendig sein. Insbesondere der Fakten­check. Der Beitrag «Hello again, Sars-CoV-2» zum Beispiel enthielt 118 Links. Diese führen teilweise zu wissenschaftlichen Studien, und die wiederum umfassen regelmässig über 200 Seiten. Und sie sind oft in Englisch verfasst – was die Suche nach einem Fakt, der überdies ins Deutsche übersetzt wurde, nicht unbedingt einfacher macht.

Bei all diesen Anstrengungen machen wir uns – und Ihnen – nichts vor: Die hübscheste Verpackung taugt nichts, wenn der Inhalt enttäuscht. Das Ziel der Produktions­arbeit ist simpel. Sie soll Ihnen eine schnelle Entscheidung ermöglichen, ob Sie einen Beitrag lesen möchten. Und das Lesen dann so angenehm wie möglich machen.

Ein Bilderbuch-Abend

Die Wichtigkeit der Produktion hängt grundsätzlich mit einer banalen journalistischen Tatsache zusammen. Wer einen Text schreibt, dafür über Wochen recherchiert hat, am Ende Stunden und Tage, wenn nicht Wochen mit einem Text verbracht hat, die sieht vor lauter Buchstaben den Text nicht mehr. Die eigenen Fehler, die sprachlichen Ungenauigkeiten überliest man, ohne es zu wollen. Da hilft nur ein Blick von aussen.

Deshalb gibt es die Produktion.

Nebst Christian Andiel machte bis im vergangenen März eine Frau die Produktion bei der Republik: Katrin Moser. Sie sah eine ihrer Aufgaben darin, «dafür zu sorgen, dass die Autorinnen den bestmöglichen Text hinkriegen». Und sie meisterte diese so gut, dass ihre Arbeit den Augen der Konkurrenz nicht entging. Nach knapp vier Jahren verliess Katrin Moser die Republik in Richtung «Beobachter».

Was wir jetzt mit unserem neuen Produktions­team erreichen möchten, klingt erst mal gegensätzlich.

Reto Aschwanden, der neue Leiter Produktion, erklärt: «Wir wollen mehr Flexibilität und gleichzeitig mehr Stabilität. Und diese beiden Ansprüche bekommen wir nur zusammen, wenn wir mehr Ressourcen haben.» Sie erinnern sich vielleicht noch an unseren Covid-19-Uhr-Newsletter. Mit ihm durften wir zwar insgesamt über 56’000 Leser durch die Pandemie begleiten, er liess den Produktions- und den Redaktions­motor allerdings auch heisslaufen.

Spätestens seit der Pandemie besteht zudem das latente Risiko, dass viele Leute gleichzeitig ausfallen. Und wenn zu viele Berufs­leute, zum Beispiel Bus­chauffeurinnen, ausfallen, heisst das für Sie: warten. Dagegen sind auch wir nicht gefeit, aber wir haben vorgesorgt und unsere Arbeits­prozesse so organisiert, dass auch mal jemand krank sein kann. (Wir klopfen auf Holz. Und tragen Masken.) Damit Sie, wenn Sie auf den Bus warten, immerhin die Republik lesen können.

(Falls Sie stets versuchen, die Dinge positiv zu sehen: Je länger Sie auf irgend­etwas warten müssen, desto höher die Chance, dass die Zeit reicht, um einen Republik-Beitrag zu Ende zu lesen.)

Stabilität im weiteren Sinne bedeutet auch, dass wir unseren neuen Produzentinnen nicht zumuten, was Christian Andiel an einem Freitag­abend vor rund vier Jahren erlebte.

Es war ein lauer Maiabend, die österreichische Band Bilderbuch trat im Winterthurer «Salzhaus» auf, Christian Andiel hatte Tickets. Er sass draussen auf der Terrasse; dem Freund, der ihn begleitete, kündigte er an, er müsse noch kurz etwas für die Arbeit erledigen. Die Chefin des «Salz­hauses» erlaubte Andiel, sich im Büro im ersten Stock einzurichten.

Um 19.23 Uhr traf der Wochenend-Newsletter ein, den Christian Andiel produzieren sollte. Kurze Zeit später schickte ihm der Autor des Newsletters eine Nachricht mit Änderungs­wünschen. Und noch eine. Und noch eine. Die Arbeit, für die Andiel normaler­weise 30 Minuten benötigt, dauerte zweieinhalb Stunden. Unten spielte die Band, oben hörte Andiel das dumpfe Dröhnen des Basses. Um 22 Uhr leitete er den Newsletter ans Korrektorat weiter. Als er endlich im Konzert­saal ankam, spielte «Bilderbuch» gerade den letzten Song der Zugabe.

Und während das Konzert zu Ende war, war es Christian Andiels Arbeitstag noch nicht.

Um 00.52 Uhr setzte er zwei Wörter in Anführungs- und Schluss­zeichen (unter «PS», ganz am Schluss des Newsletters).

Um 01.10 Uhr ergänzte er das Dokument mit zwei Links und terminierte den Newsletter für die Publikation am nächsten Morgen.

Dann machte er den Laptop zu.

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