Binswanger

Die Zauber­lehrlinge

Die Republikanische Partei wird weiterhin beherrscht von Donald Trump. Wie ist das überhaupt möglich?

Von Daniel Binswanger, 20.08.2022

Synthetische Stimme
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Zwei Ereignisse, die rund um den Globus für Schlagzeilen sorgten, werfen aktuell ein grelles Licht auf den Zustand der amerikanischen Demokratie: Zum einen durchsuchte das FBI letzte Woche die Privat­residenz von Donald Trump und beschlagnahmte zahlreiche als top secret klassifizierte Dokumente, die unter keinen Umständen in seinem Besitz hätten sein dürfen.

Trump ist bereits in die Geschichte eingegangen als der US-Präsident, der während seiner Amtszeit die ganze Welt mit permanenten Grenz­überschreitungen und Ungeheuerlich­keiten in Atem hielt. Noch viel erstaunlicher: Auch nach seinem Rücktritt gelingt ihm dies spielend.

Zum anderen verlor Liz Cheney diese Woche die Vorwahlen für ihren Sitz im Repräsentanten­haus. Eine Pro-Trump-Kandidatin hat die Abgeordnete aus Wyoming mit einem vernichtenden Erdrutsch­sieg aus dem Rennen geworfen. Cheneys Niederlage ist die bisher symbol­trächtigste Bestätigung von Trumps ungebrochener Macht über die Republikanische Partei. Von zehn republikanischen Abgeordneten, die sich nach dem Sturm auf das Kapitol für das Impeachment von Trump aussprachen, haben lediglich zwei die Vorwahlen für die Midterms im kommenden November überlebt.

Neben Cheney, die als Vizepräsidentin des Untersuchungs­ausschusses zum 6. Januar heute die profilierteste republikanische Trump-Kritikerin ist, sind noch drei weitere Kandidatinnen abgewählt worden. Vier Kandidaten treten erst gar nicht mehr an, und die zwei Impeachment-Befürworter, die den Heraus­forderern widerstehen konnten, haben sich nur deshalb gehalten, weil sie in Bundes­staaten antraten, in denen die Vorwahlen «offen» sind. Dort können nicht nur Mitglieder der Republikanischen Partei, sondern auch Bürgerinnen, die dem demokratischen Lager zuneigen, an der republikanischen Kandidaten­kür teilnehmen.

Trump hat weiterhin die mit Abstand stärkste Position in der Grand Old Party, und Republikaner, die sich ihm entgegen­stellen, müssen damit rechnen, dass ihre Karriere ein abruptes Ende findet. Im letzten Mai, als in einer ersten Welle der Vorwahlen eine Reihe der von Trump unterstützten Kandidatinnen geschlagen wurde, keimte die Hoffnung auf, die Zeit des Ex-Präsidenten sei abgelaufen. Nach den Ergebnissen von dieser Woche kann an seiner fortwährenden Dominanz jedoch keinerlei Zweifel mehr bestehen.

Trumps Vormacht dauert an, obwohl er die hundertfach widerlegte Lüge der «gestohlenen Wahl» zum zentralen Glaubens­artikel seiner Gefolgschaft gemacht hat; obwohl die Untersuchungs­kommission zum 6. Januar ständig weitere Beweise an den Tag bringt, dass er mit allen Mitteln versucht hatte, sich zum Gewinner der verlorenen Präsidentschafts­wahlen zu machen; obwohl im Bundesstaat Georgia eine Untersuchung wegen versuchter Wahl­manipulation gegen das Trump-Team läuft; obwohl der Prozess wegen Steuer­hinterziehung gegen die Immobilien­firma von Trump zu ersten Verurteilungen geführt hat; obwohl sein Plan, sich durch einen eigentlichen Putsch im Präsidenten­amt zu halten, nur durch den zähen Widerstand der amerikanischen Armee­führung verhindert werden konnte. Die Liste ist scheinbar endlos, aber es spielt offensichtlich keine Rolle.

Weiterhin bleibt Trump eine akute und sehr reale Bedrohung für die amerikanische Demokratie. Weiterhin ist er der starke Mann innerhalb einer der beiden Regierungs­parteien. Weiterhin muss er momentan als der aussichts­reichste republikanische Präsidentschafts­kandidat für die Wahlen 2024 gelten.

Man darf zwar immer noch hoffen, dass die Stimmung irgendwann drehen wird und die zahlreichen Verfahren gegen den Ex-Präsidenten seine Popularität letztendlich unter­minieren werden. Aber darauf zählen lässt sich nicht. Wieso soll ausgerechnet Trump, den bisher rein gar nichts hat entzaubern können, durch neue Enthüllungen plötzlich beschädigt werden? Die Durchsuchung seines Anwesens Mar-a-Lago durch das FBI hat der Ex-Präsident in gewohnter Weise dazu benutzt, sich als Opfer einer politischen Hexen­jagd darzustellen und neue Spenden­gelder einzutreiben. Offenbar mit grossem Erfolg.

Verblüffend ist, dass nun ausgerechnet Liz Cheney zur grossen Widersacherin – und vorderhand zum prominentesten Opfer – des rachsüchtigen Ex-Präsidenten avanciert. Cheney ist eine in der Wolle gefärbte Ultra­konservative – und als Tochter des ehemaligen Vizepräsidenten Dick Cheney, des Mannes, der wohl die Haupt­verantwortung für den desaströsen zweiten Irakkrieg trägt, entstammt sie einer nicht eben unbelasteten politischen Dynastie. Viel rechter als Liz Cheney – das geht gar nicht. Als der Supreme Court vor kurzem das Grundrecht auf Abtreibung widerrief, reagierte Cheney mit euphorischer Begeisterung.

Während Trumps Präsidentschaft war Cheney vor allem eins: eine loyale Unterstützerin. Bei 93 Prozent der Abstimmungen im Repräsentanten­haus votierte sie im Sinn des Präsidenten. Ideologisch ist Liz Cheney in der Trump-Welt zutiefst verwurzelt. Nur die Lüge über den vermeintlichen Wahl­betrug und den Versuch, sich trotz der Abwahl mit Gewalt im Amt zu halten, will sie nicht mitmachen.

Es geht beim Kampf zwischen Cheney und den Trump-Anhängerinnen also noch nicht einmal um inhaltliche Differenzen. Es geht ausschliesslich um Cheneys Weigerung, einer korrekten Wahl die Legitimität abzusprechen und einen Putsch­versuch zu verharmlosen. Um das Bekenntnis zu den aller­minimalsten Prinzipien von Demokratie und Rechts­staatlichkeit.

Kann die amerikanische Demokratie überleben, wenn Liz Cheney es nicht kann? Möglich wäre, dass Cheney sich nun aus ihrer Trump-Gegnerschaft eine politische Zukunft zimmert, ja dass sie gar den Versuch macht, bei den kommenden Präsidentschafts­wahlen anzutreten. Vorderhand ist sie jedoch in einer krassen Aussenseiter­position.

Wie konnte es kommen, dass die Republikanische Partei heute in einem derartigen Zustand ist? Dass sie sich in die Geiselhaft eines pathologischen Narzissten begibt, selbst nach dessen Abwahl? Die offensichtliche Antwort liegt darin, dass die republikanische Basis heute von Trump-Bewunderinnen beherrscht wird. Wer sich gegen Trump stellt, verliert den Rückhalt in der eigenen Partei, weshalb sich die republikanischen Amtsinhaber – mit nur wenigen Ausnahmen – gross­mehrheitlich hinter seinem Banner scharen. Es ist offensichtlich, dass auch die Partei­führung den unzurechnungs­fähigen Ex-Präsidenten am allerliebsten loswerden würde. Doch die Republikaner sind die Zauber­lehrlinge des Populismus. Den Geistern, die sie riefen, haben sie heute nur noch wenig entgegen­zusetzen.

Was natürlich die 1000-Dollar-Frage aufwirft: Weshalb verschreibt sich das republikanische Establishment einer politischen Strategie, über die es relativ rasch die Kontrolle verloren hat? Der Harvard-Politologe Daniel Ziblatt skizzierte vor einem Jahr im Republik-Interview eine Antwort. Die Republikaner sind zu einer Partei geworden, die eigentlich nicht mehr mehrheits­fähig ist. Sie bedient hauptsächlich eine weisse Mittel- und Unterschicht, die sich von der zunehmenden ethnischen Diversität bedroht fühlt. Und sie wird gesponsert von einer schmalen ökonomischen Elite, die sich Steuer­senkungen und Entlastungen erhofft. Dieses Programm richtet sich nicht an die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung – und lässt sich deshalb nur mit aggressiven populistischen Propaganda­strategien durchsetzen. Strategien, die jetzt ins Anti­demokratische kippen.

Bis zu den Präsidentschafts­wahlen 2024 wird die amerikanische Entwicklung von schicksal­hafter Dramatik bleiben. Der Wahlausgang – und ob das Resultat überhaupt akzeptiert werden wird – dürfte nicht minder wichtig sein für die Zukunft der freien Welt als der Ausgang des Krieges in der Ukraine.

Natürlich wirft diese Entwicklung die Grund­frage auf, die wir auch an die politischen Parteien in der Schweiz richten müssen: Wer vertritt eigentlich die Interessen einer potenziellen Mehrheit? Und wer bedient ausschliesslich die Bedürfnisse von potenten Minderheiten – und muss dieses Defizit mit aggressiver Propaganda überspielen? Auch Letzteres gehört zum Spiel der Demokratie. Aber es kann die Demokratie zerstören.

Illustration: Alex Solman

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