Kunst und Kohle: John Constables Gemälde «The Hay Wain» (1821) und das mit Kohle befeuerte Kraftwerk in Euharlee im US-Bundesstaat Georgia. National Gallery/London, Karen Bleier/AFP via Getty Images

Das Landschafts­gemälde als Memento mori

Der Protest gegen den Klimawandel hat die Kunst erreicht. Umwelt­aktivistinnen stürmen Museen, und diese berufen neue Kuratoren für Ökologie. Was ist da los? Ein Überblick.

Von Antje Stahl (Text) und Anthony Gerace (Illustration), 26.07.2022

Synthetische Stimme
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Seit ein paar Wochen stehen die Sicherheitskräfte britischer Museen in Alarm­bereitschaft. Eine Gruppe von Umwelt­aktivistinnen zieht durchs Land und klebt sich an Gemälde, um gegen Erdöl, Gas und eine Regierung zu protestieren, die keine radikale Klimapolitik verfolgt.

Zuerst passierte es in Glasgow. Da sprühten ein paar junge Leute Ende Juni den Graffiti-Schriftzug «Just Stop Oil» an die Museums­wände der Kelvingrove Gallery und klebten ihre Hände an den Rahmen eines Landschafts­gemäldes. Die schönen Highlands unter wolkigem Himmel sind darauf zu sehen, die von einem Künstler namens Horatio McCulloch Mitte des 19. Jahrhunderts verewigt wurden.

Dann folgten weitere solcher Aktionen in London und Manchester. Nach ziemlich ähnlichem Ablauf – also Graffiti, Kleber auf die Hände und ab an den Rahmen – dienten ihnen sogar Werke von Vincent van Gogh und William Turner als Ziel. In der Royal Academy traf es zuletzt das rund 500 Jahre alte «Letzte Abendmahl» aus dem Umfeld von Leonardo da Vinci.

«Kein Gemälde ist mehr wert als das Leben meines sechs Monate alten Neffen», erklärte eine beteiligte Kunststudentin dazu. «Keine Skulptur kann ein Baby ernähren.» Sie forderte gar Museums­direktoren auf, ihre Häuser zu schliessen, und zwar so lange, bis die Regierung endlich den Planeten schütze: «Wenn Direktoren wirklich an die Macht der Kunst glauben, die Welt zu verändern, (…) müssen sie sie auch ergreifen.»

Soweit uns bekannt ist, hörte bisher keine der betroffenen Institutionen auf die Studentin – alle Museen sind weiterhin geöffnet. Aber das könnte sich bald ändern.

Ein neuer Kurator für Klimawandel

Lustig machen kann man sich ja leicht über diesen studentischen Glauben an die symbolische Sprengkraft der Kunst. Und es nur absurd finden, dass Gemälde und Skulpturen mit Menschen­leben und Lebens­mitteln verglichen werden. Als ob man diese Dinge gegeneinander aufrechnen könnte – oder gar sollte. Angesichts dessen, was in vielen Museen in Sachen Klima­wandel jedoch im Gange ist, würden wir allerdings davon abraten, die Angelegenheit zu belächeln. Ein Museum, das aus klima­politischen Gründen dichtmacht, ist nach derzeitigem Stand jedenfalls nicht mehr ausgeschlossen. Aber dazu später mehr.

Wie steht es ganz allgemein um den ökologischen Wandel in Museen? Diese Recherche begann ungefähr im Herbst vergangenen Jahres, als eine Presse­mitteilung aus Kanada verbreitet wurde: Das Royal Ontario Museum in Toronto ernennt den ersten Curator of Climate Change.

Das Royal Ontario Museum, kurz ROM, ist zwar eher eine Wunder­kammer als ein Kunsthaus – in der Sammlung befinden sich neben klassischen Gemälden, Grafiken und Skulpturen aus aller Herren Länder und Zeiten auch: Dinosaurier-Skelette, Mumien aus dem alten Ägypten, chinesische Vasen, byzantinische Juwelen oder ausgestopfte Vögel. Solche sogenannten enzyklopädischen Museen versuchen seit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert recht umfassende Welt- und Kultur­geschichten abzubilden.

Die Ernennung eines Kurators, der sich dem Klimawandel widmet, erschien uns da erst einmal: interessant. Er heisst Soren Brothers und gibt der Republik bereitwillig Auskunft.

Wie alle Kuratoren des ROM ist Soren Brothers Wissenschaftler. Er studierte Limnologie, befasst sich also mit Fliess­gewässern und Seen. Zum perfekten Ausstellungs­objekt seiner Arbeit erklärt er deshalb eine Bodenprobe aus einem See, der durch die Gletscher­schmelze entstand. Vor ein paar Jahren hätten sich wohl die wenigsten für so eine Ablagerung von ein paar Erdschichten begeistern können. In Zeiten der Erderwärmung, des Arten­sterbens und der Umwelt­katastrophen gewinnt die sogenannte Natur allerdings rasant an ästhetischer Bedeutung.

Ein Ausstellungsobjekt, das Epoche macht

Der Crawford Lake, aus dem die Bodenprobe stammt, liegt südwestlich von Toronto, erklärt Brothers. Seine besondere Beschaffenheit erkannten Forscher aus dem ROM bereits in den 1960er-Jahren – in den Tiefen können nämlich unter anderem Spuren von Agrikultur aus dem 13. Jahrhundert, Kohle aus dem 19. Jahrhundert und radioaktive Stoffe aus den späten 1950er-Jahren nachgewiesen werden.

Anhand dieser Ergebnisse wird dann nicht nur die Kolonial­geschichte Kanadas nachvollziehbar – die Besiedelung durch indigene Volksgruppen, die Ankunft der Europäer, die deren Kultur vernichteten. Auch die zerstörerischen Auswirkungen der Industrialisierung, von Atomwaffen­tests und ganz besonders der «grossen Beschleunigung» der Weltwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg können im Crawford Lake bemessen werden.

Der Crawford Lake ist deshalb nicht nur ein See. Er gilt als idealer Mikro­kosmos, um das neue Erdalter aufzuzeigen, in dem wir alle leben sollen und über das alle sprechen: das Anthropozän. Das Anthropozän zeichnet sich ja dadurch aus, dass der Mensch die Lebens­bedingungen auf der Erde durch sein Handeln fundamental verändert und auch zerstört. Und genau das kann im Crawford Lake auf den Boden der Tatsachen gestellt werden.

In vielen Disziplinen wird das Anthropozän zwar bereits wie eine unumstössliche Wahrheit behandelt – ob in der Philosophie, Kunst­wissenschaft oder Literatur, überall verbreiten sich Theorien, die über die neue unwiderrufliche Symbiose aus Kultur und Natur, ja über das Ende der Menschheit spekulieren.

Die entscheidenden Behörden allerdings, die sich um die offizielle Festlegung von geologischen Zeitaltern wie Kreide, Jura und so weiter kümmern, haben das Anthropozän bisher noch nicht anerkannt. Dazu müsste sich The International Union of Geological Sciences (IUGS) auf einen irdischen Ort mit Beweiskraft festlegen.

Arbeitsgruppen aus dem Umfeld der International Commission on Stratigraphy arbeiten seit Jahren an Vorschlägen, an welchem Standort der Beginn des Anthropozäns nachgewiesen werden könnte. Neben dem Karlsplatz in Wien oder Korallen­riffen vor den Küsten Mexikos und Australiens gehört auch der Crawford Lake bei Toronto dazu. Die entsprechenden Papers werden gegenwärtig finalisiert.

In ein, zwei Jahren könnte sich die Bodenprobe, die Soren Brothers als ROM-Kurator für Klimawandel in den Händen hält, folglich in ein Ausstellungs­objekt verwandeln, das Epoche macht. In Schulbüchern auf der ganzen Welt würde dann darüber berichtet werden. (Es dauerte zwar «nicht weniger als 102 Jahre, bis das Holozän formalisiert war», das ist das geologische Zeitalter, in dem wir offiziell noch leben. Aber man kann optimistisch sein.)

Indigenous Futurism

Das ist beeindruckend. Trotzdem verbringt Brothers die meiste seiner Arbeitszeit nicht mit der Beschaffung von Bodenproben oder anderen Ankäufen. Sondern er entwickelt einen neuen Audioguide, der einen Teil der bestehenden Sammlung des ROM – immerhin über 13 Millionen Objekte – durch die Brille klimatischer Veränderungen vermittelt: angefangen in der Abteilung der Dinosaurier und anderer ausgestorbener Arten bis hin zu Objekten kultureller Herkunft, die im Zug von Umbrüchen in religiösem Denken entstanden, die durch Vulkanausbrüche, Tsunamis oder andere Umwelt­katastrophen ausgelöst wurden. Ausserdem will er Ausstellungen konzipieren, die den Klima­wandel nicht zur Apokalypse erklären, sondern zur Chance auf ein besseres Leben.

Viele Leute in Nordamerika hielten den Klimawandel nach wie vor für eine Art Glaubens­bekenntnis, sagt Brothers. So nach dem Motto: «Wenn man ihn für wahr hält, wird man nie wieder in seinem Leben einen Burger essen können.» Solange die Frage, ob wir im Anthropozän leben oder nicht, jedoch nicht abschliessend wissenschaftlich durch die erwähnte Geologie-Vereinigung IUGS beantwortet ist, wird der Klimawandel auf jeden Fall ein Politikum bleiben. Und das bedeutet, dass auch Museen zum politischen Akteur werden.

Soren Brothers versteht sich selbst allerdings nicht als Aktivist. Er erzählt, dass die Klima­angst, die er einmal angesichts extremer Wetter­verhältnisse oder vergifteter Seen empfunden habe, einem Optimismus gewichen sei. Unsere Generation habe heute das Wissen und die Möglichkeiten, das Leben klimaneutral zu gestalten.

Die Künstlerin Lisa Jackson zum Beispiel bedient sich der Virtual Reality, um so eine utopische Zukunft erlebbar zu machen: In ihrem Film «Biidaaban: First Light» erobert sich die Natur die Stadt Toronto zurück, Flora und urbane Infrastruktur werden eins, was auch die Wunden aus der kolonialen Vergangenheit heilt. «Indigenous Futurism» wird diese Utopie auch genannt.

Der neue Kurator am ROM ist also mehr als ein Wissenschaftler. Er sucht die Vermittlung ökologischer Themen in der zeitgenössischen Kunst und möchte zugleich für den umwelt­verträglichen Umbau der Gesellschaft werben.

Trend in Sachen Eco-Art

Nun braucht man für so ein Programm nicht unbedingt einen Kurator für Klimawandel. Wenn man sich hierzulande einmal umschaut, werden in der Tat in so gut wie jedem Haus Ausstellungen eröffnet, in denen sich alles um Natur, Nachhaltigkeit, Koexistenz oder Ähnliches dreht.

Die Schau mit dem Teich von Olafur Eliasson in der Fondation Beyeler versprach ein grünes Leben. In Bregenz konnte man sich auf Otobong Nkangas vertrocknete Erdteppiche und Baumstämme einlassen. Im Kunsthaus Zürich ging es jüngst in «Earth Beats» um das «Naturbild im Wandel», im Schweizer Landes­museum bis Mitte Juli um die Kultur­geschichte des Waldes.

Und in der Kunsthalle Zürich trifft man in diesen Tagen auf Plastikmüll, der uns über die «Katastrophe» aufklären soll, «die wir nicht im Griff haben». Auf dem Kunsthalle-Boden im ersten Obergeschoss im Löwenbräu-Areal liegen Kinder­spielzeug, Tüten, Joghurt­becher, Ketchup-, Haarshampoo- und Saft­flaschen, alles ist ineinander verschmolzen. Die Künstlerin Liz Larner hat den Müll aus dem Meer gefischt und en détail untersucht, warum das eine Teil sinkt, das andere auf der Wasser­oberfläche treibt und wie es auf Hitze reagiert.

Als Recycling-Kunst liesse sich die Skulptur beschreiben, vielleicht als künstlerische Forschung in Sachen Umwelt­verschmutzung. Wer sie studiert, wird um einiges schlauer sein und sich wohl schämen für den Müll, den er erst am Morgen weggeworfen hat, weil er plastikverpackte Blaubeeren im Supermarkt gekauft hatte. Der ökologische Wandel des Museums­wesens hat mit diesem Trend der Eco-Art-Strömung auch etwas zu tun. Er findet aber eben auch hinter den Kulissen der Kunst statt.

Angesichts der Klimakrise verstehen sich Museen nicht länger als reine Ausstellungs­orte oder Archive, die die Besucher über dieses oder jenes Vergangene oder Gegenwärtige aufklären und es kritisch beleuchten möchten.

Miriam Szwast spricht deshalb vom neuen «engagierten Museum». Szwast wurde vom Museum Ludwig in Köln zur neuen Kuratorin für Ökologie ernannt, genau wie Soren Brothers im vergangenen Herbst übrigens.

«Kreuzfahrtschiffe der Kultur»

Im Gegensatz zum ROM widmet sich das Museum Ludwig ausschliesslich der bildenden Kunst aus dem 20. und 21. Jahrhundert, die Sammlung umfasst Grafiken und Fotografien, reicht vom Expressionismus über Pop-Art bis hin zu Positionen aus der Gegenwart etwa von der Performance-Künstlerin Anne Imhof. All diese Werke müssen gelagert und gepflegt werden. Nicht selten verlässt eine Arbeit als Leihgabe das Haus und wird sonst wohin rund um den Globus geschickt. Eine Mitarbeiterin des Museums steigt dann für gewöhnlich ins Flugzeug, um sicherzustellen, dass es keine Transport­schäden gibt, es geht um hohe Versicherungs­werte, manchmal in Millionen­höhe. Für jede Ausstellung wird ausserdem eine neue Architektur gebraucht, es müssen Schilder, Pressematerial und Kataloge her.

Und ausgerechnet diese superklassische Museumsarbeit stellt die Glaubwürdigkeit eines Hauses mittlerweile infrage.

«Museen sind die Kreuzfahrt­schiffe der Kultur», sagt Szwast. Die neue Kuratorin für Ökologie bezieht sich auf die Klima­bilanzen, die im kulturellen Sektor seit ein paar Jahren zirkulieren und ganz besonders Museums­leute in Panik versetzen. Vor einigen Jahren schaute sich die britische NGO Julie’s Bicycle nämlich den Ressourcen­verbrauch von Kultur­einrichtungen näher an und fand heraus, dass Museen tatsächlich einen so grossen ökologischen Fussabdruck aufweisen wie kein anderer Kultur­bereich – ganze 41 Prozent des CO2-Ausstosses aller kulturellen Aktivitäten.

In diese Hochrechnung wurden unterschiedliche Faktoren einbezogen, zum Beispiel wie viele Kilometer zurückgelegt werden für Geschäftsreisen der Museums­angestellten oder von Besucher-Touristen, wie viel Tonnen Müll für den Betrieb produziert werden. Die NGO bemühte sich auch um Anschaulichkeit und stellte durch eine Infografik heraus, dass der Strom, den die insgesamt etwa 750 Institutionen verbrauchen, für die Versorgung von 122’000 Haushalten in Grossbritannien reichen würde. Auch das Wasser, das durch die Sanitär­anlagen und dergleichen von Theatern, Konzertsälen, Opern oder eben Museen läuft, wurde einem Vergleich unterzogen: Die Baumwoll-Produktion von 2,7 Millionen T-Shirts hätte ebenfalls 7,2 Milliarden Liter verbraucht. Kultur wird mit anderen Worten auf Zahlen gebracht.

Man kennt Kultur-Bemessung natürlich, nicht nur auf dem Kunstmarkt, sondern auch in der Kunst­förderung. Sobald öffentliche Gelder im Spiel sind, werden Theater gegen Museen oder Museen gegen Opern aufgerechnet. Besucher­zahlen erhoben, Eintrittspreise, Produktions­kosten und so weiter. Die Daten zum Klimawandel haben allerdings einen ganz eigenen Effekt. Sie machen alles gleich. T-Shirts, Toiletten­spülungen, Küchen­beleuchtung, Fabriken, Autos, Kühl­schränke stehen auf einer Ebene mit Kunstwerken, die in klimatisierten Räumen ausgestellt oder in ein Museum nach Tokio geflogen werden. Alles trägt seinen zerstörerischen Teil zum Klimawandel bei.

Ist es da verwunderlich, dass eine Kunststudentin, die für eine radikale Klimapolitik demonstriert und ihre Hand an ein Gemälde klebt, das sie nach eigenen Aussagen ehrt und liebt, einen Baby-Neffen ins Spiel bringt?

Die Zukunft der Landschafts­gemälde

Wir sind hier wieder bei diesen Protest­aktionen angelangt, die britische Museen seit ein paar Wochen in Alarm­bereitschaft versetzen. «Kein Gemälde ist mehr wert als das Leben meines sechs Monate alten Neffen», hatte die beteiligte Kunststudentin gesagt. Und: «Keine Skulptur kann ein Baby ernähren, wenn extreme Hitze die Pflanzen verbrennt.» Museen sollten darum schliessen.

Im Vergleich zu anderen Sektoren sind die CO2-Emissionen des Kulturbereichs zwar Peanuts. In einem Jahr (2018/2019) verzeichneten in Grossbritannien Kunst, Musik, Theater und Co. knapp 115’000 Tonnen, das sind gerade einmal rund 8 Prozent des Ausstosses, den die drei Zementwerke von Holcim in der Schweiz generieren. Oder das CO2-Äquivalent von 33’000 Tonnen Schokolade.

Die Aktivisten, die diese «No New Oil»-Kampagne in England betreiben, dürften geschlossene Museen deshalb auch nicht als Beitrag zum Umwelt­schutz verstehen. Ein eingestellter Museums­betrieb ist eher so etwas wie ein Protest­plakat. Es geht ihnen, wie gesagt, um die symbolische Sprengkraft der Kunst, den Wert, der ihr gesellschaftlich zugesprochen wird.

Gemälde von van Gogh oder William Turner bilden Landschaften ab, die es nicht mehr gibt oder bald nicht mehr geben wird. Die Themse, die Turner 1809 bei Richmond Hill in ein recht idyllisches Licht setzte, wurde Ende der 1950er-Jahre für tot erklärt. Seitdem hat sich der Fluss zwar erholt, der steigende Meeres­spiegel und die warmen Temperaturen bedrohen die bestehende Flora und Fauna nun aber wieder. Auf kommenden Gemälden, die von der Themse angefertigt werden, dürfte Müll am Ufer liegen. Und Smog den Himmel prägen. Aus hübschen Landschafts­gemälden werden gewissermassen Vanitas-Still­leben: Memento mori.

Kulturinstitutionen sind, wenn es hart auf hart kommt, allerdings besonders anfällig, als system­irrelevant zu gelten. Frei nach Bertolt Brecht: «Erst kommt das Fressen, dann die Moral.» Das konnte man nicht zuletzt während der Pandemie verfolgen. Beeilen sich Museen auch deshalb, ihren eigenen Beitrag zu leisten, um solche apokalyptischen Zukunfts­visionen abzuwenden?

Ästhetische Umerziehung

Die Londoner Tate Modern veröffentlichte im Jahr 2019 eine Erklärung, in der sie die einzigartige Rolle betonte, die Kunstmuseen spielen, wenn es um einen fundamentalen sozialen Wandel geht. Im Rahmen der «climate and ecological emergency» baut das Haus seine gesamte Infrastruktur um mit dem Ziel, die CO2-Emissionen nächstes Jahr um 50 Prozent zu reduzieren und 2030 klima­neutral zu operieren. Geschäfts­reisen der Mitarbeiterinnen werden dafür gestrichen, Regen­wasser aufgefangen für die Klospülung, Solar­anlagen installiert, Glüh­birnen ausgetauscht oder, jawohl, hauseigener Honig hergestellt. Dafür braucht es neue Expertise.

Während der Pandemie formierte sich im New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) das neue Sustainability Department, auch ein neues Institut wurde gegründet «for the Joint Study of the Built and Natural Environment». Carson Chan, der neue Leiter des nach einem ehemaligen MoMA-Kurator benannten Emilio Ambasz Institute, promovierte über Aquarien und wird eine departement­übergreifende Rolle spielen. Er kuratiert klassische Ausstellungen zu architektonischen Eco-Trends, wirbt in Hochschulen wie der ETH für die Einführung eines neuen Kanons ökologischer Ausrichtung, überblickt aber beispiels­weise auch die Produkte im MoMA-Designshop.

Grosse Museen organisieren ja nicht nur am laufenden Band Ausstellungen. Sie eröffnen (wie das New Yorker Guggenheim) Standorte in der ganzen Welt, sie vertreiben Werbe­material, Produkt­paletten aus T-Shirts, Taschen, Becher, Stifte und ganze Designmöbel­linien. Soll das alles nach ökologischen Massstäben ausgerichtet werden, ja sogar umweltverträglich und klimaneutral werden, erwartet uns eine ästhetische Umerziehung, wie man sie wohl nur aus Büchern zur Avantgarde kennt.

«Das MoMA hat den Kunstbegriff geprägt», sagt Carson Chan. Er meint damit die Entwicklung, die uns am Ende den White Cube bescherte, die klinische, scheinbar zeitlose, weiss gestrichene Museums­galerie, in der die Moderne, abstrakte Malerei, Minimalismus und so weiter präsentiert wird.

Nun könnte das MoMA wieder eine führende Gestaltungs­rolle übernehmen, um ein holistisches Verständnis von Nachhaltigkeit über die Welt zu bringen, die Kultur und Intellekt mit der Umwelt versöhnt. Wie wird die neue grüne Kultur US-amerikanischer Prägung aussehen?

Das neue Eco-Curating

Europäische Museen versuchen bereits ihre eigenen Mass­stäbe zu setzen. Im September wird Miriam Szwast, die neue Kuratorin für Ökologie am Kölner Museum Ludwig, ihre erste Ausstellung eröffnen, die sie nach dem Prinzip eines, Achtung, «Eco-Curating» organisiert. Thematisch dreht sich alles um eine grüne Moderne: um exotische Pflanzen, die herangezüchtet werden und der gesellschaftlichen Distinktion dienen, um Blumen auf Kleidern oder Haaren, die Geschlechter­ordnungen zementieren.

Zum ersten Mal in der Geschichte des Museums wird dieses Pilotprojekt allerdings auf Leihgaben verzichten. Die hauseigene Sammlung wird durch Reproduktionen ergänzt. Der Katalog wird nicht mehr gedruckt, sondern nur online zur Verfügung gestellt. Aus alten Transport­kisten werden Hochbeete auf dem Dach, das Gemüse soll das Restaurant verarbeiten. Sofern es Druck­material braucht, wird mineralöl­freie Farbe verwendet. Und pro verkauftem Eintritt soll ein Euro in Naturschutz­projekte fliessen.

Das mögen kleine, bescheidene, etwas hippieske Schritte sein. Dass die deutsche Staats­ministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth von den Grünen, die Schirmherrschaft übernimmt, überrascht trotzdem nicht. Angesichts der Klimakrise werden Museen, wie gesagt, zu politischen Akteuren – Bildungs­einrichtungen mit Vorbild­charakter.

Auch an der Schweiz ist nichts davon vorbeigegangen. Abgesehen von all den genannten Eco-Art- und Natur-Ausstellungen, die im ganzen Land zu sehen sind, wurde 2019 ein sogenanntes Netzwerk Nachhaltigkeit in Museen gegründet. Es nennt sich «Happy Museums» und soll Betriebs­analysen durchführen, ein Label schaffen, das nachhaltige Projekte ermittelt und unterstützt.

Der Direktor der Kunsthalle Zürich, Daniel Baumann, der die Plastikmüll-Skulptur mit dem Kinder­spielzeug und den Joghurt­bechern von Liz Larner ausstellt, zeigt sich im Gespräch allerdings etwas skeptisch bezüglich der damit verbundenen ästhetischen Umerziehung: Auf Vernissagen werde schon lange nicht mehr über Kunst­inhalte gesprochen. Es gehe vielmehr um besonders eindrucksvolle Umsetzungen und das Handwerk. «Ah, das ist aber toll gemacht» sei das wichtigste Qualitäts­merkmal, Ausdruck des helvetischen Perfektionismus.

Recycelte Ausstellungs­architektur, Reproduktionen von Kunstwerken auf recycelten Karton, der Verzicht auf Plastik­geschirr für die Vernissage-Häppchen, Regen­wasser in der Toilette – all das wird diesem Perfektionismus hoffentlich früher als später gerecht werden. Ihn vielleicht auch einfach ganz abschaffen.

Dafür setzen Umwelt­aktivisten nicht nur in Grossbritannien auf die Kunst und die Museen.

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