Summer Night City
Tropennächte rauben uns den Schlaf. Und sie werden in Schweizer Städten gerade in der jüngsten Vergangenheit häufiger.
Von Felix Michel, 25.07.2022
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«Es ist Sommer – zu heiss, um zu arbeiten, zu hell, um zu schlafen», heisst es im Republik-Sommerfragebogen. Aber eigentlich ist es auch zum Schlafen zu heiss. Schuld sind die Tropennächte, wie sie dieser Tage besonders viele Menschen in den Städten durchwachen.
Tropennacht – das klingt nach Regenwald und Pazifik. Mit tropischem Klima hat der verheissungsvolle Begriff aber nichts zu tun. Vielmehr beschreibt er, dass die Lufttemperatur einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang nicht unter 20 Grad Celsius sinkt.
Die Zahl der Tropennächte hat in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zugenommen. Dies zeigt die lange Sicht auf Messreihen von Meteo Schweiz, zum Beispiel für die Station Basel (Binningen).
Die Messreihe reicht beeindruckend weit in die Vergangenheit und macht klar: Tropennächte waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Seltenheit. Erst 100 Jahre später häufen sich die Tage, an denen die Temperaturen einfach nicht unter 20 Grad sinken wollen.
Allerdings: Die Messstation Basel (Binningen) liegt am Stadtrand. Gegenüber weiden Kühe, in der Ferne sind die Türme der Stadt zu sehen. Dass die Station in einer relativ freien und natürlichen Umgebung steht, ist kein Zufall, sondern Kalkül: Damit wird Meteo Schweiz den internationalen Messbedingungen gerecht. Ziel der Messungen ist es nämlich, für eine grössere Region repräsentativ zu sein. Daher werden die Besonderheiten von urbanen Witterungen anhand dieser Grafik nicht deutlich, doch genau diese sind beim Thema Hitze interessant.
Stadt vs. Land
Vergleichen wir also Daten dieser eher ländlichen Messstation von Meteo Schweiz mit denen eines urbanen Standorts. Solche erfasst zum Beispiel die Universität Basel.
Der Unterschied ist frappant. Bei der ländlichen Station kommen Tropennächte vereinzelt vor, in der Innenstadt gibt es hingegen seit 2002 jedes Jahr mindestens eine Tropennacht. Besonders deutlich ist die Differenz in den beiden Hitzesommern 2003 und 2015. An der Messstation für die Basler Innenstadt wurden während dieser beiden Hitzewellen mehr als doppelt so viele Tropennächte registriert. Auch diesen Sommer zeigt sich der Stadt-Land-Graben: In Basel (Binningen) wurde bisher 1 Tropennacht gemessen, in der Innenstadt waren es hingegen 6.
Den Unterschied zwischen ländlichen und städtischen Messstationen vor allem nachts im Sommer belegt auch eine Studie zu den 5 grössten Schweizer Städten: In den Stadtzentren sanken hier die Temperaturen teilweise nicht unter 24 Grad. Es ist also die Anzahl der Tropennächte, die in den Städten deutlich höher ist als auf dem Land, während bei den Hitzetagen – Tagen, an denen das Thermometer mehr als 30 Grad anzeigt – die Unterschiede weniger gross ausfallen.
Der Wärmeinsel-Effekt
Dass es in urbanen Gebieten wärmer ist als im ländlichen Umland, bezeichnen Meteorologinnen als städtische Wärmeinsel. Dieses Phänomen hat der Mensch selbst erschaffen: Durch das Bauen von Häusern, Strassen und Plätzen hat er die Klimabedingungen in den Städten komplett umgekrempelt. Gebäude oder enge Gassen setzen die Windgeschwindigkeiten in der Stadt herab, der Wind befindet sich quasi im stockenden Verkehr.
Zudem ist in Städten der Boden zu einem grossen Ausmass mit Asphalt oder Beton versiegelt. Diese Materialien saugen sich förmlich mit Wärme voll. Sie laden sich tagsüber mit Energie auf wie eine Batterie, die sich nachts wieder entlädt. Im Winter hat das durchaus Vorteile, dadurch ist das Stadtklima milder. Im Sommer hingegen führt es dazu, dass die Städte zu Wärmeinseln werden und (besonders in der Nacht) nicht abkühlen.
Der Wärmeinsel-Effekt ist nicht überall in der Stadt gleich stark ausgeprägt. Je dichter ein Gebiet bebaut ist, desto mehr Wärme speichert es am Tag und strahlt es in der Nacht ab. Eine Klimaanalyse, die der Kanton Basel-Stadt gemacht hat, zeigt: Nächtliche Hitze ist vor allem in dicht bebauten Gebieten der Innenstadt eine Belastung.
Auch verschiedene Stadtviertel unterscheiden sich: Stark durchgrünte Quartiere kühlen nachts mehr ab als hoch versiegelte Blockrandbebauungen oder Gewerbegebiete. Ähnliche Analysen wurden auch für Zürich und Genf erstellt.
Tropennächte in Basel, Genf und Zürich
Nächtliche Hitze ist also ein Problem, und es wird sich verschlimmern, besonders in den Städten. Dies zeigen die Schweizer Klimaszenarien, deren Prognosen für mehrere Schweizer Innenstädte die Auswirkungen des Klimawandels fassbar machen wollen.
Blicken wir also in die Zukunft: Wie viele Tropennächte werden für die drei grössten Schweizer Städte erwartet?
Der Vergleich der nächtlichen Temperaturen in der Stadt mit jenen einer Messstation im Umland zeigt den Wärmeinsel-Effekt für alle drei Städte klar. Ausserdem zeigen die Szenarien: Ohne Klimaschutz wird es immer mehr Tropennächte geben. So liegt die Prognose für die Messstation Zürich (Fluntern), also tatsächlich weit ausserhalb der Innenstadt, in der Höhe gelegen, für das Jahr 2085 bei 20 Tropennächten. Die Messstation in der Innenstadt könnte hingegen auf einen mehr als doppelt so hohen Wert von 45 kommen.
Ich will es genauer wissen: Was sind die Schweizer Klimaszenarien?
Die «Klimaszenarien CH2018» bieten Bund und Kantonen eine zentrale Grundlage, um Klimaschutz voranzutreiben und Anpassungen an den Klimawandel vorzunehmen. Im November 2018 wurden die neuesten Szenarien veröffentlicht und im Juni 2022 um ausgewählte Schweizer Innenstädte erweitert. Die Szenarien basieren auf Simulationen mit verschiedenen Computermodellen, die an europäischen Forschungsinstitutionen durchgeführt werden.
Die Simulationen unterscheiden drei unterschiedliche Szenarien:
Kein Klimaschutz (RCP8.5): Die klimawirksamen Emissionen nehmen stetig zu. Dieses Szenario wurde im Artikel verwendet
Begrenzter Klimaschutz (RCP4.5): Eine mittlere Entwicklung mit begrenztem Klimaschutz.
Konsequenter Klimaschutz (RCP2.6): Der Treibhausgasausstoss wird rasch und drastisch gesenkt, dadurch wird der Anstieg der Treibhausgase in der Atmosphäre bis zum Jahr 2040 gestoppt.
Risiken für Körper und Psyche
Die zunehmenden Tropennächte sind Teil des Klimawandels und können zu einem gesundheitlichen Problem werden: Denn sie rauben uns den Schlaf. Eine Studie der Universität Kopenhagen kommt zum Schluss, dass uns weltweit betrachtet aufgrund sehr warmer Nächte 44 Stunden Schlaf pro Person und Jahr fehlen. Bei der Studie wurden die Daten von Sportuhren zur Schlaferkennung von fast 48’000 Personen in 68 Ländern über den Zeitraum von zwei Jahren ausgewertet. Durch wärmere Nächte hatten die Studienteilnehmerinnen zum Teil mehr Mühe beim Einschlafen und wachten auch morgens früher auf.
Warme Nächte bringen aber nicht nur Müdigkeit am nächsten Morgen mit sich, sondern bergen ein zusätzliches Gesundheitsrisiko: «Wenn sich unsere Körper nachts nicht abkühlen können, dann bleibt die nächtliche Erholung auf der Strecke», erklärt Christine Blume, Schlafforscherin an der Universität Basel.
Wenn Hitzestress über mehrere Tage bestehen bleibt, wie das bei der Kombination aus Hitzewellen und Wärmeinseln der Fall ist, kann das für vulnerable Bevölkerungsgruppen den Tod bedeuten. In der Hitzewelle 2003 lag die Übersterblichkeit in der Schweiz im Sommer bei knapp 7 Prozent, beinahe 1000 zusätzliche Todesfälle. Im Sommer 2015 sind aufgrund der Hitze etwa 800 Menschen mehr als statistisch erwartet verstorben. Die Gefahr eines Hitzetods besteht vor allem für Menschen ab 75 Jahren. Schlafprobleme aufgrund der höheren Temperaturen treffen hingegen die breite Bevölkerung, sagt Blume. Ein erhöhtes Risiko für psychiatrische oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen könnten die Folge sein.
Mit Grünflächen die Hitze mildern
In Zentraleuropa leben mehr als 75 Prozent der Menschen in einer Stadt und sind dadurch auch vom Effekt der städtischen Wärmeinseln (und von Tropennächten) betroffen. Aus städtebaulicher Sicht sind wir nicht komplett hilflos. Die Stadt Zürich will die genannten Klimaanalysen in die Siedlungsplanung einbeziehen, in Basel fliessen die Erkenntnisse in ein Stadtklimakonzept. Die Essenz dieser Planungen: mehr Grün- und Wasserflächen schaffen, Betonbauweise vermeiden und die Böden wieder entsiegeln, also dafür sorgen, dass die Böden wieder Wasser und Luft durchlassen können.
Verschiedene Schweizer Städte setzen neu in ihrer Stadtplanung auf das Konzept der «Schwammstadt». Die Idee dahinter: Das Siedlungsgebiet soll wie ein Schwamm Regenwasser aufsaugen. Dadurch soll weniger Regenwasser in die Kanalisation abfliessen, dafür direkt den Bäumen zur Verfügung stehen. Hitzewellen und trockene Sommer könnten die Stadtbäume somit besser überstehen. Da dadurch mehr Wasser verdunsten kann, würde auch der Wärmeinsel-Effekt eingedämmt.